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Erzherzog Albrechts Tod und ein Kaiserbesuch

Erzherzog Albrecht war am 18. Februar 1895 gestorben – wohl der grimmigste Feind, den Preußen besaß. Er war 1817 als ältester Sohn des berühmten Erzherzogs Karl geboren, der für sich das Verdienst in Anspruch nehmen konnte, als der ebenbürtigste Feldherr gegenüber Napoleon genannt zu werden, wenigstens in Österreich. Er besaß unleugbar militärischen Geist, vielleicht auch Talent, jedenfalls aber hatte er »Pech«, was vor allem ein Feldherr nicht haben darf. So verlor er den Feldzug 1866 und wollte 1870 Rache nehmen, indem er durchaus mit den Franzosen gegen uns Deutsche losschlagen wollte. Doch fand er den loyalen Kaiser Franz Joseph in seinem Wege.

Der Erzherzog aber grollte sich still durch sein Leben, teils militärisch-wissenschaftlichen Interessen lebend, teils Reichtümer ansammelnd, was ihm als Herzog von Teschen nicht schwer wurde. Er hatte nur ein einziges Kind, eine Tochter, die den Herzog Philipp von Württemberg heiratete (Vater des Herzogs Albrecht, Thronfolger in Württemberg). Wenn diese auch selbstverständlich »eine gute Partie« war, so fielen doch das Majorat Teschen und das sehr große Barvermögen seines Hauses an seinen Neffen Erzherzog Friedrich, der leider nicht auch den Geist des Onkels erbte, dafür aber auch nicht den Preußenhaß desselben. Er »tat« wenigstens immer deutschfreundlich. Besonders auch mit mir, doch war es vielleicht recht unfreundlich von mir, daß ich in dieser Hinsicht von allen Mitgliedern des Hauses Österreich nur dem alten Kaiser unbedingt traute.

Als ich mich bei meinem Antritt in Wien bei den Erzherzögen meldete, war ich nicht darauf gefaßt, von dem alten Albrecht empfangen zu werden. Doch geschah das Wunder, und ich weiß heute noch nicht, welcher Geist den grimmigen Hasser beseelte, als er mir sagen ließ, »er werde sich freuen (?), mich zu sehen«.

Ich fand zu meinem Erstaunen statt eines schnurrbärtigen, stirnerunzelnden, innerlich grunzenden Generals einen mageren Professor mit einer Brille, spärlichem grauen Haar und Bart in einer lose sitzenden Generalsuniform ohne Orden. Freundlich - wenn auch nicht warm. Ich brachte so schnell wie möglich das Gespräch auf die Albertina – auf die berühmte Kupferstichsammlung, die alle Dürerschen Stiche enthält, die der große Meister jemals auf Kupfer zeichnete. Da taute der alte Professor der Kriegswissenschaften auf, dem die Familienschätze sehr am Herzen lagen. Wir saßen uns schließlich ganz vertraulich gegenüber, und die Adjutanten im Vorzimmer werden kaum begriffen haben, weshalb der Empfang gar so lange dauerte. Bisweilen war es mir, als zupfte mich ein kleines Teufelchen am Ohr und riet mir zu fragen: »Machen Sie eigentlich immer noch Stänkereien gegen Deutschland?« Aber ich schluckte die Frage herunter.

Wie mir meine alte Freundin Hatzfeldt erzählte, habe der grimme Erzherzog seiner Kusine, der Erzherzogin Rainer, die eine Jugendfreundin der guten Gabi Hatzfeldt ist, gesagt, »ich sei ein sehr angenehmer Mensch«.

So weit ging nun allerdings nicht mein Urteil. Ich hatte nur das Gefühl, daß ich mit der »Albertina« einen glücklichen Griff getan hatte.

Die Tage der Beisetzung des Erzherzogs Albrecht.

(Aus Briefen an Gräfin Alexandrine Eulenburg [Mutter].)

Am 25. Februar abends hatte ich die anwesenden deutschen Fürsten mit Begleitung und ihrem österreichischen Ehrenkommando zu mir gebeten. Es kamen:

Prinz Arnulf von Bauern,
Prinz Georg von Sachsen,
Erbgroßherzog von Baden,
Erbgroßherzog von Luxemburg,
Herzog Nikolaus von Württemberg,
Prinz Friedrich von Meiningen,
Fürst zu Schaumburg-Lippe mit zwei Söhnen.

Dazu die Militärdeputationen, die deutschen Gesandten, auch Graf und Gräfin Ludwig Lerchenfeld, die hier auf der Durchreise nach Ägypten waren. Eine Riesengesellschaft.

Wir waren zuerst im Blauen Salon, wo Tee präsentiert wurde. Dann in meinem Empfangssalon, wo man rauchte und Bier trank, im Eßzimmer ein sehr glänzendes Büfett.

Es waren sonderbarerweise so viel taube Menschen dabei, daß man aus Versehen alles anschrie. Um 12 Uhr war es aus. Damen waren außer Augusta nur anwesend Gräfin Wallwitz Gemahlin des sächsischen Gesandten in Wien., Gräfin Montgelas Gemahlin des bayerischen Legationssekretärs in Wien., Gisela und Maja Meine Cousine Baronin Heß, geb. Gräfin Gallenberg und deren Schmester Baronin Brenner. und Gräfin Lerchenfeld-Bray. Es wurde ganz heiter gesprochen. Die Fürsten waren alle sehr beflissen und liebenswürdig – selbst Prinz Georg von Sachsen.

Am Büfett erlebte ich folgenden Spaß:

Auf meiner letzten Fahrt von München nach Wien war ich mittags in den Speisewagen gegangen und hatte mich an einen kleinen Tisch am Fenster gesetzt, einem fremden Herren gegenüber. Ich bestellte mir eine halbe Flasche Rotwein. Mein vis-á-vis hatte vor sich auch eine halbe Flasche Rotwein stehen. Vertieft in eine große Zeitung schenkte ich mir, ohne genau hinzusehen, hin und wieder ein Glas Rotwein ein. Plötzlich bemerkte ich, daß ich meine halbe Flasche ausgetrunken hatte - und bereits (wohl zum zweitenmal) im Begriff stand, mir aus der Flasche meines vis-á-vis mein Glas vollzuschenken. Das war mir höchst fatal. Ich bat den Herrn sehr um Entschuldigung und rief den Kellner, um dem Fremden eine andere halbe Flasche Wein bringen zu lassen. »Nein«, sagte dieser, »ich danke sehr, ich habe genug getrunken, bitte bemühen Sie sich nicht.« »Verzeihen Sie«, erwiderte ich, »Sie werden begreifen, daß es mir peinlich ist, Ihnen Ihren Wein ausgetrunken zu haben!« »Mir aber durchaus nicht«, sagte verbindlich der Herr, während er aufstand, mir eine leichte Verbeugung machte und verschwand. Ich kann nicht leugnen, daß ich mir sehr dumm vorkam.

Am Büfett in der Botschaft stehend, tritt der alte taube Fürst zu Schaumburg von Nachod auf mich zu und stellt mir einen gut aussehenden Offizier in Husarenuniform vor. »Ich möchte Ihnen meinen Sohn vorstellen«, sagte er in seinen sehr höflichen Formen, »der etwas verspätet hier eintraf.«

Der Sohn und ich sehen uns beide erstaunt an. Plötzlich dämmert es in mir auf: »Sind Sie nicht der Herr, dem ich vor einigen Monaten seinen Rotwein ausgetrunken habe?« »Ja«, sagte der Prinz, »nun fällt es mir ein! – Ich zerbrach mir den Kopf, wo ich Sie gesehen haben konnte!«

»Gottlob«, rief ich aus, »daß ich nun doch meine Schuld bezahlen kann, die mich solange drückte!« und ich goß ihm selbst ein Glas Champagner ein.

Meine Unterhaltung mit dem Prinzen Georg von Sachsen, dem künftigen König, war weniger angenehm. Wir saßen zusammen auf dem Sofa am Kamin – allein, da alles am Büfett stand und sich auch leider niemand traute, unsere Unterhaltung zu stören. Prinzen aus regierenden Häusern, die ihrem Throne nahestehen, sind meist gekränkt. Sie fühlen sich fast immer zurückgesetzt und beleidigt und schütten dann gern ihr gequältes Herz aus. Dieser Erguß einer bitter-salzigen Seele ging über alle Grenzen. Ganz Europa hatte ihn beleidigt, und der Ausdruck dieser Kränkung in sich stetig steigernder sächsischer Mundart nahm Töne an, die eben nur in einem national-sächsischen Munde zurechtgeknetet werden können – von keiner anderen Kreatur.

Es war mir doch eine Art Erlösung, als nun der Erbgroßherzog von Luxemburg kam, seinem gekränkten Herzen Luft zu machen, denn Prinz Georg war ihm entschieden »über«.

Am 26. fuhr ich früh 9 Uhr mit Hülsen Der deutsche Militärattaché Graf Hülfen Haeseler. und der österreichischen Begleitung des Kaisers, Fürst Lobkowitz (Korpskommandeur in Pest), Oberst Ströhr (Regiment Kaiser Wilhelm) und Baron Buttlar (Flügeladjutant Kaiser Franz Josephs) bis Gänserndorf. Nach einer viertel Stunde traf der kaiserliche Zug ein. Ich mußte, nachdem die Herren sich gemeldet hatten, zum Kaiser in den Salon kommen, wo wir sofort sehr eifrig allerhand zu besprechen hatten. Der Kaiser war etwas blaß nach der Grippe, die er eben überstanden hatte. Er hatte zwei Tage zu Bett gelegen. In Wien auf dem Bahnhof war großer Empfang. Kaiser Franz Joseph und alle Erzherzöge. Die Mitglieder der deutschen Botschaft. Große Begrüßung. Ich fuhr nach der Burg mit August Eulenburg und nach Besprechung mit Lucanus in die Botschaft zurück. Im Gefolge des Kaisers waren:

Generaloberst von Loë,
General von Hahnke,
General von Plessen,
Generalarzt von Leuthold,
Vetter August Eulenburg,
Exzellenz von Lucanus,
Admiral von Senden,
Flügeladjutant von Scholl,
Flügeladjutant von Arnim (Marinier).

Ich hatte nun bis zum Abend frei, weil das Begräbnis und Familiendiner in der Burg war.

Um ½3 Uhr fuhren wir mit den Kindern ins Opernhaus, wo man uns zwei Fenster reserviert hatte. Das Begräbnis war sehr großartig. Der goldene, mit Purpur ausgeschlagene Wagen, von sechs Schimmeln gezogen, sah wie ein Märchenwagen aus. Die beiden Kaiser schritten dahinter. Unsere Kinder waren begeistert.

Um ½9 Uhr hatte der Kaiser sich bei uns angesagt. Er wollte meine alte Freundin, Fürstin Gabi Hatzfeldt- Wildenburg, wiedersehen, mit deren Kindern er als Knabe viel verkehrt hatte, und Fürstin Pauline Metternich persönlich kennenlernen, mit der er über die Wiener Musik- und Theaterausstellung korrespondiert hatte. Von mir war dazu Baron Berger Professor der Literaturgeschichte, einer der geistreichsten Männer seiner Zeit. in Vorschlag gebracht. Generaloberst Walter von Loë (einen alten Verehrer der Metternich) hatte ich gleichfalls geladen, auch Prinz Lichnowsky Mein Botschaftsrat. und Fritz und Gisela Baron und Baronin Heß (mein Vetter und seine Gattin). gebeten. Der Kaiser kam (gottlob!) ohne Adjutanten. Erst begrüßten ihn die Kinder, mit denen er sich lange unterhielt. Dann gingen wir in mein Arbeitszimmer und setzten uns an das Kaminfeuer. Es gab Tee, Bier, Champagner, Punsch und Faschingskrapfen. Man rauchte, die alten Fürstinnen sogar große Zigarren.

An derselben Stelle am Kamin saßen wir ohne Unterbrechung von ½9 bis ¼1 Uhr! Es war eine unerhört interessante Unterhaltung. Berger übertraf sich selbst. Es wurde philosophiert, über Kunst, Theater gesprochen, und die beiden alten Fürstinnen hatten eine so frappante Art, der Unterhaltung eine originelle Wendung zu geben, daß es ein in tausend Farben schillerndes Bild gab. Der Kaiser beteiligte sich lebhaft in seiner ungezwungenen, reizenden Art und trennte sich ungern, nachdem ich ihm ein leises Zeichen gab. Er sagte mir, daß er sich nie in seinem Leben so gut unterhalten habe! Und er hatte vollkommen recht, als er meinte, es sei der Inbegriff dessen gewesen, was man »Konversation« nenne. Etwas, das eigentlich verlorengegangen sei. »Und dazu muß man nach Wien reisen! – in Berlin gibt es das nicht!« - setzte er hinzu.

Ich erwiderte ihm, daß es allerdings für den Landesvater schwieriger sei, so vertrauliche Unterhaltung daheim zu führen, aber daß es auch geistreiche Elemente in Berlin gäbe.

27. Februar 1895.

Ich ging schon früh um 9 Uhr zum Kaiser in die Burg und fand ihn beim Frühstück. Wir unterhielten uns eine Stunde, dann machte er »Visiten«. Ich hatte mit Lucanus zu sprechen, bei dem ich Generalarzt Leuthold traf.

Dieser erzählte mir von dem Resultat der Untersuchung des guten Perlet Mein treuer Forstverwalter und Vertrauensmann, der unheilbar krank war. durch Stabsarzt Ilberg in Liebenberg. Das trostlose Resultat erschütterte mich, und es gehörte viel Aufwand an Selbstbeherrschung dazu, um den Kaiser zu Hause in der Botschaft mit heiterer Miene zu empfangen.

Das heißt, er empfing mich. Er war schon fast eine Stunde auf der Botschaft, als ich kam, und saß mit Augusta und dem Fürsten Lobkowitz in ihrem Salon. Ich rief nun die Kinder, die in großer Aufregung waren. Die kleine Tora durfte heute auch kommen. Der Kaiser war rührend freundlich mit ihnen. Dann zog sich Augusta zurück, und Lobkowitz blieb im nordischen Zimmer, das dem Kaiser sehr gefiel. Der Kaiser setzte sich in meinem Schreibzimmer an den Schreibtisch, las einige dienstliche Eingänge und ging dann rauchend mit mir an den Kamin, alles besprechend, was ihn bewegte. Es gab viel zu sagen und zu erzählen: Politik, Familie, Kunst.

Nachher kamen einige der Herren. Wir gingen ins nordische Zimmer, wo sich die Kinder ebenfalls einfanden. Sigwart Mein Sohn war damals erst 11 Jahre alt. spielte Klavier, seine neueste Komposition, ein langes sonatenartiges Ding, voller Gedanken und so wunderbar gespielt, mit so merkwürdiger Fertigkeit und mit so tiefem Gefühl, daß der Kaiser ganz außer sich vor Erstaunen war. Er sagte mir ernsthaft: »Lasse dich nicht darauf ein, den Jungen jemals etwas anderes als Musik studieren zu lassen. Offiziere und Beamte gibt es genug. Warum soll ein Eulenburg nicht einmal Musiker von Beruf sein?« Später sagte mir der Kaiser, nochmal darauf zurückkommend, drohend: »Daß du mir den Jungen nicht überanstrengst!«

Nun, dafür ist gesorgt. Aber Sigwart macht so staunenswerte Fortschritte, daß man wirklich wie vor einem Rätsel steht.

Allmählich fanden sich die Mittagsgäste ein. Zu dem Gefolge des Kaisers (die bereits genannten Herren) kamen die drei österreichischen Herren des Ehrendienstes. Dann von der Botschaft Lichnowskv, Schönburg Prinz Schönburg, II. Sekretär der deutschen Botschaft., Hülsen und Frau. Dazu Ratibors Prinz Max Ratibor mit Gattin, Generalkonsul in Budapest.) und Graf Monts Graf Monts, preußischer Gesandter in München, später deutscher Botschafter in Rom.. Schließlich Fürst Constantin Hohenlohe, der Obersthofmeister am Wiener Hof.

Um 1 Uhr wurde das Dejeuner gemeldet. Der Kaiser führte Augusta, ich Gräfin Hülsen, wir waren 25 Personen.

Nach dem Frühstück langer Cercle.

Nachmittags fuhr ich in die Burg und blieb beim Kaiser, der ein wundervolles Quartier mit alten Gobelins auf Goldfadengrund bewohnte. Um ½7 Uhr war Diner von etwa 30 Personen in der Burg. Die beiden Kaiser, einige Erzherzöge und Prinz Arnulf von Bavern. Außerdem der bekannte spanische Marschall Martinez Campos, der im letzten Frühjahr den Krieg gegen Marokko führte. Ich saß dem Kaiser Franz Joseph gegenüber, neben Constantin Hohenlohe.

Es war Aschermittwoch. Hohenlohe sagte mir, daß alles streng fastete und daher das Menu schwierig sei. Es gab daher nur etwa 12 Gänge! Wieder ein herrlicher Blumenflor auf dem Tisch. Meist Orchideen in großen, flachen, goldenen Schalen.

Um ½8 Uhr Aufbruch zur Bahn. Auf dem Bahnhof waren meine Frau und Gräfin Hülsen die einzigen Damen. Kurze Unterhaltung mit beiden Kaisern und um 8 Uhr Abreise Kaiser Wilhelms.


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