Kurt Faber
Tausend und ein Abenteuer
Kurt Faber

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Auf Koffipad

Kurt Faber, der Hungerkünstler / Auf Pad / Das moderne Schiff der Wüste / Ein Kapitel über die Frauen / Besuch auf der Farm / Ein mooi Plaatsje / In der Kalahari / Begegnung mit Buren / Auch ein Auto / Kaffee bei Oom Paul / Bei den Wassern Babylons / Im Hartebeesthaus / Oom Piet erzählt eine Geschichte / Die »sware Ziekte« und das »afrikaanse Geneesmittel« / Ein schwieriger Fall / Im Bastardland / Schutztruppenlatein / Eine seltsame Geschichte

Es hilft nichts, daß man sich dagegen wehrt. Noch je und je war der Mensch ein Sklave des Milieus, in dem er lebte. Noch je und je hat solches Milieu in den Gehirnen Verwirrung angerichtet und sich endlich widergespiegelt in den subtilen Mitteln der Sprache. So ist im Laufe der Jahrhunderte die stolze niederländische Sprache unter dem Einfluß der afrikanischen Sonne verdorrt zu einem bequemen Wellblechholländisch, Afrikaans genannt; eine Sprache, die sich herrlich dazu eignet, die Bockies in den Kraal zu jagen und den Ochsengespannen das Fürchten beizubringen, aber sonst –

Und wenn das schon die Holländer tun, warum sollen dann die Deutschen zurückbleiben?

»Wenn einer spricht die Sprache wert,
Die seine Mutter ihn gelehrt,
Das ist gar keine Sache!
Nein, wer den deutschen Laut verfälscht,
Wer möglichst greulich kauderwelscht,
Der, der beherrscht am besten
Die Sprache von Südwesten!«

So sang der Dichter schon zu deutscher Zeit. Und warum soll es dann besser geworden sein in diesen Mandatstagen? Und warum – so frage ich mich – warum soll ich mich so weit bloßstellen in den Augen aller Landeskundigen, daß ich mich eines anderen Idioms bediene? Und also werde ich für die Folge meine weiteren Eindrücke in südwestafrikanischer Sprache niederschreiben.

– O heilige Einfalt, die etwa in der heißen Sonne eine Ziege über den Ausspannplatz laufen sähe und bei deren Anblick nicht von einem Bockie spräche! Man würde solchen Menschen einfach nicht für voll nehmen, man würde ihn in die hinterste Klasse einreihen, zu den hoffnungslosesten Grünhörnern, er bekäme etwas zu hören über solch bedauerlichen Mangel an Anpassungsfähigkeit! Und darum werde ich mich nicht noch weiter wehren gegen den Geist dieses Landes. Ich werde ein Auge zudrücken und dann noch eines. Ich werde mich versündigen an allen guten Geistern der deutschen Sprache und werde fürderhin von Bockies und Beestern sprechen. Ich werde mein Baiie anziehen und auf Pad gehen und diesem Powian von einem Bambusen eins mit dem Schambol geben, wenn er nicht Hakahana macht. Ab und zu – miskie – werde ich dann im Schtor einen Suppi genehmigen, in der Fläche die Hartebeesters und die Wildebeesters jagen und alles das zuletzt noch niederschreiben, weil eben das »Pampier« geduldig ist. –

Das Intermezzo im Gefängnis war vorbei, aber nicht vergessen. Meinen afrikanischen Namen hatte ich weg. Wo immer ich mich blicken ließ in einem Wirtshause – ich wollte sagen in einer Bar –, da schmunzelten die Leute ein wenig.

»Ah, der Hungerkünstler!«

So war es gut, daß schon am ersten Tage ein alter Afrikaner mich einlud, einmal mit ihm »auf Pad« zu gehen. – Auf Pad? Ist das eigentlich noch der richtige Ausdruck für so etwas? Wer denkt bei dem Worte nicht an die lange Schlange der Ochsenwagen, die in der tiefen Spur beschaulich zwischen den Dornbüschen schaukelt? An Staub und Hitze und brüllende Ochsen und Kaffern, die mit langen Peitschen knallen, und an eine üppige Matratze im Wagen, auf der der Ouwbaas liegt. Und abends ein loderndes Feuer unter funkelnden Steinen, und ringsum die verworrenen Stimmen der Wildnis, die zu uns mit ewig neuer Sprache sprechen.

Und ist es nun das? Von aller Romantik afrikanischer Landstraßen nichts anderes mehr als dieses benzinschnaubende, kilometerfressende Ungetüm. – Ach, es hilft nichts, daß wir uns dem Zeitgeist entgegenstemmen. Das Auto ist doch das moderne Schiff der Wüste. –

Windhuk liegt schon hinter uns. Nun fahren wir zwischen den Gärten von Klein-Windhuk, wo die reifenden Trauben aus dem dunklen Blätterwerk der Weinberge leuchten. Da und dort sieht man stattliche Feigenbäume, da und dort die weißen Oleanderblüten, die für einen Augenblick den Benzingeruch vertreiben. Schlanke Eukalyptusbäume stehen staubig am Wegrand. Unser Führer und Gastgeber gibt uns ausführliche Auskunft über die lieben Männer und die bösen Frauen, die hier in der Gegend hausen. Bald haben wir den Ort hinter uns gelassen, und der schnurrende Motor führt uns hinaus in die endlose afrikanische Steppe, die überall so grau und dürr erscheint, wenn man sie aus der Nähe betrachtet, und so voller Farben, wenn man den Blick in die Ferne wendet. Wie still es hier ist! Nur da und dort glucksen ein paar Perlhühner, nur da und dort liegen ein paar langhornige Ochsen im Schatten eines Kameldornbaumes. Hier huscht ein mausartiges Geschöpf mit einem buschigen Schwanz wie ein Eichhörnchen über die Straße, eine Herde Ziegen, ich wollte sagen Bockies, steht stumm und störrisch auf der Pad, die sie erst im letzten Augenblick freigeben.

In der Ferne taucht mitten aus der grenzenlosen Einsamkeit des Buschlandes das schimmernde Wellblechdach eines Farmhauses auf.

»Schreiben Sie auch Romane?« fragte mein Gastgeber.

»Nein«, sagte ich.

»Schade,« meinte der Afrikaner, »dort drüben könnten sie ein Motiv dafür finden. Der Mann ließ sich eine Braut aus Deutschland kommen, die dann auch prompt eintraf, zusammen mit ihrer Schwester, und wie das nun zuweilen so kommt – wie nun Braut Nummer eins nach Deutschland fährt, um sich die Aussteuer anzuschaffen, verlobt er sich mit der Schwester. Das war nicht schön, werden Sie sagen. Aber wie nun Braut Nummer zwei zum gleichen Zweck übers Wasser geht, lernt sie einen jungen Kerl kennen und gibt dem Gewesenen den Laufpaß. – Ja, die Frauen! Die waren früher dünn gesät wie die Regentage hierzulande! Einige behalfen sich mit Bastardfrauen, andere blieben zeitlebens Junggesellen oder sie gingen nach Swakopmund und wählten sich etwas aus unter denen, die von wohltätigen Gesellschaften in Deutschland als Weihnachtspaket herübergeschickt wurden.«

Dicht beim Farmhause biegt die Pad links ab in eine bergige Gegend, wo die Farmen ziemlich dicht beieinander stehen und man Gelegenheit hat zum Absteigen und zu einer Tasse Kaffee, verbunden mit einem »mooi Pratje«, das der Afrikaner so sehr liebt.

Es war ein schönes Haus, das wir vor uns sahen. Das Auto pflügte durch den tiefen Sand des Schwarzen oder Weißen Nossob. Genau weiß ich es nicht mehr. Ringsum in der Steppe weideten die Ochsen – werde ich es denn nie lernen? – die Beesters. »Morrow!« sagte der Hausherr, der vor der Gartentür stand. »Morrow!« antworteten wir. Darauf traten wir gleich ein ohne Umstände, gemäß dem ungeschriebenen Gesetz der großen, selbstverständlichen afrikanischen Gastfreundlichkeit und im Umschauen hatten wir Gelegenheit zu beobachten, wie ganz europäisch komfortabel diese Hinterwäldler doch eingerichtet sind. Die Hausfrau, eine rundliche Dame von schwäbischem Typ, begrüßte uns herzlich, wie lang vermißte liebe Verwandte, und während nun die Kuckucksuhr tickte und die Katze auf der Haustreppe schnurrte und wir Männer einen »Katholischen« tranken, ging die Frau in die Küche – nein, so war es nicht – da kam ein Rauch aus der Kombüse, derweilen die Missis die Kost klar machte und wir die neue Windhuker Stadtchronik durchsprachen.

Dann deckte die Frau – ich wollte sagen die Missis – den Tisch in der Weinlaube im Garten mit leckeren Spätzle und duftendem Sauerbraten, bei dem wir uns weiter auf deutsch-afrikanisch unterhielten. – Drüben in Neudamm, da habe es heuer schon viel – was sage ich? – da habe es stief geregnet. In Voigtskirch seien alle Dämme vollgelaufen, und Nachbar Müller habe auf seinem Platze schon annähernd 100 Millimeter Regen gehabt. – Ja, so sei es. Denn wisse: wenn zwei oder drei Südwestafrikaner zusammensitzen, da reden sie erstens vom Regen, zweitens noch mehr vom Regen und drittens holen sie nach, was sie vom Regen vergessen haben. Man redet doch am meisten von dem, was man nicht hat. Ueber dem hat man schon längst die Pfeife angezündet, und der Hausvater erzählt in seiner bedächtigen Art von den wilden, schönen Zeiten von Anno dazumal.

Er war dabeigewesen, wie François die Feste Hoorekrens stürmte. Er hatte Leutwein erlebt und die ersten wilden Jahre, in denen man mit den Stiefeln ins Bett stieg und zu Pferde ins Wirtshaus hineinritt. Die Zeit, in der man an der Bar um Reitpferde und Ochsenwagen knobelte und Hotelrechnungen in Diamanten bezahlte – ah, damals! Da war das Gesetz kaum länger als ein Flintenlauf, und heute wohnen sechsunddreißig Advokaten in Windhuk!

Und nun kommt endlich auch einmal die Frau zu Wort und zeigt uns die großen Kohlköpfe im Garten, die Pfirsiche und Aprikosen, die Tomaten und Maulbeeren und alles das, was hier Schwabenfleiß aus dem Nichts der Wildnis geschaffen in stetem Kampf um jeden Tropfen Wasser, um jeden Brocken Erde, gegen tausend Feinde, unter denen die Menschen nicht die geringsten waren.

»Die Schätze drunten, voll von Goldgewicht,
Zieh' deinen Pflug und ackre sie ans Licht!«

Es ist ein Stück Menschheitsgeschichte, das wir vernehmen aus dem Munde der einfachen Frau. Wir hören es an, und heiß steigt es in uns auf, das Gefühl der Empörung: Und das wollen sie uns nehmen!

Weiter ging die Reise ostwärts durch die Ebene, über der in dem fallenden Schatten der Nacht ein Wetterleuchten zuckte. Bei Dunkelheit kamen wir zu einer Hütte, in der wir übernachteten, und am anderen Morgen waren wir in einem anderen Land. Das graue Einerlei der Steppe, die wir bisher durchzogen hatten, hatte sich geändert und ein anderes Einerlei fing an. In der Ferne zeigten sich hohe, gleichförmige Sanddünen, die sich wie ungeheure Wellen durch die Landschaft zogen und blutrot in der aufgehenden Sonne leuchteten. Das war die berühmte, die berüchtigte Kalahari. Eine eigentliche Wüste ist sie nicht. Die Dünen sind ziemlich dicht mit hohen Dornbüschen besetzt, während in dem weißen Sand der Täler, der von dem Rot der Dünen so seltsam absticht, die allerschönsten Blumen wachsen. Wir waren noch nicht weit gekommen, als wir mitten in einem trockenen Flußbett ein Ding wahrnahmen, aus dem wir vorerst nicht klug werden konnten. Isaak hielt es für ein Hartebeest, der Farmer für einen gestrandeten Ochsenwagen. Als wir herankamen, offenbarte es sich als ein schon halb im Treibsand versunkenes Fordautomobil, das offenbar einem Selbstmord zum Opfer gefallen war, und das konnte man ihm wahrlich nicht verübeln. Einen jämmerlicheren Kasten gab es sicher nicht zwischen Kap und Kairo. Es lief noch auf vier Rädern, wenn auch ohne Gummi. Wieso aber der Eigentümer es fertiggebracht hatte, diese Leiche noch bis hierher zu galvanisieren, konnte man sich beim besten Willen nicht vorstellen, denn es bestand nur noch aus Stücken, die kunstvoll zusammengebunden waren mit ledernen Ochsenriemen, Stücken von Stacheldrahtzäunen und was sonst noch eben zu finden ist, wenn man »eine »Panne« erleidet auf afrikanischer Pad. Wir stiegen aus und besahen uns kopfschüttelnd die Bescherung, und während wir noch dabei waren, erschien der Besitzer des Wracks, ein alter, verwitterter, langbärtiger Bur, der aussah wie der wiedererstandene Oom Paul.Paul Krüger, Präsident der Südafrikanischen Republik

»Tag Oom«, sagte der Farmer.

»Tag Nef«, antwortete der Bur. »Tag Mijenheern.«

»Dat is man kwaai«, fuhr der Farmer fort.

»Kwaai«, sagte Oom Paul, während er seine Pfeife anzündete.

»Und was ist da nun zu machen?«

»Ja – was ist da zu machen?« meinte der Oom zwischen langen Zügen an seiner Pfeife, »Ons weet niet.«

Inzwischen waren wir zu der Uferbank hinaufgegangen, wo die ganze Familie recht behaglich und anscheinend ganz unbekümmert unter einem Kameldornbaum lagerte. Es war eine zahlreiche Familie, bei deren Anblick man sich vergebens die Frage vorlegte, wie sie nur alle unterkamen in ihrem modernen Treckwagen. Jedenfalls verstanden sie sich einzurichten und vom Lande zu leben. Auf dem Feuer hing ein rußiger Kochtopf, in dem es lustig brodelte. Etwas abseits lag ein frisch geschossenes Hartebeest, an dem die Hunde schnupperten. Die Hausfrau, eine würdige Dame mit einem Kapotthut, der zu Urgroßmutters Zeiten einmal Mode war, saß auf einem Schakalfell und las im Kerkbode. Neben ihr lagen ein goldgerändertes Gesangbuch und eine Tabakspfeife. Das eine von den Meisjes rupfte ein Perlhuhn, das andere machte die Honneurs beim Kaffee, die Männer setzten ihre Pfeifen in verdoppelte Tätigkeit. Bald war ringsum alles ein Duft und eine Tabakswolke, und allmählich kam so etwas wie eine Konversation in Gang. Langsam und gemächlich, denn in Afrika hat man immer Zeit.

»Ja, dat is man so –« sagte der Farmer.

»Et is baai Jammer, en nie nodig nie«, klagte der Baas. Aber was sei da zu machen? Man müsse eben abwarten. Und wenn das nicht hilft, dann will ons skrywe an Sy Edle Gestrenge, die Administrator mit 'n Teken van groot Waardering en Konfiderasie aan Mevrou Werth in Windhuk für een nieuwen Treckwagen. Denn »ons Mense« wird man doch nicht sitzen lassen, hier in Ons Land, wohin man uns gerufen hat nach dem großen Oorlog.

Von Prieska sei er, in der Kapkolonie, ganz am Rande der Karu. Dort sei nichts mehr los. Dürre und Heuschrecken und fast gar kein Wild. Aber hier gebe es noch Hartebeester und Wildebeester. Da brauche man nur zu schießen. Ein »Mooi Plaatsje« habe er sich schon gesichert in der Gegend von Okahandja, alles auf Staatskosten. Jetzt komme er vorerst mit einem ganz kleinen Teil seiner Familie, gewissermaßen als Vortrekker. Aber binnen kurzem werde ganz Prieska und das ganze Kapland kommen. – Ja Südwest!

Langsam schlief die Unterhaltung ein, während die Sonne immer höher stieg und wir alle immer enger zusammenrücken mußten in dem kürzer werdenden Schatten des Kameldornbaumes. Endlich verabschiedeten wir uns allerseits mit dem schönen Gruß, den die Buren gebrauchen:

»All's for die Best!«

Wir übernachteten im Busch und fuhren bei Tagesanbruch weiter durch die Dünen, vorbei an Sandfeldern, die von roten Lilien übersät waren, und an hohen, felsigen Uferbänken, auf denen die Paviane kreischten. Es ist ein seltsames Land, aber noch seltsamer sind die Menschen, die dort wohnen.

Es ist nicht meine Absicht, ein »Who's who« der Kalahari zu schreiben. Die Abhandlung würde etwas umfangreich geraten, denn hier hat jedermann seine Geschichte, ob er nun einmal ein Baron, ein Gardeoffizier, ein verbummelter Student oder ein biederer Schutztruppler gewesen ist. In neuerer Zeit ist diese Gegend im ganzen Schutzgebiet bekannt geworden durch die Anbohrung von artesischem Wasser. In diesem Lande gräbt man nach Wasser wie anderwärts nach Gold. Und wenn man es endlich gefunden hat, so kommt es in den wenigsten Fällen den Deutschen zugute. »Wer das Kreuz hat, der segnet sich.«

Es ist alles ein Jagdgrund für die neuen Herrenmenschen, die Buren.

Seltsame Gestalten, die da als neue Vortrekker über die Grenze gewechselt kamen, um dem Deutschen das Brot vom Munde wegzuschnappen! Weiße Kaffern nennt sie der Hottentotte. Ihr Leben lang leben sie im Hartebeesthaus und verlegen sich aufs Gebären von Kindern, die zahlreich sind wie der Sand der Steppe. Einen Stich gibt es einem ins Herz, wenn man sieht, was sie anfangen mit dem teuren, auf Regierungskosten erbohrten Wasser. Ein kleines Paradies würde ein Deutscher sich in der Wildnis damit schaffen. Sie aber lassen es nutzlos abfließen und verdunsten in einem Wasserloch, »damit die Beesters Wasser kriegen«.

Kulturträger, in der Tat!

Aber amüsant und eigenartig sind sie darum doch.

Bald erreichten wir die Ansiedlung einer solchen »artesischen Burenfamilie«, die in biblischer Beschaulichkeit an den erbohrten Wasserlöchern saß. Sie war zahlreich wie der Samen Abrahams. Denn wenn Buren siedeln, so bringen sie immer gleich die ganze Verwandtschaft mit allen Töchtern und Schwiegertöchtern und so und so vielen »Achterwoners« und »Beiwoners« mit, die dann in vielen Generationen alle auf der »Stoe« (Veranda) ihres Hartebeesthauses sitzen und Maispapp löffeln oder Kaffee trinken. Wir setzten uns auch dazu und hatten ein Pratje mit Oom Pieter, der uns erzählte von den Wildebeestern, die in der letzten Nacht durch den Zaun gebrochen waren, und von der »swaren Ziekte« seiner Frau, mit der er gar nicht fertig werde. Sonst habe doch immer das »allgemeine afrikaanse Geneesmittel« (Rhizinusöl) geholfen.

Aber diesmal habe er es schon mit Coopers Schafdip, mit einem Mittel gegen die Lahmseuche und einem solchen gegen die Rinderpest versucht, aber alles umsonst. Zweimal schon habe er ihr im Namen der Dreieinigkeit den Magen mit Gänsefett beschmiert. Wenn es eine Kuh gewesen wäre, so wäre sie schon lange gesund geworden oder verreckt. Aber da kenne sich einer aus mit den Weibern!

Langsam strich er sich seinen langen weißen Bart. Schwerfällig erhob er sich auf den steifen Beinen. Er wollte uns noch das große Kalahariwunder, das Wasser, zeigen. Wir gingen hinunter zum Flußufer und staunten vor dem artesischen Brunnen, wo das Wasser hoch aus der Erde aufschoß und in dickem Strom davonlief. Einen wunderschönen Garten hätte man damit anlegen können, ein Paradies in dieser dürren Erde, ein kleines Kalifornien im Kalaharisande, aber da floß es ungenützt dahin und versickerte im trockenen Flußbett.

Was das wohl gekostet habe? fragte der Farmer.

»Ons weet niet«, meinte Oom Piet. »Ons heft die Rekening noch niet kriegen.«

»Die wirst du auch nicht kriegen,« sagte der Farmer, »die ist nur für die Deutschen.«

»Ja, die Duitsers,« sagte treuherzig Oom Piet, »die sall det woll kriegen. Mar ons Mense –.«

»Jawohl,« sagte der Farmer, »das wissen wir schon. – All's for die Best.«

Dann verabschiedeten wir uns mit vielen frommen Segenswünschen. –

Und ein andermal waren wir anderswo »auf Pad«. Südwärts im Bastardlande.

Es ist ein schönes Stück Land, nach dem die Farmer ringsum die Hälse recken, zu gut für die »verfluchten Halbkaffer«, die da in ihren Pontoks dem lieben Gott den Tag abstehlen, ohne irgendwelche Neigung zu dienstbarer Arbeit auf den Farmen der Weißen. Mitten im Schutzgebiet liegen ihre Ländereien, gleichsam als Pfahl im Fleische des Landes, eine Insel des Rückschritts, die sich mit afrikanischer Beharrlichkeit dem Automobil der modernen Zeit entgegenstemmt. Es gibt nicht wenige im Lande, die mit ihnen lieber heute als morgen aufräumen möchten, aber das ist leichter gesagt als getan, denn auch die verwegenste Advokatenrabulistik wird ihr Recht auf dieses Land nicht bestreiten wollen, und auch der böswilligste Geschichtsschreiber wird nicht leugnen können, daß sie hier vor allen andern Siedlern saßen.

Lange vor Lüderitz kamen sie vom Kapland herüber. Mit ihnen ihre Sünden und Laster, das gärende Mischlingsblut und ihre korrupte kapholländische Sprache. Buren und Hottentotten – das gibt eine seltsame Mischung. Von beiden haben sie die Fehler. Dennoch spricht es für ihr diplomatisches Geschick und für die Lebensfähigkeit des Völkchens, daß sie sich so lange zu halten vermochten, mitten zwischen streitenden Herero- und Hottentottenstämmen. Als die deutsche Regierung die Schutzherrschaft übernahm, fand sie hier schon einen wohlorganisierten Bastardfreistaat vor, mit einem als erblicher Fürst regierenden Kapitän, dem ein vom Volke gewählter Rat von Großleuten zur Seite stand. Dieser Zustand hielt sich im großen und ganzen während der Dauer der deutschen Schutzherrschaft. In ihrer Bastardfreundlichkeit ging die Regierung sogar soweit, daß sie den ausgedienten Schutztrupplern die Töchter jenes Stammes offiziell als Heiratskandidatinnen empfahl, und der Bastard hatte nichts dagegen. Während kriegerische Völker ringsum im Kampf um ihre Unabhängigkeit verbluteten, verlegten sich die Bastards aufs Lavieren und aufs Geldverdienen durch Frachtfahrten für die Truppen. Ungeahnter Wohlstand kam über das Völkchen. Die Großleute machten es wie Rittergutsbesitzer. Pontok und Vieh in der Steppe überließen sie der Beaufsichtigung ihrer Dienstleute und bauten sich Häuser in ihrer Hauptstadt Rehoboth, wo sie ihre Zeit mit Kaffeetrinken und Politisieren zubrachten.

Es war zu viel und zu feine Politik, die sie da ausheckten. Bei Ausbruch des Krieges glaubten auch sie ihre Stunde zu erleben. England war Freiheit, dessen war man gewiß. Zudem standen alle waffenfähigen deutschen Männer an den verschiedensten Kampffronten. Die blühenden Farmen lagen schutzlos da. Eine nie wiederkehrende Gelegenheit! Es wurde nach Herzenslust gemordet, geplündert, Vieh gestohlen. Aber der Dank von England blieb aus. Vor den Augen der neuen Herren schmolzen die Großmachtsträume des kleinen Volkes wie Butter vor der Sonne. Aus ist es nun mit Kapitän, Rat und Großleuten. Kein Kaffee, keine Politik mehr in Rehoboth. Man hat's nicht mehr dazu. Die Großleute sitzen wieder in ihrem Pontok im Busch und sinnen grollend auf neue Pläne, die sich diesmal gegen das perfide Albion richten. Vor anderthalb Jahren machte sich die Unzufriedenheit Luft in einem regelrechten Bastardaufstande, der aber im Keime erstickt wurde durch jene schreckenerregenden Dinger, mit denen man heute allgemein die rückständigen Steuern einzuziehen pflegt in entlegenen und aufsässigen Gebieten des britischen Weltreiches: bombenwerfende Flugzeuge. Aber auch in jener kritischen Stunde zeigte sich das angeborene diplomatische Geschick der Bastards. Sie übergaben alle Gewehre einem ihrer Großmänner, der sie hinter Schloß und Riegel aufbewahrte. Dann besannen sie sich auf ihre Eigenschaft als kleine Nation und wandten sich beschwerdeführend – an den Völkerbund.

Das ist die romantische Geschichte des kleinen Volkes mit den großen Rosinen. Rehoboth, die stolze Hauptstadt, war nie viel gewesen. Jetzt ist sie nur noch ein Schatten von dem wenigen. – Ein Schatten? Ach, es gibt hier keinen Schatten unter der Mittagssonne, die glühend über dem Städtchen steht! Der große Platz mit den Kameldornbäumen liegt kahl unter dem dunkelblauen Himmel. Wir sitzen in der einzigen Wirtschaft am Platze und trinken ein Bier, das warm ist wie Spülwasser. Ein Hottentottenweib hebt bettelnd die Hände. Aus weißen Häusern schauen leere Fensterhöhlen wie erloschene Augen. Knarrend schleicht ein Ochsenwagen vorüber. In einer Türnische sitzt ein kaffeebrauner Großmann wie ein geflickter Lumpenkönig und träumt von vergangenen besseren Zeiten und denkt vielleicht nach über die zeitgemäße Abwandlung des Sprichworts: »Wer von England ißt, der geht daran zugrunde.«

Nun ist der Spuk wieder vorbei. Nun sind wir wieder draußen in der Steppe, irgendwo im Bastardlande. Es ist Nacht, eine von den schönen, klaren, sternbesäten Nächten, die einem dieses Land so lieb machen, trotz allem. Die Grillen zirpen. Von fernher kommt das Heulen der Schakale. Irgendwo quiekt und quakt es im Busch mit den verworrenen Stimmen der Wildnis. Die knorrigen Äste des Dornbaumes bewegen sich wie etwas Lebendiges im roten Scheine des Feuers. Das ist das Milieu für ein bißchen Schutztruppenlatein. Wenn Afrikaner erzählen, so lügen sie noch mehr als andere Menschen. Die Sonne bringt das so mit sich. Aber sie lügen mit Grazie und Phantasie, und auch wenn man alles Gelogene abzieht, bleibt zumeist noch ein erstaunliches Garn zu spinnen.

Warum haben wir dummen Jungens von früher uns eigentlich immer für die Indianer begeistert? O Gott! Die Abenteuer unserer Schutztruppen, die Fahrten und Irrfahrten unserer ersten afrikanischen Kolonisten, die schreien nach einem Karl May!

Da war die Geschichte, die ich so schnell nicht vergessen werde, die Geschichte von der Reiterpatrouille, die im Sande der Namib sich in Durstqualen von einer vertrockneten Wasserstelle zur anderen schleppte, bis schließlich nichts mehr von ihnen übrig blieb als drei Kreuze im Sande.

»Heut morgen in der Senke,
Gab's kaum genug fürs Zelt;
Wer weiß, die nächste Tränke
Liegt nicht in dieser Welt!

Ich hebe zum Gebete
Die Hand zum Himmelszelt,
Geb' Gott, daß sie mich töte,
Die Kugel, die mich fällt!«

Ein anderer erzählte die Geschichte des Heldenepos von Hohe Warte:

»Das war Anno 1904, wie eben der Hereroaufstand ausbrach und die Farmer niedergemetzelt wurden wie sonst die Hammel. Was sich noch retten konnte, das flüchtete mit Frauen und Kindern nach der Schanze. Vierzehn Tage lang hielten sie stand gegen zehntausend Kaffern. Nachts standen die Männer auf Posten und tagsüber nahmen die Frauen die Gewehre, und so ging das fort, bis Ersatz von Windhuk kam.« Ich horchte auf: Hohe Warte? Noch nie davon gehört. In keinem Schullesebuch stand so etwas. Ja, wenn es Spartaner gewesen wären, so hätte man wohl ein paar Hexameter darüber auswendig gelernt. Da das aber nur Deutsche waren –

»Und da ist noch so eine Geschichte aus der Zeit des Aufstandes«, sagte ein anderer. »Ich komme von der Truppe ab, verreite mich im Busch, komme aber schließlich im letzten Augenblick noch auf die richtige Pad. Der Kamerad, der mit mir war, blieb achteraus und wurde drei Tage später tot im Busch gefunden. Hereroweiber hatten ihm die Augen ausgestochen. Nun ja, man war in Afrika und im Aufstand. Da kann man nicht große Umstände machen. An der nächsten Werft holten die Kameraden die Weiber heraus und erschossen sie wie die Hunde. Aber dann wurde die Sache ruchbar in Berlin. Ein Abgeordneter brachte sie im Reichstag vor. Zwei Kameraden wurden vom Kriegsgericht zum Tode verurteilt und nachher zu neun Jahren Zuchthaus begnadigt.«

Und warum sie das wohl taten? fragte einer.

»Eben weil wir das dümmste Volk der Erde waren«, meinte der Schutztruppler.

»Und weil wir es noch sind!« sagte ein anderer und stocherte in dem Feuer, daß es prasselnd aufflammte zum schwarzen Nachthimmel, von dem groß und feurig die Sterne herniedersahen auf das verlorene Land.

 


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