Kurt Faber
Tausend und ein Abenteuer
Kurt Faber

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Mooiprat

Von Windhuk zu Windhoek / Babylonische Sprachverwirrung / Klein-Paris in Südwest / Alles fürs Auto / Der Tintenpalast / Das Schwimmbad als Weltwunder / Ein angenehmer Besuch / Mooiprat / Eine Haupt- und Staatsaktion / Im Gefängnis / Die anstößigen Bohnen / Allerlei Galgenvögel / Der Hungerstreik / Römisch-Holländisches Unrecht / Billy, der Wärter, wird nervös / Ein gutes Geschäft / Besuch im Gefängnis / Der Magistrat wird energisch / Endlich frei

Mooiprat – das ist ein Wort, ein burisches Wort, das wohl in weitesten Kreisen ganz unbekannt sein dürfte. Und um die Wahrheit zu sagen: ich selbst bin in den wenigen Monaten meiner afrikanischen Gastrolle doch nicht genug Afrikaner geworden, um Sinn und Wesen dieses vieldeutigen Ausspruchs so ganz in seiner Tiefe zu erfassen. Dennoch setze ich ihn hier an die Spitze dieses Kapitels. Man wird besser verstehen warum, wenn ich damit zu Ende bin. –

Langsam und selbstbewußt, als ob gar nichts Böses passiert wäre, fährt der Zug in den großen, geräumigen, mit deutscher Solidität erbauten Bahnhof der kleinen Hauptstadt ein. Windhuk steht auf dem Bahnhofsschild.

Oder nein: Windhoek steht da, denn die Zeiten haben sich geändert und zwischen Huk und Hoek liegt ein Berg von Enttäuschungen, ein Meer von Blut und Tränen.

Auf dem Bahnhof herrscht wirklich so etwas wie großstädtisches Leben. Man sieht viele Engländer und noch mehr Buren, die sich als Engländer geben, und kein Ende von Kaffern, die in Kleinstadtmanier auf dem Bahnsteig herumlungern und unter hinreißend schönen Hotelmützen die Namen der Gasthöfe ausrufen, so gut sie es verstehen: »Stadt Windhuk – Kaiserkrone – Großes Herzog – Rheinisches Hof.«

Vor dem Bahnhof warten die Autos in langer Reihe. Anders ist diese Stadt als das Bild, das wir uns bisher davon machten. – Windhuk! Liegt nicht in dem Namen schon etwas von der afrikanischen Wildnis? Hört sich das nicht an wie knarrende Ochsenwagen, wie heulende Schakale an staubiger Pad? Statt dessen sausen wir im Auto über eine wohlplanierte Straße zwischen funkelnden Spiegelscheiben, aus denen uns die neuesten Kreationen Pariser Modekünstler entgegenlachen. Statt dessen sieht man schöne Frauen mit schicken Bubiköpfen und Autos und immer wieder Autos. Denn dieses ist der Gott des neuen Südafrika, es ist das Ding, an dessen Anschaffung ein jeder denkt, noch ehe er das Nötigste zusammen hat für einen kümmerlichen Haushalt. In diesem Klein-Paris von Südwestafrika ist das Auto ein alltäglicher Gebrauchsgegenstand. Am Auto hängt, zum Auto drängt hier alles. Es ist das Ding, das das Gesprächsthema liefert, wenn die Farmer vom Lande kommen und im Hotel »Großes Herzog« viel Whisky mit wenig Soda trinken. Der Mensch fängt hierzulande erst beim Auto an wie anderwärts beim Scheckbuch. Es ist hier nicht anders als überall sonst in den heranwachsenden Städten der neuen Länder. Viel Benzin und nicht viel sonst. Man fährt durch die breite Kaiserstraße und betrachtet sich die Herrlichkeit, und wenn man eben denkt, nun müßte Windhuk doch bald kommen, so ist man schon auf dem weiten Ausspannplatze, der einstmals von dem Gebrüll der Zugochsen widerhallte, und nur wenige Schritte weiter steht man schon wieder in der grenzenlosen Einsamkeit der afrikanischen Steppe. Für den, der eben erst von dem so ganz und gar deutschen Swakopmund kommt, ist Windhuk auf den ersten Blick eine unerfreuliche Überraschung durch die vielen englischen Ladeninschriften, die sich in der Hauptstraße breitmachen. Fast jedes Ladenschild ist zweisprachig deutsch und englisch, obwohl die Besitzer fast durchweg noch die alten aus deutscher Zeit sind, wobei freilich nicht verschwiegen werden darf, daß einige darunter waren, die mit beneidenswerter Elastizität den Anschluß an die neue Zeit zu finden wußten. So wurde z. B. ein Neumann über Nacht zu einem Mr. Newman, ein Herr Stein schrieb sich plötzlich mit einem Ypsilon. Aber das ist menschlich. Solche Leute soll es auch anderwärts geben. Dem gesteigerten Zuzug kapländischer Juden – den getreuesten Trabanten des englischen Imperialismus in Südafrika – folgte die Errichtung einer Synagoge, deren Entstehen vom Administrator Werth als bedeutendste Kulturtat seit Errichtung des Mandats gefeiert wurde; er muß es ja wissen.

Und doch ist es noch immer das alte Windhuk, das deutsche Städtchen in der afrikanischen Steppe. Auch heute, wo die Bußfertigkeit und Selbstanklage der Deutschen in aller Welt wahre Orgien feiert, wird es wohl noch erlaubt sein, so viel zu unserem Lobe zu sagen: Was wir tun, das tun wir im allgemeinen gründlich.

Man braucht sich nur einmal Windhuk oder Swakopmund anzusehen mit den stattlichen Häusern und den großzügigen Stadtanlagen und daneben irgendein gleichgroßes englisches Kolonialstädtchen mit seinen gleichförmigen, roh zusammengehauenen Holz- und Blechhütten, mit seinen Whiskybars und Geldwechselbuden, die man Banken zu nennen beliebt, und der ganzen tödlichen Langeweile, die darauf ruht.

Und nun gar Windhuk, Windhuk die Lustige, Übermütige, das einstige Paradies der deutschen Tunichtgute! Schon die Lage ist einzig schön und eine unvergeßliche Erinnerung für jeden, der einmal bei sinkender Nacht von den Höhen hinter dem Orte hinüberschaute zu den wildzerrissenen Khauasbergen, die im Abendlichte glühen, und hinunter zur Stadt und Steppe, über die das schwindende Tageslicht ein feuriges Farbenmeer gießt. Mit welcher Liebe hat der deutsche Siedler an dieser seiner neuen Heimatstadt gehangen! Wie verschwenderisch hat der deutsche Steuerzahler sie ausgestattet, ohne die Spur eines händlerischen Gedankens, ob sich das jemals verzinse! Deutschland mit seiner Seele wollten sie dorthin tragen und Windhuk sollte es widerspiegeln. Da war z. B. ein Baurat, der es darauf abgesehen hatte, deutschen Burgruinen auch in Afrika ein Heimatrecht zu verschaffen. Und er tat es! Wohl das größte Wunder, das einen schon von weitem in Windhuk begrüßt, sind die drei Bergschlösser, die da auf trotzigen Felsengipfeln den Eingang zum Tal nach Klein-Windhuk sperren. Richtige Burgen mit hohen Türmen, verfallenen Mauern, Zinnen, Treppen und wunderschönen, altdeutsch eingerichteten Gemächern, in denen es vor Zeiten eine Lust war, zu trinken.

Nicht weit von den Burgen steht das vom selben Baumeister errichtete imposante Regierungsgebäude, das Schutztruppenlatein einst den Tintenpalast taufte, ein Name, der ihm heute noch anhängt, trotz der Schreibmaschinen. Weiter unten, aber immer noch die Stadt überhöhend, die evangelische Kirche, als eine Oase in der Wüste dieses Landes des Wellblechs. Eine Eigentümlichkeit von Windhuk sind die aus den Kalkfelsen hervorspringenden heißen Quellen, deren Wasser einst hier einen sumpfigen Urwald von tropischer Üppigkeit entstehen ließ. Heute ist auch das zivilisiert. Das Wasser wurde gefangen in dem von den deutschen Militärbehörden errichteten Schwimmbad, das eines der sieben Weltwunder von Deutsch-Südwestafrika ist. Man steht davor und schaut hinauf zu dem mitleidlos blauen Himmel, zu den staubigen Kasuarinen, zu den Sandwolken, die der heiße Steppenwind herüberfegt, und man kann es nicht glauben, daß noch irgendwo auf dieser Erde so viel Wasser beisammen sein könnte. Wir gehen durch den schönen Tropengarten und bestaunen die hohen Dattelpalmen und die roten und weißen Oleanderblüten, deren Duft süß und berauschend über den Sandwegen schwebt, zusammen mit dem von zahlreichen anderen farbenfreudigen Blumen, zu deren Kenntnis wir leider noch nicht weit genug vorgedrungen sind aus dem Gebiete der afrikanischen Botanik. Hier gibt es einen Zoologischen Garten mit Luchsen und Leoparden, mit Panthern und Pavianen, deren Stimmen hinaufklingen bis in die vornehme Gegend, wo die Mandarinehoher chinesischer Würdenträger, hier in ironischem Sinn: Beamter in der Leutweinstraße wohnen.

An jedem Käfig steht eine Bemerkung: Presented by . . .Geschenk von . . . Presented by Mister Müller. Presented by Mister Schulze. Man liest die Namen, die Inschriften und aus dem Dickicht des Gartens steigt wieder der Spuk dieser unmöglichen Zeit. Presented by Mister Mooiprat . . .

Wäre diese Stadt deutsch geblieben, so würde heute ganz Afrika zusammenlaufen, um sie zu bewundern. Statt dessen – statt dessen ist alles in den Anfängen steckengeblieben. Statt dessen ist sie auf dem besten Wege zu der bodenlosen Trostlosigkeit einer englischkolonialen Wellblechstadt, zu einem burischen »Dorp« im Achterveld mit seinen Autogaragen, Benzingestank und Whisky und Soda und ein bißchen Getue, das sich Sport nennt.

Ich stand auf der Anhöhe, neben dem »Reiter von Südwest«, in dessen Sockel in Erz gegossen die Namen derer stehen, die einst mit ihrem Blute dieses Land zuerst zu einem Weißmannslande machten. Es war Nacht und die Grillen zirpten unanständig laut. Drunten blitzten die Lichter der Stadt.

Seltsame Stadt!

In dieser Stadt von knapp 5000 Einwohnern gibt es siebenhundert Autos – oder gab es damals, vor einem Jahre. Die Götter mögen wissen, wie viele es heute sind!

In dieser Stadt drucken sie Zeitungen in drei Sprachen.

In dieser Stadt kommt auf jeden zehnten Einwohner ein Polizist und auf jeden hundertsten ein Gerichtsvollzieher.

In dieser Stadt gibt es dreiunddreißig Advokaten und zwei Bischöfe.

In diesen Mauern steigt wie nirgendwo sonst die hohe Politik herab in die Sphäre der gewöhnlichen Sterblichen. Sie wird eine persönliche Angelegenheit von Nachbar Müller und Schulze, sie umgibt sich mit Buschklatsch, sie setzt sich wohlig mitten hinein in die chronique scandaleuse,Lästergeschichte, Stadtklatsch die mit lästernder Zunge durch die Gassen geht, und wer sich da nicht sehr in acht nimmt, den packt sie beim Schopf und macht ihn zu einer politischen Sensation, ob er will oder nicht.

Bedachtsamkeit war nun freilich noch nie meine Tugend, und warum, wenn ich mir mit kaltem Blute die Sache heute überlege – warum sollte es denn mir besser ergangen sein wie allen anderen? Damals freilich, als mit wichtiger Amtsmiene der Gerichtsvollzieher in den »Westfälischen Hof« kam, da dachte ich anders.

In englischen Ländern sind sogar die Gerichtsvollzieher höflich. »Good morning, Sir«, sagte er mit einer Verbeugung.

»Good morning«, antwortete ich.

»Sind Sie Mister Faber?«

»Jawohl.«

»Freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich bin nämlich der Gerichtsvollzieher – I'm so sorry – und habe das Vergnügen Ihnen etwas zu überbringen. Vielleicht haben Sie die Güte das durchzulesen. Es wird Sie interessieren.«

Damit überreichte er mir eine blaue Aktenmappe und empfahl sich höflich, wie er gekommen, und überließ mich der Lektüre.

Es war in der Tat eine interessante Lektüre, so etwas in der Art derer, die man gelegentlich von Finanzämtern zugestellt bekommt. Viele Papierbogen, breite Aktenränder, wichtige Stempel, lange Ausführungen in der so seltsam verklausulierten englischen Gerichtssprache, die nur die Advokaten verstehen können, und die nicht einmal richtig. Und darunter ein paar unbeholfene Unterschriften.

Biljoen – Smith –?

Aber ja, das waren doch die Hanswürste auf der Lokomotive, die Don Quichoten des Waffenstillstandstages, die sich nun bitter beklagten über diesen Mister Faber, der sich anderen Tages über sie lustig gemacht hatte in den Spalten der Windhuker »Allgemeinen Zeitung«. So etwas schreibt man nicht. So etwas denkt man nur in einem freien Lande. Und anderenfalls ist es »de-fa-ma-tion of character«böswillige Verleumdung und ein Verbrechen, das nach Strafe schreit.

Nach – ja, ich mußte genau hinsehen. Ich mußte die Augen reiben und mich noch einmal überzeugen, um es zu glauben – nach fünfhundert Pfund Schadenersatz. – Wie war das? Hatte man sich vielleicht in der Zahl der Nullen geirrt? Doch da stand es deutlich noch einmal in Buchstaben: Fünfhundert Pfund Sterling. Und das waren gerade zehntausend Mark!

Ein Kompliment auf meine Zahlungsfähigkeit! Aber Komplimente machen nicht fett. Ich ging zum Schriftleiter der Zeitung, der sehr bestürzt in seiner Bude saß, denn auch er hatte eine Klage auf zehntausend Mark zugestellt bekommen. Ich besuchte den Verleger, der ebenfalls zehntausend Mark bezahlen sollte.

Was da wohl zu tun wäre? fragte ich.

»Was da zu tun ist?« sagte der. »Man nimmt eben alles de- und wehmütig zurück in der Zeitung. Es glaubt's ja doch keiner.«

»Wenn man aber doch im Recht ist –«

»Als ob es darauf ankäme! Glauben Sie denn, ich lasse mir die Druckaufträge von der Regierung sperren?«

Am anderen Tage rieben sich alle Engländer und Buren in Südwest die Hände vor Vergnügen über die Erklärung in der deutschen Zeitung.

Aber freilich – Mister Fabers Unterschrift war nicht darunter. – Also war es nur eine halbe Freude, und also bekam Mister Faber von neuem den Besuch des Gerichtsvollziehers, der ihm ein weiteres Schriftstück überreichte mit der Bitte um Empfangsbestätigung.

»Will you kindly sign here –«Wollen Sie bitte hier unterschreiben?

Nun kannte ich mich selbst nicht mehr aus. Hatte ich den König von England umgebracht oder einen Lokomotivführer einen Narren genannt? Denn diese Vorladung war vor den High Court, das oberste Gericht, wo man die Staatsverbrechen zu behandeln pflegt und wo altväterliche Perücken dem profanen Publikum den Ernst der Stunde zum Bewußtsein bringen. His Worship, Seine Gnaden, der Richter, war ein Deutscher aus der Kapkolonie, aber es war alles »Nix Deutsch« bei der Verhandlung.

Ob ich mir das nun überlegt habe und alles zurücknehmen wolle?

»Nein, Euer Gnaden.«

Seine Gnaden putzte die Brille. »Dann müssen wir das vertagen«, meinte er. »Das Gericht geht jetzt in Ferien und tritt erst in vier Monaten wieder zusammen.«

»Allright«, sagte ich.

»Allright«, sagte auch der Richter, »aber inzwischen müssen Sie zweihundertfünfzig Pfund (5000 Mark) Kaution stellen.«

»Die habe ich nicht.«

»Oh, ich weiß, daß Sie das nicht haben. Aber gewiß haben Sie Freunde, die dafür garantieren können –«

»Tut mir leid, Euer Gnaden. Ich habe auch keine Freunde.«

»Dann muß ich Sie verhaften lassen. – I'm so sorry«.

Und so geschah es am nächsten Tage. Derselbe höfliche und würdige Gerichtsvollzieher, der mich schon zweimal zuvor mit seinem Besuch beehrt hatte, verhaftete mich auf der Straße und nahm mich mit ins Gefängnis.

Je nun, es ist alles eine Sache der Gewohnheit, und dieses war – ich muß es gestehen – auch nicht meine erste Begegnung mit dem Gefängnis. Einmal, als ganz junger Bursch wegen Vagabundierens in Texas, ein andermal wegen Schwarzfahrens in Kalifornien, ein andermal als »Bolschewik« in Chile, dann wieder einmal in Mato Grosso im innersten Brasilien aus Gründen, die ich heute noch nicht kenne – ich könnte, wie einst Silvio Pellico, ein Buch »Le mie prigione«Mein Gefängnisleben schreiben, und es gäbe ein interessantes Buch.

Ein bißchen überlief es mich aber doch mit einer Gänsehaut, ein sinkendes Gefühl der Trostlosigkeit erfaßte mich, als der Wärter die Wache herausrief und als das Tor sich öffnete in der grauen Mauer, an der mit großen Buchstaben zu lesen stand: »H. M. Goal.«Königlich-Englisches Gefängnis

Es ist ein besonderes Gefängnis, das auch seinen Einzug in die deutsche Literatur gehalten hat als Schauplatz für mehrere Kapitel in dem Buch von Hans Grimm »Volk ohne Raum«. Der Gefängnisdirektor schaute mich kaum an. Mürrisch trug er den Namen in ein großes Buch, das schon von manchem verworrenen Schicksal zeugen mochte, und dann war ich frei mich umzusehen in dieser neuen Umwelt. Sie war nicht erfreulich – das wäre auch zuviel verlangt für ein Gefängnis –, aber, um der Wahrheit die Ehre zu geben: ich habe schon schlimmere erlebt und gesehen.

Es war noch früh am Vormittag, und alle Insassen waren auswärts bei der Arbeit. Unter einem primitiven Bretterverschlag auf dem Hofe ging der Koch seinen Künsten nach.

»Hallo, was hast du ausgefressen?« fragte er mich auf deutsch.

»Das weiß ich nicht«, antwortete ich mürrisch und wahrheitsgemäß.

»Ja, das kennt man! Schon manchen hab' ich kommen sehen in den zehn Monaten, die ich hier abbrumme, und keiner hat etwas gewußt. Alle unschuldig wie die Tauben. – Und wie lange sollst du wohl hier bleiben?«

»Wenn ich das wüßte –« sagte ich trostlos.

»Du weißt nicht? Keine Ahnung? – Das sind immer die, die am längsten bleiben.«

Mißtrauisch schaute er mich von der Seite an. Da er aber gar so neugierig und ich froh um irgendeine Aussprache war, erzählte ich ihm alles, wie es sich zugetragen. Er nickte mit dem Kopfe, als ich fertig war.

»So ist das nun mal hierzulande. Das kommt alles vom Mooiprat.«

»Mooiprat –«

»Ja, da sieht man, daß du noch nicht lange in Südafrika bist. Mooiprat ist eben Mooiprat. Das ist burisch und heißt auf deutsch Schönreden. Es kann aber auch Schlechtreden heißen, je nachdem. Wir haben sogar einmal einen Mr. Mooiprat als Administrator gehabt. Das ist nämlich jetzt so bei uns in England: da reden alle viel und alle nichts und passen höllisch auf auf das, was sie sagen. Nur die Deutschen plappern heraus, was sie im Kopf und auf der Zunge haben und stolpern dann über Paragraphen und fangen sich in den Maschen der Gesetze, die so viele Fallstricke sind für die Dummen. Kurz nach dem Kriege war das ganze Gefängnis hier voll von solchen Dummen, die sich in ihrer deutschen Einfalt einbildeten, daß die Sprache noch für etwas anderes da wäre als für den Mooiprat. Zehn Jahre Zuchthaus war damals die Normaldosis für einen Deutschen, und bei manchen taten sie es nicht unter einem Todesurteil, gerade nur um das Blaubuch zu füllen.«

»Blaubuch –?«

»Nun ja, das brauchten sie doch, um uns die Kolonien abzuluchsen. – Aber das habt ihr wohl wieder vergessen in Deutschland? Geht euch nichts an? Aber dich wird's angehen, ehe du wieder herauskommst aus dem verdammten Loch. – Und hast du vielleicht eine Zigarette für mich?«

Während er noch so redete, kamen auch die anderen Gefangenen von der Arbeit und setzten sich an den Tisch im Hof in Erwartung der Mahlzeit. Es war so gut wie ein Picknick. In Windhuk geht die Farbenlinie bis in die Gefängnisse. Auch hinter Mauern ist der weiße Mann ein Übermensch, eine Art Ersatzgentleman, den man streng getrennt von dem farbigen Volke hält. Es waren ihrer etwa ein Dutzend, die hier über ihre afrikanischen Delikte nachdenken mußten. Der eine hatte Diamanten geschmuggelt in Lüderitzbucht, der andere den Eingeborenen Schnaps verkauft, ein englischer Edelmensch, der auch herübergekommen war, um in sacred trust of civilisationDer erhabene Schutz der Zivilisation das von Deutschland so schlecht verwaltete Land zu retten, hatte als Postbeamter seine Kasse mit der seines Amtes verwechselt. Ein burischer Rechtsanwalt mußte sechs Monate lang über ein gerütteltes Maß von Schandtaten nachdenken.

»Ja, so ist das mit dem römisch-holländischen Unrecht,« meinte der, als er meine Geschichte hörte, »die Dummen fangen sich in seinem Netze, wo die, die sich auskennen, vierspännig hindurchfahren. Lieber eine Mordanklage als eine Damagesache (Beleidigungssache)! Es gibt Leute, die reisen darauf hierzulande. Man benimmt sich möglichst zweifelhaft und gibt den Leuten etwas zu reden. Und liegt dann auf der Lauer, ob einer – aber nur einer mit viel Geld – etwas verlauten lasse, was er nicht beweisen kann, dann her mit der Beleidigungs- oder Damageklage. Verdammt nahrhaftes Handwerk! Darauf werde ich mich verlegen, wenn ich wieder draußen bin.«

»Wenn einer dumm genug ist, darauf hereinzufallen«, meinte ich. »Aber mir kann doch nichts passieren.«

»Wieso?« sagte der Advokat.

»Wo man doch seine Zeugen hat. Wo sie doch wirklich alle betrunken waren.«

»Als ob's darauf ankäme! Darum haben sie doch Ihren Fall vors Obergericht gebracht, weil das auf vier Monate in Ferien geht. Und wenn die herum sind, dann werden es fünf und sechs und sieben, bis Sie darankommen. – Kein übler Trick, das! Da wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben als die zweihundertundfünfzig Pfund zu zahlen, und obendrein wird man Ihnen noch vorhalten, daß Sie nichts beweisen konnten. – So, da haben Sie nun Ihr Lehrgeld! Und verdammt billig sind Sie dabei noch weggekommen unter der glorreichen britischen Flagge. ›Right or wrong, my country.Recht oder Unrecht, ich stehe zu meinem Vaterland! – Ein den Engländern als politischer Wahlspruch beigelegter Satz Die brechen jedes Gesetz und schwören jeden Meineid, wenn es sich um ihre Interessen handelt. Und meine Landsleute, die Buren, die können es heute schon so gut wie ihre Meister.«

Ich antwortete nicht. Die Rede stimmte mich bedenklich. Zweihundertfünfzig Pfund, mehr als fünftausend Mark! Woher nehmen und nicht stehlen? Und selbst wenn man sie hätte – nein, solche »Recht«sprechung!

Ich stand im Hofe, mitten in der grellen Sonne, und hing brütend den düsteren Gedanken nach. Neben mir bereitete mein neuer Freund, der Diamantenschmuggler, den ärmlichen Gefängnisfraß. Es wurde dunkel. Er rief mich zum Esten.

Bohnen –

Das internationale Menü, das an den Enden der Erde zum Gefängnis gehört wie das Schloß und die Mauern. Ebensogut hätte man mir eine Ration Steine vorsetzen können.

»Ja,« sagte der Advokat, »so geht es allen, wenn sie anfangs kommen; aber Bohnen sind ein nahrhaftes Gericht und verdammt viel besser als gar nichts.«

Überdem war das letzte bißchen Licht aus dem weiten Hofe gewichen. Die Mauern standen schwärzer als die Nacht im unsicheren Scheine der Laternen. Irgendwo tönte eine schrille Klingel, das Schnurren und Rumpeln von aufgerissenen Toren. Es war wie in einer Menagerie. Der Wärter kam mit einem Schlüsselbund und brachte mich nach der Zelle, einer düsteren Angelegenheit aus Eisen und Zement und gerade groß genug, um einen anständigen Karnickelstall zu beherbergen. Auf dem Steinboden lag eine schmutzige Matratze. Sonst war nichts zu sehen als die großen Nietköpfe an der eisernen Wand und hoch oben, außer Reichweite, das vergitterte Fenster, durch das ein spärliches Laternenlicht auf die Spinngewebe fiel, die vorurteilslose Tiere sogar in dieser freudlosen Umwelt gesponnen hatten. Es war noch früh in der Nacht, aber ebensogut hätte es Mitternacht sein können, so intensiv, so bleiern schwer war die Stille. Nur ab und zu hallten schwere Schritte durch den kahlen Gang, zuweilen knarrte ein Schloß. Irgendwo bimmelte eine Glocke und hörte nimmer auf. So vergingen die Stunden, deren jede wie eine kleine Ewigkeit war.

Wie lang sind die Nächte im Gefängnis!

Am anderen Morgen gab es wieder Bohnen. Und eine schwarze Brühe, die man Kaffee zu nennen beliebte. Und der schnoddrige Advokat, der seine Bemerkungen machte. Der Tag wurde heiß wie alle anderen. Die Sonne lag grell im Hofe. Der Magen knurrte ein wenig, aber es wurde wieder Abend, und ich hatte immer noch nichts gegessen. Da kam Billy, der Oberwärter im Gefängnis, mit der schicksalsschweren Frage, die ich in den nächsten Tagen noch oft genug zu hören bekam:

»Why don't you eat?«Warum essen Sie nicht?

Besonders eindringlich kam die Frage aus diesem Munde, denn Billy war ein ausgesprochen kulinarischer Typ von zwei und einem halben Zentner Lebendgewicht, die schon ihre Ansprüche stellten. Aber im übrigen war er der beste Mensch in und außerhalb der Gefängnisse und voller Sympathie für seine hungernden Zeitgenossen. Kopfschüttelnd betrachtete er mich von oben bis unten. Kopfschüttelnd holte er den großen Schlüsselbund und brachte mich nach der Zelle. – »Well,« sagte er, »wir haben neulich hier einen gehabt, der am nächsten Tage gehenkt wurde, und der hat nicht halb so sauer dreingesehen wie Sie.«

Aber was soll ich da weiter erzählen? Es war eine Tragikomödie und wurde schließlich zu einer recht ärgerlichen Geschichte. Wäre mir acht Tage vorher, ja nur in dem Augenblick, da ich zuerst durch das Gefängnistor ging, ein Prophet erschienen und hätte mir einen Hungerstreik geweissagt, ich hätte ihn ausgelacht. Nun aber war ich mitten drin und wußte selbst nicht, wie es kam. Wer viel auf Landstraßen gelegen hat, wer, wie ich, drei Jahre bei den Eskimos lebte, der hat auch Übung im Hungern, der lacht über ein dreitägiges Fasten.

Aber vom vierten oder fünften Tag an geht es bergab mit den guten Vorsätzen, und wer da nicht einen Kopf von Eisen hat, der führt das Experiment nicht durch. Nicht, daß man Hunger hätte! Der verliert sich in den ersten Tagen vollständig. Aber es ist eine nervenfressende Angelegenheit in mehr als einer Hinsicht, sogar für die, die es mit ansehen müssen. – In diesem Falle besonders auch für Billy, den Wärter. An jedem Vormittag zur selben Stunde stieg seine gewaltige Leibesfülle über den schattenlosen Hof und blieb kopfschüttelnd vor mir stehen.

»Well, how are you this morning?«Nun, wie geht es Ihnen heute morgen?

Allright.

»So –? AllrightAlles in Ordnung sagen Sie? All-right? Das verstehe wer will. Ich kann ja gewiß auch allerhand vertragen und habe es auch getan in meinem Leben, aber nichts essen – Hu! Was hat man denn sonst von seinem Dasein? Einmal habe ich auf Anraten des Arztes vierundzwanzig Stunden lang gefastet, weil ich nämlich so fett bin. – Vier-und-zwanzig Stunden! Aber, lieber Gott, das kann sich kein Mensch vorstellen, was ich da gelitten habe! – Well, nun will ich aber selbst mal zu Mittag essen!«

So verging ein Tag um den anderen einigermaßen erträglich. Nicht aber die Nächte. Nicht aber die langen, dunklen Stunden, in denen die wirren Gedanken aus dem Kopfe stiegen und auf den überspannten Nerven tanzten. Zwölf Stunden, zwölf Ewigkeiten, und da war keine unter ihnen, in denen ich mich nicht einen Narren schimpfte ob des Abenteuers, in das ich mich eingelassen hatte. Da war keine, die mir nicht jahrelange Gefängnishaft vorgaukelte, wenn ich jetzt nicht durchhielt. Anders als bei anderen Leuten malt sich die Welt in einem Kopfe, der mit einem hungrigen Magen zusammenhängt. Jede alltägliche Angelegenheit magnifiziert sich zu einer Katastrophe. Gespenster steigen auf. Die ganze Umwelt wird zu einem großen Fragezeichen.

Es war ein Glück, daß es wenigstens bei Tage nicht an Abwechslung fehlte.

Hungerstreike sprechen sich schnell herum, vor allem in Afrika, wo die chronique scandaleuse besonders lange Beine hat. Im Augenblick war die Kunde davon vom Kap bis Kairo gewandert. Sie hatte sich ins Büro Reuter verlaufen und stand in allen Zeitungen an den Enden der Erde. Für die Dauer eines Tages war ich ein berühmter Mann.

Ah, wenn man davon leben könnte! Wenn der Ruhm auch satt machen würde! Wenn diese Druckerschwärze die ärgerliche Angelegenheit endlich aus der Welt schaffen könnte! Schon waren fünf Tage vergangen und noch immer stand sie auf demselben Punkte wie am ersten. Sollte das nun noch fünf Tage lang so weiter gehen? Mir graute ein wenig davor, und ich begann unsicher zu werden in meinen Vorsätzen. Ohnehin hatte ich kein Talent zu einem Michael Kohlhaas. An jenem Tage erschien unerwartet der Gefängnisarzt, ein sehr magerer Mann, der aussah, als ob er selbst erst einen achttägigen Hungerstreik hinter sich hätte. Aber Augen hatte er, die hart waren wie Stahlspitzen.

»Wo ist das Subjekt?« wandte er sich an den Gefängniswärter.

»Hier,« sagte der, »und er scheint recht ausgepumpt, Sir.«

»Seit wann hat er nichts mehr gegessen?«

»Fünf Tage, Sir.«

»Gut, dann hat er ja Übung. Kann es noch zweimal so lang aushalten. Kleinigkeit. Stellen Sie ihm bei jeder Mahlzeit das Essen hin, und wenn er absolut sterben will – allright! Ich habe nichts dagegen.«

Sprach's und ging weiter, ohne mit den Wimpern zu zucken. Aber am anderen Tage kam er wieder in Begleitung des Magistrats, einer sehr aufgeblasenen Person, die wie ein Pfau über den Gefängnishof schritt.

»Das ist Poppe, auch so einer von den Vögeln, die uns vom Kapland zugeflogen sind«, flüsterte mir der Koch zu. »Kann man's ihm ansehen, daß sein Vater noch Tagelöhner in Mecklenburg war?«

»Noch nichts gegessen?« fragte Mister Poppe mit strengster Amtsmiene. »Und warum nicht?«

»Weil ich eben keinen Hunger habe.«

»Keinen Hunger – so? Und wie hoch, sagten Sie, war die Kaution?«

»Zweihundertfünfzig.«

»Zweihundert täten es wohl auch.«

Ich schüttelte nur den Kopf.

Am andern Morgen kam er wieder.

»Wie wär's mit hundertfünfzig?«

Dann am nächsten.

»Und hundert?«

Noch immer schüttelte ich den Kopf. Aber im stillen rieb ich die Hände. – Fünfzig Pfund pro Tag! Das war kein schlechtes Geschäft. Aber lang konnte das nicht so weiter gehen. Einmal muß man ja wohl essen, und sechstägiges Fasten greift auch die stärksten Nerven an. Es war Sonntag, ein trüber, häßlicher Sonntag, trotz der Sonne, die hell wie immer in den schattenlosen Hof herunter schien. Hunger verspürte ich keinen. Den hatte ich mir schon abgewöhnt. Aber ein wenig Fieber. Und ein seltsam schwindliges Gefühl und einen unerträglich dumpfen Druck im Kopf. Das leiseste Geräusch ging mir auf die Nerven. Hier aber herrschte ein Lärm, der selbst einen Verkehrsschutzmann nervös gemacht hätte. Die ganze Rotte Korah der eingeborenen Gefangenen war zu Hause geblieben und vertrieb sich die Zeit mit einer Orgie von Frömmigkeit. Ein katholischer Pater war aus Klein-Windhuk gekommen, und nun widerhallte das Haus von Hymnen, die zum Himmel stiegen in einem furchtbaren Falsetto; eine schaurige Kakophonie, deren Anhören allein sechs Wochen Gefängnis aufwog; ein verworrener Lärm von christlichem Eifer und heidnischem Temperament, der aus allen Flügeln des Gefängnisses zu gleicher Zeit kam und nimmer aufhörte, bis bei dunkler Nacht die schrillen Glocken gellten und bald nur noch die schweren Schritte und die eintönigen Rufe der Ronden in den langen, kahlen Gängen widerhallten.

Tagsüber hatte es mir nicht an Besuch gefehlt. In Begleitung eines evangelischen Pastors, der sich vom ersten Tage an mit großer Besorgtheit meiner angenommen hatte, erschien auch ein sehr schlanker, sehr dunkler, etwas pädagogisch aussehender Herr, dessen Bild ich einmal irgendwo gesehen haben mochte, soviel ich mich erinnerte. Es war kein anderer als Hans Grimm, der Verfasser des Buches »Volk ohne Raum«, der wie niemand sonst die Misere unserer zusammengebrochenen Kolonialpolitik zu schildern vermochte, und mit ihr die ganze tragikomische Verkettung von deutscher Dummheit und burisch-angelsächsischer Verschlagenheit, für die ich selbst eben ein so betrübliches Beispiel dokumentierte. – Freilich kam gleich nach ihm der deutsche Konsul und mit ihm eine andere Welt. –

So ging der Tag ganz leidlich herum. Aber die Nacht – die sechste des Hungerstreiks – war sicher die längste meines Lebens. Gerade nur um mich auch auf andere Gedanken zu bringen, hatte der Wärter mir ein kleines Buch überreicht. Ich schaute hinein. – Essays von Carlyle – die waren gerade die richtige Kost für einen, der acht Tage lang nichts gegessen hat! Ich warf den Wisch in eine Ecke. Ich versuchte zu schlafen. Ich rannte auf und ab in dem engen Raume wie ein Tier im Käfig. Schließlich verfiel ich in einen dumpfen Halbschlaf, aus dem ich erst wieder aufschreckte, als sich polternd die Tür öffnete und ein ganz fremder, offenbar sehr hoher Gerichtsbeamter auf der Bildfläche auftauchte.

Manchmal können Engländer auch recht höflich und leutselig sein. Dieser überbot sich sogar in solcher Kunst. Er ließ sich einen Stuhl bringen und setzte sich neben die schmutzige Matratze. Ein Dutzend Fragen stellte er auf einmal und schaute mich dabei an mit einem Gesicht, aus dem eine Welt voll Wohlwollen strahlte. – Wie ich geschlafen hätte? Wie ich mich fühle heute morgen? Ob es nun nicht bald Zeit wäre, die lächerliche Sache aus der Welt zu schaffen?

»Gewiß,« sagte ich, »höchste Zeit!«

»Ganz meine Meinung. Und auch die des Mister Viljoen oder wie er heißt und der Advokaten der Gegenseite.«

»Und –«.

»Nun ja, es ist wohl alles mehr ein Mißverständnis; don't you see? Es liegt ihnen nichts an barem Geld, zumal Sie ja doch nichts bezahlen können. – So wollen sie gern darauf verzichten, und wenn Sie nun eben hier noch unterschreiben wollten –«

Einen Augenblick sah ich ihn an. Ich schaute auf das weiße Papier und die schwarzen Buchstaben, die vor meinen Augen tanzten. Krampfhaft faßte ich die Feder, aber die Finger zitterten ein wenig. Man ist kein Kalligraph, wenn man acht Tage lang nichts gegessen hat. Zu meinem Glück war ich es nicht. Denn wie sagt Mephisto?

»Ist doch ein jedes Blättchen gut.
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut!«

War es doch der Text einer kleinen Zeitungsnotiz, in dem ich alle Behauptungen reumütig zurücknahm.

»Nun?« meinte der allzu freundliche Herr.

»Lieber nicht, your worship«

Allright.

Er nahm seinen Hut, putzte ein Stäubchen von seinem Rock, als ob er die ganze Gefängnisatmosphäre von sich schütteln wollte. Einmal noch schaute er streng zurück.

»You'll be sorry for this. Sie werden das bereuen!«

Dann fiel das schwere Tor wieder hinter ihm ins Schloß. –

Aber es verging keine halbe Stunde, ehe er wieder zurückkam und mit ihm der deutsche Konsul.

»Allright«, sagte er, »Sie können nun gehen. Die Sache ist abgesetzt vom Obergericht und kann nun jeden Tag beim Magistrat verhandelt werden. Inzwischen stellt Mister Konsul fünfzig Pfund Kaution.«

»Allright«, sagte ich, als ob nichts passiert wäre. Aber ein wenig zitterte ich doch, als mich draußen das helle Licht und die Sonne der Freiheit wie wilde Tiere überfielen. Der brave, dicke Gefängnischef klopfte mir wohlwollend auf die Schulter.

»Hm,« sagte er mit strahlender Miene, »ich weiß, wer heute ein tüchtiges Mittagessen haben wird!«

Aber damit ich das gleich vorausnehme: es war nichts mit dem großen Mittagessen, denn den Hunger hatte ich mir inzwischen schon abgewöhnt. Es wurde auch nichts aus der so hoch und heilig versprochenen Gerichtsverhandlung. Und von den fünfzig Pfund Kaution haben sie mir fünfundzwanzig für Gerichtskosten abgeknöpft, als ich schon wieder in einem anderen Lande weilte.

 


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