Alois Essigmann
Sagen und Märchen Altindiens. 2. Band
Alois Essigmann

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Pururavas und Urwasi

Ila, der König, war ein Sohn Manus, des Vaters und ersten Gesetzgebers der Menschheit. Voll Weisheit und Kraft herrschte er über die Seinen und festigte in treuer Pflichterfüllung die Ordnung, welche sein Vater den Völkern gesetzt hatte.

Einst war bei fröhlichem Jagen sein Gefolge zurückgeblieben, und der König hatte Weg und Steg im Eifer verloren. Kühn schlug er sich mit dem Schwert eine Bahn durch das dichte Holz und zähe Gerank des Urwaldes.

Da sah er sich plötzlich auf einer sternenbesäten Bergwiese, und im goldenen Glanz der Sonne koste der strenge Gott Schiwa heiteren Herzens mit Durga, der Tochter des Bergriesen.

Geblendet stand Ila vor der Schönheit des Göttcrpaares.

Durga aber stieß einen Schrei der Scham aus und rief:

»Elender! Hast du die Wand durchbrochen, hinter der ich des Weibes Leiden und Freuden verbarg, so sollst du fortan als Weib über die Erde wandeln!«

Ila warf sich dem mächtigen Schiwa zu Füßen, stammelte eine Bitte um Gnade und beteuerte, daß er ohne Wissen und Willen in Schuld gefallen sei.

Der Gott aber wies auf die Tochter des Bergriesen und wandte sich finsteren Auges ab.

Durgas Groll hatte sich vor der Demut des Menschenkindes gelegt, und sie sprach:

»Eher könnt' ich den Sturm einholen als ein entschlüpftes Wort! Doch wie mein Vater sich dem Rasenden entgegenstemmt und seine furchtbarste Kraft bricht, so will ich dem Fluch seine Härte nehmen:

Hast du des Weibes Seligkeit und seinen unerbittlichen Schmerz gefühlt, so sollst du erlöst sein und als Mann zu den Deinen zurückkehren!«

Traurig neigte sich Ila vor dem göttlichen Paar und verließ zagenden Schrittes die Lichtung.

Voll trüber Gedanken irrte der Verfluchte durch den Wald und fand bei sinkender Sonne eine verlassene Klause am Rand eines Weihers. Müde setzte er sich auf die Schwelle und vergrub das Antlitz in die Hände.

Da stieg der Mond am Himmel empor, und tröstend umfing sein mildes Licht die gebeugte Gestalt.

Ila erhob sich und trat an den Rand des Wassers. Der zitternde Spiegel warf das Bild eines lieblichen Weibes zurück, und ringsum spielte das Mondlicht in zärtlichem Schmeicheln. Alle Trauer wich aus dem Sinn des Verwandelten, und unter dem süßen Kosen des milden Scheines fiel stille, traumhafte Freude in ihr zitterndes Herz, hob und schwellte es zu nie geahnter Seligkeit und tobte endlich als brennende Lust durch die Adern.

Erschöpft brach Ila zusammen und entschlief, umfangen von silbrigen Armen des Herrn der Nächte.

Eifersüchtig scheuchte die Sonne am Morgen den Geliebten von Ilas Seite und trieb die unter ihrer ungewohnten Zartheit Seufzende in den Schatten der verfallenden Klause.

Am Abend streifte die Verwandelte am Ufer des Weihers umher und suchte zu einem Trunk aus seinen klaren Wassern süße Beeren und duftende Krauter als Nahrung.

Mond um Mond verlebte Ila so in der Einsamkeit und bangte schweren Stunden entgegen.

In einer Nacht des furchtbarsten Leidens schenkte sie dem milden Hirten der flimmernden Sterne, dem stillen Tröster der Trauernden, ein Knäblein.

Da war des Fluches Macht gebrochen und Ila wieder zum Manne geworden.

Dankbaren Herzens verließ er die freundliche Klause und trug auf seinen starken Armen den Sohn nach seiner Residenz.

Lauter Jubel des Volkes begrüßte ihn dort.

Ein getreuer Rat hatte dem Verschollenen die Herrschaft gewahrt und legte sie ehrerbietig in die Hände des Wiedergekehrten zurück.

Ila führte sie weise und gerecht, bis Pururavas, sein und des Mondlichtes starker Sohn, zum Manne erwachsen war. Nach der Schwertleite weihte er ihn zum König und verbrachte den Abend seines Lebens im Walde voll frommer Beschaulichkeit.

Pururavas aber herrschte in Pratischtana zur Freude der Götter und Menschen.


Nun ward zu jener Zeit in Indras Himmel ein herrliches Fest gefeiert. Gandharves, die fröhlichen Spielleute des Himmels, und Apsaras, die zierlichen Mädchen aus Indras Gefolge, führten den Göttern anmutige Tänze und kunstvolle Schauspiele vor.

Urwasi schritt vor dem Reigen der Apsaras und spielte im Schauspiel die Rolle der Schönheit und Liebe.


Diese Schönste unter den Schönen des Himmels war ein Geschöpf des Großheiligen Narayana: Der Fromme hatte einst Indra vor der Macht seiner übermenschlichen Buße erzittern lassen. Da sandte der Götterkönig große Scharen seiner schönen Apsaras zu dem Büßer, um des Heiligen Gedanken von frommer Sammlung auf loses Spiel zu lenken.

Narayana erkannte die List des Götterherrn und lächelte seinen holden Sendlingen freundlich entgegen.

»Ei, anmutige Menaka!« sprach er, »glaubst du dich schlanker als ein Lotusstengel? Subahu! ist deine Haut zarter als dies Blütenblatt? Sulotschana! öffnet dein Auge sich weiter, runder und geheimnisvoller als die Blüte der Seerose? – Und dein Haar, Sukeschi, glänzt es heller als ihre Staubfäden? und das liebliche Gleichmaß deiner Perlenzähne, Hemadanla, dein Wangenrot, Parnini, dein duftender Atem, Rati – ist nicht alles in des Waldes Blumen? Gleichen ihre Tautropfen nicht den Silberschellen um eure Knöchel? – Nun seht! ich halte eine der herrlichen Blüten an meine Brust und habe das schönste Weib im Arm!«

Staunend sahen die Apsaras, wie die Blume in Narayanas Hand zum lieblichsten Mädchen ward.

»Umarmt Eure Schwester Urwasi!« sprach Narayana gütig zu den schwatzenden Apsaras. »Nehmt sie mit Euch! Ich schenke sie dem Herrn der Götter!«

Und seither lebte Urwasi in Indras Himmel und spielte als Schönste der Schönen unter den Göttermädchen eine große Rolle.

Bharata, der Leiter der Himmlischen Spiele und Feste, sah voll Stolz auf seine zierlichste Tänzerin, auf die beste Darstellerin der Anmut und Leidenschaft.


Doch wehe: heute zerriß Urwasi zweimal die Kette im Reigen und nannte im Schauspiel den Gott Wischnu Pururavas!

Bharata wurde zornig, als er sein mühevolles Werk durch des Lieblings Unaufmerksamkeit zerstört sah.

Er verfluchte die Törin, aus Indras Himmel zu weichen und künftig auf Erden zu wandeln.

Indra hörte den Fluch des zornigen Brahmanen und rief Urwasi vor seinen Thron.

Hier gestand die Errötende, daß sie vor kurzem von dem Dämon Keschin geraubt, doch gleich von dem tapferen König Pururavas befreit worden sei. Sie kenne seither kaum einen anderen Gedanken als: Pururavas! Der Götterherr lächelte milde:

»So geh' aus meinem Himmel, Holde – wie es dein Lehrer wünscht – und geh' in deinen Himmel ein! – Doch kehre uns wieder, wenn dein Sehnen gestillt ist!«

Dankend neigte sich Urwasi und verließ unter den traurigen Abschiedsrufen der Himmlischen den Wohnsitz der Götter.

Schweigend schritt sie die Sternenheerstraße entlang und gedachte wonneschauernd des Geliebten, dem sie mit jedem Schritte näher kam.

Am Himawat berührte ihr Fuß die Erde, und fröhlichen Herzens eilte sie südwärts, bis sie zu Pratischtana in des Königs Garten stand.

Der silbrige Mond zog eben über den Himmel und Pururavas kniete vor ihm und klagte dem milden Ahnherrn sein Liebesleid: Urwasi, die Schönste der Schönen, hatte er für eines Atems Länge an die Brust gedrückt, als er sie dem Dämon entriß; dann war die Herrliche verschwunden, und ihr Abschiedsblick brannte in seiner Seele, wie die Sonne der Wüste!

Urwasi trat aus den Büschen und lispelte hold errötend: »Hier bin ich, Geliebter!«

Pururavas taumelte empor und sank aufs neue zu Boden, der Ersehnten zu Füßen.

»Du! – Du!« stammelte er. »Oh, bleib bei mir! – verlaß mich nie mehr – sei mein Weib – –«

»Wir Apsaras sind schlechte Ehefrauen, Geliebter!« sprach Urwasi sanft und strich kosend über das Haar des Verzückten. »Wir kennen die Treue nicht, nur die Unendlichkeit des Augenblicks!«

»Oh, bleib bei mir!« schrie Pururavas. »Ich werde sterben, wenn du mich verläßt!«

»Ich bleibe ohne Fesseln!«

»Nein! werd' mein Weib! – ich – ich schwöre – schwöre dir – oh! – was du willst – –«

»So sei's!« sprach Urwasi. »Ich werde dein Weib in einer Gandharvaehe und stelle nach ihrem Brauche eine Bedingung: Nie darf ich dich, mein Gatte, nackt sehen, sonst verlasse ich dich für immer!«

»Ich will sie strenge halten!« sprach Pururavas feierlich.

Dann umarmte er sein Weib in heißer Liebe, ließ Thron und Reich zurück und verbarg sein Glück im dunkelsten Wald.

Vier lange glückliche Jahre lebten Pururavas und Urwasi in einer einsamen Hütte und vergaßen Himmel und Erde ob ihrer immer fröhlichen Liebe.

Gandharvas und Apsaras aber gedachten der verbannten Gespielin in Sehnsucht und rieten hin und her, wie sie die himmlische Schöne aus den Banden ihrer irdischen Ehe lösen könnten.

Soma, der Mond, erzählte einst lachend an der Göttertafel, wie er Zeuge der Vermählung Urwasis mit Pururavas gewesen sei, und nannte auch die Bedingungen, an welche die schöne Himmelstochter ihr Ausharren gebunden hatte.

Darauf bauten die Gandharvas ihren Plan. Wischwawasu, der Listigste von ihnen, hatte ihn erdacht und nahm die schwierigste Rolle auf sich.

Urwasi hegte in ihrer Waldeinsamkeit zwei schneeweiße Lämmer, die sie wie eine Mutter ihre Kinder liebte und nachts zu ihren Füßen schlafen ließ.

Wischwawasu schlich nun in einer finstern Nacht in die Klause der Verliebten und stahl das eine Lämmchen Urwasis. Ängstlich blökte das zurückgebliebene Brüderlein des Geraubten, so daß seine Herrin erwachte. Nun schlich Wischwawasu zum zweitenmal in die Hütte, um das andere Lämmchen zu holen.

»Wer ist da?« fragte Urwasi, als sie etwas Dunkles durch den Eingang schlüpfen sieht!

Keine Antwort! nur ersticktes Blöken sagt ihr, daß man ihr Kleinod rauben will.

»Auf, auf!« schreit sie im Zorn, »man stiehlt mein Kind, als wäre kein Mann im Hause!«

Von diesem Vorwurf ins Herz getroffen, springt Pururavas ohne Bedenken aus dem Bett, um die Räuber zu verfolgen.

In diesem Augenblick lassen die Gandharvas einen Blitz durch die Luft zucken, der weithin den finsteren Wald erhellt.

Urwasi sieht ihren Gatten nackt hinter Wischwawasu, dem Räuber ihrer Lämmer, herstürzen und weiß, daß ihre Abschiedsstunde gekommen ist. Rasch verläßt sie die Hütte und eilt über das Gebirge himmelwärts.

Als Pururavas von seiner vergeblichen Jagd nach dem Dieb zurückkehrt, sieht er die Hütte leer. Lautlos, wie vom Blitz erschlagen, stürzt er zu Boden und liegt bis am Morgen ohne Besinnung.


Ein Mond war vergangen.

Pururavas irrte im Wahnsinn durch die Wälder und suchte sein geliebtes Weib.

An einem hellen Frühjahrsmorgen stand er am Ufer der Ganga und starrte in die tanzenden Wellen, die das erste Morgenrot widerspiegelten.

»Ist sie das nicht?« raunte er, »das fliegende Rot ihrer Wangen – das schelmische Blinken ihrer rätselhaften Augen? – dort flattert's wie ihr Schleier! – Oh – sie muß es sein – nach so viel Sehnen! – Ruhig – ruhig – ich muß sie haschen – überraschen – –! Ach! – Dornen – Wasser – Nebel! – 's ist wieder nichts! – Ich finde sie wohl nimmer! – Du, Ganga, eilst in deines Gatten Arme, des Ozeans, doch sie –?«

Pururavas taumelte in den Wald zurück und murmelte ingrimmig:

»Ein Elefant bin ich – ein Einsiedler, der aus der Herde floh! – kein Weib – nicht Kind – nur Zorn – ohnmächt'ge Wut – ohnmächt'ges Weinen – stilles, leeres Weinen – – Dort – verfluchter Dämon! raubst du mein Weib zum andernmal! – Nein, nein! 's ist eine Wolke – Regentropfen treffen statt der Pfeilschauer mich. – Genug! – genug! laß ab vom Regnen! – laß ab! – Ich gebiete es – der König! – Der grüne Rasen ist mein Thron – die Wolke Königsschirm – der Blitz sein goldner Knauf – die Pfauen schreien wie Herolde, und diese Berge sind Trabanten – – Lustig! lustig! Fest bei Hof! Heißa – getanzt!«

Und der Unglückliche drehte sich im Kreise, neigte sich und winkte freundlich. Auf einmal stand er still, sah wie erwachend zum Himmel und sprach traurig:

»Es regnet weiter! – Ich bin der König nicht mehr – mein Wort ist Hohn und findet Hohn! – Die Macht nam mir ein Weib – zu allem – allem anderen, das es schon hatte. – Zu seiner Anmut – seiner süßen Schelmerei – Rauschaugen – Blumenatem – oh – nun trägt es auch die Königsmacht im Schoß! – Wer kann dir künftig widerstehen, Urwasi? – Lauft, müde Beine, lauft, ich muß ihr nach!«

Eilenden Fußes flog der Irre durch den stillen Wald und hielt erst an, als ihm der Atem versagte. Ein Pfauenhahn schlug unter den Bäumen sein Rad gegen die durchbrechende Sonne.

»Eitler Vogel, du spreizest dich! Seit Urwasis Verschwinden giltst du als schönstes Geschöpf! – Ja, ja – du bist es auch! – freilich! – wer hätte solcher Farben Pracht! – Doch sag': hast du sie nicht gesehen? – sprich! O reiße mich aus der Verzweiflung! – –

Er schweigt – er dreht sich – tanzt – du eitler Dummkopf! – Löst Urwasi die Spangen ihres Haares, so ist dein Schweif ein Haufen welken Laubes! – Wie leer ist doch die Welt!«

Müde sank Pururavas auf den Rasen und starrte in den Himmel.

»Ein einsamer Elefant!« murmelte er. »Alles flieht ihn – selbst sein Weibchen – – – Er aber stampft durch Wald und Feld, und wo er schreitet ist die Vernichtung – – –! Nein, nein! ich kann es nicht!« schrie er aufspringend und ging seufzend und scheltend seinen Weg ins Weglose.

Ein Kuckuck saß auf einem Baum, und Pururavas schrie seine heiße Frage nach der Geliebten empor. Erschrocken flog der Vogel weg.

»Kein Mitleid!« murmelte der Irre, »wer im Elend ist, der ist allein!« und er schritt weiter, bis er vor einem abgrundtiefen Bergsee stand.

Ein wilder Schwan glitt anmutig über den Spiegel.

»Halt an, du Fürst der Vögel!« rief Pururavas. »Halt an und gib mir Kunde: wo weilt – Urwasi, die Schönste aller Frauen? – O sag' es, sag' es! – Du hast sie sicherlich gesehen – ihr die Anmut abgelauscht – du zögest sonst so stolz nicht deine Bahn! – Gib Kunde! Oh! – Du kannst es ahnen, was ich leide, denn auch dein Weib ist fern von dir. – Es weilt wohl am güldenen Schwanensee im hohen Norden, um einen Erben deiner Schönheit dir zu bringen. – O sprich! Wer Liebestränen trocknet, tränkt Verschmachtende! – Stumm wendet er sich ab – ha! – dort – was hebt sich wie der Nebel aus dem Wasser? – Schleier – Gestalten! Urwasi!Urwasi!« klang sein Jubelruf über den See.

Es war wirklich die Langgesuchte, die mit fünf Gespielinnen aus der Götterwelt den kristallklaren Fluten des Bergsees entstieg.

»Pururavas!« rief sie lachend, und zu den Gefährtinnen sprach sie sinnend: »Er ist der Beste von allen, die sich je vor meiner Schönheit beugten!«

Pururavas sprang am Ufer entlang über Stock und Stein, Fels und Gerölle, und rief keuchend: »Urwasi, warum wichest du von mir, wie goldenes Abendrot vor der finstern Nacht?«

»Du weißt's, Pururavas!« rief Urwasi und schwebte vor ihrem Gatten dahin. »Du weißt es!«

»O weh! – so steh' doch endlich, Wilde!« keuchte Pururavas. »Laß uns doch miteinander reden – es mag sich alles wieder wenden – steh'!«

»Es ist vorbei, und ich bin wieder frei!« lachte Urwasi und flatterte neckisch knapp vor dem ihr nachklimmenden König an einer Felswand empor.

»O Urwasi – du bist mein Weib!«

»Gewesen, Freund, gewesen! – Ich warnte dich vorher! – Wir kennen Treue nicht, wir windgetragnen Weg- und Wasserwandlerinnen! Nur sonnige Liebe peitscht uns auf und zehrt an unsren Irdischen, bis es in Himmelheimweh schwindet. – O plag' dich ferner nicht und sei kein Narr! – Du kriegst mich nicht!«

Pururavas hatte die Felswand erstiegen und sprach nun knirschend: »Höre mich, Schönste und Böseste! Folgst du mir nicht mehr als mein Weib, so stürz' ich mich von diesem Felsen, und – mögen die Wölfe meinen Leichnam fressen!«

»O tu es nicht, mein Freund!« rief Urwasi beschwörend. »Versuch' im Trotz nicht Berge zu verrücken und trau' der Frauentreue nimmer! Es hat das Weib ein Tigerherz!«

»O Urwasi, ich werde sterben ohne dich – ich bin nun ganz allein!«

»Komm wieder übers Jahr, Pururavas, so sollst du einen Sohn hier finden!« rief Urwasi errötend und hob sich himmelwärts.

»Urwasi! – Urwasi!« schrie Pururavas. »Komm wieder! – Komm wieder!« klang es noch verheißend aus der Höhe, und dann war Urwasi den Blicken ihres Gatten entschwunden.

Pururavas lauschte in die Lüfte, sein Antlitz verfinsterte sich im Schweigen, dann schlug er die Hände vors Gesicht und stand lange vom Schmerz erschüttert. »Auf immer!« murmelte er, »auf immer! – Das ist die Strafe: Als König hatte ich die Erde zur Gattin! um Urwasi floh ich aus dieser Ehe, und nun verläßt sie mich – auf immer!«

Zitternd stieg er die Felswand hinab und schlich müde am Ufer des Sees dahin, bis er an eine verfallene Einsiedlerhütte kam.

»Hier will ich bleiben!« murmelte er. »Hier! – sie kommt wieder übers Jahr – zum letztenmal«

Und Pururavas warf sich über das Lager von Gras und schluchzte, bis der Schlaf ihn tröstend umfing.

Täglich eilte er nun rund um den See, suchte, forschte und fragte alles Lebendige, ob Urwasi nicht im Bergsee gebadet habe.

Je mehr das Jahr sich seinem Ende näherte, um so ungeduldiger wurde der Einsame.

Er schweifte wieder wie einst umher, und der Wahnsinn ließ ihn tanzen und singen. Wieder war er der einsame Elefant, der Herdenverächter, der Weibverlassene. Und als einst solch ein grimmiger Einsiedler an den Bergsee kam, trat Pururavas ihm entgegen und begrüßte ihn als Bruder im Leid. Nur ein kühner Sprung ins Wasser rettete den Wahnwitzigen vor dem toddrohenden Rüsselschlag des wütenden Tieres.

Als Pururavas in Sicherheit das Ufer wieder gewonnen hatte, lief er durch den Wald, bis er am Fuß eines steilragenden Berges stand.

»Du mächtiger Riese!« rief er zum Gipfel hinan, »in den Wäldern auf deinem Rücken läuft Hirsch und Gazelle, die Bächlein murmeln dort Sprüche und Lieder, die verliebten Genien spielen und schmiegen ihre Roßköpfe kosend aneinander! Da mag sie sich wohl auch ergötzen! – Hoch ragt dein Haupt, Bergalter, zu den Wolken, und tausend helle Augen spähen dir umher! – Siehst du nicht Urwasi?«

»Urwasi! – Urwasi!« klang's im Echo verhallend.

»Oh! – er sieht sie – ruft sie!« jubelte Pururavas und kletterte den steilen Hang hinan.

Atemlos hielt er auf buntfarbiger Bergwiese, wo Bienen von Blüte zu Blüte summten.

»Honigsammler, habt ihr sie nicht gesehen?« rief er. »Doch nein! wie könnten euch die bunten Blüten fürder reizen, wenn ihr die Herrlichste gesehen, wie Honigseim euch süß noch duften, wenn ihren Atem ihr getrunken hättet? – – Ein Reh! oh, wie es mich mit ihren Augen ansieht! – – Was scharrt es aus dem Moos? – oh, fliehe nicht vor mir! – 's ist ein Karfunkel! – Wär' ich noch König, könnt' ich ihn kaum bezahlen, so schön ist er! – Nun werf' ich ihn von mir – –«

Schon hob Pururavas die Hand, um das Kleinod in den Abgrund zu schleudern, da rief's aus den Lüften:

»Behalte den Stein, 's ist eine Träne Gauris! Die Gattin Schiwas hat sie um deinen Schmerz geweint! Behalt' den Stein, er bringt dir Liebesglück!«

»Dank, Wolkenrufer!« erwiderte Pururavas, und das Juwel krampfhaft umspannend, eilte er in vollem Lauf den Berg hinunter zum See.

Urwasi stand am Ufer und winkte dem Gatten freundlich zu.

»Du kommst, den Sohn zu holen, Freund!« sprach sie, »es ist die Stunde, die ich dir bestimmte!«

Pururavas stand vor ihr, wortlos, atemlos, mit weitgeöffneten Augen das holde Bild trinkend.

»Urwasi!« stammelte er, »geh' nicht von mir!«

»Schweig!« sprach sie kalt, »nicht deshalb bin ich hier! – Was glänzt in deiner Faust?«

Pururavas warf einen Blick auf das köstliche Kleinod, das er um Schöneres vergessen hatte.

»Oh!« rief er aus, »du bleibst! – Sieh diesen Edelstein – er ist die Träne Gauris! – Kein Weib hat je so edlen Schmuck getragen! – Dein sei das Kleinod – wenn du bleibst!«

»Ich kann und will es nicht!« sprach Urwasi zitternd.

»So ruh' am Grund des Sees der Edelstein – – !«

»Halt!« rief Urwasi und hielt den erhobenen Arm ihres Gatten fest. »Gib mir das Kleinod! – Bis morgen die Sonne ihre Bahn beginnt, will ich die Deine sein, und beim Abschied sollen die Gandharva, meine Freunde und Brüder, dir einen Wunsch erfüllen!«

»Urwasi, Urwasi!« jubelte Pururavas und sank zu Boden, um die Füße der Geliebten zu küssen.

Als er die Gattin nach seiner Hütte führen wollte, fand er an deren Stelle einen kostbaren Palast, und Gandharvas, die himmlischen Künstler, die das Zauberwerk in wenigen Augenblicken erbaut hatten, empfingen das glückliche Paar mit freundlichen Reden und munteren Weisen.

An reichgeschmückter Tafel nahmen die Verliebten ein Mahl, und die himmlischen Klänge der Halbgötter ließen Pururavas Trennungsschmerz und Sorge um den Sohn vergessen. Auf Himmelswundern gebettet, träumte sein Herz von ewiger Liebe und endloser Freude.


Der Morgen fand Pururavas ruhig und heiter, denn Urwasi hatte ihm während der Nacht verraten, wie er dem höchsten Liebesglück die Ewigkeit gesellen könnte.

Als ein Apsaras ihm unter Urwasis Erröten das Söhnlein reichte, ein schönes Kind von wenigen Monden, und als Wischwawasu, der Gandharvafürst, den Scheidenden nach seinem Wunsche fragte, da rief er fröhlich:

»Nehmt mich auf in euren Himmel der Phantasie! Ich will ein Künstler, ein Halbgott, ein Gandharva werden, wie ihr!«

»Es sei gewährt, du Schmerzgereifter!« sprach Wischwawasu ernst.

Dann nahm er einen Topf voll Feuer vom Opferherd in der Halle und gab ihn dem Pururavas: »Es ist Feuer, wie eure Priester es seit Jahrhunderten der Menschheit gehütet haben! Kehr' in dein Reich zurück, das ohne König seufzt, und setz' den Sohn auf den verlaßnen Thron. Entfach' sodann ein dreifach Opferfeuer und gehe ein in unsern Himmel!«

Dankend grüßte Pururavas zum Abschied, und auf dem rechten Arm sein Söhnlein Avus, in der linken Hand den Feuertopf, verließ er die gastliche Stätte und schritt durch den Wald gegen Pratischtana.

Hinter ihm aber zerfloß der Zauberpalast im Nebel, und seine Bewohner entschwebten zum Himmel.

Als Pururavas in die Nähe seiner Residenz gekommen war, henkte er den Feuertopf im Walde an einen Ast und schritt mit Ayus am Arme weiter.

Die Torwächter von Pratischtana erkannten den lange verschollenen Herrscher. Die Kunde von seiner Wiederkehr lief von Mund zu Mund durch alle Gassen. Das Volk strömte zusammen und drängte sich jubelnd um den schmerzlich Vermißten.

Die Priester hatten seit des Königs rätselhaftem Verschwinden die Herrschaft geführt, und da Indras Zorn gar trocken über dem königlosen Reiche hing, hatten sie das fröhliche Volk von Pratischkana mit frommem Zwang und hartem Bußwerk bedrückt. Beim Anblick seines gütigen Herrschers jubelte es nun und sah voll Hoffnung in die Zukunft.

Pururavas dankte den Heilrufen und schritt durch die Menge nach dem Palast.

Der Oberpriester des Reiches und zwei andere brahmanische Würdenträger begrüßten ihn am Eingang.

»So kommst du endlich, um den Götterkönig zu versöhnen, der Segen hat und Regen verweigert dem herrenlosen Land?« sprach der Oberpriester ernst.

»Ja, Ehrwürdiger!« erwiderte Pururavas. »Ich bring' dem leeren Throne einen neuen König! – Hier! Ayus ist's, mein Sohn!«

»Wer zeugt dafür, daß er aus deinem Königsblute stammt? – Hast du das Sohnesopfer schon verbrannt?« fragte der Priester.

»Du sollst es, würdiger Gottesdiener!« erwiderte Pururavas.

»Ich weigre mich! Ich kenn' den Knaben nicht, noch seine Mutter!«

»O tu' es!« rief der König. »Er ward mir in rechtlicher Gandharvaehe geboren! Ich zeuge für ihn und seine Augen, jeder seiner Züge tut's!«

»Ich weigre mich!« sprach starren Sinns der Priester.

»Und du, mein Volk?« rief Pururavas, den Knaben hochhaltend. "Erkennst den Sohn des Herrschers du in ihm?«

»Er ist's! Er ist's – sein Sohn! – Seht seine Augen!« schrie es rings im Kreise.

»Nun, Priester, willst du für ihn opfern?« fragte der König wieder.

»Ich weigre mich!« sprach jener finster zum drittenmal.

»So will ich selbst das Opfer brennen, das Ayus vor Göttern und Menschen meinen Sohn nennt! Kommt mit mir!« rief Pururavas zum Volke gewendet.

»Halt!« rief der Oberpricsler. »Willst du das Feuer vom Altar mir rauben? – Du weißt es, es fiel vor tausend Jahren vom Himmel zur Erde, und nur wir Priester haben es gehütet, bis heute! Kein Feuer brennt im weiten Reich, das nicht von unserem Altar entsprungen wäre! – Wir sind die Herren des Feuers – du raubst und stiehlst Brahmanengut, wenn du ein Fünklein gegen unsern Willen nützest!«

»Sei ruhig!« sprach der König, »meine Flamme stammt nicht von eurem Altar. Die Himmlischen selbst haben sie mir gegeben! – Kommt!« rief er noch einmal und schritt durch die Straßen nach dem Tor und zu der Stelle, wo der Feuertopf des Gandharvafürsten hängen mußte. Lärmend drängte das Volk ihm nach, und die Priester folgten voll Neugier von ferne.

Als sie aber den Ort erreicht hatten, sprang Pururavas erschrocken vorwärts: Die Flamme hatte den Ast, der den Topf trug, verzehrt, er war zu Boden gefallen und sein Inhalt auf den mächtigen Wurzeln des Baumes verglommen.

»Wehe!« rief Pururavas und warf sich zur Erde, um in der verstreuten Asche nach einem noch glimmenden Fünklein zu suchen, das sein heißer Atem hätte zur Flamme entfachen können.

Vergebens! Er wühlte in den erkalteten Resten, ließ sie spielend durch die Finger gleiten und sah mit müden Blicken auf die Menge.

»Geht heim!« sagte er mit irrem Lächeln. »Es ist nichts! geht heim!«

Die Priester riefen das Volk zu sich, und die Menge begann sich zu verlaufen.

Da trat ein Weib in Büßerkleidung zu dem spielenden König und griff nach dem Knaben auf seinem Arm.

»Gib mir das Kind, Unglücklicher!« sprach sie bittend. »Ich will ihm eine Mutter sein und es seines Vaters würdig erziehen!«

»Wer bist du?« murmelte der König. »Ein Weib, das Mitleid fühlt?«

»Ich trag' die Pflicht der Buße, und mit dem Leid kommt Mitleid! – Bin ich ein Weib noch – da Weib doch Lust heißt? – Ich bin Satyavati, die Büßerin!«

»So nimm einstweilen den Knaben! doch sage mir, wo du hausest, denn ich will den Sohn nicht missen!«

»Herr, tausend Schritte von hier gegen Sonnenaufgang steht meine Klause am Bach, und Ziegen hab' ich zwei und auch ein Gärtlein – oh, das Prinzlein soll leben wie ein Prinz, das süße!« jubelte Satyavati.

»Nun geh', du Gute!« sprach der König, sein Söhnlein zum Abschied küssend. »Geh'! ich muß allein sein!«

Und kaum hatte Satyavati ihn verlassen, so ging er rund um den Baum und betrachtete ihn von allen Seiten mit aufmerksamen Blicken.

»Ein Feigenbaum, der aus einer allen Mimosenwurzel wächst!« murmelte er. »Wie ist das nun? – Die Flamme kroch in das Feigenholz und die Glut in den Mimosenstock! – Kann ich sie wieder vereinigen, so strahlt mein Feuer wieder, strahlt mein Glück!«

Und Pururavas hieb mit seinem Schwerte vom Feigenholz und vom Mimosenstock je einen Span und begann sie aneinander zu fügen – zu schlagen – zu reiben –.

Lange blieb sein Mühen vergeblich. Als er aber die Bogensehne zu Hilfe nahm und damit das Feigenholzspänchen im Mimosenholz herumwirbelte, da gab es Rauch – und Glimmen – und eine Handvoll dürren Grases rief die ersehnte Flamme ins Leben.

»Nun hab' ich's wieder!« jubelte Pururavas, »und nimmer kann ich es verlieren!«

Und sein Feuerzeug zusammenraffend, lief er in die Stadt und rief das Volk aufs neue vor die Tore.

Neugierig folgte die Menge ihm zum zweitenmal in den Wald, und während einer der Leute auf des Königs Befehl Satyavati mit dem Prinzen holte, zündete Pururavas zu aller Erstaunen drei mächtige Feuer an und lehrte jeden die Reibhölzer gebrauchen.

Als Ayus gebracht wurde, sprach Pururavas die Formeln des Sohnopfers und zeigte dem Volke seinen künftigen Herrscher.

Satyavati gelobte, seine Kindheit zu betreuen, und des Königs Wagenlenker versprach, ihn mit den Waffen vertraut zu machen. Ein Oheim sollte die Herrschaft für den Unmündigen führen.

Pururavas aber grüßte sein befreites Volk und ging nordwärts nach dem einsam ragenden Himawat.

Dort stieg er aufwärts durch Glut und Hitze, Wald und Wildnis, Schnee und erstarrendes Eis, bis er den Himmel der Gandharvas erreicht hatte und dort mit seiner Urwasi für immer vereint war.

Hier muß ich in tiefster Ehrerbietung des Streiters und Dichters

Karl Kraus

gedenken, denn seinen unvergänglichen Werken verdanke ich, daß ich den Weg zum Geiste besonders dieser allen Dichtung gefunden habe – daß mir die Gestaltung im Nacherzählen gelang.

Alois Essigmann


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