Max Eyth
Schlehen
Max Eyth

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IV.

Den Vormittag über hatte am folgenden Tag unser Held sein Versprechen, vernünftig zu sein, zur Verwunderung Arturs löblich gehalten. Mittags um zwei Uhr erschien er aber nicht. Man wartete eine Viertelstunde, Artur in ernstlicher Sorge um seinen Freund und ehrlich gestanden auch um sich; denn Schwitzgäbele sollte an seiner Seite sitzen. Artur lauschte gespannt auf jeden Tritt, der sich nahte, – ohne Erfolg! In der Verlegenheit entschuldigte er ihn endlich mit einem Herzleiden, das Herrn Schwitzgäbele oft plötzlich befalle und ihn wohl auch heute abhalte, zu erscheinen. Die Professoren beruhigten sich kopfschüttelnd. Das Examen nahm seinen Verlauf.

Hätte Artur in diesem Augenblick den Vermißten sehen können, – ich weiß nicht, hätte er über seinen unglücklichen Freund gelacht oder geweint. Schwitzgäbele selbst hätte zwischen beidem geschwankt, wenn er nicht glücklich ein Drittes gefunden hätte, das ihm über die schwierige Frage hinaushalf, nämlich sich und die Welt und alles, was drin ist, zu vergessen. Dazu aber kam es auf folgende Weise:

Schon gestern hatte er, wie erzählt, die Namenlose, die ihn so namenlos glücklich machte, gesehen. Er täuschte sich vielleicht, aber er glaubte es wenigstens fest, sie habe ihn gegrüßt, als sie in einem offenen Wagen mit einer andern, älteren Dame an ihm vorbeiflog. Er wäre dem Gefährt fast nachgelaufen, wenn er sich nicht vor der Tante geschämt hätte; denn auch die Tante aus Wildbad war wieder da. Aber er sah, als er um das nächste Straßeneck bog, hinter dem dasselbe sich seinen Blicken entziehen wollte, die braunen Räder in dem Hoftor eines neuen stattlichen Hauses verschwinden. Dort wohnte sie vielleicht.

Man kann's ihm nicht verargen, daß er nach seinem bescheidenen Mittagsmahl, einen Auszug aus den Pandekten in der Rock-, das Gedicht von gestern abend in der Brusttasche, in jene Straße einbog. Das betreffende Haus stieß mit seiner Rückseite an den königlichen Park, in welchen jedermann Zutritt hatte. Er sah auf die Uhr, als er über die Schelle des Gittertors trat, das in den Garten führte. Es war erst halb zwei Uhr, also vollauf Zeit, noch ein wenig einzutreten und im Schatten der stillen Baumgänge den Pandektenauszug zu durchblättern. Und doch klopfte sein Herz etwas höher. Es hatte einen bessern Instinkt als sein Besitzer.

Ehe er die Papiere hervorzog, mußte er sich in der neuen Umgebung einigermaßen orientieren. Das war absolut notwendig. Kaum konnte man in der Tat ein geeigneteres Plätzchen für eine Stunde ungestörter Ruhe finden als diesen Teil des Parks. Üppiges hohes Gebüsch umkränzte den Weg, der sich an die stattlichen Gebäude hindrängte; über einer niedlichen Rotunde wölbte ein mächtiger Ulmenbaum seine dichte, herrliche Krone. Ein kleines, einfaches Bänkchen umgab den Stamm. Der Gipfel schien in die obersten Giebelfenster des palastartigen Hauses hineinwachsen zu wollen. Nirgends zeigte sich ein Mensch. Eine südliche Mittagsruhe lag über dem schattigen Bilde.

Schwitzgäbele studierte emsig, nach dem Anfang zu urteilen. Dabei stellte er sich allerdings so, daß er durch die Lücken des Gesträuchs möglichst viele Fenster überschauen konnte. Da klang's, als ob sich eines öffnete. Seine Hand mit den Auszügen fuhr unwillkürlich in die Brusttasche. Sein Auge starrte in die Höhe. Dort war's! Eine kleine weiße Hand kam an einem Fenster des ersten Stocks zum Vorschein, befestigte einen Riegel und verschwand. Das Fenster blieb offen. Es wurde wieder still. Er sah nur noch einen weißen Vorhang sich hin und her bewegen, und glaubte hie und da die obersten Partien eines weiblichen Kopfputzes, ein einfach gescheiteltes, tiefschwarzes Lockenhaar zu erkennen. Er stellte sich auf die Zehen und seufzte. Es half nichts.

Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er sah sich um, scheu, erschrocken vor sich selbst. Kein Laut regte sich in der Nähe. Nur ein Vogel hüpfte leise zwitschernd von Ast zu Ast an der Ulme hinauf. Der Vogel saß dem Fenster gegenüber, schaute hinein und dann neckisch zwitschernd herab.

Schwitzgäbele beobachtete ihn mit gespannter Aufmerksamkeit. Immer noch alles still. – Er war entschlossen.

Leis, wie eine Katze, mit klopfendem Herzen war er am Stamm der Ulme angekommen. Das Bänkchen krachte, als er mit dem ersten Fuß darauf trat. Er hielt an. In diesem Augenblick rauschte plötzlich ein Windstoß durch die tausend Blätter des Baums; laut singend flog der Vogel auf.

Schwitzgäbele saß auf dem untersten Ast des Baumes im dichtesten Blättergewühle. Jetzt war's gewonnen. Lautlos leicht, wie ein Eichhorn, stieg er von Ast zu Ast, hielt wieder, wartete auf das Rauschen der Blätter, stieg weiter. Er sah nicht hinab, nicht hinaus. Er zitterte vor jeder Entdeckung, die sein Blick machen könnte. Sein Gewissen regte sich mächtig, aber er stieg weiter, ohne nachzudenken, ohne zu wollen, mit dem dunkeln Gefühl, daß ihn ein Dämon treibe, dem er nicht widerstehen könne.

Er hatte jetzt ein Plätzchen erreicht, wie wohl kein zweites zu finden war: um und um grün; ein sicherer Ast, auf dem er halb stand, halb saß; ein Zweig, an dem er sich hielt; unter seinen Füßen eine kleine Lücke, durch die sein Blick das Bänkchen beherrschte; die kleinste Bewegung des Geästes öffnete ihm die Aussicht gegen das ersehnte Fenster. – Sie war's! – Rasch ließ er den erfaßten Zweig wieder zurückschnellen. Er mußte sich fester halten, fester stellen, mußte sich sammeln, um wieder Hinsehen zu können. Dann drückte er leis mit dem bebenden Finger Blatt um Blatt auf die Seite und schaute hinaus.

Ja, sie war's! – So ganz das liebliche, freundliche Mädchen vom Wald, so ganz das unschuldige, anmutige Kind von damals und doch hundertmal schöner, gereifter, ernster als unter den Schlehen des Schwarzwaldes. Schwitzgäbele brauchte alle seine Fassung, um ruhig zu bleiben, um nur wenigstens keinen unzeitigen Lärm zu machen. Er zitterte, er erschrak über seinen eigenen Mut, je harmlos zu den Füßen eines solchen Wesens gesessen zu sein; er zweifelte, ob diese edle, kindlich stolze Gestalt dieselbe sei, ob er sich täuschte? Aber er täuschte sich nicht. Sie war's. Sie saß ruhig an einem Nähtischchen, auf dem als einzige Zierde ein betender Engel aus Gips kniete. Ihr schönes Gesicht beugte sich über eine farbige Stickerei, die sie hie und da mit Vergnügen zu betrachten schien. Nur selten ruhte ihr sinnendes Auge auf dem saftigen Grün der Ulme. Anfangs erschrak der Beobachter, wenn er ihrem Blick begegnete; bald aber war's ihm der seligste Augenblick, und er vergaß die weite Welt in diesem dunkeln Himmel, in den er sich so sicher und ungestört versenken durfte.

Da schlug's auf dem Schloßturme drei Viertel. Es war der Hahnenschrei für Schwitzgäbeles seligste Stunde.

»Noch eine Minute«, dachte er. Gerade sah sie wieder herüber, diesmal länger als sonst. Der Arme stand wie an den Baum gespießt von ihrem milden, ruhigen Blick. »Noch eine Minute!« flüsterte er. »O, Engel, sieh dann weg, ich komme sonst nicht los!« Der Engel gehorchte ahnungslos und Schwitzgäbele umklammerte die Ulme. Er sollte aus seinem Paradies und kein zürnender Geist mit einem Flammenschwert tat ihm den Gefallen und trieb ihn hinaus. Er sollte, nicht ohne einige Schwierigkeit, sein eigener Henker sein. Sein Blick umflorte sich. Doch wie riß er plötzlich Mund und Augen auf! Unten auf dem Bänkchen saß still und regungslos eine dunkle Gestalt.

Schwitzgäbele hatte in seinem ereignisvollen Leben schon manchen Schrecken durchgemacht, aber dieser Moment übertraf alles an betäubender Furchtbarkeit. Einen Augenblick vergingen ihm die Sinne völlig. Dann steigerte sich seine Sehkraft zu einem unglaublichen Grad. Aber der schwarze Mann verging nicht. Im Gegenteil. Langsam zog er ein Buch aus der Tasche, blätterte vor- und rückwärts und fing endlich an zu lesen. Jetzt erkannte der Gefangene seinen Gefangenenwärter. Es war sein teurer Lehrer und Examinator, sein väterlicher Freund, der Professor Kramer. Wäre Schwitzgäbele kein geschulter Stoiker gewesen, die Folgen dieser Entdeckung hätten furchtbar sein können.

So aber ergab er sich, raufte im Geist seinen niedlichen Schnurrbart aus und fing wieder an, um sich doch wenigstens zu zerstreuen und vor Wahnsinn zu bewahren, in den Zweigen herumzublättern, die seinen Himmel verdeckten. Und er war ja noch da, der Engel der Ruhe und des Trostes, und der gipserne daneben betete sichtlich für den Armen. Jeder Augenblick war ein Balsamtropfen in das zerrissene Herz, eine Tonne Öl auf das wogende Meer seiner Gedanken, in denen er fast Schiffbruch litt. Er fühlte das. Er wurde ruhig. Er glaubte endlich sogar ein höheres Walten in seinem heutigen Schicksal zu erkennen, das ihn mit Gewalt an einen Himmel bannte, den er hatte frevelhaft verlassen wollen.

Freilich schlug's dazwischen 2 Uhr, viertel, halb drei, und jeder Schlag schmetterte ihn fast von seinem luftigen Sitz hinunter. Aber dann kam wieder eine Viertelstunde ruhiger, seliger Wonne, in der er dem schwarzen Freund dort unten tausendmal dankte, daß er ihn hatte bei Besinnung erhalten und nicht entwischen ließ, und je später es wurde, um so verstockter ward sein Herz gegen die eherne Zunge, mit der sein Gewissen vom Schloßturm herabpredigte.

Es schlug drei. Er hörte es nicht. Einen Augenblick zuvor schien nämlich das Mädchen mit der Stickerei fertig geworden zu sein. Ruhig legte sie das farbige Blatt auf das Tischchen, fuhr mit der Hand darüber, warf einen langen, sinnenden Blick darauf und schaute dann mit ihrem heiteren Lächeln in den Garten hinab. Es war nicht das freudige Aufspringen, das stürmische Wegwerfen einer glücklich vollendeten Arbeit; ein anderes tieferes Interesse schien sie an ihr Werk zu fesseln; noch einmal und lange ruhte das schwarze Auge auf dem Bild. Jetzt schaute auch Ferdinand darauf: er hatte bis jetzt über der Schöpferin das Werk nicht beobachtet. Er war nahe genug, um zu erkennen, daß die Stickerei eine Landschaft darstellte.

Nein! es war keine Täuschung! – Das war ja der Granitblock, darüber der üppige Strauch voll weißer Blüten, unten der Rain und der Graben und die schwarzen Tannen und die ganze stille Waldeinsamkeit, die ihm so unvergeßlich geblieben war. Figuren fehlten. Aber konnte er sich täuschen? – Nein! Nein! zitterte es ihm durch jede Ader, und eine dunkle, wonnige Ahnung drängte ihm das Blut gewaltsam gegen das Herz. Er dachte nicht weiter darüber nach. Ihm war nur, als müßte er mit einem Sprung vollends zum Fenster hineinfliegen und ihr zu Füßen sinken. Nein, daran dachte er nicht. Aber ihr um den Hals fallen und sie ans volle Herz drücken und sie küssen, weil sie's nicht vergessen hatte, was ihn so namenlos glücklich gemacht –

Sie stand auf. Fast gewaltsam riß sich ihr Auge von dem Bilde los, ehe sie im Hintergrund des Zimmers verschwand. Leise ging eine Tür auf und zu. Unser Held atmete tief auf. Er hatte ein wenig Muße. Seine Gedanken zogen ruhiger ein und aus. Es fiel ihm die vergangene Nacht ein und seine Dichterträume, die er heute fast verwirklicht sah.

»Ja, sie soll's haben«, flüsterte er plötzlich. »Sie weiß ja nicht woher und von wem?« und damit fuhr er in die Brusttasche, zog ein Papier heraus, wickelte es rasch um eine halbe Siegellackstange, die er dort ebenfalls gefunden hatte, und daß Geschoß flog durch das offene Fenster. Es war ein entscheidender Moment. Beim Flug durchs Fenster verlor das Siegellack seine poetische Hülle. Sie fiel auf das Nähtischchen.

Schwitzgäbele jubelte eine Viertelsekunde. Aber die Stange flog weiter. Ein Stoß, ein Geprassel. Er drückte die Augen zu.

Als er wieder aufsah, lag das gipserne Engelein noch immer ruhig auf den Knien und betete. Aber sein Kopf war verschwunden.

Die quälenden Gedanken, die nagenden Gewissensbisse, die verzweifelten Stoßseufzer um einen neuen Kopf für den Schutzengel, mit denen er oder vielmehr die mit ihm sich die nächsten Viertelstunden vertrieben, das alles kennt kein Mensch; denn das einzige lebende Wesen in der Nähe, der in sein Buch vertiefte Professor, ahnte nicht, was über seinem Haupt in den Zweigen gelitten wurde. Die Angst war auch wohlberechtigt. Sie kam wieder. Ein Blick auf die Umgebung, ein tiefer Schrei der Überraschung, der Entrüstung, des Schmerzes und was alles Schwitzgäbele noch heraushörte, sagte ihm, was er getan. Er hatte ihr ein teures, unersetzbares Andenken zerstört; er hatte ihr mit der Siegellackstange ins Auge, ins Herz getroffen. Sie bückte sich. Sorgfältig las sie die Scherben zusammen und legte stille das Häufchen auf ihr Arbeitstischchen. Ihr Auge fiel jetzt erst auf das Papier. Sie schien aufmerksamer zu werden. Sie nahm es in die Hand, sah zum Baum hinüber, dann auf das Blatt. Ein Zug der Entrüstung spielte um ihren Mund. Rasch trat sie ans Fenster, warf das Blatt hinaus. Der Unglückliche sah noch einmal in das volle, herrliche Gesicht, sah zum zweitenmal eine perlende Träne auf den langen Wimpern blitzen, sah einen seltsamen, unmutigen Schmerz in den schwarzen Augen leuchten – und sein Himmel schloß sich. »Eine Träne!« die zweite, die er gesehen, die zweite, die sie um ihn – nein, nur wegen seiner geweint. Armer Schwitzgäbele! Ohne Regung, ohne Wollen faß er da, fest an den Stamm sich klammernd; nur manchmal winkte ihm das weiße, wehmütig flatternde Blatt, sein Gedicht, das am ersten besten Aste hängengeblieben war, wenn es der Wind bewegte. Er beneidete das Blättlein. Sie hatte es doch in Händen gehabt, hatte es betrachtet, wenn auch nicht gelesen. Er beneidete den geköpften Engel, um den sie geweint; er hätte die ganze Welt beneidet, wenn er nicht zu gut gewesen wäre und sich allmählich aller Neid sachte und unmerklich in ein unbeschreibliches Weh aufgelöst hätte, in dem er Zeit und Raum vergaß.

Wie lange er so gesessen, wußte er natürlich nicht, als der Professor unten sein Buch zuklappte. Es geschah rascher, als man bei dem würdigen Manne hätte erwarten können. Schnell stand er auf. Ein halblautes Gekicher aus dem Gebüsche, das immer näher kann, jagte ihn eiligst in die Flucht. Zwei Mädchen traten aus dem Gehege und warfen sich lachend über ihre Eroberung auf das Bänkchen. Schwitzgäbele hatte einen Augenblick an Erlösung gedacht. Jetzt warf er nur noch einen hoffnungslosen Blick hinab, setzte sich ein wenig bequemer und suchte den Rückweg in das Reich seiner bittersüßen Träume.

Aber es gelang nicht. Das lustige Geplauder unten riß ihn jeden Augenblick zurück in die Wirklichkeit und zog ihm Augen und Ohren hinab. Nachdem sich die Dämchen über den Professor genügend lustig gemacht hatten, hob plötzlich die eine mit einem Freudenschrei ein gefaltetes Papier vom Boden auf.

»Das ist eine Entdeckung, Mina!« lachte sie jubelnd und zeigte ihr den Fund von ferne. Schwitzgäbele erschrak und sah an den Ast hinüber, wo sein Gedicht hängen sollte. Es flatterte noch in stiller Wehmut zwischen Himmel und Erde.

Unten aber war bereits ein heiterer Kampf entstanden, währenddessen das Papier allmählich von vier zarten Händchen gröblich entfaltet wurde.

»Ein Gedicht!« rief die eine.

»Halt, halt, es zerreißt«, die andere.

»Ein Gedicht – und wie hübsch geschrieben! – Es ist eine Männerhandschrift.«

»›An die Namenlose!‹ – Wie reizend! Ein Liebesgedicht! – Schnell, gib doch!«

Schwitzgäbele traten die kalten Tropfen auf die Stirne. Es war bittere Wahrheit. Drüben im Aste flatterte nur ein Stück vom Pandektenauszug, den er seinem Engel hinübergeworfen.

Unten wurden jetzt seine geheimsten Gedanken, seine heiligsten Gefühle zerpflückt und er mußte zuhören und schweigen.

Das war eine Viertelstunde, bis alles vom Anfang bis Ende und vom Ende bis zum Anfang belacht, bespöttelt und verdreht war. Er hätte diese Herzlosigkeit hinter Kannibalen gesucht, nicht in zarten Mädchenseelen. Er biß die Zähne übereinander, er drückte die Faust aufs Herz, er wollte ein furchtbares, schreckliches Gelübde schwören, nie mehr ein Gedicht zu machen, nie mehr an ein Weib zu glauben, mit einer einzigen Ausnahme, nie mehr!

»Und wie meinst du denn, wie hat sich das Ding hieher verirrt?« fragte endlich die eine von den Mädchen, die sich vom Lachen erholt hatte.

Die andere sah hinauf. »Ganz einfach«, meinte sie dann, »das hat ein verliebter Geck bei einem Literaten machen lassen und der Hedwig von Steinau geschickt. Ihr ist's zum Fenster hinausgeflogen. Das muß sie uns noch eingestehen.«

»Gestehen wird sie's nicht. Vielleicht hat's auch ihr Bruder verloren.«

Die andere fuhr auf, tief rot bis an die Stirne.

»Ist er hier?«

»Dein hübscher Artur? Als ob du das nicht vor mir gewußt hättest!«

Mehr hörte Schwitzgäbele nicht. Er hatte auch genug.

»Hedwig von Steinau! Arturs Schwester!« Die Sinne schwanden ihm. Sein Arm bebte. Er fuhr mit beiden Händen vors glühende Gesicht.

Und dann raschelte es um ihn her; Zweige krachten; die ganze Ulme schlug über ihm zusammen. Sein Geschick – das merkte er zum Glück nicht mehr – trieb ihn wie einen lebendigen Keil zwischen die beiden Freundinnen, die mit einem furchtbaren, zweistimmigen Schrei auseinanderfuhren. Das Bänkchen brach laut krachend. Zwei Gartenburschen stürzten von der einen, ein rotbefrackter Portier von der andern Seite herbei. »Ein Gulden dreißig Kreuzer und das Bänkchen machen lassen!« schrie der letztere, sich auf sein Opfer stürzend. Oben klang ein Fenster.

»Ist ein Unglück geschehen?« rief's herunter.

»Gott! mein Sonnenschirmchen! Der Mensch sitzt drauf!«

»Auf die Schloßwacht!« schrie der Portier.

»In den Spital!« meinten die Gärtnerburschen.

»Ein Gulden und dreißig, ein Gulden und dreißig, oder – –«

»Ach Mina, Mina! Du hier? Es wird doch kein Unglück geschehen sein? Man soll den Menschen zu uns herauftragen!« rief's wieder von oben. Das weckte den Armen. Wie der Blitz schnellte er auf. Es fehlte ihm nicht das geringste. Der Portier flog auf die Seite, einer der Burschen auf den Rasen. Der andere rannte nach der Schloßwache. Schwitzgäbele war im nächsten Gebüsch, ehe der dicke Gartenhüter zum drittenmal: »Ein Gulden und dreißig!« wimmern konnte.


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