Max Eyth
Schlehen
Max Eyth

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VII.

Er saß am Bett seines Freundes. Die dritte Nacht, die er an dieser Stelle zubrachte, war zur Hälfte vorüber. Ein heimliches Halbdunkel herrschte in dem reichen Zimmer. Die Geisterstunde hatte geschlagen. An Geistern, die leis an ihm vorüberschlichen, fehlte es nicht.

Die Parlamentswahl war vorgestern vorübergegangen. Seine Partei war unterlegen. Man hielt ihn allgemein für die Ursache der Niederlage. Die Kunde von jenem Kampf im Walde hatte sich, manchfach verzerrt, blitzschnell verbreitet. Das Volk war mit dem Urteil schnell bei der Hand. Gestern Günstling, war er heute der niederträchtigste Schurke und Verräter. Es tat ihm nur um seinen guten Professor Kramer leid, der sich nun an der Aufrichtung des Deutschen Reiches nicht aktiv beteiligen konnte.

Im Schloß war er in die eigentümlichste Lage geraten. Am ersten Abend war Herr und Frau von Steinau über Land. Als sie spät in der Nacht anfuhren, befand er sich mit dem Arzt allein bei dem Kranken. Der alte Steinau kam herauf, ein Mann, dem Alter und Sorge die Härte von der Stirn gestreift zu haben schien. Er hatte ihn mit den rührendsten Dankesworten überhäuft, die sein zitternder Mund am Lager des einzigen, wieder ohnmächtigen Sohnes hatte finden können. Schwitzgäbele stellte sich endlich vor. Der Alte war plötzlich wie vom Schlage gerührt. Er ging und sie waren sich nicht mehr begegnet. Die gnädige Frau hatte die Erschütterung ohnedies in der ersten Stunde aufs Lager geworfen. Überall aber bemerkte er die größte Sorgfalt, ihm alles so behaglich als nur möglich zu machen.

Mit Hedwig, Arturs Schwester, hatte er sich in die Pflege des Kranken geteilt, der noch immer heftig phantasierte. Sie hatte ihn gebeten, sie Hedwig zu nennen und nannte ihn dafür ganz von selbst Johannes. Die ersten Male, wenn sie den Namen aussprach, errötete sie und sah weg. Bald aber schaute sie ihn dabei so freundlich und offen an, daß Schwitzgäbele schon zweimal deshalb die Arznei verschüttet hatte. Wie sie zu seinem Vornamen gekommen war, und wer demselben diese neueste Form gegeben hatte, machte ihm viel zu schaffen.

Es wäre unnötig und unmöglich, all die tausend süßen, schmerzlichen Kleinigkeiten aufzuzählen, die ihm in diesem Augenblick wonnig durch Leib und Seele zitterten. Er merkte es nicht, als sich wieder einmal leis hinter ihm die Türe öffnete und eine weibliche Gestalt unhörbar eintrat.

»Jetzt ist die Reihe an mir, Johannes«, flüsterte es hinter ihm. »Gehen Sie! Sie sind müde.« Schwitzgäbele fuhr zusammen.

»O bitte, lassen Sie mich! Ich bin nicht müde«, antwortete er leidenschaftlich.

»Aber eigensüchtig. Gehen Sie, bitte! Ich habe Ihnen das Licht außen stehen lassen.«

»Aber Sie dürfen nicht wachen, Fräulein!«

»Ja – und ich soll Ihnen auch noch eine gute Nacht von der Mama sagen. Sind Sie jetzt zufrieden? Gute Nacht, Johannes!«

»Fräulein Hedwig!« »Aber nein! Gehen Sie doch!«

Der Kranke fuhr auf. Das Flüstern hatte ihn geweckt.

»Sehen Sie, das ist nichts für Sie!« sagte Johannes, indem er ihn mit sanfter Gewalt in das Kissen zurückdrückte.

»Bis er wieder schläft«, lispelte sie und setzte sich auf einen Stuhl am Fußende des Bettes. »Aber dann – nicht wahr? – –«

Artur riß in diesem Augenblick die Augen weit auf. Man konnte wohl an diesem starren Blicke erschrecken, der jetzt lang, ruhig, sinnend auf Schwitzgäbele gerichtet war. Plötzlich zuckte ihm ein wilder Schmerz übers Gesicht.

»Ha! – Du da? – Du da? – – Nein, nein! Und wenn du mir dreimal die Brust durchbohrst – du bekommst sie nie – nie –«

»Sei ruhig, Artur!« bat Hedwig herzutretend.

»Ruhig? – Nie sag' ich, nie! – O mein Kopf! – Aber dreimal soll er mir den Schädel einschlagen, ehe er dich – dreimal – nie! –«

Schwitzgäbele schloß ihm den Mund. Es ward ihm schwüler als mitten unter den wütenden Bauern. Hedwig hatte sich wieder gesetzt. Jetzt wurde der Kranke freundlich.

»Deine Hand, Bruder! O ich weiß wohl, warum du gekommen bist, aber ich lieb' dich doch noch; ich kann nicht anders. – Ich weiß wohl, warum du mir den Schädel eingeschlagen hast – und früher einmal – ja in der Hütte – weißt du noch – das Herz mitten, mitten durchstoßen – das ist – du willst meine – meine Hedwig. Laß mich! Meine Hedwig willst du! Schurke, laß mich! – – Du stiehlst mir meine Schwester nicht. – Freund, deine Hand! – Sieh her! den Schädel – und das Herz – ich glaube, du hast's getan – aber doch bin ich noch Artur von Steinau und du – du ein – Bauern – Bauernjunge. Gesteh's – ich hab' nur eine – Nie – nie – das ist viel – viel zu viel – Und wenn ich dran sterben muß – und Hedwig auch – und du – nie, sag' ich!« –

Artur sank zurück. Sein irres Auge schloß sich. Die Lippen zitterten noch leise; es wurde still wie im Grab.

Hedwig drückte ihr Gesicht tief in die Bettdecke. Manchmal drang ein ersticktes Schluchzen zwischen den Falten durch. Schwitzgäbele weinte nicht. Er atmete kaum mehr. Auf dem Bettende sitzend beobachtete er lange das Gesicht des Verwundeten. Dieser schien eingeschlafen zu sein. Jetzt beugte er sich nieder und drückte einen langen Kuß auf die Lippen, die noch von seinem Todesurteil bebten.

Ohne ein Wort zu sagen, hatte er das Zimmer verlassen. Am andern Morgen war weit und breit nichts mehr von ihm zu finden. Hedwig durchsuchte sein Zimmer drei-, viermal. Kein Briefchen, keine Zeile hatte er hinterlassen.

Als er an jenem Morgen, ehe die Sonne aufging, über die Schwelle des Schloßtors trat, fielen ihm seine Schlehen wieder ein. Sie blühten gerade wieder und ein Strauch drängte sich mühsam aus einer alten Gartenmauer hervor, ihm entgegen. Er meinte aber, vor sich hinlächelnd: »Die Schlehen werden allmählich reif«.


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