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Fürstin Pauline Metternich

Eine Erinnerung

Auch enthaltend: Zwei - Kaiser - Manöver in Ungarn.

Vorwort

Fürstin Pauline Metternich gehört zu den Frauen, von denen in der großen internationalen Welt zu der Zeit der Herrlichkeit Napoleons III. und der Kaiserin Eugenie viel gesprochen wurde. Und das pflegt auf eine Dame kein gutes Licht zu werfen, wenn man sie bei solchen Betrachtungen in den großen Pariser Modekorb schleudert, mit allen den Frauen zusammen, die das Wetter in der Welt der Mode machen: Mehr oder minder Flittergold und Zierpuppen von leichten Sitten.

Was aber bedeutet das Urteil der großen Welt? nichts anderes, als wenn kurzsichtige Leute nach einer Scheibe schießen.

Fürstin Pauline aber gehörte zu den Erscheinungen der großen Modenwelt nur insofern, als es die von Geist und Lebenslust übersprudelnde junge Dame einst belustigte, auch ihrerseits Mode zu machen. Und warum sollte sie nicht das unermeßliche Talent des Schneiders Worth »entdecken«, der, dank ihrer Intervention zu einer internationalen Größe, gewissermaßen zu dem Herrscher der Modewelt wurde?

Es gibt aber in der großen Mode-Welt zwei völlig und scharf voneinander getrennte Arten der Eleganz: Die Eleganz der vornehmen Frau und die Eleganz der Demimonde. Es ist nicht zu leugnen, daß sich diese beiden Frauen-Arten in der Pariser Gesellschaft nahe berühren. Sie sind sich aber niemals in der Fürstin Pauline Metternich begegnet, denn diese war und blieb trotz ihres sprühenden Temperamentes, ihrer Freiheit des Wortes und ihres beweglichen Mienenspiels der Inbegriff einer vornehmen Frau. Es war ihr Verstand und ihr sprudelnder Geist, der die Äußerlichkeiten des Lebens nur zu einem Werkzeug machte.

So war und ist diese merkwürdige Frau, mit der mich das Schicksal einst zusammenführte, und der ich in Dankbarkeit als Freund diese Zeilen weihe.

Philipp Eulenburg.

I.

Fürstin Pauline in Meran und die Geburt ihrer Memoiren. 1896.

Fürstin Pauline Metternich war als die einzige Tochter und Erbin des berühmten ungarischen Grafen Sandor, dessen Reitkunststücke und Abenteuer in der ganzen Welt bekannt waren, 1836 geboren und hatte 1856 den Fürsten Richard Metternich, Sohn und Erben des berühmten Staatskanzlers geheiratet, der fast während der ganzen Dauer des zweiten napoleonischen Kaiserreichs Österreich als Botschafter in Paris vertrat.

Fürstin Pauline, voll Verstand und geistreicher Beobachtungsgabe, hatte sich in Paris durch ihren Geist und Witz, vielleicht auch durch ihre Toiletten – und vielleicht auch durch eine Art Exzentrizität – schnell eine derartige Stellung an dem napoleonischen Kaiserhofe gemacht, daß bald ohne sie gesellschaftlich nichts unternommen wurde. Alles war originell, was sie erdachte, dazu stand ihr eine ganz ungewöhnliche Energie für die Ausführung ihrer Unternehmungen zu Gebote. Es gab tatsächlich eine Zeit, da in Paris – und darum fast überall in der großen Welt – von Fürstin Pauline gesprochen wurde.

Schön war sie nicht. Doch sah man immer nur ihre leuchtenden, großen, braunen Augen, die voller Übermut und Spott, fragend und durchbohrend dem Menschen bis tief in sein Innerstes blickten. In ihnen lag der ganz ungewöhnliche äußere ausdrucksvolle Reiz ihres Wesens, der durch die zündende Art ihrer Konversation und die Treffsicherheit ihrer Bemerkungen ganz außerordentlich wirkte.

Als ich sie in Wien kennenlernte, kamen wir uns schnell nahe. Es wurde eine gute Freundschaft daraus, und ich habe durch sie viel gehört und viel erfahren, und zwar nicht nur aus politischen Zeiten der Vergangenheit, denn ihre Mutter war die Tochter des berühmten Staatskanzlers Metternich Fürstin Pauline hatte demnach ihren Onkel geheiratet, doch stammte er aus der zweiten Ehe des Staatskanzlers, ihre Mutter aus der dritten Ehe desselben., in dessen Hause die junge Pauline aufwuchs, sondern auch von dem Hofe Napoleons III. Am lebhaftesten waren immer ihre Pariser Erzählungen.

Bald nach dem Antritt meines Wiener Postens, 1894, hatte Fürst Richard einen Schlaganfall gehabt. Die Fürstin ging nur wenig aus, doch suchte ich sie an ihren Empfangstagen im Palais Metternich auf.

Als 1895 der Fürst starb, hatte sie für den Winter die Villa »Praderhof« in Meran-Obermais gemietet, da sie um ihrer Trauer willen nicht in Wien bleiben wollte.

In ihrer Villa Praderhof langweilte sie sich entsetzlich, und als ich am 6. Januar 1896 in Meran erschien und mich, statt sie zu besuchen, krank in mein Bett legte, war sie fassungslos. Wir schrieben uns Billetts – doch das genügte nicht. Kaum, daß ich mich auf einem Sofa befand, erschien sie und erfrischte nicht nur mich, sondern auch meine Mutter, die den Winter in Meran verlebte, durch ihre Lebhaftigkeit und Originalität.

Damals schlug ich ihr vor, die stille Zeit im Praderhof zu benutzen, um ihre Memoiren zu schreiben. Sie lachte mich aus, behauptete, das hätten ihr schon andere Leute geraten. Sobald sie aber mit ernstem Gesicht begonnen habe: »Ich, Pauline, geboren 1836« – sei sie von einem Schauder der Langeweile überfallen worden und habe endgültig darauf verzichtet, die Welt »anzureden«.

Ich sagte ihr, daß man es anders anfangen müsse: man solle Episoden aus seinem Leben schreiben, deren Erinnerung Freude mache, oder die so interessant seien, daß man kaum erwarten könne, das Ereignis, das Problem, den gehabten Eindruck niederzuschreiben. Sie habe mir oft spaßhafte, geistvoll lustige und zugleich interessante Erlebnisse derart packend erzählt, daß, wenn ich Zeit gehabt hätte, ich diese selbst niedergeschrieben hätte. Das sei nun ihre Aufgabe: die Episode zuerst, dann die Episoden gesammelt aneinandergefügt nach den Jahren der Erlebnisse oder nach anderen Gesichtspunkten, etwa gruppiert um Persönlichkeiten oder um historische Ereignisse. Denn beginnt man mit Lust eine Erinnerung niederzuschreiben, so folgt mit Lust die zweite und dritte – und schließlich sei die Form gefunden, um auch Notwendig-Alltägliches ohne Unlust zu schreiben und einzureihen, wo es unumgänglich erscheint.

Die Fürstin wurde nach diesem Vorschlag sehr nachdenklich und versprach mir schließlich auf meine dringende Bitte, einige solcher »Episoden« niederzuschreiben und sie mir zur Einsicht zu schicken. Sie möge deutsch oder französisch schreiben, – wie es ihr in die Feder flösse – ich wolle ihr ehrlich mein Urteil sagen, doch dürfe sie weder die Audienz bei der Königin Christine von Spanien in Paris Von der ungeheuer dicken Mutter ihrer ebenso dicken Tochter Isabella, d. h. der Königin Marie Christine von Spanien wurden die Botschafter und Botschafterinnen in Paris empfangen. Die Königin saß auf einem goldenen Fauteuil, alle zur Audienz Geladenen ihr gegenüber. Die Königin, tödlich verlegen, kein Wort findend und die Gesellschaft sich nicht erlaubend, die Königin anzureden. Verlegene Stille. Plötzlich bekommt die dicke Königin ein lautes, nicht zu bändigendes Bauchkullern; im großen, bald hohen, bald tiefen Rouladen rollen die Töne. Die Königin dreht und wendet sich – alles vergebens – sie steht schließlich gütig lächelnd auf, macht eine Verbeugung und zieht sich zurück. Sie hatte die Hoffnung aufgegeben, sich anders äußern zu können. [* fehlt Text?] bekommt die dicke Königin ein lautes, nicht zu bändigendes Bauchkullern, in großen, bald hohen, bald tiefen Rouladen rollen die Töne. Die Konigin dreht und wendet sich – alles vergebens – sie steht schließlich gütig lächelnd auf, macht eine Verbeugung und zieht sich zurück. Sie hatte die Hoffnung aufgegeben, sich anders äußern zu können. noch andere Erlebnisse, die schließlich durch ihre Komik das Verdienst hätten, den Leser heiter zu stimmen, in ihren Aufzeichnungen vergessen.

Die Fürstin begann, sich über meinen Vorschlag zu amüsieren. Ganz allmählich nahm der einsame »Praderhof« eine neue Färbung an. Sie sah sich in Gedanken an ihrem Schreibtisch sitzen, von dem sie weit über das herrliche Merantal blickte, formend und bildend, was ihr lebhafter Geist und das wunderbare Gedächtnis ihr zu schreiben gebot – und versprach mir, zu beginnen.

Und die Fürstin hielt treulich ihr Versprechen. Hin und wieder schickte sie mir oder gab sie mir Episoden, die zum Teil ungewöhnlich reizvoll geschrieben waren.

Aus der reichhaltigen Korrespondenz mit meiner Freundin Metternich will ich hier einige Briefe anfügen, die ihre »Memoiren« betreffen und zugleich eine bessere Charakteristik der merkwürdigen – von Bismarck so gehaßten Frau - (die es ihm mit gleicher Münze zurückzahlte) – darstellen, als ich sie in den vorstehenden Worten zu geben vermochte.

Briefe der Fürstin Pauline Metternich-Sandor an Graf Philipp Eulenburg

Obermais-Meran, den 3. Februar 1896

Besten, allerbesten Dank, lieber Graf, für die gütige Erinnerung und Zusendung des »armen Hopser« Eine meiner Kindergeschichten.! Wenn Karl und Thora wüßten, daß die dereinst im Himmel oder in der Hölle thronenden und wohnenden Frösche zuerst von gewissen Leuten verspeist werden – von mir in erster Reihe –, was für erstaunte Gesichter würden sie erst da machen!

Ich habe öfters mein Glück bei Ihrer lieben Mutter versucht, leider war sie und ist sie bis jetzt nicht wohl genug, um Besuche empfangen zu können. – Wir sind aber in Korrespondenz, und gestern erst erhielt ich zu meiner Freude ein liebenswürdiges Billettchen aus dem Leichterhof, in welchem sich die gute, vortreffliche Gräfin entschuldigte, daß sie die beiden Exemplare vom »Hopser« mir zu schicken vergessen hatte. Ich weiß auch, daß Sie Diners bei schönen Schauspielerinnen mitmachen und daß man reizende Erzählungen, welche aus Ihrer Feder geflossen sind, nach einem solchen Diner zu hören bekommen hat!

Ich glaube, bester Graf, daß Sie mir deshalb geraten haben, meine Erlebnisse aufzuzeichnen, weil Ihnen nichts leichter erscheint, als allerhand hübsche Geschichten aufs Papier zu bringen und Sie nicht begreifen können, daß es Menschen gibt, die dumm genug sind, das, was sie mit eigenen Augen gesehen und was sie in ihrem Leben erfahren haben, nicht ganz einfach erzählen können, wo es Ihnen doch ein leichtes ist, gleich so mir nichts, dir nichts eine Geschichte zu erfinden! – Ich glaube, meine Memoiren würden allen Leuten eine furchtbare Enttäuschung sein – man würde sagen: » Elle a très mal vu, elle a très mal entendu et très mal raconté!« Nun, ich will es im Laufe des Sommers versuchen, einige Aufzeichnungen zu machen. Vielleicht gelingen mir einige – (nicht wohlwollende) – Porträts, denen ich aber dann jene meiner Freunde folgen lassen würde, die in einem Brillant-Feuerwerk erglänzen würden!

Sehen Sie, lieber Graf, das hält mich davon ab, meine Eindrücke niederzuschreiben, daß, wenn ich nicht von der Leber frei heraussprechen kann, diese Eindrücke keineswegs meine Eindrücke sind! ...

Ich will Hiebe und Lob austeilen, wie es mir gefällt – dann erst bin ich es, die spricht! – Und spreche ich frei, so verletze ich und dagegen sträubt sich mein christlicher Sinn sowie mein Anstandsgefühl! – Zwischen Memoiren oder Eindrücken und einem Pamphlet ist die Demarkationslinie schwer festzustellen!

Ich schreibe Ihnen bei einer herrlichen Witterung! Gestern hatten wir 27 Grad in der Sonne! Wir sind gebraten von der Gilf-Promenade zurückgekommen!

Bitte grüßen Sie mir herzlichst die Gräfin, empfehlen Sie mich Ihrer Schwiegermutter und bleiben Sie mir treu freundschaftlich gesinnt.

(gez.) P. Metternich.

Obermais-Meran, 18. Februar 1896.

Das war wieder so einmal recht liebenswürdig und aufmerksam von Ihnen, mein bester Graf, daran gedacht zu haben, mir die Nachricht vom Tode Constantin Hohenlohes sogleich mitzuteilen Aus den Tagebuchnotizen des Grafen Ph. Eulenburg:! Ich sage Ihnen tiefgerührten Dank für Ihre liebe, gütige Erinnerung.

14. Februar 1906.

Der erste Obersthofmeister des Kaisers, Prinz Constantin Hohenlohe (Bruder des Herzogs von Ratibor, des Reichskanzlers und des Kardinals) stirbt. Ein schwerer Verlust für Kaiser Franz Joseph, dessen Freund er durch alle traurigen Zeiten seiner Regierung war. Auch ich verliere mit ihm einen sehr guten Bekannten, der mir stets mit vollem Vertrauen entgegenkam und mir auch in politischer Hinsicht oft gefällig war.

15. Februar 1896.

Ich besuche die Fürstin Constantin und begebe mich allein in das Sterbezimmer, wo der Fürst still und friedlich in seinem Bett mit dem großen, rotseidenen Vorhang den letzten Schlaf schläft. Glücklich lächelnd, als habe er niemals in seinem Leben gelitten, als träume er von irgendeiner großen Seligkeit. Ich war plötzlich so tief von diesem Anblick des Friedens ergriffen, daß mich eine unsagbare Sehnsucht ergriff, es möge nun auch mein Leben entsetzlicher, qualvoller Unruhe und erschütternder Verantwortung enden – ich möge nun auch so still schlafen können wie er. Ich vermochte mich kaum von diesem Bilde tiefen Friedens zu trennen und riß mich gewaltsam los, um nicht in dem mir immerhin nicht eng befreundeten Hause der Dienerschaft aufzufallen. Als ich wieder hinaustrat und in meinem Wagen durch die hastende Menge fuhr, legte sich mein Leben und Schicksal in seiner ganzen Schwere wie eine fürchterliche Last auf mich – mein beneidetes Leben! Ach, wüßten sie alle, die mich beneiden, daß ich sie beneide, die solchem Glanz Fernstehenden, still Abgegrenzten.)

Der Dahingeschiedene war ein Ehrenmann – seinem Kaiser treu ergeben. Leider hatte die Seele nicht Platz, in dem kleinen Körper groß zu werden!

Auf diese, Ihnen gegenüber offen gemachte Bemerkung frage ich mich nochmals, ob ich denn wirklich daran gehen soll, meine Memoiren zu schreiben? ...

Und nun zum Schluß die Frage: wann sieht man Sie wieder in Meran? – Vielleicht im kommenden Monat? Dann machen Sie einmal mit uns die reizende, himmlische Promenade von hier nach Labers durch einen entzückenden Kastanienhain, durch welchen man auf samtweichem Moose dahinschreitet und die prächtige Luft in vollen Zügen einatmet! Nein, Sie glauben gar nicht, wie es da oben schön ist, ich bilde mir ein, den Weg entdeckt zu haben und fürchte mich nur immer zu erfahren, daß ihn vor mir irgendein Pfadfinder schon begangen hat!

Ich verschweige die Entdeckung bis zu Ihrer Ankunft! Bitte empfehlen Sie mich herzlichst der lieben guten Gräfin und empfangen Sie, lieber Graf, die gern erneuerte Versicherung meiner freundschaftlichen Gesinnungen.

(gez.) P. Metternich.

Meran, 16. April 1896.

Sie werden es bitter bereuen, mein bester Graf, mich zur Schriftstellerin haben machen wollen, denn heute sende ich Ihnen wieder einen Aufsatz. Nur wird diesmal Ihr deutsches Herz erbeben, denn er ist in französischer Sprache verfaßt – und wenn ich hinzufügen werde, daß ich lieber französisch als deutsch schreibe, dann sehen Sie mich am Ende gar nicht mehr an, d. h. nein – Sie verbitten sich einfach die Fortsetzung meiner schriftstellerischen Tätigkeit!

Nun, der nächste Aufsatz wird wieder deutsch sein und will ich in demselben vom König Ludwig von Bayern erzählen und Ihnen sagen, wie es kam, daß wir uns kannten, ohne uns zu kennen, und wie merkwürdig mein Verhältnis zu dem unglückseligen königlichen Träumer war! – Im Anhange werde ich die Briefe des Königs hinzufügen, das kann ich aber erst tun, wenn ich bei mir in Ungarn auf dem Lande bin, weil ich daselbst meine Autographen-Sammlung habe. Wäre es Ihnen möglich, mir anzugeben, auf welche Weise ich meine kleinen Notizen und Erinnerungen kopieren lassen könnte, ohne mich etwa der Gefahr auszusetzen, daß der Kopist indiskret wäre und ich eines schönen Morgens eine meiner Aufzeichnungen im »Tagblatt« zu lesen bekäme! – Ich kann diese flüchtig hingeworfenen Aufsätze nicht a la longue in losen Bogen herumliegen lassen, obendrein ist das große schwarzgeränderte Briefpapier miserabel und bricht – also bitte, geben Sie mir einen Rat, an wen soll ich mich wenden? Wo finde ich den verläßlichen Kopisten?

Die Geschichte, welche in Fontainebleau passierte, ist authentisch – sie ist ein wenig zweideutig, aber dumme Prüderie ist nie meine Sache gewesen, und wenn ich mich einmal entfalten werde, da wird es fürchterlich werden!

Ich muß Ihnen ein bißchen Angst machen, damit Sie meiner Schreibseligkeit halt gebieten, sonst folgt eine Aufzeichnung der andern und Sie Unglücklicher sind das Opfer eines Blaustrumpfes geworden! Entsetzlich!

Sie haben jetzt eine furchtbar bewegte Zeit durchgemacht, bester Graf, und fürchte ich, daß Ihre Gesundheit darunter zu leiden gehabt haben mag!

Jetzt geht es aber demnächst wieder los, und Sie müssen »Millennium Die »Tausendjahrfeier in Ungarn«. schwindeln«. – Ich beneide Sie nicht darum, das weiß Gott.

Den 28. d. Mts. dampfe ich nach München ab und halben Mai treffe ich in dem geliebten Paris ein, welches ich, trotz Bourgois, Combes, Mesureur und allen offiziellen Schuften, wie sie auch heißen mögen, noch immer in mein Herz schließe, – denn das Wort bleibt ewig wahr: « On végète partout mais on ne vit qu'à Paris!« Da pulsiert ewig frisches Leben, da hört und sieht man stets Neues und Anziehendes, da thront der Geschmack, da lernt man Rede und Antwort stehen, dort entdeckt man sein klein bißchen Verstand und findet Mittel und Wege, daraus Kapital zu schlagen.

Und nun leben Sie wohl, bester Graf! – Hier steht alles in vollster Blüte – ich fürchte, daß dem in unserm Wien nicht so ist!

Treu freundschaftlich ergeben (gez.) P. Metternich.

Meran, 27. April 1896.

Diesmal ist es kein »Sträußchen«, sondern nur der wärmste und herzlichste Dank für Ihre lieben Zeilen. Dieser Dank wendet sich in erster, ja allererster Reihe dem treuen, aufrichtigen Freunde zu, welcher mir mit den so unendlich klugen und wohlgemeinten Ratschlägen zur Seite steht. Ich werde dieselben pünktlich und gehorsamst befolgen.

Wie können Sie glauben, daß ich Ihnen nicht die Berechtigung zugestehe, mit mir offen und frei zu sprechen?

Offen und frei über alles – ich bitte Sie selbst darum und würde es geradezu als einen Verrat an der Freundschaft ansehen, wenn Sie es nicht tun würden.

Sehr stolz bin ich, daß Sie, bester Graf, meine bescheidenen Aufsätze nicht zu unbedeutend und schlecht finden! – Wenn ich von Politik sprechen soll, da finden Sie mich aber ratlos! Vielleicht zeigt mir Lady Blennerhasset Lady Charlotte Blennerhasset, geb. Gräfin Leyden, ist die sehr bekannte Schriftstellerin, die sich durch viele Arbeiten, besonders durch ihr großes Werk »Madame de Staël« nicht nur einen guten Namen, sondern auch den Dr. phil. erwarb. Sie ist mir und meinem Hause eine liebe Freundin gerworden. den Weg, den ich einschlagen soll. – Obwohl Fürst Bismarck mir die Ehre angetan hat, mich als politisch einflußreiche Persönlichkeit zu hassen, so kann ich Sie versichern, daß ich mich niemals mit Politik anders als parlando befaßt habe und deshalb wenig oder selbst gar nichts weiß von allem, was unter meiner »Regierung« als Botschafterin vorgefallen ist. Ich wollte nichts wissen, um ohne Rückhalt sprechen zu können und meinen Sympathien und Antipathien freien Lauf zu lassen. – So habe ich mir erlaubt, die Italiener immer zu verachten und den Fürsten Bismarck zu hassen – christlich zu hassen, denn wäre er unter meinen Augen dem Ertrinken nahe gewesen, hätte ich ihn zu retten getrachtet – und wenn ich über Ereignisse sprechen sollte, welche politischer Natur wären, so würde ich mich nicht zurechtfinden können!

Ich habe mir meine Erinnerungen etwa so gedacht: Ein Kunterbunt von Erzählungen, Anekdoten und Porträts von Zeitgenossen. Ich werde mir Lady Charlottes Rat erbitten und Ihnen dann darüber schreiben.

Gestern machte ich meinen Abschiedsbesuch im Leichterhof Bei meiner Mutter. und fand die Damen im Garten gemütlich Kaffee trinkend. Ihre Tante geht also nach Pistyan – das ist ein prächtiger Gedanke – sie kann nichts Besseres tun, denn meines Erachtens ist Pistyan ein Wunderbad im vollsten Sinne des Wortes.

Baronin Heß Meine sehr schöne Kusine Baronin Gisela Heß-Diller, geb. Gräfin Gallenberg. war als Muse entzückend in Erscheinung und Sprache. Der Erfolg unserer Feste war ein in jeder Beziehung glänzender. Die Rein-Einnahme wurde endlich festgestellt und beläuft sich auf rein 17600 fl. Die Ausgaben dagegen belaufen sich auf 4400 fl., so daß die Proportion eine ganz gute ist. Die Meraner sind überglücklich ...

(gez.) P. Metternich.

9. Mai 1896.

... Dürfte ich Sie ersuchen, mir die beiden Aufsätze nach Paris zu schicken, wohin ich morgen abreise? Hotel Métropolitain rue Cambon. – Ich muß sie dem Freunde Bussiére, der ein Purist ist, unterbreiten, denn ganz sicherlich wimmeln sie an Fehlern in der Sprachwendung. – Würde mein guter unvergeßlicher Mann noch leben, so wäre er der berechtigtste Korrigierer, denn wenig Franzosen beherrschen so ihre Sprache, wie er es tat.

Denken Sie nur, daß einmal des Abends in den Tuilerien ein dicté gemacht wurde: das sogenannte »dicté de l'Académie«, das unglaublich schwer ist und an der alle Akademiker selbst scheitern! Kaiser Napoleon machte 47 Fehler, Kaiserin Eugenie an die 60, ich etliche 40, Octave Feuillet 23, Alexander Dumas 19 und mein Mann 3! - -

Alles war sprachlos, und er wurde als » le plus français des français« proklamiert.

Sie sind gewiß von den Pester Festlichkeiten ebenso ermüdet als entzückt heimgekehrt! – Ich bedaure Sie, noch einmal hinabdampfen zu müssen – das ist denn doch des Guten ein bißchen zuviel! Also morgen geht's nach Paris. Ich gedenke bis gegen halben Juni dort zu verweilen und werde vielleicht von da aus nach England hinüberfahren, um Kaiserin Eugénie zu besuchen. Schreiben Sie mir nach Paris – nicht wahr? Tausend herzliche Grüße in Eile. Die nächstfolgenden Aufsätze gehen wieder direkt an Sie ab!

(gez.) P. Metternich.

Bajna, 6. September 1897.

Also nicht zu sehr enttäuscht? – Das eine freut mich unendlich, nämlich, daß Sie meinem geliebten, unvergeßlichen Großpapa Der berühmte »Regierer« Deutschlands, Kanzler Fürst Metternich. durch meinen armseligen Aufsatz näher gekommen sind und begreifen, was er für ein edler, lieber, treuer, ehrlicher, famoser, gemütlicher, vornehm -denkender Mann war! – Das weiß ich, daß, wenn Sie ihn kennengelernt hätten, Sie ihn geliebt und verehrt haben würden, so wie es übrigens alle getan haben, die mit ihm jemals zusammengekommen sind. Denken Sie sich, bester Graf, der Glückliche, er war unwiderstehlich einnehmend und nie – ich sage nie ist es geschehen, daß jemand, der mit ihm verkehrt hatte, von ihm nicht entzückt gewesen wäre! Und doch gab er sich, weiß Gott, keine Mühe zu gefallen! – Daß ich zu oft den Namen des »Großpapa« nenne, wundert mich nicht im mindesten, denn erstens schreibe ich, ohne schreiben zu können, und zweitens habe ich die abscheuliche Gewohnheit, das Geschriebene nicht zu überlesen, und das aus dem einfachen Grunde, weil ich es dann gewiß zerreißen würde. – Bitte, bitte, korrigieren Sie! – Sie sind ja »der Mitschuldige«! Folglich ist es an Ihnen, meine Fehler gutzumachen.

Denken Sie sich, daß Kardinal Schönborn, welcher mir ein gnädiger Gönner und Freund ist, vor einigen Tagen in einem Briefe á propos eines ihm von mir empfohlenen, sehr interessanten Buches »Le royaume de la rue St. Honoré (Mme. Geoffrie et ses amis)« schreibt: »Haben Sie denn nie Porträts geschrieben – Sie sollten es tun ...«

Wie merkwürdig, daß nun auch ihm die Idee gekommen ist, welche Sie vor 2 Jahren mir bekanntgegeben haben und der ich, dank Ihres Zuredens, gefolgt bin.

Und bei meinem letzten Aufenthalte in Paris, da kam eines Abends Graf d´Haussonville zu mir, und als wir über allerhand Dinge sprachen und uns miteinander unterhielten, stellte er an mich die Frage: »Au fait pourquoi n'écrivez-vous pas vos souvenirs?«

Und so geschieht es denn oft im Leben, daß ein Gedanke plötzlich in mehreren Köpfen beinahe zu gleicher Zeit auftaucht – woher mag das kommen? Ist das am Ende auch mit »Mystizismus« verwandt?

Was mystische Vorkommnisse im Leben meines verstorbenen Vaters betrifft, so habe ich diesbezüglich nie etwas erfahren. Nur die Geschichte der durchgehenden Pferde ist allerdings geheimnisvoll.

Ich werde den Kanonendonner von Totis herüber hören und mich freuen, Sie in der Nähe zu wissen. Vergessen Sie nicht die Telegraphen-Station oder vielmehr die Adresse »Sarisap Fürstliche Verwaltung« und sagen Sie mir, wann Sie kommen und von wo aus Sie kommen, ob von Bieske oder von Gran! Auch bitte ich um Angabe der Stunde.

Legen Sie mich Ihrem allergnädigsten Herrn und Kaiser zu Füßen.

(gez.) P. Metternich.

Der vorstehende Brief, der mich bereits versenkt in ein Meer von Depeschen in Wien erreichte, die sich auf das große ungarische Kaisermanöver bezogen, zu dem auch Kaiser Wilhelm geladen war, bildet den Übergang zu geräuschvollen Tagen, die ich in Ungarn auf der bekannten Herrschaft Totis des Grafen Franz Esterhazy mit den beiden Kaisern verlebte. Die Nähe von Bajna, des großen Sandorschen Besitzes der Fürstin Pauline, aber ließ in mir den Wunsch wach werden, sie nun auch als ungarische Magnatin in ihrem Heim kennenzulernen, und so stellte ich ihr meinen Besuch in Aussicht.

Bevor ich jedoch hiervon Mitteilung mache, schalte ich die Schilderung meiner Erlebnisse während der ungarischen Manövertage ein, die eine Folie für die Heimat meiner Freundin bilden sollen: Ungarn mit allen seinen Reizen, das trotz der hohen Kultur seiner hohen herrschenden Klassen, ein Abgrund von deutscher Wesensart und Volkskultur trennt.

Ich lasse hier zunächst als allgemeine Übersicht über die sehr geräuschvollen Tage, die ich nunmehr in Gesellschaft der beiden Kaiser, Wilhelm und Franz Joseph in Ungarn verlebte, ein Telegramm und den Wortlaut eines »offiziellen« Programmes folgen, das jeder Teilnehmer an den Manövern in Ungarn erhielt.

Von Oberhofmarschall Graf August zu Eulenburg.

Schloß Homburghöhe, 6. Sept. 1897. Telegramm:

Seine Majestät erwartet Dein Einsteigen in Wien, Staatsbahnhof, am 12. September, mittags 12 Uhr 20 Minuten. Ankunft in Totis erfolgt erst nachmittags 4 Uhr. Wegen Hirschpürsche in Totis ist bejahend geantwortet, doch zweifle ich, ob es dazu kommt. Ein Dejeuner beim Generalkonsul besser zu eliminieren, da Hitze zu groß. Hier guter Verlauf bei zweifelhaftem Wetter.

(gez.) A. Eulenburg.

Programm.

Manöver bei Totis im September 1897. Sonntag, den 12. September. Totis.

Nachmittags 4 Uhr: Allerhöchste Ankunft Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen. Empfang am Bahnhofe durch Seine kaiserliche und königlich apostolische Majestät, die dienstfreien Herrn Erzherzöge, den zugeteilten Ehrendienst, den Obergespan und Vizegespan und die Spitzen der Lokalbehörden. (Marsch-Adjustierung, Zivil: Gala.)

Fahrt ins Allerhöchste Absteigequartier (Schloß Totis). Vor demselben versammeln sich die in loco befindlichen dienstfreien Offiziere und Militärbeamten. Aufstellung einer Ehrenkompanie. (Marsch-Adjustierung.)

Montag, den 13. September. Totis. Manöver des 4. und 5. Korps.

Dienstag, den 14. September. Totis. Manöver des 4. und 5. Korps.

Mittwoch, den 15. September. Totis-Mohács. Manöver des 4. und 5. Korps.

Nachmittags 4 Uhr: Abreise Seiner kaiserlichen und königlich apostolischen Majestät nach Mohács, woselbst die Allerhöchste Ankunft am 16. September um 2 Uhr 30 Minuten früh erfolgt.

Nachmittags 4 Uhr 15 Minuten: Abreise Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen nach Mohács. Allerhöchste Ankunft daselbst am 16. September um 2 Uhr 45 Minuten früh.

Ihre Majestäten haben außer den vorstehenden Empfängen jeden weiteren Empfang und jede Abschiedsaufwartung Allergnädigst abzulehnen geruht.

Das Gefolge Kaiser Wilhelms bestand ziviliter aus:

Oberhofmarschall Graf August Eulenburg
Stabsarzt Dr. Ilberg
Geheimer Kabinettsrat Dr. von Lucanus
Geheimer Hofrat Abb
Botschafter Graf Philipp Eulenburg
Kanzleisekretär Kistler.

Das militärische Gefolge:

Chef des Hauptquartiers General von Plessen.
Flügeladjutanten: Oberst von Scholl
Oberst Graf Klinkowström
Major Graf Cuno Moltke
Major von Boehn.

Chef des Militärkabinetts: General von Hahnke.
Abteilungschef: Oberst von Villaume.

Geheime Hofräte: Mielenz
Schulz.

Chef des Generalstabes: General Graf Schliefen.
Hauptmann im Generalstab von Volkmann.
Oberstallmeister: Graf von Wedel.

Militärattaché bei der Botschaft in Wien: Oberst Graf von Hülsen-Häseler.

Ehrendienst bei Kaiser Wilhelm:

General Graf Üxküll
Kommandierender General in Wien Oberst Pfeiffer
Major Fürst Schönburg-Hartenstein.

Ordonnanzoffiziere: Rittmeister Graf Starhemberg
Hauptmann Graf Stürgkh
Oberleutnant Graf Meran.

Die »Sitzliste« des Diners in dem großen Kaiserzelt an den Abenden 12., 13., 14., 15. September liegt mir vor: es sind 65 Personen!

Es bedarf nun zur Vervollständigung des Bildes meines Verkehrs während der genannten Tage der Aufzählung der österreichisch-ungarischen Notabilitäten, die sich in der Begleitung und dem Gefolge Kaiser Franz Josephs befanden.

An Erzherzögen waren anwesend:

1. Der alte Erzherzog Rainer (ganz unzweifelhaft der gebildetste, klügste und liebenswürdigste aller Erzherzöge überhaupt), den ich während dieses meines Aufenthaltes in Totis viel zu sprechen die Freude hatte.

2. Der Erzherzog Eugen, bezüglich dessen ich in Verlegenheit komme, ein Urteil zu fällen, da ich nicht weiß, ob ich sagen soll: schön – aber dafür unbedeutend, oder: unbedeutend – aber dafür schön.

3. Der alte Erzherzog Joseph (Sohn des berühmten Erzherzogs Palatin, der 1848 bei dem ungarischen Aufstand eine große Rolle spielte). Er ist weder berühmt, noch Palatin, noch überhaupt in der Lage, eine Rolle zu spielen, da ihm jegliche Fähigkeiten hierzu fehlen. Er ist nur Ungar, was er durch einen mit ungarischer Bartwichse in die Höhe gedrehten Schnurrbart äußerlich markiert. Sein Dialekt ist (wenn man ihn überhaupt und nach großen Bemühungen zu hören bekommt), ungarisch-deutsch; gehackt gesprochen, herausgestoßen. (Der Inhalt ist auch danach, und man tut klüger, den Erzherzog nicht zum Sprechen zu bringen.)

Aus dem Gefolge des Kaisers sind als sehr liebenswürdige und kluge Leute zu nennen: Der Generaladjutant Graf Paar (der allerdings wenig spricht, was in seinem mitteilsamen Vaterlande auffällt), der Feldzeugmeister, Vorstand der Militärkanzlei Baron Bolfras und der Chef des Generalstabes Baron Beck.

Eingeladen war – (und erregte einiges Erstaunen) – der Chef des russischen Generalstabes General Obrutschew.

Natürlich hatten sich auch alle Militärattachés der fremden Mächte zu der großen Schaustellung der ungarischen Streitkräfte eingefunden, unter denen besonders der Serbe, Oberstleutnant Maschin durch seine Eleganz auffiel Er verkehrte in Wien bei mir. Jedoch nicht mehr, nachdem er eigenhändig seinen König Alexander ermordet hatte., während der Japaner Major Ohara weniger durch seine O-Haare als durch seine O-Beine Aufsehen erregte.

Eine der wichtigsten Persönlichkeiten bei dieser militärischen Zusammenkunft war unzweifelhaft – der Wirt. Das war der Majoratsherr von Totis, Graf Franz Esterházy, vermählt mit einer Prinzessin Lobkowitz. Er ist ein höflicher und liebenswürdiger Mann.

Ein wunderbar schöner und interessanter Besitz ist sein Totis, das er 1885 von seinem Onkel, dem auf allen Rennplätzen Europas bekannten Grafen Niky Esterházy, ererbt hatte.

An Gräfin Augusta Eulenburg – (Sandels).

Totis (Ungarn), 13. September 1897.

Hoffentlich treffen Dich diese Zeilen wieder bei bester Gesundheit an. Wäre nur erst das Manöver in Liebenberg vorüber und Ihr hättet Ruhe. (Ein Wunsch, den auch Graf Esterházy stumm in seinem Herzen trägt.)

Büdi Mein ältester Sohn Fritz-Wend. schrieb mir einen sehr lieben Brief, für den ich herzlichst danke. Er schreibt mir jetzt immer so schön gründlich über allerhand Sachen, die mich interessieren.

Gestern also stieg ich mit Hülsen und Kistler, nebst Emaunel Mein vortrefflicher Leibjäger Bartsch., in den Kaiserzug. Der Kaiser war frisch und sah so wohl aus, wie ich ihn lange nicht gesehen habe. Er war gütig wie immer. Ich mußte sofort bei ihm allein bleiben und allerhand erzählen. Das Frühstück im Hofwagen fand um 1 Uhr statt. Das ganze Hauptquartier, dazu der (uns sehr gefährliche) Generalstabschef der Russen, Obrutschew, als Gast des Kaisers und des Kaisers Franz Joseph. (!) Nach dem Frühstück hatte ich wieder ein Gespräch mit dem Kaiser allein.

Um 4 Uhr: Ankunft in Totis. Schönstes, warmes Wetter. – Zum Empfang Kaiser Franz Joseph und die Erzherzöge Reiner, Eugen und Joseph auf dem Bahnhof. Tausende von Menschen in den reich geschmückten Straßen.

Totis selbst ist über alle Begriffe großartig und schön, an einem blauen, schönen See liegend. Ein altes Kastell krönt den Ort. Außerdem ein Schloß mit vielen Nebengebäuden, ein Theater, ganze Straßen von kleinen Beamtenhäusern (ein solches, sehr elegantes, bewohne ich). Auch ein entzückendes kleineres Schloß in dem riesigen Park – kurzum, dieses Totis ist ein ganz merkwürdiger Ort.

Ich legte mich recht ermüdet bald für eine Stunde nieder und besuchte dann Cuno Moltke, der sehr glücklich über seine Kommandierung nach Wien ist. Später fuhr ich mit meiner Hofequipage zu der Schloßherrin, Gräfin Esterházy, geb. Prinzessin Lobkowitz.

Um 7 Uhr war großes Diner in einem Zelt am See. Lauter Militärs. Lucanus und ich wie 2 Raben unter lauter – (ich hätte fast gesagt: Papageien). Ich saß zwischen Erzherzog Rainer – meinem alten Gönner – und General von Kriegshammer vom Generalstab. Nach dem Essen, das einen sehr »feldmäßigen« Anstrich hatte, fand großer Kriegsrat statt, von Beck geleitet.

Dann Besichtigung des riesigen, mit Jagdtrophäen geschmückten Saales, der zugleich Reitbahn ist; eine Schöpfung von Onkel Niky Esterhazy, der in die Klasse der »pathologischen Rennonkels« gehörte. Auch die andern Räume des Schlosses wurden besichtigt, sowie das Theater, das ganz reizend ist. Schließlich blieb ich mit Kaiser Wilhelm, Erzherzog Eugen und etwa 12 Herren bis 1 Uhr zusammen am Tisch biertrinkend sitzen.

13. September 1897.

Heute vormittag ist alles hinaus zum Manöver gefahren oder geritten. Ich werde jetzt mit Lucanus die leidigen Ordensverleihungen besprechen. Ein ganzer Koffer voll solchen »Glückes« ist mitgenommen worden, und wieviel leere Knopflöcher und Soldatenbrüste hoffen, bangen, zittern jetzt »in schwebender Pein« in dem Gedanken an diesen Koffer. Eitelkeit - dein Name ist Mensch! Aber sie wird nicht eingestanden.

Um 1 Uhr frühstücke ich elender Zivilist bei Gräfin Esterházy en famille. Sie ist wirklich freundlich und gut. –

Mit tausend Grüßen den geliebten Kindern Dein alter treuer Philipp.

13. September 1897.

Am Nachmittag kehrten die beiden Kaiser mit dem ungeheuerlichen Gefolge vom Manöver zurück, innerlich und äußerlich schwitzend.

Ich suchte nach der Rückkehr den Kaiser auf, da mir allerhand Depeschen zugegangen waren, die einer schnellen Erledigung bedurften. Dann fand allgemeine Ruhe und allgemeines Baden statt, für das Totis ein Paradies ist. Denn der ganze Untergrund dieser Gegend ist warm. Fast alle Quellen enthalten warmes Wasser von der Temperatur, die man für ein warmes Wannenbad braucht. So befinden sich auch fast in jedem Haus Steinwannen oder sogar Bassins, in die das warme Wasser wie eine Quelle rinnt und daraus abläuft. In meiner Villa (dem Haus eines höheren Beamten von Totis, das, wie fast alle Gebäude nur aus dem Parterregeschoß besteht), befindet sich an einem hübschen, von einer Mauer umgebenen Gärtchen eine Art Sommersalon. In der Mitte dieses Salons ist ein kleines Bassin von rötlichem Marmor eingelassen, das mit silberklarem Wasser angefüllt ist. Es plätschert Tag und Nacht das angenehm laue Wasser hinein – geradezu herrlich! Doch hat diese Wasserfülle in dem Hause den Nachteil, daß es dieses recht feucht macht.

Auch das Wasser des schönen blauen Sees, der etwa so groß ist wie »die Lanke« in Liebenberg ohne die Bucht am Borgwall, ist nicht kalt. So gedeihen denn darin die Fische vorzüglich. Friert daher einmal ein Fisch, so braucht er nur an eine warme Quelle zu schwimmen. Ich denke mir, daß im Paradiese ähnliche Vorrichtungen angebracht gewesen sind.

Abends fand wieder das große »feldmarschmäßige« Diner auf einfachen weißen Tellern und mit Zinnbechern in dem großen Zelte am See statt. Wieder hörte man am Schluß des Bratens (es gibt leider keine Mehlspeise) plötzlich die Stimme des alten Kaisers Franz Joseph laut: »Ich bitt' um Ruhe!« – und nach dem plötzlichen Verstummen des großen militärischen Gemurmels, breitete wieder der Chef des Generalstabes vor dem Platz der beiden Kaiser eine große Manöverkarte aus, auf der so viel ungarische Ortsnamen stehen, daß einem fast schwindlig wird.

Es begann die Disposition für den nächsten Tag, von der kein Deutscher – das Geringste verstand. Gottlob blieb der deutsche Kaiser nach Schluß dieses interessanten Vortrags heute abend nur kurze Zeit mit Erzherzog Eugen und einigen Herren sitzen, er war müde. Der österreichische Kaiser hatte bereits während Becks »Disposition« öfters genickt. Ob das Zustimmung bedeutete, lasse ich dahingestellt. Jedenfalls ging er »unmittelbar« nach Schluß zu Bett.

14. September 1897.

Auch dieser Tag brachte allerhand Kurzweil – denn auch Langeweile bringt bei gewissen Konstellationen eine Kurzweil zutage. Doch wurde die Fahrt nicht zur Kurzweil, die ich mit meinem verehrten und verschlagenen Freunde und Gönner Lucanus um 10 Uhr in das Manöverterrain unternahm. Wir kehrten nach 12 Uhr zurück, nachdem wir ungefähr da gewesen waren, wo sich das Manöver nicht abspielte, denn als wir endlich jenseits eines Flusses allerhand wild aufgeregte Adjutanten herumreiten sahen und einige ungarische Soldaten in fürchterlich engen hellblauen Hosen sich vor den Adjutanten hinter Büschen versteckten – fanden wir keine Brücke.

Heimgekehrt, hatte ich kaum Zeit, mir meinen schwarzen Überrock anzuziehen, um noch rechtzeitig in das kleine Schlößchen im Park zu gelangen, wo ein »intimes Dejeuner dinatoire« bei Esterhazys stattfinden sollte. Die beiden Kaiser hatten das sehr berechtigte Gefühl, den »Wirten« von Totis (die sich in geradezu ungeheuerliche Unbequemlichkeiten gestürzt hatten), eine »Höflichkeit« zu erweisen.

Das Schlößchen ist im Grunde nichts anderes als ein runder, ziemlich kleiner Eßsaal mit ein paar kleinen Zimmerchen daneben und darüber. Es liegt in reizender Lage in dem schönen Park bei alten Bäumen und ist in der Zeit Louis XVI. erbaut. An den Wänden des runden Sälchens befinden sich auf Konsolen Vasen. Durch große Glastüren blickt man hinaus in den Park. In dem runden Sälchen steht nur ein runder Tisch, der fast ebenso groß ist wie das Sälchen selbst und nur Platz für die Stühle läßt.

Die Gesellschaft war, wie man bei solchen Gelegenheiten zu sagen pflegt, »klein, aber gewählt«: das Ehepaar Esterházy, die beiden Kaiser, die Erzherzöge Rainer und Joseph, der russische Chef des Generalstabes Obrutschew und ich – 8 Personen. Für diese 8 Personen war aber der runde Tisch zu groß. Die Vis-à-vis saßen ungefähr an der gegenüberliegenden Wand, und ohne daß die Diener auf allen Vieren auf dem unendlich breiten runden Tisch herumgekrochen wären, hätte derselbe unmöglich dekoriert werden können, denn ein Hinüberreichen der Blumenvasen- und körbe bis zu dem Zentrum des Tisches war schlechterdings ausgeschlossen.

Die zu Tod verlegene Gräfin (der ich gestern völlig vergebens Mut zugesprochen hatte), saß zwischen den 2 Kaisern und trug zugleich die volle Verantwortung für jedes aufgetragene Gericht. Die arme gute Seele! – wie leid tat sie mir in ihrer ungeheuren Ehrung. Ich bin überzeugt, daß am Schluß dieser fürchterlichen Aufregung sie »weinte vor Schmerz und vor Freude.«

Ich saß zwischen Erzherzog Joseph und Obrutschew, der eine gewisse reservierte Haltung einnahm und sich wohl immer nur überlegte, »wie, wo und warum« man die Österreicher am besten »verdreschen« könne.

Kaiser Wilhelm und ich machten – soweit es bei der Entfernung über den Tisch möglich war – die Konversation ganz allein. Gräfin Esterházy antwortete stets freundlich »ja« oder »nein«, Graf Esterházy aber wurde von blauen und roten Ängsten gehoben, daß irgendein fürchterlicher Zwischenfall eintreten könne. Er erhob sich mit einem tiefen Atemzug der Erleichterung, als die Tafel beendet war und er den Majestäten die Zigarren anbieten konnte. Der alte Kaiser Franz Joseph gehört zu den stummsten und daher weisesten Monarchen, Erzherzog Joseph aber zu den so tiefen Schweigern, daß er jedesmal erschrickt, wenn man ihn anredet. Doch nicht etwa, weil er tiefen Problemen gedankenreich nachspürte, sondern weil er an nichts denkt. »Wo liegt Ew. Kaiserlichen Hoheit Schloß Alesuth?« fragte ich z. B.... Er sah mich erschreckt an und sagte nach einigem Nachdenken: »Szehr weit!« »Aber doch an der Bahn?« fragte ich unerschrocken weiter. »Szehr wenig«, sagte er mit einer Betonung und einem Blick, als habe Galilei von der Erde gesagt: »und sie bewegt sich doch!« »Ich höre, daß Sie viel und sehr gute Hirsche in Alesuth haben«, fuhr ich fort, um ihm eine Freude durch meine Wissenschaft zu machen. »Szehr!« sagte er und nickte eine Weile befriedigt mit seinem erzherzoglichen Kopfe. Ich bemerkte, daß Kaiser Wilhelm mit lachenden Augen zu mir hinübersah. Er hatte schon seinerseits zuviel vergebliche Konversationsangriffe auf den Erzherzog gemacht, um sich nicht darüber zu amüsieren, wenn ich immer von neuem versuchte, diesen bombensicheren Gehirnkasten zu stürmen.

Das kleine Dejeuner war trotz solcher Intermezzos ganz gemütlich. Auch Obrutschew nicht übel, – wenn man von den Pariser Theatern sprach. Das Essen war vortrefflich, das Schlößchen reizend, der Park schön und Esterházys trotz aller Sorgen und Verlegenheiten sympathische und natürliche Menschen. Aber über den Erz-Joseph habe ich noch manchesmal mit dem Kaiser lachen müssen – mein Gott, welcher Geist!

Nachmittags hatte ich wieder einen längeren Vortrag bei Kaiser Wilhelm - nebst Unterhaltung über die Tageseindrücke. Abends fand das übliche große Souper in dem Zelt am See statt, doch nicht ganz ohne Konvulsionen. Ich saß links vom Kaiser Franz Joseph, Kaiser Wilhelm rechts von ihm und zu meiner Linken Graf Esterházy. Dieser hatte sich, verlockt von dem köstlichen Mondschein über dem See, eine musikalische Überraschung ausgedacht. Vier seiner Jäger (in der ungarischen Nationaltracht als grüne Husaren mit gelben Stiefeln und kühner Mütze mit Adlerfeder geschmückt) bliesen auf Waldhörnern Lieder-Quartette, während sie in einer mit Lampions geschmückten Gondel auf dem See hin- und hergerudert wurden. Das klang sehr reizend, besonders wenn sie sich, wie anfangs, in der Ferne hielten. Bei den Wendungen des Bootes schwollen oder schwanden die Töne und schwebten sehr lieblich über dem See.

Selbstverständlich lauschte die große militärische Manövergesellschaft nicht einen Augenblick auf diese Musik, sondern schwatzte unentwegt. Ich glaube, der gute Esterházy war erfreut, daß ich ihm öfters über den Zauber dieser Waldhörner auf dem Wasser sprach.

Jetzt flüsterte ein Offizier dem Kaiser Franz Joseph ins Ohr, daß die »Befehlsempfänger der Korps angelangt seien.« Der Kaiser nickte, und es traten, mit den Notizbüchern in der Hand, die vier Hauptleute (oder Majors) nebeneinander mit militärischem Gruß in das Zelt.

»Meine Herren, ich bitte um Ruhe«, sagte der alte Kaiser. Alles verstummte, der Generalstabschef Baron Beck erhob sich, breitete die Karte auf dem Tisch aus, und begann.

Aber was war in die Quartett-Bläser gefahren? Sie kamen langsam – immer blasend – näher.

»Ge–stern – noch auf – ho–hen Ro-o-ssen« – bliesen sie langsam und laut, »heu–te durch – die Brust – ge–scho–o–ssen« – (noch langsamer und noch lauter).

Baron Beck verstärkte nun auch seine Stimme, aber es half nichts. Die Jäger bliesen.

Der arme Esterházy geriet in Fieber. Dann aber sprang er auf, seine Tischserviette in der Hand, und zwei ungarische Hausfreunde – Offiziere – schlossen sich ihm an. Sie stürzten fort an das Ufer und winkten mit den Servietten in der Richtung »fort von dem Zelt«. Aber die Bläser sahen nur eine kaiserliche Anerkennung in dem Winken und kamen blasend immer näher.

Gottlob, jetzt schweigen sie! – doch nein, nur eine Minute, und es ertönt (wohl alles zu Ehren Kaiser Wilhelms) wiederum das deutsche Volks-Soldaten-Lied!

»Mor–gen–ro–ot! – Mor–gen–ro–ot!« klang es ganz langsam und noch lauter als vorher.

»Der rechte Flügel«, schrie Baron Beck, den Zeigefinger heftig auf die Karte drückend, »steht bei Felsö-Galla.«

»Leuch–test – mir–ir – zum frü–hen To–od«, blies das Quartett.

Ich konnte mich nicht halten vor der Komik dieser Situation. »Der Becksche Parademarsch«, sagte ich zu Kaiser Franz Joseph ziemlich laut, um verstanden zu werden, »ist im Tempo etwas zu langsam genommen.«

Der alte Kaiser, dem die Situation nicht angenehm war, lachte auf diese Bemerkung zu meiner Freude. Kaiser Wilhelm aber, der meine ziemlich freche Bemerkung auch gehört hatte, verlor darüber ganz die Fassung, bückte sich vornüber und lachte, daß er sich schüttelte.

Jetzt sah ich den Grafen Esterházy in ein kleines Boot springen, das in der Nähe lag. Ein ungarischer Bauer ruderte ihn, sich hin und her werfend, als hinge sein Leben davon ab. Im Mondschein sahen die beiden Insassen wie schwarze Silhouetten aus, nur die große weiße Serviette leuchtete hin und wieder hell auf, wenn der ganz verzweifelte Graf einen neuen Versuch machte, das Quartett zu bändigen.

Dann hörte man auf dem See fürchterlich schimpfen – und dann war alles still. Die Lampions verlöschten– es stand nur der weiße Mond über dem stillen See.

»Meine Herren«, sagte der alte Kaiser laut mit ziemlich starker Betonung, »ich bitte um Ruhe.«

Und, als habe Gott-Vater aus den Wolken gesprochen, so plötzlich entstand eine lautlose Stille.

»Der rechte Flügel«, wiederholte nun Exzellenz Beck in ruhigem Ton, »steht bei Felsö, und ...«

usw.

(Es folgte der Kriegsplan.)

Graf Esterházy hatte sich leise wieder neben mir auf seinen Stuhl geschoben, und ich drückte ihm zulächelnd unter dem Tisch verständnisvoll die Hand. Er erwiderte den Druck, sah aber noch ganz erschüttert aus. Erst nachdem der alte Kaiser sich am Schluß des gewaltigen Kriegsplanes erhoben, der gesamten Gesellschaft eine Verbeugung gemacht und von Kaiser Wilhelm bis an seinen Wagen begleitet worden war, fand ich Gelegenheit, dem armen Grafen zu sagen, daß der Kaiser keineswegs ergrimmt gewesen, sondern sogar »gelächelt« habe, als das »Morgenro–ot« begonnen hatte. Ich könne ihm nur versichern, daß der reine Klang des Quartetts der Waldhörner auf dem Wasser geradezu entzückend gewesen sei.«

»Sie sind halt ein Musiker«, sagte der Arme wehmütig, »aber ich hatte mir die Sach' doch anders gedacht!«

Kaiser Wilhelm winkte mir. Sein Wagen war vorgefahren, und ich sollte ihm noch im Schloß Vortrag halten.

Aber sobald der Wagen davonrollte, brach er in ein lautes Gelächter aus. »Du bist doch ein unglaublicher Mensch«, rief er aus. »Daß du dem alten Herrn, der gar nicht wußte, was er angesichts der blasenden Gondel machen sollte, den »Beckschen Parademarsch« versetztest, hat mir beinahe einen Erstickungsanfall verursacht. Denn ich konnte doch nicht – sowieso schon mit dem Lachen ringend – neben dem alten Kaiser laut herausplatzen! – es war fürchterlich!«

»Doch aber wunderschön«, erwiderte ich. »Denn solche Situationen wie der feierliche Kriegsrat vor dem obersten Kriegsherrn in Verbindung mit dem traurigen Morgenrot-Quartett, das Esterházy mit einer Serviette vergeblich im Mondschein von einem See verjagen will, schickt uns nur ein gütiger Gott. Ich werde dieses Ouartett niemals vergessen.«

»Ich auch nicht«, sagte der Kaiser.

15. September 1897.

Ich kam gestern abend nach meinem Vortrag bei dem Kaiser erst gegen 1/2 12 Uhr nach Hause und legte mich todmüde in mein feuchtes Bett neben der plätschernden Bassinstube. Aber ich schlief herrlich – leider nur bis 3 Uhr morgens, denn es erschien der nette Esterházysche Güterdirektor Schmidt, ein Reichsdeutscher, ziemlich geräuschvoll bei Emanuel, und beide bemühten sich, mir den Schlaf zu vertreiben, um die verabredete Pirschfahrt auf Rothirsche zu machen.

Zunächst fuhren wir in einer Esterházyschen Equipage, dann in einem Bauernwagen über Stock und Stein, dann gingen wir zu Fuß. Ein Revierjäger hatte sich dazu eingefunden, und ich fragte Herrn Schmidt, ob es einer der Bläser vom gestrigen Abend sei. Als er bejahte, bat ich Schmidt, ihm zu sagen, daß ich begeistert gewesen sei. Ich selbst sei Musiker und wisse zu beurteilen, was sie geleistet hätten. Die beiden Kaiser seien ganz beglückt gewesen.

Der Mann strahlte über sein ganzes gebräuntes Gesicht mit dem hochgewichsten Schnurrbart und stammelte einen ungarischen Dank, der so klang, als ob er Holz hackte.

Das Jagdterrain ist ein mit Eichenwald bedecktes Gebirge. Drei Hirsche waren zu hören, eine sehr gute Stimme dabei. Es gelang, diesen anzupirschen, ich hatte einmal sogar schon angelegt, als ein Schuß in einiger Entfernung fiel und der Hirsch absprang. Mein Jäger fuhr zusammen und sprang mit einem ungarischen rauhen Fluch gleichfalls ab und verschwand.

»Das ist das verdammte Manöver«, sagte der nette Schmidt wütend. »Wie soll man sich vor all den Soldaten mit ihrer Jagdpassion schützen? – ja, unsere Pirsche ist natürlich aus. Der Graf wird schön böse sein, es lag ihm soviel daran, Sie zu Schuß zu bringen!«

Kurz darauf, während wir durch das Gehölz an einem weiten Abhang mit großen Lichtungen schritten, fiel wieder ein Schuß in einiger Entfernung. Wir blieben stehen und äugten aufmerksam nach dem Tal hin, wo der Schuß gefallen war. Einen Augenblick nur sahen wir, weit unten, einen blauen Soldaten durch die Büsche springen.

»Na, gesund ist er«, sagte Schmidt – »zu schade!«

Aber ich war doch leidlich zufrieden, daß wir ohne Mordtat aus dem Revier kamen. Dem Jäger – Waldhornisten – bestellte ich einen Gruß mit einem fürstlichen Geldgeschenk und gelangte nach einer guten halben Stunde in mein feuchtes Bett.

16. September.

Ich halte Vortrag bei dem Kaiser, der mich schimpfend über eine vergebliche Pirsche auf starke Hirsche empfing. »Statt eines gewissen, ganz starken Hirsches trafen wir eine Infanterie-Patrouille in dem Walde an! So etwas kann wirklich nur hier passieren!«

»Ach nein!« antwortete ich, »bei einem Manöver in Liebenberg formierten sich die Patrouillen – und sonstige Teilnehmer – zu einer regelrechten Schützenkette und trieben den Häsener Wald, während die Liebenberger Schonungen an den Lankebergen von den Gegnern ebenso behandelt wurden. Ein Offizier erzählte mir lustig: »Auf dem Feld dazwischen sah es aus wie im zoologischen Garten.« Bei dieser Gelegenheit seien (wie meine Jäger erzählten) verschiedene Hasen (und anderes) geschossen worden, was mir nicht leid tat, da sie den Herren Offizieren gut geschmeckt haben werden. Ich fragte mich nur, wo die scharfen Patronen herkamen? Denn bei einem Manöver pflegte nicht scharf geschossen zu werden.«

Der Kaiser wurde sichtbar sehr ärgerlich.

»Weshalb hast du mir das nicht gemeldet?« sagte er schnell.

»Weil Ew. Majestät noch gar nicht regierten. Es war 1886 oder 1887.«

»Ach so!« sagte er mit Erleichterung. »Na, unter meiner Regierung käme so etwas auch nicht vor.«

(Der arme Kaiser! – ich war im Begriff, ihm zu erzählen, daß sich fast derselbe Vorgang unter seiner Regierung vor einigen Jahren wiederholt habe, als sich eine große Manöver-Schlacht auf demselben Terrain abspielte!)

Nach diesem »Vortrag« begab ich mich zu Kaiser Franz Joseph, um mich für die Verleihung des Großkreuzes des St. Stephans-Ordens zu bedanken. Daß der sonst so ordenskarge alte Kaiser mir schon jetzt seinen höchsten Orden, den er zu geben hat, verlieh, war ein Zeichen seiner ganz besonderen Huld, und darum war es mir auch Bedürfnis, ihm schnell persönlich meinen Dank auszusprechen. Er war reizend in seiner Güte und Freundlichkeit und sagte mir viele nette Sachen.

Des Morgens während des Manövers war er sehr schlimm mit dem Pferde gestürzt. Aber der alte, nun 67 Jahre zählende Herr ist gewandt wie ein junger Mann. Er lachte nur darüber, als ich davon sprach.

Um ½2 Uhr fand das Diner in dem gestern abend so freundlich »angeblasenen« Zelte statt, und hierauf erfolgte die große Abreise mit einem Abschiednehmen von so viel Menschen, daß sich meine Hand unter soviel Druck näßte.

Kaiser Franz Joseph reiste nach Pest, Kaiser Wilhelm nach Bellye zur Hirschjagd bei Erzherzog Friedrich. Da Hofstaatssekretär Schwerin erkrankt war, mußte mein Sekretär Kistler zur Aushilfe mit dem Kaiser nach Bellye fahren. Letzterer sagte mir scherzend: »Das ist mir lieb, dann kann ich alle politischen Sachen mit ihm besprechen.« Kistler war beglückt.

Esterházys baten mich, noch einige Tage zu bleiben. Aber das hätte noch gefehlt, den Armen nach diesen anstrengenden Tagen auf dem Halse sitzen zu wollen, während sie doch nur die Sehnsucht hatten, sich auf ihre Sofas zu legen und in Dankbarkeit, daß es nun zu Ende war, »Uff!« zu sagen. Ich fuhr mit dem Gefolge Kaiser Franz Josephs bis zu der Station Biczké, um bis zu der Ankunft Kaiser Wilhelms in Pest am 20. September bei meiner Freundin Fürstin Pauline Metternich in ihrem Schloß Bajna zu bleiben.

Schloß Bajna.

Die Fürstin schrieb mir:

Bajna, 13. September 1897.

Das ist herrlich! – Sie kommen! – Ich kann Ihnen nicht genug sagen, wie unendlich ich mich freue, Sie hier zu begrüßen, und wie dankbar ich Ihnen bin, daß Sie Ihr Versprechen halten! – Also die Herfahrt: .... entweder Biczké oder über Füretö-Almás. Wenn es bis übermorgen stark regnen sollte, dann müßte ich raten, letzteren Weg zu nehmen, da der von Biczké bis Pusta Gyarmath geradezu miserabel und unfahrbar wird, so daß selbst die ungarischen Beamten, welche auf ihre Wege stolz sind, erklären, »da sei es gefährlich!« Es liegen keine Kommoden Der Landweg von Waldburg (dem Besitz meines lieben Vetters Eberhard Dohna) nach Kilgis (dem Besitz meines Schwagers Kalmein) in Ostpreußen war bei anbrechendem Frühjahr derart unfahrbar und unergründlich, daß man einst nach fortgetautem Schnee eine Kommode in dem Geleise fand, die eine Bauernfamilie bei ihrem Umzug verloren hatte. in den Geleisen, aber es gibt dafür Löcher, die mehr Abgründen ähnlich sehen!

Nachts dürfen Sie keineswegs fahren. Ich schicke Ihnen einen kleinen Jagdwagen mit ungarischem Kutscher. In Gyarmath, d. h. an der Grenze meines Besitzes, werde ich Sie empfangen »weather permitting«.

Für Ihr Gepäck wird ein uneleganter Leiterwagen in Bereitschaft stehen. Den Diener – d. h. Ihren Diener – nehmen Sie auf den Bock zu sich. – Selbstverständlich bringen Sie die obligate Mordwaffe mit, denn vielleicht gelingt es, Sie mit einem Kapital-Hirsch zusammenzubringen! –

Bitte machen Sie sich auf kein Liebenberg gefaßt – Bajna ist nicht schön und recht altmodisch eingerichtet. ...

(gez.) P. Metternich.

Die Fahrt nach Bajna war allerdings unglaublich! Diese Wege! Und in einem rasenden Tempo über alles hin. Ich mußte mich festhalten, um nicht aus dem leichten Jagdwagen hinausgeschleudert zu werden, und wunderte mich, daß nicht alles in Trümmer ging. Es mag wohl noch etwas von der Tradition des seligen Grafen Sandor in den Kutschern und Pferden sitzen.

Der Kutscher, ein älterer Mann mit Schnurrbart, die buntbestickte schwarze Weste über dem breiten weißen Hemd mit den flatternden Ärmeln und dem kleinen, schwarzen, flachen, runden Hut auf die Seite gedrückt, hielt die 4 Dunkelbraunen ganz kurz, und seine Aufmerksamkeit war großartig. Als wir durch ein Loch sausten, so daß ich fast aus dem Wagen flog und rief: »Das ist gerade noch einmal so abgegangen!« antwortete er, ohne sich umzuwenden, in seinem harten Ungarisch-Deutsch: »Mocht nix, Euer Gnaden Exzellenz-Herr! – kenn ich alle Löcher auf Herrschaft gaanz genau.«

Auf der Pusta Gyarmath, in einem reizenden Jagdschlößchen, begrüßten mich die Fürstin und Tochter Clementine (Clemy) auf das herzlichste, und nachdem ich einen kleinen Imbiß eingenommen hatte, ging es weiter – in demselben Tempo. Ich hatte das Gefühl, daß es der Fürstin gar nicht schnell genug ging! – aber sie hatte recht, als sie mir schrieb: »Nachts dürfen Sie keinesfalls fahren.« Ich wäre nachts allerdings lebendig nicht in Bajna angelangt. Heute aber landeten wir heil vor dem Schlosse mit den 4 dampfenden, schweißübergossenen Braunen.

Das Schloß trägt, wie alle älteren ungarischen Schlösser, die ich gesehen habe (wenn sie nicht eine mittelalterliche Burg sind), einen nüchternen, kahlen, aber vornehmen Charakter. Es ist groß, und eine imposante Treppe führt zu dem ersten Stockwerk, wo (im Treppenhaus) das Reiterbild des Vaters der Fürstin, des berühmten Grafen Sandor, in Lebensgröße prangt. Von hier tritt man in die Wohnräume, die gleichfalls den Charakter der dreißiger Jahre tragen. Nur ihren eigenen Salon hat die Fürstin mit dem Sinne der Behaglichkeit, die sie verbreitet, wenn man sich um sie schart, hergerichtet.

Der Garten ist nicht groß, doch immerhin der Größe des Schlosses entsprechend. Man fährt durch ein Portal in diesen Garten, um zu dem Schlosse zu gelangen.

Das Portal ist jenes, an das sich eine unvergleichliche Erinnerung an die beste und intimste Freundin der Fürstin, Gräfin Melanie Pourtalès, geb. de Buissière (aus dem Elsaß) knüpft.

Sie möge hier einen Platz finden, um so mehr, da uns der Schwiegersohn der schönen Gräfin Melanie, Baron Berckheim (Militär-Attaché bei der französischen Botschaft in Wien) empfing, der in Bajna zum Besuch weilte und die Gedanken auf die schöne Gräfin Melanie lenkte.

Diese war nach jahrelangem Bitten und immer gestörten Verabredungen endlich nach Bajna gekommen, und Fürstin Pauline hatte in dem genannten Portale ein großes weißes Schild anbringen lassen, auf dem die lakonische Inschrift prangte: »Endlich!« Als aber Gräfin Melanie längere Zeit in Bajna geweilt hatte, und zwar länger, als sie ursprünglich beabsichtigte, erfolgte die Abreise. Der ungarische Gärtner, der kein Deutsch verstand, hatte von der Abreise der Gräfin vernommen und als besondere Aufmerksamkeit den Willkommen- Gruß wieder an dem Portal angebracht, was bei der Abfahrt die Fürstin mit Entsetzen bemerkte.

Baron Berckheim (aus einer badischen Familie stammend, die im Elsaß begütert ist) beißt (wohl gerade, weil er einen deutschen Namen trägt) den Franzosen mehr heraus, als nötig, doch ist er unleugbar liebenswürdig und wurde bald ganz gemütlich badisch-elsässisch, als er sah, daß es mir auch nicht im Traume jemals einfiel, ein Botschafter-Gesicht zu machen.

Außer Berckheim war nur der Hausarzt der Fürstin, ihr Sekretär Janichary (ein recht angenehmer, gebildeter Mensch), und der gute, alte Herr von Marcowich anwesend.

Marcowich hat den Vorzug, von jedermann sympathisch gefunden zu werden, ohne daß er es nötig hat, seinen alten Mund zu öffnen. Mir sind in meinem Leben hin und wieder solche gesellschaftlichen Glückspilze begegnet, und es taucht vor solchen Erscheinungen in meinem Gedanken immer das Wort der Heiligen Schrift von den Vögeln unter dem Himmel auf: »Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und unser himmlischer Vater ernähret sie doch.« Marcowich trifft man überall bei Diners, Soupers und in angenehmen Salons, aber wenn die Vögel unter dem Himmel »piep« sagen, so hält auch das Marcowich nicht einmal für nötig. Wie gesagt: Jeder findet ihn angenehm und sympathisch – und so auch ich. Man drückt ihm die Hand, er lächelt gütig, und man freut sich, ihm die Hand gedrückt zu haben.

Wir machten eine Promenade durch den Garten und die grandiosen Sandor-Ställe (in denen allerdings nicht in jedem Stand ein Pferd wieherte wie zu Sandors Zeiten und auch keines wie damals zitterte und erschrak, als wir eintraten), immerhin waren es genug, um durch alle Löcher der Herrschaft Bajna geschleppt werden zu können.

Das Diner war vortrefflich und der Tisch mit Blumen so reizend und elegant geschmückt, daß man sich daran hätte satt sehen können, wenn nicht die weichen, zarten, grünen Maiskolben, mit frischer Butter serviert, zum ersten Male in meinem Leben vor mir erschienen wären – die höchste Delikatesse Ungarns – und meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätten.

Bis um 11 Uhr saßen wir schwatzend in dem gemütlichen Salon meiner gütigen Freundin zusammen.

Es waren angenehme, sanfte Ruhetage nach der stürmischen Bewegung und dem Menschengewirr in Uniform, das sich in Totis um zwei Kaiser wie um zwei Sonnen zu bewegen schien. Auch Sternschnuppen hatten nicht gefehlt – von der Sonne losgelöste Erzherzöge, die mir (berlinisch gesprochen) sehr »schnuppe« waren.

Graf Sandor.

Nicht darf ich jedoch Bajna verlassen, ohne ein Wort über den berühmten Vater seiner berühmten Tochter Pauline zu sagen, denn der Name des Grafen Moritz Sandor (1805–1878), des letzten männlichen Sprosses seines uralten Magyarischen Stammes, und seiner Herrschaft mit dem Schlosse Bajna, ist untrennbar mit der Geschichte Ungarns verknüpft. Wenn auch Graf Sandor nicht als großer Staatsmann oder Kriegsheld gefeiert werden kann, so doch in einem Sinn, der dem ritterlichen, tapferen Charakter, mit einem Zug in das Abenteuerliche, Phantastische, dieses Volkes entsprach, das durch Jahrhunderte im Kampfe mit den Türken gelebt hatte und sich dadurch persönlichen Mut und ritterliche Eigenschaften erwarb, die es über alles stellte, unleugbar verbunden mit einem, dem Orientalen sich nähernden Charakterzug.

Graf Sandor hatte keine Gelegenheit, an einem Kriege teilzunehmen. Er lebte in der großen, friedlichen Pause nach den napoleonischen Kriegen. So entwickelte sich seine Eigenschaft größter Unerschrockenst zu einer Waghalsigkeit und Tollkühnheit, wenn er zu Pferde saß, die man fast mit Wahnsinn bezeichnen könnte. Ganz Ungarn belachte ihn jedoch nicht um seiner phantastischen, oft auch theatralischen Streiche willen. Der Deutsche würde ihn lediglich einen »verrückt gewordenen Kunstreiter« genannt haben. Dem Ungarn aber war er ein Held.

Mir war er noch etwas anderes. Denn es handelt sich in diesem Fall nach meiner Ansicht um die Einwirkung gewisser, dem Grafen innewohnender Kräfte auf das Pferd, die ich magnetisch nennen will, da mir der entsprechende Ausdruck für das fehlt, was sich in der Gewalt des Grafen über das Pferd darstellt, nämlich einer Macht, die über das hinausgeht, was die sogenannte »hohe Schule« in der Reitkunst bedeutet, d. h. die vollkommene Erziehung des Pferdes zu absolutem Gehorsam. Über den Vater meiner Freundin Metternich ein Wort zu sagen, wenn ich seine Tochter zu schildern mich bemühte, schien mir aber auch aus dem Grunde angezeigt, weil sich vieles in dem Wesen und der Eigenart der Tochter – in erster Linie ihre furchtlose Energie und schnelle Entschlußfähigkeit – aus dem Charakter des Vaters herleiten läßt Der Wiener, der den Scherz liebt, hatte das Wort erfunden: »Was der Vater zu Pferde war, ist die Tochter zu Fuß!«.

Ich sagte, daß die Reiterkunststücke und Abenteuer des Grafen in der ganzen Welt bekannt waren. Darum wäre die Aufzählung gewisser Reit-Abenteuer hier vielleicht überflüssig, um so mehr, als sich in der Liebenberger Bibliothek ein Album bildlicher Darstellungen aus dem Reiterleben Sandors befindet, die von einem ihn begleitenden Maler historisch festgelegt wurden.

Doch hier will ich zwei seiner »Kunststücke« erwähnen, die mir durch Personen bestätigt wurden, die sie in ihrer Jugend erlebten – und auch seine Tochter sich des Eindrucks, den diese tollkühnen Abenteuer auf sie machten, sehr wohl aus ihren Jugendjahren zu erinnern wußte.

Das eine dieser »Kunststücke« war das Reiten des Grafen über die Donau bei Eisgang. Das Eis, das in einem sehr harten Winter die Donau bei Pest überzogen hatte, brach auseinander und setzte sich, in große und kleine Schollen auseinanderberstend, langsam in Bewegung. Graf Sandor ließ einen Rappen satteln, der besonders »geschickt« war und ritt neben der großen Schiffsbrücke her, die damals Ofen mit Pest verband, von Scholle zu Scholle springend über den Fluß! Auf der Brücke hatten sich Hunderte von Menschen eingefunden, die mit Entsetzen dem tollkühnen Schauspiel folgten und zum Schluß dem »Nationalhelden« brausend zujubelten.

Ein zweites »Kunststück« vermag das erste noch dramatisch zu ergänzen.

In dem Palais Sandor auf dem Burgplatz in Ofen (heute das ungarische Ministerium des Äußeren) führt eine breite Treppe von dem Flur in das erste Stockwerk, wo sich ein saalähnlicher Raum in der Mitte befindet. Von diesem führt eine Glastür auf einen schmalen langen Balkon. Ich habe öfters in dem Raume bei meinen Besuchen des ungarischen leitenden Staatsministers geweilt.

Graf Sandor sagte eines Tages seinen Freunden, er werde sie mittags auf dem Burgplatz begrüßen. Man fand sich zahlreich ein, da man irgendein »Kunststück« erwartete – doch wohl kaum eine Begrüßung in der Form, wie sie stattfand. Er kam auf den Burgplatz gesprengt, das große Portal seines Palais wurde geöffnet, und er verschwand hoch zu Roß darin. Plötzlich erschallte oben vom Balkon eine Stimme. Auf seinem Rappen sitzend, von dem schmalen Balkon aus, auf dem er kaum mit dem Pferde Platz findet, schwenkt er grüßend den Hut. Alles jubelt ihm zu. Wie aber kommt er von dem Balkon, auf dem er das Pferd nicht wenden kann, hinaus und die Treppe hinunter, die man zur Not wohl zu Pferd hinaufklettern kann? Da erschallt ein allgemeiner Schreckensruf auf dem Platz. Sandor läßt sein Pferd hoch aufbäumen – und während es, gleichsam in der Luft über dem Balkon schwebend auf den Hinterbeinen steht, wirft er es in dieser Stellung herum und verschwindet durch die Tür in dem Zimmer. Es vergehen nur wenige Minuten. Das Portal wird geöffnet, und Sandor, freundlich die jubelnde Menge grüßend, galoppiert über den Platz und die stille Straße hinab zur Donau, um spazierenzureiten.

Diese Beispiele mögen genügen, um den Mut, die Entschlossenheit – und die waghalsige Reitkunst Sandors kennenzulernen. Es blieb für mich jedoch immer die Frage offen, welche Kräfte mitwirkten, um die unerhörte Gewalt des Grafen über das Pferd zu erklären, denn mit Geschicklichkeit und Gewalt allein ist es nicht getan, was Sandor wagen konnte. Es könnte mich fast auf den Gedanken an eine Überleitung seiner momentanen Willensabsichten auf das Pferd bringen – was ich natürlich für Unsinn halte. Aber daß irgendeine Kraft hierbei im Spiele war, die ich, da mir eine andere Bezeichnung fehlt, mit dem landläufigen Ausdruck bezeichnen wollte, unterliegt keinem Zweifel. Weshalb gehen unter gewissen Reitern alle Pferde, und warum unter gewissen anderen Reitern, die sich größere Mühe geben und alle Gesetze der Reitkunst befolgen, »gehen« sie nicht? Aus meiner kavalleristischen Zeit erinnere ich mich eines Leutnants von Freier, der bei den I. Garde-Ulanen stand, er bändigte jedes noch so unbändige Pferd in allerkürzester Zeit, ja, brachte solche Pferde dahin, sich auf sein Zureden und Berühren niederzulegen.

Auf eine gelegentliche, diesbezügliche Frage antwortete mir Fürstin Pauline in ihrem Briefe vom 6. September 1897: ... »Was mystische Vorkommnisse im Leben meines verstorbenen Vaters betrifft, so habe ich diesbezüglich nie etwas erfahren. Nur die Geschichte der durchgehenden Pferde ist allerdings geheimnisvoll.«

Ich komme auf diese geheimnisvolle Geschichte zurück, will jedoch vorher noch erwähnen, daß mir die Fürstin in Bajna, gelegentlich eines Besuches der dortigen Stallungen, eine sonderbare Tatsache mitteilte.

Diese großen Stallungen waren zur Lebenszeit ihres Vaters mit Pferden angefüllt – jetzt bargen sie nur Gespanne, die die Fürstin während ihres Sommeraufenthaltes benötigte. Sie erzählte mir, daß, sobald ihr Vater in den Stall trat, sämtliche Pferde nicht nur stets zu zittern begannen, sondern auch ein »gewisses Geschäft« verrichteten. Blieb der Graf längere Zeit in dem Stalle, so beruhigten sich die Tiere allmählich, aber sie gerieten alle in Transpiration.

Diese höchst merkwürdige Einwirkung, die bis zu einem gewissen Grade die Bestätigung dessen ist, was mir Nachdenken verursachte, steht nun wohl auch mit dem Ereignis in Zusammenhang, das die Fürstin in ihrem Brief erwähnte, und das sie mir in Bajna nicht ohne Widerstreben und sehr ernst mitteilte.

»Der schwarze Wagen«, so begann die Fürstin, »der den Sarg meines Vaters bei seiner Beisetzung zu der Gruft führen sollte, stand vor dem Schlosse. Sechs schwarzbehangene Rappen waren davorgespannt. Man trug den Sarg aus dem Schloß und hob ihn auf den Wagen. Wir standen tieftraurig dabei. Doch in dem Augenblick, als der Sarg auf dem Wagen niedergestellt war, bäumten sich alle sechs Pferde zugleich hoch auf, und zu unserem namenlosen Entsetzen stürmten sie in rasender Karriere mit dem Wagen und dem Sarg auf der Straße dahin! – Niemand vermochte zu folgen, bis auf einige Reiter, die im Wirtschaftshofe hielten und herbeigerufen wurden. Die sonst vollkommen ruhigen Pferde waren wie von einem furchtbaren Schrecken ergriffen, kein Aufhalten war möglich – nach einer rasenden Fahrt von länger als einer halben Stunde brach alles in einer Waldlisiere zusammen. Die Pferde gestürzt, der Wagen in Trümmer – Gottlob, der Sarg unversehrt!«

Die Fürstin war, trotz ihrer Tapferkeit und Energie sehr bleich geworden, und wir schwiegen beide eine Zeitlang bei unserm Gang im Garten.

Ich will nun gewissermaßen als Quittung über meine gesellschaftliche Tätigkeit in Bajna – einen lieben Brief meiner Freundin folgen lassen, der einen beredten Ausdruck für die Gesinnung, die Liebenswürdigkeit der seltenen Frau darstellt, die in der großen Welt während einer langen Reihe von Jahren eine sehr bedeutende Rolle spielte und nun hier als das Ideal einer liebenswürdigen Hausfrau, fernab von allem Getriebe dieser Welt in tiefer ungarischer Abgeschiedenheit, ihre Wesenheit enthüllt.

Bajna, 19. September 1897.

»Die schönen Tage von Aranjuez sind vorbei« ... Nach all der Fülle von Güte, Liebenswürdigkeit, Freundschaft und Geist, welche Sie, bester Graf, wie aus einem Füllhorn auf uns herausschüttend zurückgelassen haben, kommen wir uns heute sehr arm und vereinsamt vor.

Es drängt mich, es Ihnen zu sagen und Ihnen zu danken für all das, was Sie uns gewesen sind! – Ihr leider nur zu kurzer Aufenthalt wird mir unvergeßlich bleiben und erweckt nur den lebhaften Wunsch, daß solches Zusammensein bald wieder ermöglicht werde.

Es versteht sich von selbst, daß Sie mir nicht auf diese Zeilen antworten, denn in dem Trubel, in welchem Sie jetzt leben, verlangt meine Freundschaft, daß Sie mich genug kennen, um überzeugt zu sein, daß Ihr Schweigen jetzt nicht als Gleichgültigkeit ausgelegt werden wird, Sie schreiben mir, wenn Sie an einem Orte angelangt sind, wo Sie der Ruhe pflegen können. An die entfernte Freundin zu denken und oft zu gedenken, darum bitte ich Sie aber. Nochmals Dank – tausendfachen Herzensdank!

(gez.) P. Metternich.

Kaiserfeste in Budapest. 1897.

Tagebuchnotizen.

19. September 1897.

Bei Tagesgrauen verließ ich das gastliche Schloß und wurde auf dem Weg nach Station Biczké bei dem »Überfahren« des ersten großen Loches, das der Viererzug galoppierend »genommen« hatte, derart in die Höhe geschleudert, daß mir der Schlaf verging und mich meine schmerzenden Lippen, in die ich mich bei dem Anprall gebissen hatte, warnte, das nächste Loch nicht im Halbschlaf zu »nehmen«.

In Pest empfing mich Bernhard Bülow auf dem Bahnhof, und wir tauchten sofort in das Schlammwasser der Politik hinein, in dem sich doch wohl eigentlich nur Krebse und Blutegel wohl fühlen können. Bülow ist allerdings nicht ganz dieser Ansicht. Hoffentlich wird er bei den seiner wartenden Aufgaben nicht allzubald zu dieser meiner Ansicht bekehrt werden.

Es begann für uns in Pest sofort die Erfüllung gesellschaftlicher Formen durch Visiten bei den zum Empfange der beiden Kaiser zusammengeströmten Staatsmännern und Mitgliedern des ungarischen Hochadels: Recht mühsam war es und schließlich doch nur ein verlorener Tag, soweit nicht dazwischen die Unterhaltungen mit Bülow eingeschaltet waren.

20. und 21. September 1897.

Ich lasse die Unruhe dieser beiden Tage in der Form des Programmes der Feierlichkeiten folgen, wie mir solches zugegangen war. Auf Schritt und Tritt hatte ich als hier akkreditierter Botschafter dem Kaiser zu folgen und meine Augen und Ohren überall offen zu halten.

Programm für den Aufenthalt Seiner Majestät des Deutschen Kaisers und Königs von Preußen in Budapest.

(Aufgestellt von dem K. ungarischen Oberhofmarschallamt.)

20. September 1897. Vormittags: Ankunft Seiner Majestät des Deutschen Kaisers aus Bellye am Ostbahnhofe.

Empfang am Bahnhof durch Seine K. und K. apostolische Majestät und die durchlauchtigsten Herren Erzherzöge usw.

Empfang in der Hofburg durch die durchlauchtigsten Frauen Erzherzoginnen usw.

Adjustierung: Gala (preußische Uniform) mit dem Bande des preußischen Ordens-Großkreuzes.

Toilette der Damen: Morgentoilette ohne Hut.

Nachmittag: Besichtigungen.

5 Uhr: Allerhöchste Tafel. (Die Herren vom Militär: Dienst- oder Inhaber-Uniform: Herren vom Zivil: im Frack.

Toilette der Damen: demi montant.

8½ Uhr abends: Soiree bei Hofe. (Die Herren in Gala ohne Bänder, ohne Dienstabzeichen; die Damen in Balltoilette.)

21. September 1897. Vormittags: Besichtigungen.

Mittag: Fahrt zur Margarethen-Insel. Dejeuner dortselbst.

5 Uhr nachmittags: Gala-Diner. Die Herren in Gala (preußische Uniform) mit Dienstabzeichen, mit Band; Damen: dekolletiertes Kleid mit Schmuck.

8 Uhr abends: Fest-Vorstellung im Operntheater. (Herren: Parade-Kopfbedeckung, Damen: Soiree-Toilette.)

9½ Uhr abends: Rundfahrt zur Besichtigung der Beleuchtung.

10 Uhr abends: Abreise Seiner Majestät des Deutschen Kaisers.

(Keine Aufwartungen.)

Ein solches Programm lautet selbstverständlich und einfach, aber in Wirklichkeit ist es hart durchzukämpfen, wenn man sein eigenes Ich noch nicht verloren hat.

Der Anblick solcher Festes-Serien blendet zuweilen als Schaustück. Erlebt man sie oft – wie ich – so wirken sie auf den nachdenklichen Menschen, der sich selbst nicht verlor, wie ein Narrenstück. Und zwar deshalb, weil man, in amtlicher Figur mitwirkend, völlig als Individualität verschwindet. Es bleibt eben nur das Kleid und die Form, und das Bewußtsein dieser Transformation beleidigt das Selbstgefühl, d. h. den natürlichen Menschen. Nur der Monarch selbst empfindet als der Mittelpunkt, als der Ausgangspunkt der gesamten Schaustellung seine Individualität als solche. Aber die zur Schau gestellte Unterordnung in entsprechender Kleidung, Haltung und Gruppierung hat etwas Herabwürdigendes. Man muß jedoch solche Reflexionen während eines Hof-Gala-Festes strengstens vermeiden, denn tauchen sie auf, so muß man als überzeugungstreuer Mann nach Hause gehen.

Daß man mir von allen Seiten zu dem Stephan-Orden gratulierte, war mir fatal. Mir behagte nur der Gedanke, daß diese ungewöhnliche, hohe Auszeichnung ein Ausdruck dafür war, daß der alte, mich stets rührende Kaiser mich persönlich gern hatte, mir volles Vertrauen schenkte und ich dadurch meinem Vaterlande zu nützen vermochte. Die Art, wie er mir in Totis darüber sprach, mußte mich tief rühren, und das war meine Freude an diesem Orden. Aber ich sah weit genug, daß mir der Neid nur Feinde durch diese Auszeichnung machte.

Oh, welch ein Glatteis ist ein Hofparkett!

Zur Charakteristik der Kaisertage in Pest füge ich schließlich noch einige Zeilen aus einem Briefe hinzu, den ich an meine Gattin richtete:

»Am 19. September 1897, nach der Ankunft in Pest, frühstückte ich mit Bernhard Bülow und Lichnowskv im Hotel. Dann machten wir eine Spazierfahrt und Visiten, und um 5 Uhr fand ein entsetzlich heißes und wenig angenehmes, rein militärisches Diner bei dem kommandierenden General, Prinz Lobkowitz statt. Nachher machte ich einen kurzen Besuch bei Ratibors und fuhr dann in den Klub.

Fanny Ratibor Gattin des Generalkonsuls Prinzen Max Ratibor, geb. Gräfin d'Orsay – eine sehr intrigante Dame, die ihren Gatten vollkommen beherrschte. war aufgeregt, falschfreundlich. Er machte sich hier wenig beliebt als Generalkonsul. Sie gehen im Oktober auf ihren neuen Posten als Gesandter nach Weimar. Das arme Weimar – wie wird es Fanny durcheinander hetzen!

Bernhard ›als Staatssekretär‹ war ganz in seinem Fahrwasser: klug, geschickt, angenehm. Der Kaiser, froh ihn zu haben, kam während des Aufenthaltes in der Burg mehreremal hinauf zu ihm und mir, alles fröhlich besprechend. Wie groß ist der Unterschied zwischen Bülow und Marschall – aber wie ungerecht war die Beurteilung Marschalls durch den Kaiser! – das darf man nicht vergessen. Bernhard wird sich bald – sehr bald – an das Neue gewöhnen, nur nicht die armen Frauen: Marie Bülow und ihre Mutter.

Am 20. September 1897, nach dem großen Empfang des Kaisers, seinen Besuchen und einigen Besichtigungen, frühstückte ich mit dem Gefolge bei ihm in der Burg. Dann mußte ich Orden austragen an die Minister usw. Ich kam mir wie ein glückspendender Engel des Himmels vor!

Um 5 Uhr fand eine kleinere, ziemlich langweilige Hoftafel statt. Von ½7 bis ½8 Uhr saß ich, in Politik versenkt, mit dem Kaiser bei Bülow.

Um 8 Uhr begann das große Hoffest in dem Saal, den du kennst. Es war entsetzlich heiß! Der Kaiser machte Cercle bis ½11 Uhr, sprach wohl mit 100 Menschen und begeisterte alles durch seine Liebenswürdigkeit. Ich hatte eine lange, unendlich interessante Unterhaltung mit meinem verehrten Kardinal Schlauch.

Der Anblick des Festes mit den prächtigen ungarischen National-Kostümen war sehr schön. Graf Louis Appony (der ungarische Oberhofmarschall) hatte einen Tag vor den Festen seine alte Mutter verloren und erschien nur »im Dienst« und ohne Gattin. Der Kaiser besuchte die Gräfin Geborene Gräfin Seherr aus Dobrau in Schlesien, eine gute Freundin von uns. sowie Gräfin Goluchowska.

Nach dem Fest war »Bier-Abend« bei unserem Kaiser in kleinem Kreis. Alles war aufgelöst vor Hitze. Erst um ½1 Uhr kamen wir zu Bett.

Der Anblick der erleuchteten Stadt, oben von der Burg aus, mit der Spiegelung der vielen 1000 Lichter in der breiten Donau war ein zauberhafter Eindruck.

Am 21. September 1897 wurde der schöne Parkklub schon früh um ½10 Uhr besichtigt. Dann das Parlamentsgebäude. Ich fuhr mit Bülow und drückte mich unterwegs nach Haus, um zu arbeiten.

Das Wetter am 21. war Gott sei Dank etwas kühler und darum der Verkehr in Uniformen weniger unappetitlich.

Um 5 Uhr fand ein riesiges Galadiner in dem großen Saale der Burg statt. Ich saß zwischen Gräfin Aladár Andrássy-Wenckheim und Gräfin Tassilo Festetics-Hamilton – rechts vom Kaiser Franz Joseph. Das waren sehr angenehme Nachbarinnen.

Die Rede des Kaisers war tatsächlich ein Meisterwerk. Er erregte unerhörte Begeisterung. Die Ungarn weinten vor Rührung und Stolz, und der alte Kaiser war so bewegt, daß er sich kaum fassen konnte. Wie begabt ist der Kaiser! Er diktierte mir und Bülow diese Rede (weil man durchaus den Toast vorher zum Druck haben wollte), ohne ein Wort zu ändern, ganz fließend – und hatte sich nichts aufgeschrieben. Dabei enthält die Rede sehr feine und abgepaßte Wendungen. Wir waren beide voller Anerkennung, und der Kaiser freute sich über unsern Enthusiasmus wie ein Kind, so einfach nett und schlicht. Diese Mischung von glänzendem Verstand und schlichtem Wesen ist eine seltene Erscheinung.

Nach der Galatafel wieder langer Cercle – dann, um 8 Uhr, Fahrt durch die herrlich erleuchtete Stadt zu der Oper. Einzelne Akte aus ungarischen Opern wurden leidlich gut gegeben. Der Zuschauerraum bot einen prächtigen Anblick.

Die Fahrt nach der Galaoper zur Bahn war großartig. Herrliche Beleuchtung und unendliche »Eljen«! Wir waren alle recht müde, als wir endlich gemütlich im Kaiserlichen Sonderzug beim Abendessen saßen, um die weite Fahrt direkt nach Rominten (!) zu unternehmen.

(gez.) Philipp.

Fürstin Pauline und Kaiser Wilhelm. 1895.

Es führt mich der ungarische Erfolg Kaiser Wilhelms in meinen Gedanken zu seiner ersten Begegnung mit der Fürstin Pauline, deren Urheber ich war. Denn der Kaiser war neugierig. Er hatte viel von der berühmten Frau gehört – hielt sie für eine gefährliche »Preußenhasserin« und war einigermaßen erstaunt, sie in meinem Freundeskreise zu wissen.

Die Gelegenheit bot sich, als Kaiser Wilhelm zu dem Begräbnis des Erzherzogs Albrecht 1895 in Wien erschien (was viele Leute erstaunte), und er bei der »tiefen Trauer« des Hofes es vorzog, den Abend bei seinem Botschafter zu verbringen. Ich habe diesen interessanten Abend in dem Kapitel »Erzherzog Albrechts Tod« geschildert.

Ich greife hier nur zurück auf einige Briefe, die ich 1895 an Kaiser Wilhelm schrieb, nachdem die Bekanntschaft mit der Fürstin bei mir gemacht war. Der Kaiser war begeistert von ihr und überschüttete sie mit Liebenswürdigkeiten. Die Briefe berühren aber auch den Tod des Fürsten Metternich, der für die Fürstin in vieler Hinsicht schmerzlich war. Besonders auch wegen ihrer Schwägerin, der Gattin des »neuen« Fürsten Lothar, geb. Gräfin Zichy, die sich nun als die »Regierende« in der Familie ausspielt und der gehaßten Pauline jeden denkbaren, unfreundlichen Schabernack antat.

Aus Briefen an Kaiser Wilhelm.

1.März 1895.

... Ew. Majestät können sich denken, daß Fürstin Pauline Metternich außer sich vor Glück über die Photographie Ew. Majestät ist. Sie stand ganz unter dem Eindruck von dem Verkehr mit Ew. Majestät und konnte nicht genug in ihrer originellen, akzentuierten Art davon erzählen. Sie war eben entzückt von Ew. Majestät! Daß der Abend bei mir so gut abgelaufen war, beglückte sie, aber sie hatte gar nicht das Bewußtsein, »Besonderes« geleistet zu haben, Fürstin Hatzfeldt behauptete, »Pauline hat sich sehr gemäßigt«. Ich fand sie gerade amüsant genug.

Leider wurde die arme Fürstin heute nacht von dem Unglück betroffen, ihren Mann zu verlieren. Man fand ihn tot im Bett. Ich sah den Fürsten noch gestern an unserer Tür, wo er seit 3 Monaten täglich im Vorbeigehen Erkundigungen nach dem Befinden meiner schwerkranken Schwiegermutter Gräfin Augusta Sandels-Tersmeden hatte auf der Reise einen schweren Unfall gehabt. einzog. Abends war ich mit der Fürstin noch bis 12 Uhr bei einem Diner bei Baron Nathanael Rothschild. Er hat ein herrliches Haus und Kunstschätze, die sich ein Christ natürlich nicht anschaffen kann. Das Diner war fabelhaft und doch ohne protzig zu sein – es gab allerdings so komplizierte Gerichte, daß ich nicht weiß, was es war.

Nach dem Essen fand ein Konzert der Hauskapelle auf lauter berühmten Instrumenten statt: Amati, Stradivari usw. Ein geradezu entzückender Klang. Fürstin Metternich war ausgelassen lustig, und wir amüsierten uns köstlich. Dann ging sie nach Haus – und zwei Stunden darauf starb der Fürst.

8 Monate später.

Wien, 17. November 1895.

Euerer Majestät beehre ich mich anliegend einen Brief der Fürstin Pauline Metternich zu überreichen, den sie unmittelbar, nachdem ich ihr das Bild Ew. Majestät gab, verfaßte. Sie war in Ungarn und kehrte vor einigen Tagen nach Wien zurück. Ew. Majestät hätten sich unterhalten, wenn Sie den Eindruck gesehen hätten, den dieses Geschenk machte. Mit ihrer ganzen amüsanten Lebhaftigkeit erging sie sich in Entzücken über den Gedanken, den das Bild enthält und sprudelte über in Freude.

Am Abend traf ich sie noch einmal bei Goluchowskis Graf Agenor Goluchowsky, Minister des Äußern. Seine liebensvürdige Gattin ist eine Prinzessin Murat., wo ich mit meiner Frau war. Nur Ministerpräsident Graf Badeni war außer uns anwesend. Da wurde die Unterhaltung über das Bild fortgesetzt, das sie stolz mitgebracht hatte. Dieser Abend war sehr spaßhaft. Die Fürstin erzählte von dem französischen Hof und einem Besuch schottischer Herzöge, die im Nationalkostüm nach dem Diner in Compiègne Billard spielten, während die Kaiserin und sie auf dem niedrigen Sofa gesessen und zugesehen hätten. Die Fürstin machte die Stellungen nach, welche die Schotten in ihrem Nationalkostüm bei dem Spiel und bei einer schwierigen Lage der Bälle eingenommen hätten, es war unwiderstehlich komisch. Badeni, ein ernster, aber sehr sympathischer Mann, dem ich zum ersten Male begegnete, kämpfte erst würdevoll gegen den Ton ausgelassener Heiterkeit, bis er schließlich rettungslos in unser Gelächter einstimmen mußte.

Zum Schluß erklärte die Fürstin, es sei ein Unglück für Österreich, daß sie kein Mann geworden sei, ihre Rednergabe würde die Welt in Erstaunen gesetzt haben. Sie illustrierte diese Ansicht durch eine Rede gegen Lueger Erster Bürgermeister Wiens, Führer der »christlich sozialen« Partei. Ein sehr begabter Mann mit großem Anhang im Wiener Volk., die sie mitten in der Stube stehend, improvisierte. Die Einfälle, die sie hatte, waren unglaublich – aber schließlich wurde ihr die Sache ernst, und mit flammenden Augen und mit lauter Stimme sprach sie so erstaunlich gut und politisch richtig, daß Badeni ganz nachdenklich wurde. Leider verläßt die Fürstin in diesen Tagen wieder Wien für den ganzen Winter. Sie will nicht in »tiefer« Trauer hier bleiben und geht in den Süden. Ich bin sehr betrübt darüber....

Fürstin Pauline über Bismarcks Tod. – Ungarische Räuber! 1898.

Ich kehre mich nun – wiederum ein Jahr später meiner Freundin Metternich zu, für deren Charakteristik der nachfolgende Brief ein sehr wertvolles Dokument bildet.

Oettingen Die schöne, liebenswürdige älteste Tochter der Fürstin ist mit dem Fursten zu Oettingen Spielberg vermählt., 2. August 1898.

Nachdem ich weiß, daß Sie jetzt heimgekehrt sein müssen, lieber Graf, halte ich es nicht länger aus – ich muß wissen, was Sie treiben, was Sie machen, wie es Ihnen geht. Seit meiner und Ihrer Abreise von Wien habe ich kein Sterbenswörtchen auch nur von Ihnen gehört – doch eines habe ich erfahren, daß Sie mit dem Kaiser, envers et contre tous, die Nordlandreise mitgemacht haben: offen gestanden hat mich diese Nachricht nicht erfreut, weil ich hoffte, daß Sie nach der Karlsbader Kur längere Zeit der Ruhe in Liebenberg pflegen würden! Sie hätten sich die Reise ärztlich verbieten lassen sollen und einmal wirklich ausspannen!

Jetzt ruft Sie Bismarck Der Fürst starb am 30. Juli. Ich kehrte mit dem Kaiser aus Norwegen zurück und begab mich mit ihm nach Friedrichsruh an den Sarg des Fürsten. (Siehe meine Aufzeichnung. »Bismarck stirbt«.) zurück. – »Ich hätte nicht daran gedacht« (wie es im Liede heißt), daß Bismarck das je tun würde! Daß ich ihn nicht beweine, glauben Sie mir aufs Wort – und daß viele meinem Beispiel folgen werden, ist auch unzweifelhaft. Er war eine Geißel Gottes. – Was mich an diesem Manne empört, das ist sein kolossaler Zynismus. In den jetzt erscheinenden zahllosen Nekrologen zitiert man so manches von ihm, was geradezu verabscheuungswürdig ist – so z. B. eine Geschichte von einer Quinze-Partie mit dem Grafen Blome. An und für sich ist vielleicht nichts daran, aber es gibt Einblicke in den Charakter des Betreffenden, die keineswegs denselben als schön und edel erscheinen lassen. – Haben Sie das Porträt gelesen, welches Bismarck von Graf Thun, seinem einstigen Kollegen beim Bundestag in Frankfurt gemacht hat? Rücksichtslos über alle Maßen. Solche Porträts werde ich nicht schreiben.

Apropos von Schreiben bin ich eben daran, meine Eindrücke während des Krieges (im Jahre 1870) zu notieren, besser gesagt, meine Erlebnisse. Ich glaube nicht, daß ich sie Ihnen zu lesen geben werde. Sie sind wohl sehr objektiv – allein doch nicht objektiv genug, um gewisse Dinge zu hören ... ich bin es nicht und würde es einem Freunde sehr verargen, wenn mir derselbe etwas vorlesen wollte, worin er Kritik über Österreich übt. Sie sollen mir nichts verargen, und nachdem Sie wissen, daß ich diese bescheidenen Aufzeichnungen für mich und für den engsten Freundeskreis aufbewahre, so können Sie mir auch nicht böse sein, wenn ich mich frei äußere.

Eigentlich hätte ich es gar nicht nötig gehabt, Ihnen zu erzählen, daß ich jetzt diese Aufzeichnungen gemacht habe, allein ich finde, es wäre ein Verrat an Ihnen gewesen, es Ihnen zu verheimlichen, und so wissen Sie es und machen nichts dergleichen.

Mein Freund Nat ist in Cowes bei den Regatten und wird sich demnächst mit einigen Freunden auf der »Veglia« nach Petersburg begeben! – Diese Idee wäre mir nie gekommen! – Den Sommer will ich in Gottes freier Natur, nicht aber in Städten verbringen.

Den 30. bis 31. gehe ich nach Bajna, wo Sie mich hoffentlich mit Ihrem Besuche wieder erfreuen und diesmal einen Kapitalhirsch schießen werden!

Zum Schlusse soll ich Ihnen alles Schöne von Oettingens ausrichten und gleichfalls von Clementine, welche, wie Sie wissen, zu Ihren großen Freundinnen zählt.

Tausend herzliche Grüße von Ihrer treuen Freundin

(gez.) P. Metternich.

An Fürstin Pauline Metternich.

Wien, 12. August 1898.

Verehrte liebe Fürstin, Ihr Brief ist ein Strom von Freundlichkeit, der sich auf den eben erst wieder genesenen Freund erfrischend und belebend ergießt! Ich will Ihnen auch sagen, weshalb er mich so ganz besonders freudig stimmte:

Ich bin kränker gewesen, als ich es sagen mochte. Nicht nur habe ich körperlich schwer gelitten, sondern mehr noch moralisch durch viel Sorgen und Verdruß....

Nach eisigkalter Nordfahrt traf uns in Bergen die Nachricht vom Tode Bismarcks – und wir eilten in grausiger Schnellfahrt nach Kiel und Friedrichsruh an den Sarg des merkwürdigen Mannes - vor dessen Tod ich verstumme. Aber einer guten Freundin, die selbst ehrlich schrieb (und mir in aller Ruhe die Aufzeichnungen von 1870 geben kann), will auch ich ehrlich sagen, daß mir der Tod des großen Mannes keinen Schmerz verursachen konnte. Ich habe um seinetwillen viel Leid erfahren. Darum schweigt das persönliche Herz. Aber ich wäre kein Deutscher, wenn ich nicht stolz auf das wäre, was er leistete. Ihn gekannt zu haben, bleibt mir daher eine große Erinnerung.

Wenn ich im September irgend Zeit habe, komme ich natürlich zu Ihnen in Ihr herrliches Bajna. Vielleicht glückt es uns dann doch noch einige »arme Leut'« – penje lenje – zu begegnen, die nichts von uns verlangen als einen Hammel und einen Gulden ....

Notiz zu vorstehendem Brief.

Ich hatte bei meinem letzten Besuch bei der Fürstin auf ihrem Schloß Bajna verschiedene Ausflüge mit ihr auf ihre Güter gemacht und öfters auf meine Frage, ob sich wohl in ihren Wäldern oder auf ihrem Besitz noch bisweilen Räuber zeigten, die sehr ausweichende Antwort erhalten, »daß das Märchen seien«. Eines Tages fuhren wir nach einem am Walde gelegenen Vorwerk, wo uns der Inspektor, ein braver alter Ungar in herrlichem Ungarisch-deutsch die Honneurs machte, während wir Kaffee tranken. Ich tat wieder die Frage nach Räubern. »Reiber!« rief der brave Alte lachend aus, »sind keine Reiber, – sind penje lenje – arme Leute.« »Inwiefern arme Leute?« – kommen solche armen Leute öfters her?« fragte ich in gleichgültigem Ton. »Vor paar Monate letztes Mal. Saßen dort, unter Brücke.« »Unter der Brücke? – weshalb unter der Brücke?« fragte ich einigermaßen erstaunt. »Waren drei mit Flinten«, fuhr der unverbesserliche Ausplauderer fort, »kam einer dann sehr bitten, wollte einen Hammel haben – waren hungrig, sehr hungrig.« »Und Sie gaben ihm den Hammel?« – »Natürlich gab ich Hammel. Waren so dankbar – haben mich immer von Brücke gegrüßt. Sind arme Leite, sehr arme Leite«, fügte er mit einem kummervollen Gesicht hinzu.

Die Fürstin saß wie auf Kohlen und trank schnell ihren Kaffee aus. »Sehen Sie«, sagte sie mir französisch, als wir auf dem leichten Pirschwagen mit vier ungarischen »Juckern« bespannt und von einem Kutscher im Nationalkostüm mit fliegenden weißen Hemdärmeln über alle tiefen Löcher des Weges dahinflogen, »so sind diese Alten! Aber er ist ein braver Mann mit Familie, der auch wohl ehrlich ist. Ich kann ihn doch wohl wegen eines Hammels nicht fortjagen! Diese penje lenje sind Deserteure, die sich ihr Essen suchen. Das kommt wohl vor – hat aber kaum etwas zu bedeuten.«

Ich setzte diese Konversation nicht fort. Die Fürstin Metternich fühlte sich als Gräfin Sandor in ihrem Nationalstolz ein wenig verletzt. Wir fuhren nun auch bald wieder durch das Tor in den Schloßpark von Bajna, wo sich sicherlich keine penje lenje aufhielten.


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