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»Mord« (Kaiserin Elisabeth)

Gastein, 10. September 1898.

Ich befand mich seit dem 23. August mit meiner Mutter in Gastein, wo wir, wie schon seit einer Reihe von Jahren, in dem »Weißen Hirschen« wohnten.

Ich ruhte am 10. September nachmittags in meinem Zimmer, als mein Leibjäger eintrat und mir meldete, daß der hiesige Post- und Telegraphenverwalter mich in einer dringenden Angelegenheit zu sprechen wünsche. Das war mir unangenehm, denn was konnte die dringende Angelegenheit anders sein als eine traurige oder meine Kur störende Nachricht. Er würde sicherlich nicht selbst gekommen sein, wenn es nicht irgendwie »brannte«.

Der Mann trat blaß und aufgeregt ein und begann eilig sprechend: »Ew. Exzellenz wollen gnädigst verzeihen – aber es ist schrecklich! – ich kann es gar nicht sagen – Ew. Exzellenz werden begreifen, es ist eine so entsetzliche Geschichte! – man kann nicht glauben, daß es möglich ist ...«

»Mein Gott!« rief ich außer mir, »so sagen Sie doch, was geschehen ist!«

»Ermordet! – ermordet! – ja ist es denn möglich! ...«

»Ja, wer denn? – der Kaiser? – der deutsche Kaiser?«

»Ihre Majestät die Kaiserin ist ermordet!« – kam es endlich heraus, und er blieb mit einem weitaufgerissenen Mund plötzlich verstummt vor mir stehen und starrte mich an.

»Die Kaiserin Elisabeth?« rief ich entsetzt.

Er nickte nur und sagte dann ruhiger: »Grad' ist die Nachricht eingelaufen, und ich hab' geglaubt, Ew. Exzellenz als dem zunächst beteiligten in Gastein eigenhändig die Trauernachricht untertänigst überbringen zu müssen.«

»Was wissen Sie Näheres?« fragte ich.

»Ihre Majestät ist in Genf von einem Italiener erstochen worden – mehr weiß ich nix.«

Wien, 11. September 1898.

Schon am nächsten Morgen um 10 Uhr, am 11. September, verließ ich mit meiner Mutter Gastein, traf gegen 3 Uhr im Wagen in Lend ein und befand mich abends ¾10 Uhr in der Botschaft in Wien.

Die Aufregung in Wien war eine ungeheure. Überall wehten schwarze Fahnen, und auf den Gassen der inneren Stadt wogten die Menschen hin und her.

Mir war nur bekannt gewesen, daß sich die Kaiserin in Caux (auf der Höhe über Montreux am Genfer See) befand, und zwar in Gesellschaft der Hofdame Gräfin Sztáray und des Sekretärs Christomanos, eines sehr gebildeten Griechen, für den sie (wie man sagte) ein »kleines Tendre« hatte. (In der Hauptsache war er es gewesen, der die Kaiserin in Korfu zu dem Bau des »Achilleion« veranlaßt hatte.) Von Caux aus war der Ausflug nach Genf unternommen worden, doch befand sich leider Christomanos nicht bei der Kaiserin, sondern nur die Hofdame. Immerhin wäre es möglich gewesen, das Attentat des Anarchisten Lucheni zu verhindern, wenn ein Mann sich in der Begleitung der Kaiserin befunden hätte.

Was mir über den entsetzlichen Vorfall in Wien bekanntgeworden war, berichtete ich telegraphisch an den Kaiser. Nähere Nachrichten liefen erst an den folgenden Tagen ein, und ich teilte diese schriftlich mit. So auch in folgendem Briefe an den Kaiser.

Wien, 13. September 1898.

Ew. Majestät Entschluß, zu der Leichenfeier der Kaiserin hierherzukommen, begrüße ich wärmstens. Das ganze Volk vom Höchsten bis zum Niedrigsten ist so tief erschüttert, daß ich in allen Augen die Frage las: Wird der beste Freund unseres armen Kaisers auch kommen?«

Ich habe schon Ew. Majestät alle Details telegraphiert, erlaubte mir auch zu sagen, daß der Empfang am Bahnhof, solange die Kaiserin noch nicht begraben ist, vielleicht besser vermieden würde.

Es scheinen ziemlich viel Gäste zu kommen. Man plant nach dem Begräbnisse ein kleines Familiendiner, aber fürchtet dabei für den Kaiser, unmittelbar nach der erschütternden Feier, die Anstrengung. Da wäre in Wien wohl die Zeit, daß Ew. Majestät den alten Herren bitten, sich vertreten zu lassen.

Den Vorschlag, daß Ew. Majestät bei mir ein Essen einnehmen, vermag ich nicht zu machen, aus Rücksicht für Kaiser Franz Joseph, der bei der kurzen Anwesenheit Ew. Majestät es doch vielleicht peinlich empfinden würde, wenn der deutsche Kaiser die Hauptmahlzeit nicht in der Burg einnähme.

Über den entsetzlichen Mord bringen die Zeitungen so viel Details, daß ich nichts Neues darüber berichten kann.

Die gestern eingetroffene Urkunde über den Befund der Todeswunde ergibt tatsächlich, daß das spitze Instrument das Herz von oben nach unten vollständig durchbohrt hat. Die Wunde war neun Zentimeter lang. Daß die Kaiserin und Gräfin Sztáray davon nichts gemerkt haben, klingt geradezu unglaublich und ist doch wahr. Die Kaiserin hat nur die Empfindung gehabt, mit der Faust geschlagen zu sein und überhaupt nicht empfunden, das Opfer eines Mordes zu sein.

Der Tod der Kaiserin hat für das Land insofern jetzt gerade eine politische Bedeutung, weil durch die Einstellung aller Jubiläumsfeierlichkeiten, welche noch das ganze Jahr fortdauern sollten Das 50jährige Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs., die dadurch geförderte Stärkung und Kräftigung des monarchistischen Gedankens Einbuße erleidet.

Ich lasse dahingestellt, ob der anarchistische Mord etwa diesen Zweck verfolgt hat.

.... (gez.) Philipp Eulenburg.

 

Die Tage nach meiner Rückkehr waren nicht gerade geeignet, als Nachkur nach Gastein gelten zu können. Aus der Götterluft der Berge, bei dem wunderbar erfrischenden Wasserfall, war ich in die Staubatmosphäre und Hitze des sommerlichen Wiens plötzlich versetzt. Dazu erwartete mich bei der durch das entsetzliche Ereignis sehr gespannten innerpolitischen Lage nicht nur gehäufte Arbeit, sondern auch ein Kaiserbesuch im eigenen Hause!

Meine Erwägung, daß es bei dem kurzen Aufenthalt des Kaisers am 17. September – dem Tage der Beisetzung der armen Kaiserin – kaum möglich sein werde, den Kaiser als Gast in der Botschaft zu sehen, hatte nicht gefruchtet. (Und ich gestehe, daß diese Erwägung nicht vollkommen selbstlos ausgesprochen war. Denn mein ganzer Hausstand war für den Sommer aufgelöst. Nicht nur befand sich meine Familie in Liebenberg, sondern mit ihr Diener, Kutscher, Pferde – und, was in diesem Fall das Schlimmste war: mein fast weltberühmter Koch, der Römer Herr Cechi, war beurlaubt und hielt sich tief in Ungarn auf einem mir unbekannten Schlosse auf, wo er eine Gastrolle gab und nicht aufzufinden war.)

Die Benachrichtigung, »daß Se. Majestät am 17. mittags in Wien eintreffen, sich in die Burg begeben, sodann an den Beisetzungsfeierlichkeiten teilnehmen und alsdann mit Gefolge bei Ew. Exzellenz um 6 Uhr speisen würden«, traf mich in einer sehr hilflosen Lage und erinnerte an den völlig überraschenden Besuch beider Majestäten in Liebenberg im Oktober 1896, als das ganze Schloß mit Gästen angefüllt war, die die Hochzeit meines Neffen Kalnein mit meiner Nichte Eulenburg feierten. Damals war alles voll – und dieses Mal war alles leer. Aber gottlob war meine Dienerschaft und Umgebung an derartige Überraschungen gewöhnt. Mein tüchtiger Haushofmeister und mein treuer, ruhig überlegender Leibjäger, in Verbindung mit dem als Aushilfsdiener fungierenden Kanzleidiener, traten sofort in die Schranken, während mein gewandter Sekretär Kistler für die Bestellungen sorgte. Jedenfalls war ohne Ausnahme meine ganze Umgebung eifrig beflissen, mich angesichts meiner sehr angegriffenen Gesundheit mit allen Kräften zu unterstützen, auch zeigten sich die Herren meiner Botschaft, besonders in seiner großen Anhänglichkeit der gute Lichnowsky, sehr hilfsbereit.

So wurde denn der Ausweg gefunden, das meine gesamten Privaträume des Parterres der Botschaft eingemottet und verschlossen bleiben und der Empfang in den großen offiziellen Räumen des ersten Stockwerkes stattfinden sollte. Es wurde gebohnert und geputzt und aus einem der ungemütlichen seidenen Prachträume durch Verschieben der Möbel ein gemütlicher Rauchsalon hergerichtet. Das Diner aber wurde bei dem berühmten Restaurant Sacher bestellt, das ein paar Köche in meine Küche zu schicken hatte.

Die bewußte Benachrichtigung von dem »kaiserlichen Überfall« war am 15. September eingetroffen. Es blieben also für die angegebenen Vorbereitungen nur knappe zwei Tage, doch fesselte mich soviel Arbeit an mein Arbeitszimmer, daß ich dem Getobe und Gescheuere äußerlich und innerlich fernblieb und am 17. morgens das fertige Werk meiner Getreuen, die es mir mit stolzem Lächeln zeigten, eine »angenehme Überraschung« darstellte.

16. September 1898.

Das nachfolgende kaiserliche »Handschreiben« vom heutigen Tage an den Ministerpräsidenten Graf Thun gebe ich um seines ergreifenden Inhaltes willen hier wieder. Es geht durch dieses Dokument (dessen Verfasser mir unbekannt ist, denn der alte Kaiser dürfte wohl nur einige Ausdrücke daran verändert haben) ein Zug von süddeutscher Wärme, der mich tief berührt.

An meine Völker!

»Die schwerste und grausamste Prüfung hat Mich und Mein Haus heimgesucht. Meine Frau, die Zierde Meines Thrones, die treue Gefährtin, die Mir in den schwersten Stunden Meines Lebens Trost und Stütze war, an der Ich mehr verloren habe, als Ich auszusprechen vermag, ist nicht mehr. Ein entsetzliches Verhängnis hat sie Mir und Meinen Völkern entrissen, eine Mörderhand, das Werkzeug des wahnsinnigsten Fanatismus, der die Vernichtung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung sich zum Ziel setzt, hat sich wider die edelste der Frauen erhoben und in blindem, ziellosem Hasse das Herz getroffen, das keinen Haß gekannt und nur für das Gute geschlagen hat.

Mitten in dem grenzenlosen Schmerze, der Mich und Mein Haus erfaßt hat, angesichts der unerhörten Tat, welche die ganze gesittete Welt in Schauder versetzt, dringt zunächst die Stimme Meiner geliebten Völker lindernd zu Meinem Herzen. Indem Ich Mich der göttlichen Fügung, die so Schweres und Unfaßbares über Mich verhängt hat, in Demut beuge, muß Ich der Vorsehung Dank sagen für das hohe Gut, das mir geblieben ist: für die Liebe und Treue der Millionen, die in der Stunde des Leidens Mich und die Meinen umgibt. In tausend Zeichen von nah und fern, von hoch und niedrig hat sich der Schmerz und die Trauer um die gottselige Kaiserin und Königin geäußert ....

Aus der unwandelbaren Liebe Meiner Völker schöpfe Ich nicht nur das verstärkte Gefühl der Pflicht, auszuharren in der Mir gewordenen Sendung, sondern auch die Hoffnung des Gelingens. Ich bete zu dem Allmächtigen, der Mich so schwer heimgesucht hat, daß er Mir noch die Kraft gebe, zu erfüllen, wozu Ich berufen bin. Ich bete, daß er Meine Völker segne und erleuchte, den Weg der Liebe und Eintracht zu finden, auf dem sie gedeihen und glücklich werden mögen.

Schönbrunn, 16. September 1898.

Franz Joseph.«

Zum Andenken an die Kaiserin stiftet der Kaiser den »Elisabethorden«, der nur an Frauen verliehen werden soll.

Tagebuch. 17. September 1898.

Mittags 1 Uhr traf Kaiser Wilhelm auf dem Nordbahnhof ein. Ich war ihm bis Lundenburg entgegengefahren. Einen Empfang seitens des hiesigen kaiserlichen Hauses hatte unser Kaiser in Rücksicht auf die Trauer abgelehnt. Es waren hier nur die ihm zugeteilten österreichischen Offiziere anwesend: Feldzeugmeister Prinz Lobkowitz (aus Budapest), Flügeladjutant Oberstleutnant Fürst Dietrichstein und der Chef des österreichischen Husarenregiments Kaiser Wilhelm, Oberst Ströhr. Nach sehr freundschaftlicher Begrüßung fuhr der Kaiser mit Prinz Lobkowitz in die Burg, ich in die Botschaft zurück.

Die feierliche Überführung der toten Kaiserin in die Kapuzinergruft hatte um 3 Uhr begonnen. Ich brauchte nicht anwesend zu sein, da Kaiser Wilhelm selbst erschienen war und ich ihn daher nicht zu vertreten hatte. Doch fuhr ich zu meinem französischen Kollegen, dem Marquis de Reverseaux, von dessen Palais aus ich den Trauerzug sah, der allen Pomp der altspanischen Etikette zeigte, die immer noch seit Kaiser Karl V. am hiesigen Hofe gilt. Unbeschreiblich großartig, schwarz und trauerhaft. Nicht minder ernst die Haltung des Volkes: man sah fast nur schwarze Kleider und Schleier. Wer sollte aber auch nicht ergriffen werden, wenn der auf hohem, schwarzem Katafalk mit wehenden, schwarzen Straußenfedern ruhende Sarg nahte, in dem eine so elend ermordete Kaiserin lag? Sie stand lebhaft vor mir in ihrer Schönheit, ihrer Freundlichkeit, wenn sie in ihrer flüsternden Art so liebenswürdig mit mir sprach.

Ihr war es schlimmer ergangen als der bayerischen Prinzessin Elisabeth, ihrer Tante, nach der sie ihren Namen erhielt, der Gattin Friedrich Wilhelms IV. Denn als der böse Sepheloge am Schloßportal in Berlin auf den König schoß, der neben der Königin Elisabeth im Wagen saß, flog die Kugel durch ihren Hut, ohne sie und den König zu verletzen.

Die Berliner sangen nachher ein Leierkastenlied, das die Schandtaten des Attentäters schilderte. Das Lied enthielt auch die denkwürdige Strophe:

»Und er schoß der Landesmutter
Durch des Hutes Unterfutter.«

Als der Attentäter in Begleitung eines Polizeioffiziers in einem Wagen nach Spandau fuhr, um hingerichtet zu werden, und Herr Sepheloge schauernd sagte: »Mich friert«, gab der liebenswürdige Berliner Offizier ihm die vielbesprochene Antwort: »Sie haben gut reden! – Sie brauchen wenigstens nicht zurückzufahren.«

(Ich möchte wohl wissen, weshalb mir diese dumme Geschichte in einem Augenblick einfällt, wo ich tiefernst bin? Wohl dieselbe körperliche Reaktion, wie das »Lachen am unrechten Platz«.)

18. September 1898.

Kaiser Wilhelm traf gestern um 6 Uhr in der Botschaft ein, begleitet von seinem Gefolge und den zu ihm kommandierten österreichischen Offizieren.

Wir betraten das Vestibül, wo sich auch der alte Reichskanzler, Fürst Hohenlohe, eingefunden hatte, der es sich nicht hatte nehmen lassen, dem alten Kaiser Franz Joseph sein Mitgefühl zu zeigen. Er war gestern von Aussee eingetroffen. Auch Bernhard Bülow war vom Semmering gekommen.

Das Diner verlief vielleicht »zu munter« im Verhältnis zu der Trauer, die alle Anwesenden zusammengeführt hatte. Über den Tisch ging die Konversation hin und her, als ob wir ein Fest feierten. Wahrscheinlich benahmen sich die alten Deutschen schon ebenso bei ihren Totenmahlen.

Um 8 Uhr meldete man mir, daß einige der deutschen Fürsten angelangt seien, denen ich für den Abend meine Salons zur Verfügung gestellt hatte. Ich schickte eilend zwei meiner Sekretäre zum Empfang derselben hinunter. Das Placement war folgendes:

Legationssekretär von Stumm            Graf Eltz, Attaché
Flügeladjutant Freiherr von Berg       Stabsarzt Dr. Ilberg
Österreichischer Oberst Ströhr         Flügeladjutant von Böhn
Chef des Militär-Kabinetts von Hahnke  Chef des Zivil-Kabinetts von Lucanus
Österreichischer Botschafter (in Berlin) von Szögyeny   Feldzeugmeister Prinz Lobkowitz
Der Kaiser                             Ich
Minister des Äußern Graf Goluchowski   Fürst Hohenlohe, Reichskanzler
Staatssekretär Bernhard von Bülow      Österreichischer Flügeladjutant Fürst Dietrichstein
Chef des Hauptquartiers General von Plessen       Graf August Eulenburg, Oberhofmarschall
Botschaftsrat Prinz Lichnowsky          Flügeladjutant Graf Cuno Moltke
Legationssekretär Prinz Schönburg       Freiherr von Romberg, Legationssekretär

Es waren so viele hohe Herren von allen Ländern Europas zur Kondolenz in Wien erschienen, daß die ganze Burg besetzt war. Das ganze Haus Bayern zählte zur Familie, der König von Sachsen als intimer Freund und Vetter Kaiser Franz Josephs ebenfalls. Die Könige von Rumänien und Serbien waren bei ihren Gesandten, wie auch die Kronprinzen von Italien und Griechenland und der Großfürst Alexis.

Die anderen hohen Herren erschienen aber fast alle bei mir, soweit sie nicht schon abends Wien wieder verlassen wollten, und das waren wenige. Es erschienen nach und nach, von den Herren der Botschaft gemeldet:

Herzog Nicolaus von Württemberg,
Erbgroßherzog von Baden,
Erbgroßherzog von Oldenburg,
Erbgroßherzog von Sachsen-Weimar,
Christian, Herzog von Schleswig-Holstein,
Erbgroßherzog Adolf von Mecklenburg-Strelitz,
Erbprinz von Hohenzollern,
Herzog von Sachsen-Altenburg,
Prinz Reuß XXIV.,
Prinz Wilhelm zu Schaumburg-Lippe,
Prinz Albrecht zu Schaumburg-Lippe.

Alle waren mir gut bekannt, zum Teil sogar gute Freunde, doch war es nicht leicht, allen besonders freundlich zu begegnen, da ich zunächst die Pflicht hatte, mich dem Kaiser zu widmen. Aber sie begriffen das, ebenso mein Verschwinden mit dem Kaiser, den ich zur Bahn begleiten mußte. Er kehrte um 9 Uhr mit dem gesamten Gefolge nach Potsdam zurück.

Als ich heimkehrte, fand ich die ganze Fürstengesellschaft rauchend an dem schönen Büfett, das ich für sie hatte richten lassen, und alle sehr gut gestimmt.

Ein einzelner regierender oder erbprinzlicher Herr ist schon bis zu einem gewissen Grade (wenn man nicht eng mit ihm befreundet ist) mühsam, aber als Dutzendware auftretend, mehr als ermüdend. Doch will ich mit diesen Bemerkungen den Herren nicht zu nahe treten, die sich gegen mich stets liebenswürdig benahmen. Gott segne sie und ihr Land!

Aus einem Schreiben an Kaiser Wilhelm.

(Geheim.) Wien, 19. September 1898.

... Ich mußte in diesen traurigen Tagen auch Frau Kathi Schratt Die bekannte Freundin des Kaisers und der Kaiserin, Hofschauspielerin Kathi Schratt. ein Wort der Teilnahme sagen und benutzte den gestrigen Abend, um eine Spazierfahrt nach Hitzing zu machen. Dort hatte ich mich telephonisch angesagt und fand die liebenswürdige Wirtin allein. Die Villa, die soviel Reize birgt, macht an der Straßenseite der Gloriettgasse einen schlichten Eindruck. Durchschreitet man das Tor, so glaubt man in einem Schlößchen auf dem Lande zu sein. In Hufeisenform, nur aus Parterregeschoß bestehend, ist der Garten durch ein hohes eisernes Gitter von dem Gebäude getrennt. Herrliche alte Bäume neigen sich über das alte schöne Eisenwerk in den sauber gehaltenen Hof.

Frau Kathi hatte mir einen Tee bereitet, und ich mußte mich in den Stuhl setzen, »in dem Se. Majestät immer sitzt«. Sie war in Trauer und sah reizend aus. Als ich ihr sagte, es sei mir ein Bedürfnis, ihr auszusprechen, daß ich innigsten Anteil an dem Verlust nähme, der auch sie so besonders hart getroffen hatte, brach sie in Tränen aus. Es waren keine Schauspielertränen, sondern echte, gute Tränen. »Sie wissen ja nicht, was ich verloren habe«, sagte sie.

Dann begann eine lange vertrauliche Unterhaltung, in der sie mir ein sehr klares Bild des Privatlebens des Kaisers und der Familie nach der eingetretenen Katastrophe gab. »Ich spreche sehr aufrichtig zu Ihnen«, sagte sie mir, »weil ich weiß, daß Sie es gut mit mir meinen und daß Sie den Kaiser wirklich lieb haben.«

»Mir ist es so entsetzlich hart ergangen, nachdem wir uns einige Tage vor dem Tode der Kaiserin oben in Naßfeld (bei Gastein) trafen. Ich war von dort nach Zell am See gekommen, wo ich mit meiner Freundin Eisenlechner übernachtete. In dieser Nacht vom 9. zu dem schrecklichen 10. September hatten wir beide den furchtbaren Traum, von einer schwarzen Gestalt mit einem Dolch verfolgt zu werden. Auch wurde ich das Bild eines großen Leichenwagens nicht los. Meine Freundin, von bösen Ahnungen geängstigt, reiste ab. Ich blieb und wollte den Aberglauben niederkämpfen – aber es war vergeblich. Gegen Abend erhielt ich das Telegramm von dem Morde und reiste noch in der Nacht nach Wien. Den Kaiser sah ich vormittags – es war ein furchtbares Wiedersehen! Er hatte mir so lieb geschrieben – ich will Ihnen den Brief zeigen.«

Sie holte mir zwei Briefe. Der erste, den der Kaiser mit merkwürdig klarer, fester Hand am Abend des 10. geschrieben hatte, lautete (wohl wörtlich, da ich ihn mir genau merkte) :

Schönbrunn, 10. September 1898.

»Theuerste Freundin, daß auch Sie nach Wien geeilt sind, freut mich sehr. Mit wem könnte ich besser über die geliebte Verklärte sprechen als mit Ihnen? Ich bin morgen um 11 Uhr vormittag frei. Kommen Sie nicht durch den Garten, sondern durch die Kammer.

Ihr aufrichtig ergebener
Franz Joseph.«

Der zweite Brief war von der bekannten Freundin und Vorleserin der Kaiserin, Frau von Ferenczi. In demselben jammert die arme Person über ihr beiderseitiges Schicksal. »Ich wende mich in meinem Schmerz an die geliebte ›Wahlschwester‹ der unvergeßlichen Kaiserin« – so schreibt die Ferenczi. (Frau Kathi sagte mir, daß die Kaiserin sie so zu nennen pflegte.)

Noch vor dem Kaiser war Frau Kathi den Erzherzoginnen Valerie und Gisela begegnet. Beide waren ihr weinend in die Arme gesunken (was mir auch von anderer Seite bestätigt wurde).

»Die geliebte Kaiserin hatte noch über mich mit den Töchtern gesprochen«, sagte sie, »und der Kaiser wiederholte mir, daß ich das ›Vermächtnis‹ der armen Kaiserin sei! Wohl wollte die Erzherzogin Valerie den Kaiser gleich ganz zu sich nach Wallsee nehmen, die Minister sollten stets hinaus zum Vortrag kommen, aber Se. Majestät sagte mir: ›Das ertrüge ich nicht! Was soll ich in Wallsee machen?‹ – Es hätte vielleicht der Familie der Erzherzogin besser so gepaßt, aber die denken nicht an den armen Kaiser.«

Dann ging die Unterhaltung auf die letzte Lebenszeit der Kaiserin über. »Sie wollte durchaus den Tod«, erzählte Frau Kathi. »Sogar die Ermordung, denn als ich einst von der Notwendigkeit polizeilicher Bewachung sprach, sagte die Kaiserin: ›Was täte es denn, wenn man mich umbrächte? Das wäre mir lieb und kein Schade!‹ - Gar nicht lange vor ihrer letzten Abreise ging ich mit den Majestäten im Garten spazieren. Da fing die Kaiserin scherzend an, von ihrem Tode zu sprechen. ›Ach, da wäre niemand so, als der Ritter Blaubart froh‹ sagte sie. Der Kaiser war ganz ärgerlich und sagte: ›Geh, red' nicht so.‹«

»Dann hat die Kaiserin auch alles Schreckliche aufgezählt, was in der Familie geschehen war.« Kronprinz Rudolph, der Sohn des Kaiserpaares. (Selbstmord.) Kaiser Maximilian von Mexico, Bruder des Kaisers. (Von den Rebellen zum Tode verurteilt und erschossen.) König Ludwig II. von Bayern, rechter Vetter der Kaiserin. (Selbstmord.) Herzogin von Alençon, Schwester der Kaiserin. (Verbrannte bei einem Wohltätigkeitsbasar in Paris.)

Von den letzten Augenblicken der Kaiserin erzählte Frau Kathi die genauen Details, die ihr der Kaiser und Gräfin Sztáray mitgeteilt hatten. »Als der schreckliche Mensch stach, fiel sie wie ein Stock gerade hintenüber an die Erde. Aber niemand hatte den Stich bemerkt. Gräfin Sztáray und der Fiakerkutscher hoben die Kaiserin auf und putzten ihr das Kleid ab. ›Es ist nichts‹, sagte die Kaiserin und verlangte zum Schiff weiterzugehen. Dort sank sie sofort zu Boden und blieb auch am Boden liegen, bis sie der Kapitän und andere die Treppe hinauf auf das Promenadendeck trugen und auf eine Bank legten.

Dort erst machte die Gräfin Sztáray die Taille auf und entdeckte auf dem Hemde einen lichten Blutfleck, nicht größer als ein halber Gulden: im Fleisch eine ganz kleine Wunde. Sie sagte dem Kapitän jetzt, daß die Kranke die Kaiserin sei, und man wendete zurück. Die Kaiserin erwachte und fragte nur: ›Was ist denn geschehen?‹ Dann fiel sie wieder in Ohnmacht.

Man trug sie, als das Dampfboot wieder am Kai angelegt hatte, auf einer Tragbahre von Kissen nach dem Hotel. Unterwegs röchelte sie zweimal. Das war der Tod. Arzt und Priester kamen zu spät! Sie lebte nicht mehr, als sie im Hotel eintraf!«

Meines Dafürhaltens ist es jetzt das beste, daß der Verkehr des Kaisers mit seiner Freundin nicht gestört werde. Wenn man versuchte, den alten Herren in seinen Gewohnheiten zu stören, so würde er einfach körperlich und geistig versagen. Es wäre nach allen diesen Erschütterungen ein gefährliches Experiment.

Der Einfluß Frau Kathis ist kein gefährlicher. Sie ist den Deutschen warm und gut gesinnt.

Psychologisch ist die hiesige Kaiserfamilie allerdings interessant. Wer die Persönlichkeiten nicht alle in ihrer Eigenart kennt, wird dieses eigentümliche Verhältnis zwischen Kaiserpaar, Schauspielerin und Töchtern nicht begreifen.


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