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Pest in Wien!

Mehr als alles regt die Wiener begreiflicherweise jetzt die Pest auf, die infolge der Bazillen-Experimente verschiedene Opfer forderte. Ich aber möchte wohl wissen, weshalb man für schweres Geld auf Staatskosten Ärzte nach Indien zu Forschungen schickt, wenn diese hier in Wien Pestbazillen-Kulturen anlegen?

Hoffentlich wird die Krankheit lokalisiert. Es fehlte nur noch für dieses ominöse Jubiläumsjahr, daß die Pest sich hier weiterverbreitete! Es ist geradezu haarsträubend, daß man einen im Laboratorium an der Pest erkrankten Mann nicht dort an Ort und Stelle internierte, sondern ihn in das allgemeine Krankenhaus brachte!!

Aber was man hier tut, ist oft unüberlegt. Auch folgendes ereignete sich dieser Tage:

Ein Arzt geht ein Mikroskop kaufen. In dem Laden befinden sich die üblichen kleinen Gegenstände, zwischen zwei Glasplatten, um die Schärfe zu prüfen: das Hinterbein einer Fliege, das Vorderbein eines Flohes usw. Plötzlich schreit er auf: »Das ist ja ein Pestbazillus! wie kommen Sie dazu?« Der Käufer war ein Spezialist für Bazillenforschung.

Der Händler sagt, daß das sein Geheimnis sei, worauf der Arzt erklärt, er werde ihn zur Anzeige bringen.

Die Polizei erscheint und der Kaufmann sagt, daß der Aufseher des Laboratoriums ihn mit dergleichen Dingen versehe. Der Aufseher gesteht und die Anklage wird erhoben. Das Gericht erhebt Anklage auf Diebstahl. Einer der Richter erklärt, man müsse bei Diebstahl den Wert des Objektes feststellen. Es ergeht die Anfrage an den Direktor des Laboratoriums: »Welchen Wert hat ein Pestbazillus?« Die Antwort lautet: »Keinen«.

Die Verhandlung wird aufgehoben, da kein Diebstahl vorläge, denn ein wertloser Gegenstand entbehre der Begründung für den Begriff Diebstahl.

Wohl wird der Aufseher entlassen, aber alles bleibt beim alten. Auch die Tatsache, daß mit Pestbazillen in Wien gehandelt wird.

Ich las die Verhandlungen im Beiblatt der »Neuen Freien Presse«, doch fand sich von keiner Seite irgendein Kommentar dazu. Anscheinend waren die Wiener durchaus mit ihren Richtern, Ärzten und Aufsehern einverstanden.

Ich war in den Tagen, als eine Krankenwärterin an Pest gestorben war, mit dem Statthalter Graf Kielmannsegg in den Donauauen zur Jagd. Er erzählte mir, daß man den an Pest erkrankten Aufseher in einem Zimmer des Hospitals niedergelegt habe, das zwischen zwei Hörsälen liegt. Sämtliche junge Studierende haben den Kranken besichtigt, bevor sie das Hospital verließen!!

Der gute Graf lachte über die kolossale Dummheit, die in dem Hospital herrsche.

Ich war rücksichtsvoll genug, ihn nicht daran zu erinnern, daß ihm selbst seit der vielen Jahre seiner Statthalterschaft das Hospital und dessen Organisation unterstellt sei.

Die Aufregung über die Pest teilt sich auch bereits anscheinend den Nachbarländern mit. Ich erhielt heute ein Telegramm aus Breslau des Inhaltes: »Ich wollte meine Hochzeitsreise nach Wien machen. Kann die geehrte kaiserliche Botschaft mir dazu raten? Antwort bezahlt.«

Ich mußte natürlich antworten: »Durchaus ratsam«, denn hätte ich als offizielle Behörde abgeraten, so würde sogar in Breslau eine Panik ausgebrochen sein. Allerdings war ich auch innerlich überzeugt, daß er nicht jetzt an der Pest sterben werde.


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