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Zwei Kaiser und ein König auf dem Wasser

Abbazia und Venedig 1894.

Ich war im März 1894 zum deutschen Botschafter in Wien ernannt worden, hatte jedoch noch nicht meinen Posten angetreten, als ich von dem Ministerium in Berlin den Auftrag erhielt, die Regierung bei dem Kaiser während seines Aufenthaltes in Abbazia zu vertreten, wo sich die kaiserliche Familie eine Zeitlang zur Erholung aufhalten sollte.

Kaiser Wilhelm wollte mich daselbst auch dem Kaiser Franz Joseph vorstellen, der einen Besuch der Kaiserin und seines Bundesgenossen in Aussicht genommen hatte, und so begab ich mich von meinem bisherigen Posten, München, nach Abbazia, wo ich am Ostermontag, am 26. März 1894, eintraf.

Tagebuchnotizen.

Abbazia, 26. März 1894.

Meine Villa Laura liegt hoch, und ich sehe über die darunterliegenden Gebäude auf die große weite Bucht von Abbazia und auf Fiume in der Ferne. Der Charakter der Landschaft erinnert an die Riviera, doch ist es keineswegs so warm wie dort, es weht unaufhörlich ein kalter Wind.

Ich ging gegen 10 Uhr hinunter in die Kaiser-Villa, wo Hofprediger Frommel Gottesdienst hielt. Er ist mein alter Freund von Straßburg her, 1870, da ich als Leutnant und Adjutant des Gouverneurs und er als Garnisonpfarrer nach Übergabe der Stadt amtierte. Ich meldete mich bei den Majestäten und begrüßte das Gefolge. Um 10 Uhr fuhren wir im Yachtanzug auf die »Cristable« (eine englische Privatyacht, die Senden mietete). Die Majestäten, Gräfin Keller, Plessen, Senden, Leuthold, Lippe und ich nahmen an der Fahrt teil. Es wehte ein recht frischer Wind, aber das Schiff machte keine schlimmen Bewegungen, und der Kaiser erzählte mir alles, was ihn in der letzten Zeit in Berlin geärgert und gequält hatte.

Um 2 Uhr fand ein sehr heiteres Frühstück in dem Decksalon statt, das der englische Koch der Yacht bereitet hatte. Wir fuhren an den Küsten der Inseln entlang, die recht öde sind.

Nach 2 Uhr trafen wir wieder in Abbazia ein. Um 5 Uhr hielt ich dienstlichen Vortrag beim Kaiser. Um 8 Uhr Souper im Frack und schwarzer Krawatte, die Damen halb dekolletiert. Die Kaiserin in hellgelber Seide mit Perlen.

Nach dem Abendessen hatte ich à trois, mit dem Kaiser und Frommel, eine Unterhaltung von 1½ Stunden, die durch Frommels reizende poetische Art und durch des Kaisers lebhafte Klugheit außergewöhnlich interessant war.

29. März 1894.

Kaiser Franz Joseph traf früh um 9 Uhr in Matuglie ein, wo ihn der Kaiser mit den Adjutanten empfing. Um 10 Uhr kam er zum Besuch der Kaiserin nach Villa Amalie, und wir standen alle in »kleiner Uniform« zum Empfange bereit, die Prinzchen und das kleine Prinzeßchen mit Blumensträußen; die Kleine lief immer hin und her und gab jedem die Hand.

Kaiser Wilhelm stellte mich vor, und Kaiser Franz Joseph sagte mir, »daß er sehr glücklich über meine Ernennung nach Wien sei, daß ich dort sehr gut aufgenommen werden würde und daß er mich bäte, in Aufrichtigkeit die Freundschaft zwischen den beiden Ländern zu pflegen«.

Um 1 Uhr aßen die Majestäten allein, wozu Erzherzog Josephs, die bei Fiume eine Villa bewohnen, mit Tochter und Sohn Ladislaus kamen. (Die Mutter ist eine Schwester der Herzogin Max Emanuel von Bayern Geb. Coburg (von den katholischen, österreichischen Coburgs, Schwester des Königs von Bulgarien)..) Das Gefolge aß mit den Prinzen in der Nebenvilla.

Um ½3 Uhr fuhren die Kaiserin, die beiden Kaiser, Familie Erzherzog Joseph, Fräulein von Gersdorff, Admiral Senden, ich und die drei österreichischen Herren (Graf Paar, Oberst von Lonvay und von Buttlar) zur »Cristable«, mit der bei herrlichem Wetter und spiegelglatter See eine schöne Fahrt an der Küste gemacht wurde.

Daß ich in meinem Leben gerade mit Kaiser Franz Joseph in persönlichem Verkehr treten würde, ließ ich mir allerdings in meiner Jugend nicht träumen, als er die Idealfigur meiner Kinderphantasie war. Mein liebster Freund war während meiner ganzen Kindheit mein gleichaltriger Vetter (unsere Mütter waren Schwestern), Fritz Heß-Diller, Adoptivsohn des ruhmgekrönten Feldmarschalls Baron Heß und Sohn meines Onkels Baron Diller, des Vertrauten und Flügeladjutanten des Erzherzogs Franz Karl, Vater des Kaisers Franz Joseph, der erst 1878 starb, denn er verzichtete 1848 zugunsten seines Sohnes auf den Thron, den Kaiser Franz Joseph (geb. 1830) mit 18 Iahren bestieg. Der alte Erzherzog war somit durch 30 Jahre »Untertan« seines Sohnes.

Das österreichische Milieu der Familien Diller und Heß, die in Wien eine Rolle spielten (denn der alte Feldmarschall Heß war einer der bedeutendsten Männer, die Österreich besaß), bildete in meiner Phantasie eine Art interessanter Märchenwelt, in die ich 1857 als 10jähriger Knabe bei einer Reise nach Reichenhall, Salzburg und Wien einen Einblick gehabt hatte, der mich begeisterte. Damals galt die österreichische Armee, nach den ruhmvollen Siegen 1848 und 1849 in Italien, als die Quintessenz aller militärischen Tugenden – und Eleganz. Und alles war geschart um die junge Heldengestalt Kaiser Franz Josephs, seines berühmten Feldmarschalls, des alten Radetzky und dessen Generalstabschefs Heß, – dem schon als jungen Offizier Napoleon 1805 persönliche Anerkennung zollte. Eine Welt von glücklicher Kindheit und Jugendphantasie ging nun vor mir auf – und darum konnte keine Persönlichkeit auf der Erde, unter allen Potentaten und Berühmtheiten, denen ich in persönlichem Verkehr begegnete, eine so eigenartige, innerliche Empfindung in mir wachrufen als dieser, jetzt so ehrwürdig gewordene Kaiser.

War es wohl ein Hinüberwallen solcher Empfindung, daß der alte, wortkarge, stille und gütige Mann mir merkwürdig zutunlich bei unserer ersten Begegnung entgegentrat und auf der langen Fahrt zwischen den phantastischen Inseln so viel, so eingehend mit mir sprach, daß alles darüber staunte? Vielleicht war es nur, weil er fühlte, daß ich auch mit »hohen« Menschen immer nur als Mensch sprach, daß ich ihm von meinem ersten Besuch in Wien, vom alten Heß, vom Prater, von der Donau erzählte, Kindergeschichten aus Reichenhall, über die er herzlich lachte, – kein Wort Politik, keine leise Andeutung davon.

Neben dieser ehrwürdigen Figur fiel die Familie Joseph sehr ab. Der Erzherzog, Sohn des berühmten Erzherzogs »Palatinus von Ungarn«, deutete durch seinen, mit ungarischer Bartwichse spitz neben der Nase wie zwei Stacheln in die Höhe aufgeschwänzten Schnurrbart an, daß er Ungar, nur Ungar sei. Er sprach auch ungarisch-deutsch – wenn er überhaupt sprach. Sein Schweigen war vielleicht weise Einsicht der eigenen Geistlosigkeit. Dafür sprach die Gattin zuviel, neugierig, uninteressant, und alles langsam durch die große, gebogene Nase der Mutter Orleans, Clementine, der hundertfach »gerissenen« Tochter des schlauen französischen Königs Ludwig Philipp.

Ihre Tochter Dorothea Sie heiratete 1896 den » Roi de France« Herzog von Orleans, einen eitlen, liederlichen Kerl, den ich flüchtig in Wien in der Burg kennenlernte, als er aus dem Zimmer des Kaisers trat. Er hatte einen hellblauen Frack an und trug den Orden du Saint Esprit. Die Ehe wurde bald getrennt. gefiel mir noch weniger. Das Merkwürdigste aber war der junge Ladislaus, noch langsamer als die Eltern sprechend, ungarisch-deutsch. Ich fragte ihn, in welcher Garnison sein Regiment stehe? Er sagte: »Ich – stehe – bei – der Infonterie. Ober ich werd' mich – zu – der – Kovallerie – transferieren – lossen. Denn – bei – der – der – In–fonterie muß man – laufen, und – bei – der – Kovallerie – reitet mon.«

Er war dabei sehr ernst geworden. Später, vor der Insel Veglia, wo viel Adler horsten (und Kaiser Wilhelm natürlich eine Jagdpartie plante), fragte ich den armen Ladislaus, ob er schon einen Adler geschossen habe? (denn Josephs bewohnen zeitweise, wie ich bereits sagte, eine große Villa bei Fiume, ihr eigentlicher Wohnsitz ist Pest und Alcsut).

»Nein«, erwiderte der arme junge Ladislaus, »denn – mit – dem – Stutzen - hat – man – eine Kugel, – die fliegt – holt immer – vor – bei. Und – mit der – Flinten - hot's viele, – sser kloane – Kügerln – ober – die fliegen – holt net – hoch – gnug.«

»Ja«, sagte ich, »daß ist halt sehr traurig«. Er nickte sehr ernst. Man begegnet nicht alle Tage jungen Leuten, die so gottvoll dämlich sind wie der kleine Ladislaus Bei seiner Anwesenheit in Abbazia fuhr Kaiser Franz Joseph nach Fiume, um der Erzherzogin Joseph einen Besuch zu machen. Ladislaus kam langsam durch den Vorgarten geschritten und der Kaiser fragte ihn. »Ist deine Mama zu Hause?« – »Nein«, sagte Ladislaus, »der Momma ist net zu Haus«. »Man sagt nicht der Mama, sondern die Mama«, korrigierte der Kaiser. – »Aber der Momma ist – doch net zu Haus«, war die Antwort. – »Dummer Bub«, sagte der Kaiser und fuhr davon. Graf Goluchowsky erzählte mir später diese Geschichte, und als ich einst dem Kaiser Franz Joseph zufällig den kleinen Ladislaus nannte, sagte er nur: » Sser ein dummer Bub«. Aber alle hatten ihn doch wegen seiner Freundlichkeit lieb und die Familie betrauerte ihn tief als er noch ganz jung, verunglückte. Auch hierbei trug Torheit die Schuld: auf der Jagd hatte eine angeschossene Wildkatze sich in einem Gebüsch versteckt. Um sie herauszutreiben drehte er das gespannte Gewehr um, stieß den Kolben hinein, das Gewehr entlud sich, und der Schuß traf ihn in das Herz..

Nach der Heimkehr um ½6 Uhr begab man sich hinüber auf das Schiffsjungen-Schulschiff »Moltke«, das reizend dekoriert war – wie ein großer Salon von Flaggen und Blumen. Dort war eine große Gesellschaft aller hier anwesenden notabeln Österreicher und Ungarn mit ihren Damen geladen.

Die Majestäten waren sehr liebenswürdig, und ich lernte viele Menschen kennen. Um 7 Uhr hatte man reichlich genug. Die Majestäten verließen das Schiff, und während noch alles an Bord war, liebenswürdig kausierend und lächelnd – wurden plötzlich etwa 50 Kanonenschüsse abgefeuert! Salut für Kaiser Franz Joseph, der von Bord ging. Die Damen rannten wie die Wahnsinnigen hin und her und natürlich immer dahin, wo gerade wieder geschossen wurde, denn abwechselnd fiel ein Schuß an Steuerbord und einer an Backbord. Ein ganzer Haufen Damen lief sogar nach oben auf die Kommandobrücke des Kapitäns. Natürlich war aber doch alles »entzückt« und »geschmeichelt« – denn bei solchen Gelegenheiten sind selbst 50 Kanonenschüsse zu vertragen.

Zu Hause zog man sich um und erschien zum Souper bei den Majestäten.

Die Unterhaltung war keine sehr lebhafte, da der Kaiser Franz Joseph einsilbig ist.

Die Kaiserin trug bei dem Souper ein mattrosa Kleid mit Samtpuffärmeln – dazu sehr hohe Frisur, und den Schmuck, den ihr Kaiser Franz Joseph als Pate von Prinz Joachim geschenkt hat: eine große Schleife von Rubinen und Diamanten.

Um 1/2-9 Uhr erfolgte die Abreise. Kaiser Wilhelm brachte seinen Gast bis Matuglie. Alles andere ging schlafen.

 

30. März 1894.

Ausfahrt mit den Majestäten auf der »Cristable« um die Insel Veglia, von früh 3/4-11 bis abends 1/2-7 Uhr. Eine zauberhafte, schöne Fahrt! Nachmittags landeten wir an der dalmatinischen Küste bei der kleinen Stadt Zenk. Ich ging mit der Kaiserin und den beiden Damen an Land, wo die ganze Bevölkerung auf dem hübschen Marktplatz zusammenlief. Es war wie auf dem Theater, so unwahrscheinlich malerisch. Die Kaiserin führte 8 barfüßige Jungen in einen Schuhladen und kaufte ihnen rote Lederschuhe, verteilte auch Brot und Orangen. Sie war so gut und heiter dabei!

Gegen Abend kehrten wir heim. Die Küste ist merkwürdig öde und tot. Aber schön sind die Farben der Felsen und des Wassers.

Ich hatte unterwegs leider allerhand Politik mit dem Kaiser zu besprechen. Es geht immer der furchtbarste Ernst zwischen den bunten Eindrücken spazieren.

31. März 1894.

Morgens stets Vortrag beim Kaiser und viel Arbeit. Nach dem Essen um ½4 Uhr großes »Tennis«. Ich spiele gegen den Kaiser und eine Komtesse Pálffy, die vortrefflich spielt. Daneben die Kaiserin mit den Prinzen.

Die Kaiserin geht um 10 Uhr zu Bett. Wir Herren bleiben bis 11 Uhr zusammen. Unbequem ist es für mich, daß ich etwa 5 Minuten zu meiner Villa Laura zu gehen habe. Alle Augenblicke kommen Depeschen, die ich oben erledigen muß, dann wieder muß ich zum Kaiser und dazwischen mich umziehen. Morgens: Promenaden-Kostüm, zum Frühstück: schwarzer Überrock. Geht man zur Yacht: Yachting-dreß, geht man zum Tennis: Tennis-dreß, zum Abendessen: Frack und schwarze Krawatte. Es ist häufig alles so eilig, daß ich, während ich mich wasche, Kistler oder Hofrat Taege die wichtigsten Depeschen in die Feder diktiere.

Pola

6. April 1894.

Wir hatten uns gestern abend auf die »Tristable« begeben und saßen mit dem Kaiser, Bier trinkend, noch eine Stunde zusammen. Lyncker, Leuthold, Plessen und ich. Vor Tagesanbruch fuhren wir nach Pola. Vorher noch war der Kaiser hinüber auf die »Moltke« gefahren, um als Admiral auf der Kommandobrücke des »deutschen Kriegsschiffes« all den Kanonendonner als Salut in gehobener Stimmung in Empfang zu nehmen, mit dem sich wahrhaftig die Marine bisweilen lächerlich macht. In Pola war es nahezu unerträglich. Ging Se. Majestät an Bord der »Moltke«: 25 Schuß. Nun Besichtigung aller im Hafen liegender Kriegsschiffe. Sobald er ein Schiff bestieg: 25 Schuß. Ging er von Bord dieses Schiffes: 25 Schuß. Mit einer Pinasse zu dem nächsten Schiff: 25 Schuß – von Bord: 25 Schuß usw., usw. So ging es den ganzen Tag. Warum in aller Welt nicht Salut bei Ankunft der »Moltke« und Salut bei Abfahrt von Pola? Wäre das nicht genug?? Ich sah mir währenddessen die Stadt an, die malerisch und interessant ist mit dem Tempel aus der Römerzeit und dem berühmten, gut erhaltenen Amphie-Theater. Auch schöne Brunnen waren zu sehen – aber sobald man sich über etwas Schönes freute: 25 Schuß! Das war wirklich um toll zu werden. Dazu mußte ich auch noch allerhand dienstliche Sachen auf der »Cristable« erledigen, und sobald ich einen komplizierten Satz zu schreiben anfing: 25 Schuß. Natürlich war der Satz weg!

Endlich schwieg die Kanonade. Die große Festtafel im Marine-Kasino begann: der Kaiser hatte bald die gesamte österreichische Marine davon überzeugt, daß die Zukunft Österreichs auf dem Wasser läge. Admiral Baron Sterneck, neben dem ich gegenüber vom Kaiser an der Tafel saß, hatte mit Tegetthof 1866 die berühmte Seeschlacht bei Lissa gegen die Italiener gewonnen und höchst eigenhändig das Flaggschiff des italienischen Admirals in Grund gebohrt oder geschossen. Auch hatte er (mit Payer und Graf Wilczek) die Nordpolexpedition geführt und Franz-Joseph-Land in Besitz genommen. Sterneck war also der Seeheld, der sich gern sagen ließ, daß die Zukunft Österreichs auf dem Wasser liege. Jedenfalls war Sterneck in gehobenster Stimmung, und die Unterhaltung mit Sr. Majestät über den Tisch hinüber wäre ganz besonders interessant gewesen, wenn Sterneck sich am Nordpol nicht ein Ohr erfroren hätte und darauf taub war. Aber er war doch begeistert.

Mich begrüßte er besonders warm als neuen Botschafter in Wien. »Ich sei musikalisch. Er habe eine Freundin, Baronin Türck-Rohn, die sänge nichts als meine Rosenlieder. Sie habe eine großartige Stimme und sei sehr schön, sehr schön. Jetzt sänge sie in Leipzig.« »In einem Konzert?« fragte ich. »Nein, in etwas anderem«, – er habe vergessen, was es sei. »In einer privaten Aufführung?« – »Nein. Es ist halt – ich hab' den Namen vergessen – sehr eine große Sache, eine berühmte Sache, von –«. »Nun«, sagte ich, »Exzellenz meinen vielleicht ein Oratorium?« »Ja!« – rief er glücklich – »ein Oratorium, von – von« – »Etwa von Haydn?« - »Ja, von Haydn!« – »Vielleicht die Jahreszeiten?« »Nein – nein! – jetzt hab' ich's: die Götterdämmerung!« Ich griff schnell nach einem Glas Champagner und verschluckte mich absichtlich, denn es war nicht möglich, bei dieser Götterdämmerung nicht zu lachen.

Das Beste des großen Festes war die Militärmusik, die Kapelle, die im wesentlichen aus Streichinstrumenten bestand und von einem begabten jungen Kapellmeister vortrefflich dirigiert wurde. Ich ließ ihn nach dem Essen rufen und bedankte mich. Sein Name war Léhar!!

Erzherzog Stephan ist ein liebenswürdiger Mensch ohne besondere Bedeutung.

Ich war recht froh, als wir uns endlich um 10 Uhr auf die »Cristable« begaben, denn das Fest war langweilig. Da mich Schiffe nicht interessieren, so ermüdet mich eine jede Marine-Konversation. Die Götterdämmerung war wenigstens eine Erholung, und Léhar dirigierte ausgezeichnet. Leider war mein Schlaf trotz ruhiger Fahrt diese Nacht miserabel. Ich glaube, daß das infame Salutschießen mich nervös gemacht hatte. Für eine Seeschlacht scheine ich mich nicht zu eignen.

Venedig.

7. April 1894.

Morgens, nach dem Frühstück, siedelten wir nach unendlichem Signalisieren von der »Cristable« auf die »Moltke« über. Es war ein schöner heller Tag. In der Ferne waren die Berge der Küste sichtbar, dann tauchten auch die Türme Venedigs aus den blauen Fluten auf, zuerst der göttliche Campanile. Als wir uns Malamocco näherten, das mit einem Fort auf Lagunen Venedig vorgelagert ist, zeigten sich allerhand kleine Dampfer und Segelschiffe, die augenscheinlich die Ankunft des Kaisers erwarteten. Darunter befand sich auch eine Pinasse, die Bülow brachte, der zu unser aller Freude glücklich die »Moltke« bestieg, wo dann sofort hundert Fragen an ihn gestellt wurden und die Politik, die unvermeidliche, ihren Dunst entwickelte. Dann aber begann der Salut von den kleinen Forts am Eingang der Fahrrinne nach Venedig und von einigen italienischen Kriegsschiffen. Der aber machte einem anderen Geräusche Platz, das denn doch jeder Beschreibung spottete: Eine ganze Reihe von kleinen Dampferchen, Kopf an Kopf mit neugierigen Venezianern besetzt, hatte ein jedes ein Musikkorps an Bord und jedes Musikkorps dieser Dampferchen, die wie ein Flug schwarzer Krähen die weiße »Moltke« begleiteten, spielte »Heil dir im Siegerkranz« und die galoppschnelle italienische Hymne. Jedes für sich, durcheinander, Musik und Takt wie einen grauenvollen Salat zusammenwirbelnd – ich hörte niemals Ähnliches, hatte mir auch nicht gedacht, mit solchen Mißklängen der göttlichen Piazetta entgegenzudampfen, vor der im Angesicht des Dogenpalastes die »Moltke« vor Anker ging.

Fast in demselben Augenblick hatte sich eine königliche Gondel, von sechs in rote Livree gekleideten Gondolieren geführt, mit König Umberto von dem nahen Palazzo reale in Bewegung gesetzt. Die Gondel flog auf die »Moltke« zu. An dem Fallreep hatte der Kaiser sich mit uns aufgestellt, und eilig schritt König Umberto hinauf, um den Kaiser zu umarmen. Unter ihm wurde die erste Salut-Kanone abgeschossen, und zwar in dem Augenblick des Monarchen Kusses.

Nun erfolgte die Vorstellung: » Voilà mon ami, l'ambassadeur Comte d'Eulenburg« – Bum! – » L'admiral de Senden« – Bum! – » Le général de Plessen« – Bum, Bum! – usw. Sehr eindrucksvoll.

Was mir aber bei dem ersten Schuß jede würdevolle Haltung raubte, war die Wirkung auf zahllose Gondolieri, die, um die Monarchenbegegnung aus nächster Nähe zu sehen, mit ihren schwarzen Gondeln sich an den weißen Schiffsleib der »Moltke« angelehnt hatten. Bekanntlich rudern die Gondolieri hinten auf dem Heck der Gondeln hoch stehend. Sie ahnten nicht, daß geschossen werde. Plötzlich dröhnte der erste Schuß dicht über ihre Köpfe hin, und wie mit einem Schlage sah ich wohl 10-12 Gondolieri von dem hohen Stand in die Gondel fallen, mitten zwischen die Insassen. Ein fürchterlicher Schrei erscholl, – ungeheures Gelächter folgte.

Nach der Begrüßung und Vorstellung des Schiffskommandanten und der ersten Offiziere begaben sich der König mit dem Kaiser und dem Gefolge in Gondeln und Pinassen zum Palazzo reale.

Der Palazzo, mit seinem grünen Vorgarten auf einer Terrasse, liegt am Eingang des Canale grande, neben der Piazetta. Die Gebäude, die gegenüber der St. Markuskirche an der Piazetta liegen, sind die berühmten Prokuratien, in denen früher die Senatoren und höchsten Beamten der Republik wohnten. Der Palazzo reale ist somit ein Teil der Prokuratien. Er nimmt den Raum zwischen dem Markusplatz und dem Canale grande ein.

Der Hofmarschall führte die Majestäten und uns zu den Wohnräumen. Der Kaiser bewohnte die Zimmer im ersten Stock, wo die Prokuratien die Ecke der Piazetta und des Canale grande bilden. Ich hatte mein Quartier daneben, zwei Salons, ein Schlafzimmer und Dienerzimmer. Daß ich jemals an der göttlichn Piazetta wohnen sollte, gegenüber St. Marco, der in tausend Sonnenlichtern glänzte, den herrlichsten Platz der Erde zu meinen Füßen, mit dem Blick zum Meer, auf dem sich Hunderte von Gondeln und Schiffen in festlichem Kleide und festlicher Bewegung tummelten, das hatte ich nicht erwartet und nahm es dankbar als eine ganz besondere Freundlichkeit des Himmels entgegen, der sich dazu auch wohl meinen gütigen Wirt, König Umberto, als Vermittler ausgesucht hatte, – den freundlichen, liebenswürdigen Sohn des durchaus weder freundlichen noch gütigen Re galantuomo Vittorio Emanuele.

Um 1 Uhr wurde ein Frühstück auf dem Zimmer serviert. Der König fand sich dazu bei dem Kaiser ein. Ich begab mich nach dem Frühstück hinüber und fand beide gemütlich rauchend auf einem riesengroßen grünseidenen Sofa in dem prächtigen Salon mit der göttlichen Aussicht sitzend. Ich mußte Platz nehmen, eine Zigarette anstecken und in die Unterhaltung tauchen, bei der man sich politisch in den Armen lag: schöne Worte wie bei Geburtstagen und Neujahr. – Mit Österreich ginge es nicht so leicht, – aber mit Nigra Graf Nigra, italienischer Botschafter in Wien. Eine berühmte Persönlichkeit. werde ich alles in schönstem Gleichgewicht halten, – vor Kaiser Wilhelm liege ganz Italien auf den Knien, on l'aime comme un dieu, usw ... (Man kennt das. Aber dem guten Kaiser ging es doch glatt hinunter.)

Nachher schlief der Kaiser, und ich machte mit Bernhard Bülow einen langen Spaziergang auf der Riva dei sciavoni, bei dem leider nicht die rosige Stimmung wie oben in den Prokuratien herrschte. Die unerträgliche Lage in Berlin ging hinter uns her wie eine knurrende Dogge. Selbst der vielgewandte Bernhard wußte keine Medizin dafür. Er war doch nicht auf alles gefaßt, was ich ihm zu erzählen hatte.

Um 4 Uhr mußte (unvermeidlich!) ein italienisches Kriegsschiff besichtigt werden, worüber Plessen eine derart echte Freude heuchelte, daß ich mir denn doch Gedanken über seine berühmte Ehrlichkeit machte. Ich jedoch hatte die Stirn, Se. Majestät zu bitten, mich zu beurlauben, da ich San Marco »hübscher« fände als ein Kriegsschiff. Das fand der Kaiser berechtigt und ließ mich laufen. Bernhard hatte zu telegraphieren, ich setzte mich in eine Gondel und fuhr den Canale grande entlang – herrlich! Ich nahm auch Kistler und Emanuel Sekretär und Leibjäger. mit, an deren Begeisterung ich mich noch besonders freute. Wie schön ist es doch, alte Freunde wiederzusehen, und da standen sie alle noch aufgereiht: Maria della Salute, die Ca' d'oro, die Rialtobrücke und alles Herrliche.

Bei einem Antiquar, der mit Marmorsachen handelte, stieg ich aus und kaufte für Liebenberg einen hohen, runden Wassertrog mit Figuren in Relief aus spätrömischer Kaiserzeit und einen kleinen Brunnen von rötlichem Marmor.

Der Kaiser hatte mich um 1/2-6 Uhr ins Arsenal bestellt. Ich fuhr mit ihm und dem König in der offiziellen Gondel zum Palazzo reale und von dort in einer schwarzen Privatgondel von einer »inoffiziellen« Treppe aus mit den beiden Majestäten allein durch lauter kleine Canalettis inkognito durch die Stadt. Der Kaiser wollte gern einmal Venedig »privatim« wiedersehen, und das ließ sich, da die kleinen Kanäle keine Fußsteige an den Häusern haben, leicht bewerkstelligen.

Neugierige, die am Canale grande in der Nähe des Palazzo reale standen und wohl die Könige erkannt hatten, vermochten nicht zu folgen. So war denn das Unternehmen wirklich gut geglückt. Der Kaiser in seinem Yachting dreß, der König mit »Interimsmütze« und einfacher Offiziers-Uniform, ich in Zivil. Der König wurde nur einigemal erkannt, wenn wir eine Brücke passierten. Man sah uns kommen, irgendeiner schrie: »Eviva! eviva il re!«, alles klatschte wie toll in die Hände und hing sich über das Geländer, – stürzte zu der andern Seite, wenn wir die Brücke passierten, hing sich wieder über das Geländer, so daß wir die klatschenden schmutzigen Hände dicht über unsern Köpfen sahen. Dann aber ging es weiter auf den stillen, menschenleeren Wasserstraßen, an verfallenen Palästen, herrlichen Details von Architektur, malerischen Winkeln und an einem verlassenen kleinen Gärtchen neben einem Palazzo vorüber, wo eine einsame hohe Zvpresse wie ein Wunder von Schönheit in ihrer Gestalt und Farbe neben dem Schimmer verwitterter Mauersteine stand.

Einmal fiel einem zu arg klatschenden und »Eviva il Re!« schreienden Bengel die Mütze von der Brücke in die Gondel, – ich habe niemals ein solches Gekreische vor Vergnügen gehört als bei diesem Ereignis. Wir mußten halten. Der Gondoliere reichte dem Bengel die Mütze wieder und einen 10 Lire-Schein, den ich schnell aus der Tasche zog. Nun wurde bei diesem Halt aber auch der Kaiser erkannt, und da ging das »Eviva l'imperatore« an, mit dem Gekreisch, das man eigentlich nur aus den Kehlen von italienischen Weibern in solcher Schärfe zu hören bekommt, – es mag in der Sprache oder in der Konstruktion südlicher Gaumen liegen. Aber es flogen bei diesem Halt auch Fenster an den alten, steilen hohen Häusern auf. Überall zeigten sich ungekämmte Weiberköpfe, und man schrie, schwenkte mit Windeln und schmutzigen Tüchern, halb nackte kleine Kinder wurden zum Fenster hinausgehalten, um auch die Bambini teilnehmen zu lassen, was sie redlich von oben und unten besorgten, die armen Dinger. Noch weit entfernt von der ominösen Mütze hörten wir das begeisterte »Eviva« und lachten uns halbtot über alles, was da zu sehen war. Auch König Umberto machte es Spaß, – weil es uns Spaß machte. Denn ihm waren derartige Ergüsse von Enthusiasmus als Italiener keine Neuigkeit.

Der König gefiel mir stündlich besser. Ich habe niemals einen so wild aussehenden Mann von solcher Gutmütigkeit gesehen. Uber dem großen, kühn zur Seite gestrichenen grauen Schnurrbart, der die zusammengekniffenen Lippen bedeckte, blitzten zwei große, braune Augen, von dunkeln, dichten Brauen beschattet, und wenn er sprach, stieß er immer zwischen den Worten ganz kurz und hart »A« hervor. Doch alles, was er sagte, seine Gedanken, seine Empfindungen, trugen den unverkennbaren Charakter größter Güte, – fast Schwäche. Der wilde Ausdruck war eine ihm zur zweiten Natur gewordene Pose. Er wollte auch der macht- und kraftvolle Mann und König sein, wie sein Herr Vater, und äußerlich war es ihm fast geglückt. Ich sah diesen Vater auch einmal in meinem Leben: das war 1872 in Rom in der Villa Doria Pamphili. Er fuhr Schritt in dem Park spazieren. Rotgeschminkte Backen, böse Augen, kohlschwarz gefärbter breiter schwarzer Schnurr- und Knebelbart, unförmlich dick. Neben ihm die berühmte Gräfin Mirafiori (d. h. auf deutsch etwa »Wunderblume«) – seine Gattin »zur Linken« mit einer Vergangenheit, die auf ihrem dicken aufgedunsenen Gesicht ausgebreitet wie eine Anklage lag. Sie war genau wie der Re galantuomo angestrichen.

Wenn der Vater Umbertos Italien – das ganze Italien – mit dem Gesicht einigte, so kann man ungefähr verstehen, daß der Sohn an diesen Vater zu erinnern wünschte. Wir kehrten nach 7 Uhr von der reizenden Fahrt zurück und machten Toilette zu der großen Tafel, die um 8 Uhr im Saal des Palazzo reale stattfand. Ich saß rechts neben dem König, links Bülow, der Kaiser gegenüber mit den obersten Italienern von Marine und Militär.

Nach der Festtafel, an der etwa 30 Herren teilgenommen hatten, wurde lange rauchend »gecerclet«. Plötzlich erstrahlen alle Fenster des Saales in hellem Glanze: in geradezu feenhafter Beleuchtung waren San Marco, der Dogenpalast, die Piazetta, alle Säulengänge, die Architektur der Dächer mit Tausenden von elektrischen Flammen besetzt, während bengalisches Licht an den unwahrscheinlichsten Stellen merkwürdige Effekte gab. Es war wie ein phantastischer Traum.

Dann zogen sich die Majestäten zurück in die Zimmer des Kaisers, wohin Bülow und ich zitiert wurden. Da ging denn wieder die Politik an, – und ich bewunderte Bülow, wie glänzend er die italienischen Fragen behandelte, und freute mich, wie der berühmte Engelbrecht Der deutsche Militärattaché in Rom. (der als Flügeladjutant des Kaisers auch nach Venedig zitiert war) – die bête noire Bülows, – dabei ins Hintertreffen geriet.

Wir saßen wohl bis ½12 Uhr zusammen, und ich verlängerte den Abend noch durch eine lange Zwiesprache mit Bülow in meinem Zimmer, die wohltuend auf mich wirkte, da nichts auf Erden so beruhigend ist als die Möglichkeit einer völlig offenen Aussprache in schwierigen Lagen des Lebens. Es war bald 1 Uhr, als Bernhard ging.

Sonntag, 8. April 1894.

Als ich erwachte, wurde ich von dem seltsamen Gefühl erfaßt, tatsächlich in einem Gemach der Prokuratien zu liegen, in demselben Raum, in dem zu der Zeit der Größe und des Ruhmes Venedigs einer der Ersten des Staates gelebt, gedacht, geliebt und gehaßt hatte, – einer der »Ersten der Republik«, - denn nur diese Räume empfingen ihr Licht von der Piazetta, und nur von hier konnte man überblicken, was sich an Festtagen, bei großen Ereignissen des meerbeherrschenden Venedigs vor San Marco abspielte, von hier sah man den Dogen auf dem goldenen Buzentaur zum Meer hinausfahren, um Venedig dem Meere zu vermählen, den Ring von dem goldenen hohen Bug hinabzuwerfen, – von hier sah man, wie die Landesverräter zwischen den beiden Säulen der Piazetta hingerichtet wurden (ein häufiges, gern gesehenes Schauspiel, zu dem der Senator wohl seine schönen Freundinnen lud) – hier, in diesen Räumen hatte wohl oft genug der große Tizian geweilt, dem ein Leben von über 90 Jahren beschieden war. Ganz überwältigt von solchen Erinnerungen war ich aus dem Bett gestiegen und hatte mich an das Fenster gestellt, ganz versunken in die Herrlichkeit und den Zauber dieser Piazetta.

Da wurde ich höchst unangenehm durch meinen Leibjäger gestört, der mir meldete, daß der Oberst von Engelbrecht fragen ließe, ob ich ihn empfangen könne? – Welcher Gedankensturz!

Also Engelbrecht. »Ich lasse den Herrn Obersten bitten, im Salon zu warten.«

Im Salon stand das Frühstück: englisch mit allerhand Fleisch. »Was verschafft mir die Ehre dieses frühen Besuches?«

Engelbrecht mit seinem süßen Lächeln und seinem beweglichen Rücken, den dunkeln Haaren und der Hyperhöflichkeit glich einem gewissen Kommis bei Gerson in Berlin, der immer meiner Mutter die Honneurs des Geschäftes machte, wenn ich sie dorthin begleitete, um ihr bei der Auswahl von Mänteln behilflich zu sein. Engelbrecht sagte, daß ihm der Gedanke gekommen sei, der Kaiser wolle vielleicht der Kaiserin irgendein Geschenk als Überraschung mitbringen, und da habe er etwas gefunden, was großartig sei, einzig in seiner Art.

»Und weshalb wollen Sie die Sache nicht dem Kaiser zeigen?« »Ja«, antwortete er und holte ein großes Etui von Leder hervor, »ich glaubte, daß Ew. Exzellenz vielleicht besser als ich den Kaiser überreden könnten, das Geschenk zu kaufen.«

Engelbrecht sagte mir, es sei ein Gelegenheitskauf. Ein großartiges Geschäft. Ich hätte wohl von dem Bankrott des Fürsten Borghese in Rom gehört? Allerhand Kunstwerke seien jetzt in den Handel gekommen. Durch seine ausgezeichneten Verbindungen mit allen großen Häusern in Rom habe er auch einen Schmuckgegenstand in die Hände bekommen, der höchst interessant und ungemein preiswert sei. Es handle sich um ein Diadem der berühmten Fürstin Borghese, Schwester Napoleons, was man »unter der Hand« verkaufen wolle. Er öffnete nun das Etui und zeigte ein sehr schönes Diadem. Diamanten und große Smaragden im reinsten Empire-Stil gefaßt, es sollte zwischen 30 und 40000 Francs kosten. Übermäßig teuer fand ich es nicht, – aber ich sagte sehr rücksichtsvoll, daß die Kaiserin den ganzen Kronschmuck Preußens trage, der ganz auffallend schön und reichhaltig an Diademen jeglicher Art sei. Engelbrecht fing nun an, das Diadem zu preisen. »Abgesehen von der Schönheit der Steine und Form, habe es noch den großen historischen Wert, daß es die berühmte Schwester Napoleons getragen habe.« Nun aber fühlte ich, daß mein Ärger zu groß wurde, um höflich abzulehnen. »Kennen Sie die Fürstin Borghese?« fragte ich. – »Wie meinen Exzellenz? – Die jetzige Fürstin?« – »Nein«, sagte ich, »die Fürstin Pauline Borghese, die ›berühmte‹ Schwester Napoleons, habe ich das Vergnügen zu kennen, und ich habe sie ganz nackt gesehen, denn sie hat sich von Canova – so viel ich mich erinnere, nur mit einem Diadem bekleidet, – vielleicht mit diesem – in Marmor modellieren lassen. Sie fand sich selbst nackt zauberhaft schön, das fanden fast alle, jedenfalls sehr viele Herren. Besonders auch ihr Bruder Napoleon. Wenn Sie das Diadem Sr. Majestät anbieten, Herr Oberst, – da ich leider nicht unter diesen Umständen in der Lage bin, es zu tun, – so könnten Sie vielleicht dem Kaiser von dieser meiner Bekanntschaft mit der schönen Pauline Mitteilung machen.«

Er wußte natürlich ganz genau, wer Pauline Borghese war, und ganz genau, daß der Kaiser nicht gerade wünschen könne, daß seine Gattin, die deutsche Kaiserin, Paulinens Diadem trüge. Deshalb ließ er es darauf ankommen, ob ich vielleicht, ohne eine Ahnung von Paulinen zu haben, dem Kaiser das Diadem anschwindeln könnte.

Und das war der Engelbrecht, für den der Kaiser sich so sehr einsetzte, als seitens des Auswärtigen Amtes Klagen wegen seiner Intrigen einliefen, um sich zum Botschafter in Rom aufzuschwingen! Der Kaiser schrieb mir damals ganz erregt: Daß er sich die Angriffe gegen Engelbrecht verbäte, denn Engelbrecht sei sein Kamerad und sein Flügeladjutant!!

Gott weiß, wie leid mir der Kaiser in seinem totalen Mangel an Menschenkenntnis tut! Es ist rührend, wie er für die Leute eintritt, die seine Adjutantenschnüre tragen.

Ich lud Engelbrecht nicht ein, mit mir zu frühstücken, sondern war noch rücksichtsvoll genug, ihm zu sagen, »ich bedauere es in seinem Interesse, daß er das Geschäft nicht abschließen könne«, und machte ihm eine Verbeugung, die er richtig so verstand, daß ich nun allein zu frühstücken wünsche.

Ich ließ alles Fleisch und alle Eier stehen und trank zur Beruhigung eine Tasse Tee, – die mich aber auch nicht beruhigte. Dem Kaiser gegenüber schwieg ich natürlich von dieser Diadem-Geschichte. Was wäre dabei herausgekommen? Bülow ist ja nun Botschafter und klug genug, um Engelbrecht im Zaume halten zu können.

Um 10 Uhr sollte Gottesdienst auf der »Moltke« sein, zu dem der Kaiser und die militärische Begleitung fuhr. Ich hatte mich dispensieren lassen, da ich viel Depeschen und dienstliche Sachen erledigen mußte – nicht zum wenigsten aber auch, weil es der letzte Tag mit Bernhard Bülow war, mit dem ich noch manches zu bereden hatte. Wir frühstückten um 12 Uhr gemütlich zusammen in meinem Salon.

Die gestrige Gondelpartie hatte den Kaiser derartig begeistert, daß sie heute wiederholt werden mußte, unter dem denkbar größten Inkognito. Das gelang auch leidlich gut – bis auf das bekannte Händeklatschen und ein unerhörtes Eviva, als wir in einen größeren Kanal einbogen. Ob sich doch vielleicht die Nachricht von der Spazierfahrt verbreitet hatte, oder ob der Gondoliere dort Freunde hatte, weiß ich nicht. Jedenfalls wurden wir nun von einigen Gondeln verfolgt, und es galt, dieser Gesellschaft zu entfliehen, die nach allen Fenstern hinaufschrie: »Ecco l'imperatore!« Eine richtige Jagd fand statt, aber es glückte unserem Gondoliere, plötzlich in einen kleinen Seitenkanal einzubiegen und in einem winzigen Hafen an einem alten Palazzo zu verschwinden, er sprang von seiner hohen Stellung herab und ließ mit Genugtuung die anderen Gondeln vorüberfahren. Sobald diese aber von dem Kanal in einen anderen einbogen, verließ er unsern Standort und fuhr eilends den Weg zurück, auf dem wir gerudert waren, – um alsdann eine andere Gegend der Stadt aufzusuchen. Das war ein Versteckspielen für die Majestäten, die sich göttlich dabei amüsierten. Wir hatten wieder Herrlichkeiten und soviel Wunderbares gesehen, daß ich noch lange an diese Fahrt denken werde.

Einmal fiel es mir plötzlich ein: was würde mein seliger Vater gesagt haben, wenn ich als Jüngling ihm 1860 einen Traum erzählt hätte, »daß ich mit dem deutschen Kaiser und dem König von Italien allein in einer schwarzen Gondel in Venedig spazierengefahren sei«. Abgesehen davon, daß er uns Kindern stets verboten hatte, Träume zu erzählen, »weil sich Kinder dabei das Lügen angewöhnen«, würde er mit Recht bemerkt haben: »So ein Unsinn!«

Das würde allerdings 1860 ein besonderer Unsinn gewesen sein, da es damals weder einen deutschen Kaiser noch einen König von Italien gab, sondern nur einen König von Preußen und einen König von Sardinien. Aber das Sonderbare war, daß, wenn ich erst vor zehn Jahren dasselbe geträumt haben würde, ich es selbst ais einen dummen Traum bezeichnet hätte, denn ich kannte damals noch nicht einmal den Prinzen Wilhelm persönlich.

Bisweilen überfällt mich eine höchst überflüssige Betrachtung der Dinge und Vorgänge und verfolgt mich eine ganze Weile. So auch hier plötzlich in einem kleinen schmutzigen Kanal. Es erschien mir als Situation unwirklich. Was hatte ich eigentlich mit diesen beiden Königen, der Gondel und dem schmutzigen Kanal zu tun? Schicksal! – pflegt man zu sagen. Und mir fiel dabei das Sprichwort ein: »Den Dummen gibt's der Herr im Schlaf.« Andrerseits hielt ich mich weder für dümmer noch für klüger als andere, - doch aber für anders als andere. Denn ich hatte stets bei außergewöhnlichen Erlebnissen, merkwürdigen Konstellationen, eigenartigen Begegnungen das Gefühl, daß mich das alles gar nichts anginge, ich fühle mich immer, wie gesagt, anders als die andern. Ohne jeglichen Ehrgeiz in der Form, die die andern quälen und beherrschen, – und dann kommt mir der Gedanke, daß vielleicht gerade deshalb, weil mich meine Sehnsucht lediglich nach Liebenberg zog, in meine stille Heimat, zu meiner Musik, meiner Malerei, zu meinen Büchern, zu meiner Mutter im Kreise meiner Augusta und der lieben Kinder, – instinktiv sich hochgestellte Personen auf allen Gebieten gern an mich anschlossen, weil sie vielleicht empfanden, daß ich tatsächlich nichts von ihnen will, – (und allerdings empfinde ich daneben den Neid so vieler, die alle der Überzeugung leben, daß ich viel will, daß es mir durch Schlauheit und Niedertracht geglückt sei, hohe Persönlichkeiten für mich zu gewinnen!). Bisweilen kommt mir wahrhaftig der Gedanke, daß sich das Schicksal hin und wieder einen schlechten Witz mit der Lebensführung eines Menschen erlaubt.

So war denn also auch diese sonderbare Gondelfahrt auf dem schmutzigen kleinen Kanal mit einem Kaiser und einem König – und das Unterschlupfen in einem kleinen Stinkhafen eines verfallenen Palastes wahrscheinlich ein schlechter Witz, eine Unwirklichkeit in einem wirklichen Leben.

Abends um 8 Uhr war wieder Festtafel, und ich saß wieder neben König Umberto. Wir waren ganz vertraulich geworden. Ich sprach kein Wort Politik. Ich erzählte allerhand überflüssige, harmlose Geschichten: was ich alles in Italien liebe. Rom, Neapel, die Städte, die ich wie meine Tasche kenne. Turin, wo ich bei Scarampis und Robilants Die alte Gräfin Robilant war eine geborene Gräfin Waldburg-Truchfeß. (Mit deren Familie durch meine Urgroßmutter Eulenburg Verwandtschaft besteht.) Ihr Vater war preußischer Gesandter am Hofe in Turin. Er hatte vier bildschöne Töchter, von denen die Gräfin[* Fußnotentext fehlt?] als junger Mensch ein paar Wochen gelebt habe, die meine lieben Freunde seien und wo ich mit ihnen im Salon einer Dame gewesen sei (nachts 1 Uhr, bei einem roten Lampenschirm, die ich für 35 bis 40 Jahr gehalten habe, die jedoch 85 Jahre gewesen sei). Ich erzählte von Mailand, wo ich sechs Wochen 1864 gewesen sei, weil meine arme Mutter dort an den Pocken erkrankte, daß ich dort für die unerhört schöne Herzogin Litta geschwärmt habe, die jeden Nachmittag auf dem Corso in einer prachtvollen Equipage spazierengefahren sei, – und daß mein kleiner Bruder nicht habe die berühmte Arena sehen wollen, weil er behauptete, »Diarena« sei irgend etwas Schmutziges. Ich fühlte, daß sich der König bei diesem harmlosen Geschwätz gut unterhielt. Vielleicht gab er mir deshalb das Großkreuz des Mauritius- und Lazarus-Ordens mit einem prächtigen grünen Band, das ich wohl selten tragen werde!

 

Robilant die schönste war, und der König Carlo Alberto (der Großvater König Umbertos) sehr gehuldigt hatte. Sie hatte zwei Kinder. Ihr Sohn war General und italienischer Botschafter in Wien (vor Graf Rigra), verheiratet mit Gräfin Edmée Clary, Tochter des Fürsten. Die Tochter der Gräfin Robilant hatte den Marchese Scarampi di Brunei in Turin geheiratet und mit ihm zwei Söhne, Alberto und Maurizio, mit denen die Großmutter mehrere Wochen 1868 in Kreuznach zur Kur war, wo ich, unzertrennlich von ihnen, mich herrlich unterhielt und von der alten schönen und liebenswürdigen Gräfin als ›Vetter‹ sehr verwöhnt wurde. So kam es, daß ich 1869 einen langen Besuch in Turin machte, um meine Freunde Alberto und Maurizio wiederzusehen. Ich wohnte im Palais Scarampi, wo in dem großen Salon mit den rotseidenen Möbeln und Vorhängen ein Heiligenbild hängt. Ein blasser, unrasierter Mönch, der mit einer unbeschreiblich traurigen Miene eine Apfelsine besieht, die er in seiner krallenartigen Hand hält. Unter dem Bilde steht mit großen Buchstaben: Sanctus Scarampus. Alberto und Maurizio kümmerten sich wenig um diesen heiligen Onkel. Eher die Mutter, die recht fromm war und Protestanten verachtete. Doch hatte sie mich gütig aufgenommen, weil die alte gütige Gräfin, ihre Mutter, behauptete, ich sei ein Engel.

9. April 1894.

Wir fuhren heute früh unter Kanonendonner und endlosen Evivas von der Piazetta auf der »Moltke« ab. Bernhard Bülow zu verlassen wurde mir schwer. Ich fühle mich angesichts der Lage in Berlin recht einsam und in Aufgaben verwickelt, die allein zu lösen mühevoll und ein sehr undankbares Geschäft sind, da ich unmöglich allen es recht machen kann, und sich so viele Menschen, die ich gern habe, in feindlicher Haltung gegenüberstehen. Stiergefechte! – und lauter rote Tücher!

Abbazia, 11. April 1894.

Gestern fand ich eine große Menge Arbeit vor, – aber was half es: ein Vortrag, bei dem im Galopp die Sachen mit dem Kaiser erledigt wurden (die man hübsch im Schritt erwägen müßte!). Dann Essen, Tennis, »Tristable« usw. Ich mußte daher auch wieder, während ich mich wusch und anzog, Staatsdepeschen diktieren und die halbe Nacht Berichte und Briefe schreiben.

Heute kam der Kaiser auf den glücklichen Gedanken, nach der Insel Therso mit der »Tristable« zu dampfen. Ich hatte ruhige Stunden in meiner Kabine für Arbeit und die Erledigung von allerhand mehr oder minder fatalen Angelegenheiten, an denen es ja in der Wilhelmstraße niemals fehlt. Der Kaiser macht zum zweiten Male dieselbe Jagdpartie auf den Felsen mit dem bewußten Führer und Jäger, und wieder sah man Geier über dem Rest des toten Pferdes schweben. Der Kaiser kam mit einem großen Geier zurück. Bei dem herrlichen Wetter und der göttlichen Beleuchtung war die Fahrt schön. Auch hatte ich sehr angenehme lange Gespräche mit der Kaiserin und amüsierte mich viel mit den lustigen Prinzen.

12. April 1894.

Abends große Abreise in dem kaiserlichen Sonderzug von Matuglie nach Wien. Der Tag war gräßlich! Arbeit, Abschied von zahllosen Menschen, die alle etwas wünschten. Fast jeder will einen Orden haben. Ich wußte nicht, wo mir der Kopf stand – und dabei die hohe Familie! – als ob es gar keine Abreise gäbe. Dasselbe Tagesleben, Tennis usw. – beneidenswert! Nicht einmal eine Handtasche selbst einpacken und niemals ein Billett nehmen – Halbgötter!

Daß nun die Tennis-Partien aufhören, tut mir nur wegen der reizenden Lilli Metternich und wegen der braven Linschi Pàlffy leid. Sie gibt sehr scharfe Bälle und warf noch zum Abschied der Kaiserin einen solchen mitten auf den Magen. »Siehste wohl!« rief nur der Kaiser, während die Arme ganz blaß aufstand und Linschi puterrot wurde. Er hatte allerdings schon öfters gesagt, die Kaiserin solle sich nicht immer auf einen Stuhl ganz in der Nähe setzen, um sein Spiel zu beobachten, es könne ihr doch einmal ein Ball an den Kopf fliegen, – nun war er an den kaiserlichen Magen geflogen und wohl nicht weniger schmerzhaft gewesen.

So lustig auch bisweilen das Spiel war, das ich sehr gern spiele, so hatte der Platz doch einen unseligen Fehler: es lagen daran drei dreistöckige Häuser, aus deren Fenstern die ganze Zeit mit Ferngläsern »zugeguckt« wurde, – und ebenso leicht konnte ein guter Schütze mit einer kleinen Büchse den Kaiser von dort aus erschießen.

Das war um so fataler, als zweimal schon durch meinen Geheimpolizisten, Herrn von Tausch von Berlin, der mir seine Beobachtungen mitteilen mußte, die Meldung an mich gelangt war, es seien italienische Anarchisten auf dem Wege nach Abbazia. Einmal kam sogar ein österreichischer Geheimpolizist (man nennt solche Leute hier »Vertraute«) von Triest gereist, um uns mitzuteilen, daß »ganz a gefährlicher Russ« unterwegs sei. Ich ließ ihn kommen und mir erzählen. »Woran ist der Mann kenntlich?« fragte ich ihn. »Er tragt halt einen Zylinderhut.« »Und hat er nicht etwa auch eine Reisemütze in der Tasche?« fragte ich den Vertrauten. »Wann der Excellenz-Herr befehlen, werde ich Genaueres zu ergründen suchen.« »Nein, lassen Sie das nur sein, – aber wie sah denn der Mann im übrigen aus, also ohne Zylinderhut?« fragte ich nun. – »Grauslich!« antwortete mit kraus zusammengezogener Stirn der Vertraute, den ich aber entließ, – nicht ohne Herrn von Tausch zu sagen, daß er sich bemühen solle, derartige Schafsköpfe nicht vorzulassen.

Dennoch – ich muß es zu meiner Schande gestehen – habe ich, wenn ich mit dem Kaiser ging oder Tennis spielte, öfters um mich gesehen, ob etwa ein Mann mit einem Zylinderhut in der Nähe sei. Auch habe ich bisweilen die Leute, die mir begegneten, genau angesehen, ob sie nicht etwa ganz besonders »grauslich« ausschauten. Aber es gab leider deren zu viele, so daß ich es aufgab. Ich fand schließlich, daß alle grauselich aussahen, wenn man sie genau anschaute, – mit Ausnahme von der kleinen Lilli Metternich, die sogar hübsch blieb, wenn sie schwitzte.

Herrn von Tausch aber beglückte ich sehr, als ich ihm einen kleinen Franz-Joseph-Orden bei der Abreise überreichen konnte. Er hatte tatsächlich den ganzen Sicherheitsdienst in Abbazia allein besorgt. Die hiesigen Lokalbehörden versagten vollkommen.


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