Alois Essigmann
Sagen und Märchen Altindiens. 2. Band
Alois Essigmann

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König Haristschandra

In uralter Zeit herrschte der gute König Haristschandra über das weite Reich der Kosaler. Seine Untertanen segneten den Gerechten und die Götter freuten sich seines unsträflichen Wandels. Zucht und Sitte waren in Kosala daheim, und Fröhlichkeit paarte sich der Frömmigkeit, denn wie ein Herrscher ist, so ist sein Volk.

Einst zog Haristschandra mit seinem Hofstaat durch das Land um zu jagen.

Als der stattliche Zug durch einen finsteren Wald kam, tönte Lärm und Geschrei aus dem Dickicht, und eine weibliche Stimme rief gar kläglich um Hilfe. Rasch sprang Haristschandra vom Wagen und bahnte sich mit dem Schwert einen Weg durch den Wald.

»Mut!« schrie er dabei. »Ich komme! – Wer wagt zu freveln, wenn der König naht? der Rächer jeder Ruchlosigkeit! der Schützer der Schwachen! – Weiche, elender Tor, denn eher birgst du Glut im Kleide, als dich vor des Gerechten Schwert! – Frevler, Sünder! Du sollst von meiner Hand sterben!«

Da hatte er das Dickicht durchbrochen und sah erstaunt den frommen Kauschika, schweigend, mit andächtig erhobenen Händen stehen. Und durch die Wipfel flog kreischend und hilfeheischend eine Schar von Dämonen vor des Heiligen brennenden Blicken. »Halt, Wahnsinniger!« rief dieser dem König zu. »Du schmähst mich, drohst mir Tod und störst mein frommes Werk! Soll mein Fluch dich zerschmettern?«

Haristschandra sank vor dem mächtigen Büßer in die Knie.

»Verzeih!« stammelte er. »Ich dachte nur an meine Pflicht: schützen und schenken ist Herrscherpflicht!«

»Schütze die Guten, und schenke den Frommen!« erwiderte Kauschika. »Aber du willst Frevler beschirmen und vom Frommen den Frieden nehmen! – Ich heische Opfergabe, um dich zu entsühnen!«

»Du sollst sie haben, du Fürst unter den Heiligen!« rief Haristschandra freudigen Herzens, »und mich, mein Reich, mein Weib, mein Kind und alles was ich habe dazu!«

»Dein Wort soll gelten, König!« sprach der Büßer. »Dein weites Reich ist mein und deine ganze Habe! nur Leib und Weib und Kind, das mag dir bleiben, doch gibtst du mir die Opferspende wie verheißen!«

»Herr, alles ist ja dein! – Ich hab' kein Eigen mehr, um für das Opfer dir zu spenden!« sprach ruhig Haristschandra.

»Du mußt! – Du hast versprochen, die Opferspende und dein All zu schenken! – Willst du am Worte mäkeln, dein Versprechen brechen?«

»O Heiligster, das will ich nicht!« sprach der arme König. »Laß mir nur Zeit, bis sich zum andernmal der Mond erfüllt! dann will ich dich bezahlen!«

»So geh! ich will solange warten!« sprach Kauschika streng.

Ehrfürchtig neigte sich Haristschandra vor dem Heiligen, dann wandte er sich und schritt zu den harrenden Wagen.

Er rief Weib und Kind an seine Seite, alle drei legten die Bastkleider der Bettlerzunft an und verließen die königliche Pracht ohne zu murren.

Nach der Hauptstadt wanderten die Armen müden Fußes und erbettelten unterwegs milde Gaben, um ihren Hunger zu stillen.

Zu Ajodhia erkannten die Bürger sie und scharten sich um die Bettler.

»Heil König Haristschandra!« klang es rings im Kreis. »Wohin mit dem Bettelsack? – Warum bist du von deinem Thron gestiegen? – Und die arme Königin Saiwi mit ihrem schönen Söhnlein! – Seht, wie sie wankt auf blutenden Füßen! sie, die in goldenen Wagen fuhr, er, der den stolzesten Bergelefanten ritt, und der den mit Edelsteinen bedecken konnte, bis an den Scheitel! – Seht nun die Armen als Bettler! – O gebt! – helft ihnen! – Was ist geschehen, König?«

»Mich bindet ein Gelöbnis, wackre Bürger! – Gebt mir! – Ich muß zu frommen Zwecken milde Gaben heischen! – Gebt uns Armen! – Gebt!«

Schon griffen viele nach ihren Beuteln, um dem guten König zu helfen, da trat plötzlich der Heilige Kauschika unter die Menge und rief in gebietendem Tone: »Halt! – Geht heim, ihr Bürger!«

Und die Kosaler gehorchten den Worten des frommen Brahmanen.

Der wandte sich nun zu König Haristschandra und sprach:

»Pfui! hältst du so dein Wort? – Hast du mir nicht dein Reich geschenkt samt allem Gut? – Nun willst du's pfennigweise zurückerbetteln? wohl auch die Bürger reizen gegen mich, den neuen Herrscher?«

»Ach nein, du Fürst der Büßer!« sprach traurig Haristschandra. »Ich bat um Gaben, daß ich dir meine Schuld bezahlen könnte!«

»Geh außer Landes betteln, und vergiß den Tag des Vollmonds nicht!« sprach der Heilige streng und wandte sich hinweg.

Haristschandra aber nahm Weib und Kind an der Hand und wanderte aus dem Lande, das er und seine Väter beherrscht halten.


Der Mond war voll, und der bettelnde König hatte nur sieben Kupfermünzen in seiner Bastkutte.

Willig und reichlich hatten die Bewohner des durchwanderten Landstriches den Bettlern Nahrung geboten, aber das Geld war zu selten, um es an Fremde zu verschwenden.

Da brach der Morgen des Zahltages an, und der Heilige Kauschika stand vor dem Blätterlager seines Schuldners.

»Auf, Haristschandra!« rief er, »zahle, zahle! wer Schulden hat, den schreit die Sorge aus dem tiefsten Schlaf!«

»O Herr!« rief Haristschandra aufspringend, »gedulde dich, bis der Abend herabsinkt, ich hab' noch nichts, das ich dir bieten könnte!«

»So eile, säum'ger Schuldner!« sprach Kauschika zornig. »Es ist die letzte Frist! verrinnt sie ungenutzt, so trifft mein Fluch dich und die deinen!«

Haristschandra trat mit Weib und Kind den Bettelgang an.

»O ich Unglücklicher!« jammerte er. »Ich kann mein Wort nicht halten, und des Heiligen Fluch wird uns alle in die Hölle stürzen! – Ach ich muß mein Königshaupt nun unter das Sklavenjoch beugen. Meines Leibes Knechtschaft wird unsere Seelen befreien!«

»Nein, mein Geliebter!« sprach da die getreue Saïwi, »du sollst nicht dienen, denn du bist mein Herr! – Verkaufe mich! – Ich habe dir einen Sohn geschenkt und so meine Pflicht als Weib erfüllt! – du aber mußt als Mann dein Wort noch lösen von jenem Priester! denn Treue ist des Mannes letztes Gut! – Verkaufe mich, und sei du frei!«

Da fiel Harislschandra seiner Gattin zu Füßen, und im Schmerz um des edlen Weibes Opfer schwanden ihm die Sinne.

Als er erwachte, rief Saïwi:

»Nun führe mich zu Markt, Geliebter! Ich bleibe die Deine auch in der schwersten Sklaverei! Doch gehst du in Knechtschaft, so sind wir alle ehr- und eigenlos!«

Mühsam erhob sich der König und ging schweigend mit der Gattin nach dem Marktplatz. Ihr Söhnlein sprang zwischen ihnen dahin und plapperte von seinem goldenen Bettlein daheim und dem hölzernen Schwert, das ihm einst ein Diener geschnitzt hatte.

Haristschandra murmelte vor sich hin: »Weh mir! – Ich bin der Schlechteste der Schlechten! – Mein Weib will ich verkaufen, wie ein trunkener Würfelspieler! – oh! alles Elend über mich Elenden!«

Als sie auf den Markt kamen, trat ein alter Brahmane an Haristschandra heran und fragte ihn: »Was willst du hier?«

Der König sah den Ehrwürdigen an und dachte, daß er wohl seinem Weibe ein guter Herr sein würde. Zitternd stammelte er:

»O Herr! ich bin ein Unwürdiger – ein Elender – ein Unmensch! – Ich will – ich muß – um harte Schuld zu tilgen – mein Weib verkaufen!«

»Ich suche eine Sklavin!« sprach der Priester. »Meine junge, schöne Gattin will sich nicht schicken in des Hauses Müh' und Plage! – Nimm diese siebzig Goldstücke und laß mir dein Weib!«

Schweigend nahm Haristschandra das Geld und wandte voll Scham sein Antlitz hinweg.

Kaum aber war Saïwi des Priesters Eigentum geworden, so riß dieser sie an den Haaren nieder und zog sie über den Marktplatz hin.

Haristschandra wandte bei Saïwis Schmerzensschrei das Haupt, und als der Unglückliche die Schmach der Gattin sah, fiel er wie vom Blitz erschlagen zu Boden.

Das Söhnlein erschrak vor des Vaters Reglosigkeit und lief der schreienden Mutter nach.

»O mein Herr, mein neuer Gebieter!« flehte Saïwi den grausamen Brahmanen an, »Kauf auch mein Söhnlein, denn er wird sterben ohne die Liebe seiner Mutter, und auch ich könnt' nur wenig dir leisten, wenn ich vor Gram um mein Kind verkümmerte!«

Da ging der Alte noch einmal zu Haristschandra, weckte ihn aus seiner Ohnmacht und zählte dem vor Schauder schier Sinnlosen dreißig Goldstücke in die Hand. Dann nahm er den Knaben und seine Mutter und verschwand mit ihnen um die nächste Ecke.

Haristschandra saß noch auf der Erde und starrte auf das Gold in seiner Hand, als plötzlich der Heilige Kauschika vor ihm stand.

»Nimm, nimm! – die Opferspende!« stammelte er entsetzt und schob dem Büßer all sein Gold hin.

Kauschika richtete sich zornig empor:

»Das wagst du mir zu bieten!« schrie er mit funkelnden Augen. »Eine Hand voll Gold für eines Königs Sühneopfer? – du schmähst und entehrst mich aufs neue! – Gibst du bis zum Sonnenuntergang mir nicht das Zehnfache, so sollst du des Büßers ganze Macht kennen lernen!«

Als Haristschandra den Blick erhob, war der Heilige verschwunden. Er stand auf und murmelte traurig: »So war des treuen Weibes Opfer doch vergeblich!«

Dann hob er mutig das Haupt, trat mitten auf den Markt und rief:

»Wer kauft einen starken Sklaven, der auch mancher Weisheit und aller Waffen kundig ist?«

Ein Tschandala trat auf ihn zu. Es war der Henker der Stadt, der Herr der Totengräber und Schindersknechte. Schmutzig und verwachsen, engstirnig und breitmäulig, stand er auf krummen Beinen da, nach seinem üblen Gewerbe stinkend. Ein Kranz von Aasknochen um den Leib kennzeichnete ihn als einen Ausgestoßenen.

»Komm mit mir!« sprach er grinsend zu dem schaudernden Haristschandra. »Komm mit! ich zahle tausend Goldstücke für dich!«

»Geh, geh!« schrie der arme König, »wie könnt' ich einem Ausgestoßenen dienen? – Besser verflucht, als in Tschandalenknechtschaft!«

Da stand Kauschika plötzlich vor Harislschandra und sprach spottend:

»So halst du dein Wort, König? – Das Gold weist du zurück, das dein Versprechen lösen könnte?«

»O Heiliger!« rief der Unglückliche, in die Knie sinkend, »nimm du mich hin! Ich will dein Sklave sein, bis an das Ende! – So zahl' ich meine Schuld!«

»Mein Sklave bist du?« fragte Kauschika.

»Ja, Herr!« erwiderte Haristschandra einfach.

»Nun, Tschandala, so nimm den Burschen um lausend Goldstücke! Ich will ihn dir verkaufen!«

Da schwieg Haristschandra traurig und ging gehorsam mit seinem neuen Herrn vor die Stadt nach dem Schindanger, wo alle Ausgestoßenen hausen mußten.

Bei Tag und Nacht tat nun der gefallene König seinen Dienst unter den Schindersknechten, mußte Unrat und Aas von Straßen und Wegen sammeln und den Hunden der Stadt ihr Mahl kochen. Oft auch mußte er es vor Hunger mit den bissigen Bestien teilen, denn sein Herr hatte nur Stockschläge für ihn.

Still sann er seinem Unglück nach und gedachte voll Schmerz und Sehnsucht seines Weibes, das für ihn duldete, mit ihm litt.

»Oh, Saïwi!« murmelte er dann vor sich hin, »vergiß, daß du einen Gatten hattest! Hoffe nicht, daß er dich dereinst loskaufen wird, denn er ist elender und ärmer als du!«

Einst kam sein Herr, der Tschandala, zu ihm und sprach finster:

»Rüste dich, Sklave! Du sollst heute nacht auf den Friedhof gehen und den Leichen die Kleider rauben. – Du hast so viel gekostet, du fauler Knecht, und bringst so wenig ein! – Geh und stiehl! – Ein Sechstel der Beute ist, wie von allem, des Königs, zwei Sechstel sind dein, drei Sechstel aber gehören mir! Geh und mach deine Sache recht, dann will ich dir ein guter Herr sein!«

Wortlos ging Haristschandra, den Befehl seines Herrn zu erfüllen!

Als er die Begräbnisstelle erreicht hatte, setzte der Müde sich auf einen Stein, um zu warten, bis es dunkel würde.

Da sah er ein Weib daher wanken, das trug die Leiche eines Knaben in den Armen.

Saïwi war es, mit ihrem Sohn, den der Biß einer Natter getötet halle. Aber Leid und Arbeit der Sklaverei hatten die Königin so entstellt, daß Haristschandra sein Weib nicht erkannte. Auch Saïwi suchte nicht den König in dem schmutzigen, abgehärmten Mann mit dem Zeichen der Tschandalenknechtschaft.

Tiefauf seufzte der Gefallene, als er die Knabenleiche erblickte.

»Ach! wieviel Elend ist doch auf Erden!« klagte er mitleidig, »ein Kind! – ein Knabe – so alt wie mein Söhnlein – –«

»Haristschandra!« schrie da Saïwi auf. »O ihr Götter! nur die Stimme ist ihm geblieben, von all seiner königlichen Herrlichkeit – – –«

»Saïwi?« schrie nun der Ausgestoßene und fiel seiner treuen Gattin zu Füßen.

»Oh!« klagte er, »wie bin ich unglücklich!«

Saiwi aber streichelte das Haar des Klagenden und fragte, wie er in Tschandalenknecbtschaft gefallen sei.

Schluchzend und stammelnd erzählte Haristschandra, was sich auf dem Marktplatz begeben, nachdem der Brahmane Gattin und Sohn ihm entrissen hatte.

Saïwi berichtete darauf unter bitteren Tränen, wie ihr Söhnlein der giftigen Schlange beim Spielen zum Opfer gefallen war.

Lange hielten die Gatten einander umschlungen und weinten Tränen des Schmerzes und der Liebe.

Dann richtete Haristschandra sich auf und sprach mit fester Stimme:

»Nein! ich ertrag es nicht länger! Lieber will ich durch sieben Höllen schreiten und wiedergeboren werden als Tier, nach all ihren Qualen! – Nicht länger trag' ich die Schmach der Tschandalenknechtschaft! – Ich teile mit meinem toten Sohne den Scheiterhaufen und sterb' in den Flammenl – Du aber, Saïwi, diene treu deinem brahmanischen Herrn, dann werden die Götter uns wieder vereinen, und wär's erst nach tausend Verwandlungen.«

»Ich sterbe mit dir, Haristschandra! – so wie ich nur mit dir lebe!« sprach Saïwi sanft.

Die Dämmerung war mittlerweile hereingebrochen, und im Halbdunkcl schichteten die Gatten den Stoß, auf dem sie vereint dem Tode entgegengehen wollten.

Sorgfältig betteten sie des geliebten Kindes Leiche darauf und neigten sich noch einmal im Gebet vor dem Herrlichsten der Götter.

Da ward es plötzlich hell über dem Friedhof, und von dem Heiligen Kauschika geführt, kamen die Götter des lichten Himmels über die Grabstätten geschritten.

»Halt!« rief der Gott des Rechtes. »Wir bringen, guter König Haristschandra, dir Lohn für deine Treue und Geduld!«

Und Indra, der Herr des Himmels, sprach:

»Lebendigen Leibes geh' ein zu meiner Seligkeit, du treuer Mann, du stiller Dulder!«

»Ihr guten Götter!« sprach Haristschandra fest, »ein Tschandala ist Herr meines lebendigen Leibes! Der Tod nur entrückt mich der niedrigen Knechtschaft! Auch seufzt mein treues Weib in schwerer Sklaverei – wie könnt' ich Himmelsseligkeit genießen!«

Da trat der Gott des Rechtes vor und sprach:

»Ich, Haristschandra, war der Tschandala und der Brahmane auch, der Saïwi gekauft hat. Ich prüfte eure Festigkeit in Leid und Elend! – Ihr habt bestanden, wie Gold im Feuer! – Geht ein zu Indras Herrlichkeit!«

»Noch drückt mich eine Sorge!« erwiderte Haristschandra. »Mein Reich, mein liebes Kosala, ist ohne Herrscher, und Indra zürnt den Völkern ohne König!«

Da sprengte der Herr der Götter ein paar Tropfen Amrita über die Leiche des kleinen Prinzen. Fröhlich stand der Tote auf und umarmte seine geliebten Eltern.

»Hier ist Kosalas künftiger König!« rief Indra.

Da neigten sich die Schwergeprüften in Ehrfurcht vor den Himmlischen.

Ein Wolkenwagen schwebte herab und nahm sie auf.

In den Lüften erklangen die Weisen der himmlischen Spielleute, und durch ein Meer von Duft ging es aufwärts zum ewigen Licht, zu seliger Freude.


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