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Wilhelmshöhe, Ischl und Zarenbesuch in Wien

(Tagebuchblätter für die Familie.)

Kiel, an Bord der »Hohenzollern«,

Wir liefen beim Donner der Kanonen und Nebelwetter im Kieler Hafen ein, während ich unten im Salon der Kaiserin mit Cuno Moltke ein altes Lied von mir durchsah.

Kaum vor Anker gegangen, erschienen Prinz Heinrich, der Erbgroßherzog von Oldenburg und der Herzog von Holstein (Schwager des Kaisers). Ein großer Tisch wurde hergerichtet, und man setzte sich zusammen bis 12 Uhr in eifriger Unterhaltung, deren Kern sich um den Untergang des »Iltis« an der chinesischen Küste drehte. – Der Erbgroßherzog von Oldenburg war mit seiner Tochter auf der »Lehnsahn« eingetroffen und wollte eine Fahrt in die Ostsee machen, – dabei in Neuhäuser Augusta einen Besuch abstatten. Ich sagte, daß die Prinzeß gut bei uns wohnen könne. Er – und die Prinzeß, die ich am folgenden Morgen sah – freuten sich sehr darauf und baten mich, sie anzumelden.

31. Juli 1896.

Früh erschienen wieder die Prinzen zum Essen um 9 Uhr. Die kleine Prinzessin auch, und ich zeigte ihr das Schiff. Ich sprach viel mit Prinz Heinrich, der charmant sein kann, wenn er will. Sein Naturell ist sehr englisch. Um 11 Uhr war allgemeines großes Lebewohl-Sagen auf dem Schiff, und um ¼12 fuhren wir bei leichtem Regen zum Bahnhof.

Um ¾12 begann die Fahrt nach Wilhelmshöhe. Ich war vor dem Essen eine halbe Stunde beim Kaiser in dienstlichen Angelegenheiten. Wir aßen um 1 Uhr bei glühender Hitze, und der Kaiser las mit uns bis ½5 Uhr Zeitungen, dann zog sich jeder zurück. Ich schrieb politische Berichte.

Um 8 Uhr trafen wir in Wilhelmshöhe ein. Die Kaiserin und alle Prinzen waren auf dem Bahnhof. Durch eine endlose »Hurrah« rufende Menge ging es hinauf zu dem göttlich schönen Schloß und Park. Ich war hingerissen davon, und wer sich aus dieser wunderbaren Luft, die trotz Hitze erfrischend und kühlend war, fortbegibt, um anderswo noch bessere zu suchen, begeht eine Torheit. Wenn ich Kaiser wäre, ginge ich sicherlich nicht fort von hier. Allerdings würde ich die Grenzen der Absperrung gegen ein zudringliches Publikum etwas weiter stecken.

August Eulenburg Oberhofmarschall. und Knesebeck Kabinettsrat der Kaiserin. waren im Schloß. Ich hatte eine prächtige Wohnung mit reizendem Salon und schönem Blick auf den Wald. Diese herrliche Stille! –

Um 9 Uhr Souper mit den Majestäten. Wir unterhielten uns über allerhand wichtige Dinge. Ein großer Stuck- und Marmorsaal, von dem man direkt auf die weite Säulenterrasse tritt nach der Seite von Kassel, ist mit Teppichen belegt und mit den schönsten, aus dem Schlosse zusammengesuchten Empire-Möbeln (braun mit Bronze) mit roter, blauer und gelber Seide bezogen, möbliert worden.

1. August 1896.

Ich wurde durch den Jubel der kleinen Prinzen geweckt, die auf dem Platz vor dem Schloß Rad fuhren.

Um 12 Uhr ging ich mit dem Kaiser allein im Park spazieren. Herrlicher Sonnenschein, wunderbare Bäume – ich war hingerissen von soviel Schönheit. Wir begegneten nur wenig Menschen auf dem Wege zum kleinen Tempel auf der rechten Höhe, also gegenüber der Löwenburg. Mir wird diese Promenade sehr denkwürdig bleiben, sehr entscheidend für vieles wird sie sein. Wie war der Kaiser gütig, klug, einfach und klar. Ich hatte das Gefühl, daß wir uns noch näher traten als zuvor.

Um 1 Uhr Diner en famille mit den Prinzen. Der kleine Kronprinz machte eine lebhafte Unterhaltung mit mir. Lustig, kindlich und schnell von Auffassung. Nach dem Essen packte der Kaiser seine Geschenke aus Norwegen für die Kinder aus. Das Prinzeßchen sah reizend in der lappländischen Tracht aus. Auf der Terrasse spielte ich mit den Prinzen Ball, dann schlug die Scheidestunde.

Ich fuhr mit Dr. Leuthold zur Bahn nach Kassel und mit Lunker Hausmarschall Freiherr von Lynker., der zu seiner Frau nach der Schweiz fährt, bis Friedelhausen, wo der Schnellzug für mich hielt.

Schwerin Graf Karl Schwerin, der Erbe von Schwerinsburg, wohnte damals in Friedelhausen, dem Besitz seiner Gattin Louise, geb. Freiin von Nordeck Rabenau, einer hochbedeutenden Frau und Dichterin die wir als unsere treueste Freundin liebten und verehrten. Leider erlebte sie nicht, daß ihr jüngster Sohn Eberhard meine liebe Tochter Adine heiratete. war auf der Bahn. Es regnete. Er sah entsetzlich elend aus. Im Schloß fand ich Louise Schwerin und die reizenden drei Kinder. Nach einem leider nur zu kurzen Aufenthalt von wenigen Stunden bei den lieben Freunden in dem schönen Friedelhausen brachten mich beide Schwerins bis Gießen. Dort fuhr ich verspätet ab und hatte in Frankfurt eine große, höchst fatale Aufregung wegen meiner verschwundenen Handtasche mit allen meinen wichtigen politischen Papieren! Im letzten Augenblick fand sie sich. Ich hatte sie beim Umsteigen zwei Beamten übergeben, die damit verschwanden.

Ich hatte mir überlegt, daß ich die Nacht in Aschau sein könnte, wo einen Besuch zu machen ich mir längst vorgenommen hatte. Und welche Freude machte ich meinem guten Kistler Geheimsekretär Karl Kistler. (Seit 1886 in meinen, jetzt in Staatsdiensten.) damit. Er holte mich abends von Prien ab und brachte mich in sein reizendes Elternhaus, das an Wiesen unter Birnbäumen in dem von herrlichen Fels- und Waldbergen umrahmten Tal gelegen ist. Ich schreibe diese Zeilen in dem hübschen Fremdenzimmer des ersten Stockwerkes. Vater Kistler ist leider total verändert, er ist ein magerer, kranker, alter Mann geworden. Ich fürchte, daß sein Leiden unheilbar ist. Wir aßen in dem hübschen Eßzimmer zu Abend.

3. August 1896.

Ich verlasse morgens Aschau und treffe unterwegs Bülow Bernhard von Bülow, Botschafter in Rom., der vom Semmering kommt, um mich zu sehen. Wir fahren zusammen nach Hallstadt, wo wir in dem entzückenden Hotel Seeauer, nach nicht endenwollenden politischen Gesprächen, nächtigen. Leider regnet es.

4. August 1896.

Morgens fahre ich allein nach Aussee, wo mich die alten Hohenlohes Hohenlohe hatte mit seinem Abgang gedroht. sehr freundschaftlich empfangen. Die Fürstin nicht ohne Stichelei, denn ihr Mann hat ihr natürlich mehr von der scheußlichen Kanzlerkrise Reichskanzler. erzählt, als gut war. Die Unterhaltungen sind ganz unbeschreiblich schwierig, und was ich erreichte, wohl genug, um zufrieden zu sein. – Jedenfalls mehr Konzession an den Kaiser, als ich erwartet hatte, aber ich war wie zerschlagen. Die ewigen Krisen und Schwierigkeiten, durch die ich gegensätzliche Naturen lotsen soll, um Frieden zu halten, – dazu die große Sehnsucht nach den Meinen – das zermürbt mich schließlich ganz, und ich war bei der Rückkehr nach Hallstadt mehr tot als lebendig. Lange kann es so nicht weitergehen, meine Kräfte und Spannkraft lassen sichtlich nach.

5. August 1896.

Morgens fahre ich nach Ischl.

Aus einem Brief an den Kaiser.

Wien, 7. August 1896.

... Kaiser Franz Joseph wollte mich um 12 Uhr am 5. August empfangen, und ich fuhr bei strömendem Regen zur kaiserlichen Villa, wo mich Flügeladjutant Graf Alberti empfing und direkt zum Kaiser führte. Se. Majestät lud mich in seinem Arbeitszimmer sofort ein, Platz zu nehmen, und begann nach Ew. Majestät Ergehen, nach dem Befinden Ihrer Majestät, der Kaiserin und dem Verlauf der Reise zu fragen und sprach mit der innigsten Teilnahme von dem traurigen Schicksal der tapferen Besatzung der »Iltis«. Dann ging der Kaiser sehr schnell auf die Politik über Den politischen Teil dieses Schreibens siehe meine politische Privatkorrespondenz.. – Die übrige Unterhaltung betraf gleichgültige Dinge. Über die russischen Pläne bezüglich des Wiener Besuches habe ich bereits telegraphisch berichtet.

Nach der Audienz, die etwa eine Stunde währte, machte ich den anwesenden Mitgliedern der kaiserlichen Familie meine Aufwartung und besuchte Fürstin Dietrichstein (sehr russisch). Sie ist voller Aufregung über die Wiener Entrevue. Da ihr Sohn, Graf Albert Mensdorff, bei der Botschaft in Petersburg ist, weiß sie allerhand Klatsch. Die Anstrengungen des Botschafters Liechtenstein, eine Verständigung mit Rußland herbeizuführen, konnte man aus den Erzählungen der Fürstin herausriechen.

Albert Mensdorff, der ein ganz gescheiter Mensch ist, der Augapfel der Mutter, und als Enkel einer Koburg-Gotha in London als Verwandter behandelt wurde (aber als Sohn des Ministers Mensdorff von 1866, Preußen nicht liebt), hat von der Kaiserin Alix auch besondere Gnadenbeweise erhalten, und das macht die alte dicke Dietrichstein halb verrückt vor Russenglück. Ihr ältester Sohn ist mit einer Dolgorouki verheiratet. Übrigens ist in Wien der Gedanke, den Zaren in Schönbrunn zu logieren und zu amüsieren, aufgegeben – wie die Dietrichstein sagt: aus Angst vor einem Attentat – wie ich glaube, weil Lobanow Fürst Lobanow, russischer Minister des Außern. Vorher als russischer Botschafter in Wien intim mit mir. es unbequem findet, hin und her fahren zu müssen. Die Fürstin glaubt, ebenso wie der Kaiser, daß die Zarin nicht guter Hoffnung ist.

Um 3 Uhr fand das Diner in der Villa statt. Es geht sehr harmlos bei diesem Sommeraufenthalt zu, denn der Kaiser stand an der Haustür, als ich kam, und plazierte mich auch selbst bei Tisch. Gäste waren Prinz Leopold von Bayern mit Gemahlin (älteste Tochter des Kaisers) und zwei Söhnen. Der älteste 16jährige verlegen im Frack, der jüngere rothaarige verlegen ohne Frack. Erzherzogin Valerie (zweite Tochter des Kaisers) – ganz außerordentlich guter Hoffnung, Hofdame Festetics, Baronin Limpök, Hofdame der Prinzessin Gisela, Graf Paar (Generaladjutant), Graf Bellegarde (Obersthofmeister der Kaiserin) und zwei Flügeladjutanten. Die Kaiserin zeigte sich nicht. Es wurde wieder namenlos schnell serviert. Der Kaiser wird immer ungeduldiger beim Essen. Ich erzählte bei andächtiger Stille unsere Walfischjagd, mußte dann Prinzessin Gisela unterhalten – was mir entsetzlich mühsam war, denn trotz ihrer 40 Jahre ist sie noch immer verlegen wie ein Backfisch aus einem Pensionat und errötet, wenn man ihr sagt, daß man Pflaumen gern ißt.

Nach dem Diner amüsierte sich der Kaiser sehr über meine Schilderung unseres Abenteuers mit den Franzosen in Norwegen Ein französischer Passagierdampfer war festgekommen, und das uns begleitende Kriegsschiff rettete Schiff und Besatzung., dann wurde ich entlassen, das Fest hatte sein Ende.

Ich fuhr nun zu der berühmten Frau Kathi Schratt (ich weiß, daß man dafür sehr dankbar ist). Ich unterhielt mich vortrefflich mit der charmanten Dame. »Wie ist jetzt Ihre Tageseinteilung?« fragte ich sie. – »Um 5 Uhr stehe ich auf«, erzählte sie, »dann gehe ich in die Ischl Ein eiskaltes Gebirgswasser! ein Bad nehmen, nachher – gegen 7 Uhr – kommt der Kaiser zum Frühstück und bleibt bis gegen 10 Uhr. Ich begleite ihn bis zur Villa. Darnach ruhe ich und esse, und um 3 Uhr gehe ich mit beiden Majestäten – mag es regnen oder nicht - auf die Berg', 3-4 Stunden lang. Da können Sie glauben, daß ich gern um 8 Uhr zu Bett geh'.«

Damit hatte mein Aufenthalt in Ischl sein Ende erreicht ...

Tagebuchnotizen.

Wien, 13. August 1896.

Mein Nervenzustand wird immer bedenklicher. Ich habe abends ein recht nettes Diner bei Goluchowski und erkläre ihm, daß ich morgen abreise, worüber er entsetzt ist, denn die politische Lage ist allerdings nicht rosig. Aber er sieht doch ein, daß ich körperlich nicht weiter kann.

15. August 1896.

Ich treffe in Berlin ein und zeige mich niemand. Einer politischen Quälerei auf dem Auswärtigen Amt wäre ich nicht gewachsen. Gott! – Wie ich diese Giftbude hasse!

Neuhäuser bei Königsberg, 21. August 1896.

Das waren 4 herrliche Tage! Meine Augusta, meine glücklichen Kinder, meine Mutter, am schönen stillen Strande der Ostsee, ohne Bekannte, wir unter uns! Welch ein innerer Abgrund trennt mich von der Welt, in der ich offiziell stehe – stehen muß – einem Gebot der Freundschaft folgend und der Pflicht gegenüber dem Vaterlande.

23. August 1896.

Ich treffe nachmittags in Wien ein und habe viel Arbeit.

Das verödete Wien mit seinem Staub und Wind auf der Ringstraße und die Gluthitze in der inneren Stadt sind unerträglich – die Heimkehr in die riesige leere Botschaft ohne Frau und Kinder ist noch unerträglicher. Es ärgern mich auch alle die aufgeregten Gesichter der Hofschranzen, die nach der Stadt gefahren sind, um die Ankunft des Zarenpaares vorzubereiten.

Aber noch mehr ärgern mich les chers collegues, – alle ihre mit Mist geladenen politischen Flinten, die nicht losgehen, und alle die gespitzten diplomatischen Eselsohren, in die der einzige Schlauberger, Fürst Lobanow, ihnen blauen Dunst blasen wird.

24. August 1896.

Nachmittags fahre ich nach Baden, wo ich einen höchst gemütlichen Abend bei Bernhard Bülows verbringe, die voller tiefer Dankbarkeit für mein Beschwören der Krise in Berlin sind Es drohte Bülow Staatssekretär in Berlin zu werden..

Wien, 31. August 1896.

Die Zarentage brachten mir unendliche Arbeit. Ich kam gar nicht zur Besinnung.

Ich schrieb mich am 27. August beim Zaren ein und besuchte Nigra, wo plötzlich Lobanow erschien. Er bekam eine Art Herzkrampf und war 10 Minuten ganz konfus, sprach von politischen Dingen, die durchaus nicht für meine Ohren berechnet waren – so daß ich gehen wollte. » Mon Dieu, c'est Vous.!« rief er aus, » je croyais voir Radolin«. Er machte mir einen merkwürdigen Eindruck.

Ich schrieb sofort nachher einen Bericht darüber nach Berlin und sagte, daß ich ihn für sehr ernst krank hielte – für einen Todeskandidaten, was andere durchaus nicht fanden.

Am Abend des 27. August war große Gala-Oper. Eine Überfülle von Diamanten. Alle Fürstinnen Österreichs waren angekommen – neugierig und vergnügungssüchtig. Ich saß mit dem türkischen Botschafter zusammen. Von Botschafterinnen waren die Monson und die Kapnist Englische und russische Botschafterinnen. erschienen.

Die Kaiserin sehr reizend, doch vielleicht nicht so hübsch, als ich erwartet hatte, in Rosa mit herrlichen Diamanten und Rubinen, ein hohes, ganz glattes Diadem in Form des russischen Kakoschnik.

Am 28. früh hatte ich einen langen Besuch von Lobanow. Es ging ihm besser, aber er hatte einen ganz merkwürdigen Blick. Später kam auch Goluchowski zu mir. Es wurde viele und interessante Politik geredet.

Ich aß bei Lichnowsky Prinz, später Fürst Max Lichnowsky, Botschaftsrat bei der deutschen Botschaft.. Abends war Gala-Hofkonzert, wie es Augusta zur Genüge kennt.

Ich hatte eine lange Unterhaltung mit dem Zaren, der Kaiserin von Rußland und dem Kaiser Franz Joseph. Alle waren sehr liebenswürdig. Der Zar sagte, daß, wenn er mich auch nicht persönlich, so doch längst gut kenne und knüpfte vieles an diese Bermerkung. Die Kaiserin sprach von meiner Musik, die ihr sehr bekannt sei, sie schien etwas verlegen, sah aber in Hellgrün, übersät mit Diamanten und Perlen und wieder mit einem Kakoschnik-Diadem aus großen Diamanten, die geradezu unheimlich strahlten, sehr schön oder besser besagt, lieblich aus.

Es herrschte große Hitze. Das Konzert, auf das, wie immer, niemand achtete, war herrlich. Unsere Musikfreundin Miß Walker sang wunderbar. In der Pause fanden die Vorstellungen statt, bei denen die Fürstinnen, welche in der Erwartung der Vorstellung bei der Kaiserin ehrfurchtsvoll rückwärts traten, alle ohne Ausnahme den Zaren mit der Kehrseite anliefen, was jedesmal eine energische Intervention vom ehrendienstlichen Fürsten Lobkowitz zur Folge hatte.

Erzherzog Franz Ferdinand Der Thronfolger Franz Ferdinand Este. hatte es sich in leidenschaftlicher Russenliebe nicht nehmen lassen, zu erscheinen. Kaiser Nikolaus war sehr verlegen, machte aber recht gut Cercle. Seine immer zur Seite ausweichenden Blicke sind nicht angenehm und machen den Eindruck der Falschheit. Sieht er die Menschen wirklich an, so erscheint er freundlich. Sein ganzes Wesen war matt und ermüdet.

Kaiser Franz Joseph sprach mir seine besondere Freude über das anscheinende Verbleiben des Fürsten Hohenlohe im Amte aus.

Er fand wohl den ganzen Besuch gräßlich (wie ich annehmen muß) und saß wie ein russisches Opferlamm zwischen den Majestäten aus Petersburg.

Damit war der Zarenbesuch beendet, dem eine Wolke von politischen Berichten Während der verwickelten Orientkrisen, welche die Interessensphären Englands und Rußlands stark berührten, war der Botschafterposten in Wien, dem deutscherseits die Kontrolle der Orientpolitik oblag, auch in diesen Fragen von besonderer Bedeutung.
Von den vielen interessanten Berichten Eulenburgs aus jener kritischen Zeit sind einige in der »Großen Politik der Europäischen Kabinette«, Band 11 und 12 aufgenommen. Herausgeber.
folgte.

31. August 1896.

Heute früh kommt die Nachricht, daß Lobanow auf dem Wege von Wien nach Kiew im Coupé gestorben ist!! – größte Aufregung in der ganzen politischen Welt. Seine Politik war uns wenig freundlich, und wir sollen daher nicht allzu laut klagen. Ich hatte ihn persönlich gern und stand ihm freundschaftlich nahe – vermochte daher immer noch verhältnismäßig günstig zu wirken. Aber welche Verlegenheit für den jungen Zaren! Wer wird Lobanows Nachfolger? Das ist die Frage!

Er ließ übrigens Augusta noch bestens grüßen – das muß ich ausrichten – als seinen letzten Gruß aus seinem geräuschvollen Leben.

Mit dem Tode Lobanows, der nach meinem Bericht über seine Gesundheit erwartet werden mußte, hat sich das Bild russischer Politik wesentlich verändert. England verlor an ihm einen unerbittlichen Feind, der bei der Anglomanie der russischen Majestäten ein gutes Gegengewicht war. Das fällt in diesem Augenblick angesichts des Besuches der russischen Herrschaften in England schwer in die Wagschale.

Ich bin aus diesem Grunde der Ansicht, daß wir bis auf weiteres alles vermeiden müssen, was die englisch-russischen Beziehungen erleichtern könnte.


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