Alois Essigmann
Sagen und Märchen Altindiens. 2. Band
Alois Essigmann

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Sawitri

Sawitri, die strahlende Tochter des Sonnengottes, stand leibhaftig vor König Aßwapati und sprach:

»Tapferer Beherrscher der Madrer, Edelster und Bester deines Volkes! Lange bange Jahre hindurch hast du voll Inbrunst in reichen Opfern, strenger Enthaltsamkeit und redlicher Pflichterfüllung demütiglich um meine Gnade gebeten. Deine Treue, deine Reinheit, dein frommer Glaube hat mich gerührt. Sprich, Vortrefflicher, wünsche! – Meine Huld ist mit dir und deinem Sehnen!«

Aßwapati faltete die Hände vor der Brust, hob sie ehrfürchtig grüßend bis an die Stirne, und umwandelte die Gnadenreiche rechtshin.

»Ewig schenkende Allmutter!« betete er, »wenn dein täglicher Segen sich über mein Land ergießt, so fällt er Glücklichen in den Schoß. In meinem Reiche tragen Sklaven und Diener ihr Joch, leicht wie ein Blumengewinde, in frommer Zufriedenheit. Bauern und Kaufherren arbeiten mit fröhlichem Fleiß in einem Frieden, den meine tapferen Krieger voll Freude beschirmen. Den Priestern aber neigen sich alle in Ehrfurcht und geben ihnen mit offener Hand, so wie sie offenen Herzens von ihnen empfangen. In Demut vor den Göttern hab' ich die vier Kasten glücklich gemacht. Doch ach! mir blieb das Glück versagt; kein Erbe ward mir, der mein Werk erhielte, kein Sohn, in dem mein Geschlecht auf Erden fortlebte, kein Kind, das mir und meinen Vätern das Totenopfer brächte und uns dereinst aus Yamas finsterem Hause führte. – Ich werde alt, Göttin! Hilf mir, du Reiche, die aus dem kalten Felsen noch Halme sprießen läßt, du Gute, die den nackten Acker in Gold hüllt, du Frohe, deren Lachen den düstersten Winkel erhellt! – Hilf mir!«

»Ich wußte um dein Sehnen, Rechtschaffener!« erwiderte die Göttin, »und hab' es längst vor Allvater Brahmas Thron gebracht. Ein Mägdlein verheißt er dir, sonnenschön und mondenhold, doch muß deine Sehnsucht nach Söhnen und Erben verstummen!«

»Sie schweigt, Segenspenderin! und mein Herz ist in Liebe der Tochter geöffnet!« sprach Aßwapati. Und während er sich in heißem Dankesstammeln neigte, verschwand die Göttin in der Opferflamme, der sie entstiegen war.

Der König aber schritt aus dem Tempel und besuchte Malavi, seine vornehmste Gattin. Ihr sprach er von der strahlenden Göttin Huld und senkte Hoffnung in ihr liebevolles Herz.

Ehe ein Jahr verging, gebar die Königin ein Mägdlein. Das war goldhaarig und hatte Augen wie blauer Lotus in der Dämmerung. Zartgliedrig lag es auf dem blendenden Linnen der Wiege, wie die Bergrose auf dem Schnee.

Die Eltern dankten der schenkenden Göttin voll Inbrunst. Sie weihten das Kindlein der gütigen Geberin, und der Hauspriester gab ihm den Namen » Sawitri«, als er es bei der üblichen Opferfeier dem Volke zeigte.

In der Eltern treuer Hut wuchs das Mägdlein zur Jungfrau heran. Sawitri ward so schön, daß keiner der Erdenjünglinge ihr in Liebe zu nahen wagte. Wie eine aus Indras Gefolge, ja wie Schri, die leibhaftige Schönheit, ging die Königstochter durch das Leben. Alle mußten sie verehren, keiner wagte sie zu begehren!

Als Sawitri dem Vater einst beim Opfer die Blumen reichte, da haftete sein Auge mit Freude und stillem Ernst an der Erblühten.

»Mein Kind!« sprach er nach kurzem Sinnen, »ob auch mein Herz dich halten möchte, wie grauer Stein den grünen Efeu, ich muß dich doch einem Gatten geben vor Göttern und Menschen. Die heiligen Bücher mahnen den Sohn, nach des Vaters Tod die Mutter zu schützen; sie schelten den Gatten, der sein Weib meidet, aber den Vater, der die Tochter nicht vermählt, den verfluchen sie! – Da keiner um dich zu werben wagt, so gehe du in die Welt und wähle nach alter Sitte des Kriegerstandes deinen Gatten unter den Söhnen der Kaste. Hast du gefunden, was du suchst, so komm und nenn' mir den Mann deiner Wahl. Ist er dir, Holde, ähnlich an Tugend, so werd' ich ihn als Sohn willkommen heißen!«

Ehrerbietig neigte sich Sawitri vor dem Vater und ließ sich zur Reise rüsten.

In einem goldglänzenden Wagen, umgeben von Frauen und Dienern, verließ sie die Stadt und zog durch die weiten Lande, um einen Gatten zu finden. Hoffenden Herzens fuhr sie durch die Wälder, in welchen Büßer aus königlichem Stamme hausten, denn Sawitri liebte Weisheit und Zucht weit mehr als Reichtum und Macht. Der Frieden des Waldes schien ihr verlockender als der Lärm der Welt. So fuhr sie von einem Einsiedlerdorf zum anderen und hielt Augen und Ohren offen.


Der Himmelsbote Narada war auf einer seiner Erdenwanderungen nach Madra gekommen und saß als Gast bei König Aßwapati in der Halle, als Sawitri von ihrer Gattenwahl heimkehrte.

In ehrfürchtigem Gruße neigte sich die Jungfrau vor ihrem Vater und seinem erhabenen Gaste.

Die Holdseligkeit des Sonnensendlings ergötzte das Herz des Götterboten, und in sorgender Freundschaft fragte er den Vater, ob er der Tochter schon einen Gatten erkoren habe. Aßwapati erklärte dem Heiligen, weshalb er Sawitri in die Welt gesandt hatte, und forderte sie auf, ohne Scheu von dem Mann ihrer Wahl zu berichten.

Sawitri erzählte:

»Djumatsena, der weise König von Schalwa, erblindete vor vielen Jahren. Sein Sohn war damals ein Knäblein und konnte dem Blinden nicht helfen in seinem schweren Herrscheramt. Da benutzte ein böser Nachbar des Königs Hilflosigkeit, stieß ihn vom Thron und bemächtigte sich der Herrschaft in Schalwa. Gottergeben nahm Djumatsena sein Söhnlein in die Arme, und die treue Gattin führte den Blinden mit seiner lieben Last aus dem Reiche.

Im stillen Wald, unter guten und frommen Klausnern, siedelten die Flüchtlinge sich an und lebten fortan fern von der Welt, aber nahe der Gottheit, in Frieden. Das Söhnlein des Königs ist zum Manne erwachsen, und Satyavant – den Wahrhaften – nennen ihn die Waldbrüder. Denn auf seinen Lippen wohnt Wahrheit neben Weisheit und Milde. Ihm allein schlägt mein Herz entgegen, und für keinen anderen ist Raum in meinem Sinn. Satyavant werde mein Gatte!«

»Töricht muß ich dich schelten, Sawitri! weil du so weise gewählt hast!« sprach Narada. »Glückstrunken taumelst du ins Unglück!«

»Wehe!« rief Aßwapati. »Ist der Erwählte nicht würdig der reinen Liebe? – Ist er ein Feigling – ein Tor – ein Weichling – oder voll zügelloser Leidenschaft? Oh, teurer Gast, dem Zukunft und Vergangenheit nicht fremder sind als die Gegenwart – sprich und erlös' mich von der Sorge um die gelieble Tochter!«

Narada schüttelt das Haupt:

»Satyavant ist ein Tapferer und Starker, denn er weiß sich selbst zu bezwingen. Er ist weise wie ein Greis, und seine Weisheit ist voll lebendiger Jugend! Er ist schön wie das Tugendpaar Kraft und Güte, freigebig, fromm und von edelster Sinnesart. Hochragend steht er unter den Männern und gleicht den glänzenden Reitern der Morgenröte. Wer ihn sieht, muß ihn lieben, wer ihn nennt, muß ihn loben, und doch – –!«

»O sprich! – mich blendet sein Bild – ich sehe kein

»Glänzend wie ein fallender Stern würde er über eines Weibes Himmel ziehen, und wie ein solcher verlöschen: Heut über ein Jahr holt ihn der Todesgott! – so ward's ihm vom Schicksal verhängt.«

»Wehe, wehe, mein Kind!« seufzte Aßwapati. »Willst du sehenden Auges das Witwenlos wählen: langsam verwelken oder entschlossen, dem Gatten zum Todesgott folgen? – Weh! Deine Wahl verwerf' ich, wähl' einen andern!«

»Nie!« rief Sawitri. »Wie einmal nur des Vaters Gut geteilt wird, verpfändet einmal nur des Mannes Wort, so wählt des Weibes Herz nur einmal und für immer! – Wer mißt das Glück nach Jahren und nach Tagen, da es den Augenblick zum ganzen Leben reckt? Nein! Satyavant ist meines Herzens Gatte, seit ihn mein Aug' ersehn, mein Sinn erkannt hat. Nie kann und will ich eines anderen gedenken!«

»Gar weise spricht diese Törin, und meine Weisheit ist vor ihr töricht!« sprach der Heilige. »Klug wählt, wer kurzes Glück der langen Reue vorzieht. Gib sie dem Gatten ihrer Wahl, Aßwapati, denn er ist ihrer würdig!«

»Ich beuge mich deinem Rat, heiliger Himmelsbote, denn immer hab' ich ihn trefflich gefunden!« sprach Aßwapati.

Narada grüßte die Gastlichen mit freundlichen Segenssprüchen und zog seine Straße weiter gegen den Himmel.

Der König aber ließ alles zur Hochzeit bereiten, und mitten unter der würdigen Priesterschaft seines Hofes fuhr er mit der Tochter nach dem Einsiedlerwald, um dem edlen Satyavant die Gattin zuzuführen.

Am Eingang des Büßerdorfes verließ Aßwapati den Hochzeitszug und schritt zu Fuß nach der Hütte des greisen Djumatsena.

Friedlich und in sich versunken saß der Blinde auf seiner Matte aus geweihtem Gras. Als Aßwapati eintrat und eherbietigen Gruß sprach, bot er Sitz ihm, Trank und Speise, und hieß ihn freundlich willkommen. »O Weiser aus königlichem Stamm!« begann Aßwapati. »Ich bin der König der Madra und bringe die köstlichste Perle meines Reiches in deine Hütte. Sawitri, die holde Tochter, die mir die Sonne geschenkt hat, liebt deinen Sohn Satyavant. Nimm sie als Tochter ins Haus, Ehrwürdiger! Muß mir ihr Glanz schon erlöschen, so mag sie deine ewige Nacht erhellen!«

Djumatsena schüttelte das Haupt:

»Ich bin ein König ohne Land, ein Stamm ohne Wurzel, hab- und heimatlos; und so wie ich auch die Meinen! Reichtum und Rechte hab' ich mit meinen Augen verloren, aber die Pflichten fand ich als Blinder. Wie sollte dein holdseliges Kind nicht brechen unter der Lust der Leiden und Pflichten? Glücklich wuchs es empor, getragen von Sorgfalt und Liebe, geschmückt von Reichtum und Macht; kannte kein Band als das Blumengewinde, keinen Weg als den zum Spiel. – Nun sollt' es die zarten Schultern unter der Last der Armut, den stolzen Nacken unter das Joch der Büßerpflicht beugen? – Nein, König Aßwapati, das würde sie brechen, und es ist sündig, Anmut zu vernichten!«

»O königlicher Weiser!« erwiderte Aßwapati. »Du kennst das starke Herz meiner Tochter nicht. Wenig fragt sie nach den Freuden der Welt und trägt die Pflichten der Frommen in Fröhlichkeit. Treu und fest ist ihr Sinn, und da sie den edlen Satyavant erwählt hat, wird sie ferne von ihm vergehen. Hinfällig sind vor ihrem begehrenden Herzen alle Bedenken! – Nimm sie als Tochter auf, Djumatsena! Königlichen Stammes bin ich wie du, und nirgends seh' ich ein Hemmnis, die Beiden in Ehren zu vermählen!«

»Wohl, Aßwapati!« sprach Djumatsena. »Du ehrst mich mit deiner Werbung und gießest Freude in mein väterliches Herz! – Verzeih, daß ich mich geweigert habe, doch ich bin ein König ohne Thron: nichts kann ich dir bieten, nichts wieder dir geben um deinen Schatz. Stolz soll das Nehmende sein! Sein Sehnen muß er verbergen, sonst wird er zum Bettler – aber seit Sawitri durch die Wälder geschritten ist, hat mein Herz deine Werbung ersehnt!«

Die Greise umarmten einander, riefen sodann die Priester und ließen die Hochzeit rüsten.

Sieben Schritte, vor dem heiligen Hausfeuer geschritten, vermählten die Liebenden miteinander, und Aßwapati legte den reichen Mahlschatz in der Hütte des Blinden nieder. Voll stillen Glückes zog er dann heim zu seiner getreuen Gattin Malavi.

Sawitri aber trug fortan das Büßerkleid wie ihr Gatte. Still und freundlich ging sie an seiner Seite durchs Leben, diente freudig seinen greisen Eltern und fand in Reinheit und Holdseligkeit die Liebe aller, die mit ihr im Walde lebten.

Als der Tag sich nahte, den Narada ihr als Satyavants letzten verkündigt hatte, da fiel Bangnis in ihr starkes Herz. Sie gelobte drei Tage, bis zum gefürchteten Morgen, als Säule im Wald vor der Klause zu stehen, um durch die fromme Übung den Gatten vom Tode zu lösen.

Ängstlich warnte der blinde Vater, so schwere Buße zu üben. Er ahnte ja nicht, was es galt, und wollte die Zarte verschonen.

Frommgläubig aber und mutig ihrem starken Herzen vertrauend, wußte Sawitri des Greises Einwilligung zu erschmeicheln.

Als der Morgen in die dritte Nacht ihrer standhaft ertragenen Qualen dämmerte, da löste sich Sawitri aus ihrer Starrheit und seufzte: »Ach! heute wird er sterben; was wiegt mein kleines Leiden, gegen des Herrlichen Leben!«

Traurig schürte sie das heilige Feuer, brachte ihr Morgenopfer dar und betete inbrünstig zur aufgehenden Sonne. Dann schritt sie durch das erwachende Dorf, um Wasser in die Klause zu bringen. Freundlich dankten die frommen Büßer für ihre ehrerbietigen Grüße und riefen der Anmutigen manchen Segenswunsch zu: »Sei glücklich!« »Lebe in Frieden!« »Lerne nie das Witwenlos kennen!« so klang es allerorten, und diese längstgewohnten Morgengrüße der freundlichen Alten schienen der Sorgenden heute frohe Verheißung und dämpften den unruhigen Schlag ihres bebenden Herzens.

Hoffnungsfreudiger als seit langem betrat sie die Klause und grüßte voll Liebe den Gatten, voll Ehrfurcht die Eltern.

»Iß nun, Sawitri!« sprach gütigen Blickes die Mutter, »da du drei Tage in Demut gefastet hast, wird dich die Mahlzeit erquicken!«

»Ehe die Sonne nicht sinkt, ist mein Gelöbnis noch nicht vollzogen!« sprach die Fromme fest und wies die Speise von sich.

Satyavant griff nach der Axt, um für die heiligen Feuer Holz aus dem Walde zu holen. Sawitri zitterte, denn sie fürchtete, den Gatten nicht wiederzusehen. »Ich will dich heute in den Wald begleiten, Teurer, wenn Vater und Mutter es erlauben!« sprach sie mit fragendem Blick.

»Geh, meine Tochter, wenn es dein Wunsch ist!« sprach Djumatsena, »und kürze dem fleißigen Satyavant Arbeit und Weg!«

Freundlich grüßend schritten die Gatten aus der Hütte.

Satyavant trank die Stille und Schönheit des Waldes mit durstigem Blick und wies sie der Gattin mit freundlichen Worten. Aber Sawitri hatte nur Augen für ihn: »Wenn er mir stürbe!« zitterte es immerwährend in ihrem Herzen.

Am Ziel ihres Weges sammelte Sawitri Früchte in ihren Korb und Satyavant schleppte das dürre Astholz zu Haufen. Dann griff er zur Axt und zerkleinerte die langen Äste, um sie zu tragbaren Bündeln verschnüren zu können.

Perlender Schweiß glitzerte in der Mittagssonne auf des Fleißigen Stirne. Endlich mußte er ermüdet die Axt beiseitelegen und den gequälten Rücken strecken.

»Glieder, Nacken und Kopf schmerzen mich, als wäre ich eben vom Fieber erstanden!« sprach er sanft lächelnd zur Gattin.

»Ruhe ein wenig, mein Satyavant!« rief Sawitri, ängstlich bewegt. »Komm, ich bette dein schmerzendes Haupt in den Schoß, und du schläfst, bis die Sonne die heißesten Pfeile versandt hat!«

Kaum seiner Sinne noch mächtig, sank Satyavant neben der Gattin ins Gras und entschlief unter dem leisen Kosen ihrer zitternden Hand.

Angstvoll starrte Sawitri vor sich hin und gedachte der Worte Naradas.

Da sah sie vom Süden her einen Mann durch den Wald schreiten: Blutrotes Gewand umwallte die hohe Gestalt, ebenholzschwarzes Haar hing straff um das bleiche Antlitz, und eine goldene Krone glänzte auf dem Haupte des Wanderers.

Festen Schrittes kam er heran und hielt vor Sawitri und ihrem schlafenden Gatten.

Die Bebende hob die gefalteten Hände ehrfürchtig grüßend zur Stirne und sprach:

»Himmlischer – denn überirdisch ist deine Erscheinung – wer bist du? und was heischest du von deiner demütigen Dienerin?«

»Yama bin ich, der Menschheit Richter im Leben wie im Tod! Ich hol' deinen Gatten, Sawitri, in mein Reich! Als der Besten einer wandelte er unter den Sternen, so daß ich nicht meine Boten senden wollte, als gälte es, einen aus dem Haufen zu holen!«

Dann bückte er sich und hob aus Satyavants Herzen die Seele: ein spannenlanges Männlein, das des Verstorbenen Züge trug. Mit einer Schlinge befestigte er es an seinem Gürtel und wandte sich, um südwärts davonzuschreiten.

Rasch ließ Sawitri des Gatten Haupt auf das Moos gleiten, sprang empor und schritt an des Todesgottes Seite dahin.

»Kehre um, Sawitri!« sprach der Tod nach längerem Schweigen. »Geh und rüste dem Gatten die Totenfeier!«

»Nur wo Satyavant weilt, will ich weilen!« sprach Sawitri ruhig. »Auch geh' ich an deiner als an eines Freundes Seite, denn sieben Schritte schließen die Freundschaft, wie sie die Ehe schließen. Dulde mich, göttlicher Freund und wechsle Freundesworte mit mir in frommem Gespräch:

Sieh diesen Baum! Er wuchs aus einem Korn,
Das einsam in der stillen Erde ruhte.
Hätt' es das Schicksal in den Haufen fallen lassen,
Den Zweck gehäuft,
Nicht einen hätt's ersättigt.
Nun wuchs zum Baum es, sich zur Lust und andern
Und Bild des Menschentums vor Menschentreiben!

Denn einsam, wächst der Mensch zu Sternenhöhe,
Doch dient er niemand, will er allen dienen!
Als stiller Klausner trägt er Ewigkeit
In dieses Erdenlebens stetes Hasten,
Er breitet Schatten über Schmachtende,
Die heißen Durst an salz'ger Quelle löschen.
In Himmelsnähe,
Trägt er Göttersegen
Und duftet Frieden in des Lebens Krieg!

Als Sawitri schwieg, sprach Yama freundlichen Tones:

»Tief denkst du, Gattin des Entsagenden, Weib, das aus der Welt in den Wald ging. Deine Rede fließt wie die murmelnde Quelle: Klang sich dem Klang fügend, Ton getragen von Ton, und Wort in Wort sich schlingend, wie die Wellen des Waldbaches! – Ein Wunsch sei dir darum gewährt. Wünsch' was du willst -— des Gatten Leben nur, das nehm' ich aus!«

»So gib dem blinden Vater Satyavants sein Augenlicht, das ihm die Krankheit hat geraubt!« bat Sawitri.

»Gewährt!« nickte der Tod. »Geh' heim, daß sein genes'ner Blick sich stärkt am Anblick deiner Lieblichkeit! Geh' heim! Du bist ermüdet.«

»Wie könnt' ich neben Salyavant ermüden? Wohin er immer ginge, folgt' ich ihm! Freund Tod, lausch' weiter meinem Weggespräch:

Frech stellt die Welt ihr Bestes auf den Markt!
Dort winkt's und lockt's von fern mit tausend Fingern,
Als Macht und Reichtum, Liebe Lust und Leben.
Auf Armeslänge aber zeigt's die Fratze!

Das Gute schlummert auf des Herzens Grund,
Bis stiller Mut sich in die Tiefe wagt!
Erweckt, erglänzt es wie das Heer der Sterne,
Lacht wie ein Kind und spricht wie die Erfahrung.
Der frohe Finder zieht's an seine Brust –
Als erstes Du, als zweites Ich gilt's ihm –
Und niemals wieder läßt er es von sich.«

»Die Weisheit mehrend und das Herz erhebend sprichst du, Sawitri!« sprach Yama im Weiterschreiten. »Ich bin dir gut, sag', was dein Herz ersehnt! – Ich will's gewähren, ist's nicht deines Gatten Leben!«

»Du hast dem Erblindeten das Licht der Augen wiedergegeben, gib ihm auch sein Reich wieder, denn es ziemt sich nicht, daß ein König sich als Bettler sehe!«

»Er soll es wieder haben, Sawitri!« sprach der Todesgott. »Herrschen soll er wie eh zu Schalwa und muß seines Herzens Frieden nicht brechen, das Schwert nicht zücken wider den Feind! – Du aber geh' heim, daß du nicht ermattest von des Weges Länge!«

»Nie ward ich matt in meines Gatten Nähe! und du bist mir vertraut!« sprach Sawitri:

»Du bist der Richter, Tod, für Herr und Knecht,
Für Arm und Reich, für Liebe und für Haß!
Du stehst am Ende jedes Erdenweges,
Denn dein Gesetz hat ihn der Welt gebahnt –
Heißt Recht doch Weg und Sumpf die inn're Schuld.

Du siehst, was jedes Herz erzittern ließ:
War's schwacher Haß, der vor der Rache bebte,
Die wieder sich der Reue beugt' und neigte;
War's magrer Neid vor übervollen Schüsseln,
War's Brunst, war's feige Lüge vor der Lust –
Du wägst es einzig gegen wahre Liebe,
Die – stark – den Feind umfing und so bezwang.
Den Weg hast du beschirmt als Gott des Rechtes
Und nimmst als Tod die Müden in den Schoß!«

»O Sawitri!« sprach der Tod. »Wie Wasser den Verschmachtenden, so erquickt dein Vertrauen den Gefürchteten. Wähle noch eine Gnade, du Gute, sie wird dir gewährt, wenn du nicht des Gatten Leben erflehst!«

»Ohne Söhne lebt mir der Vater, ohne Söhne starb mir der Gatte – wer soll meinem Geschlechte die Totenopfer bringen?«

»Einhundert Söhne will deinem Vater ich schenken, und einhundert dir! doch kehr' um nun vor der Weite des Weges!«

»Weit wird mir nur der Weg, der hinweg von meinem Gatten führt. Leicht schreit' ich neben ihm hin, ja mein Herz eilt voraus und bangt vor dem ewigen Ende!

Oh, dunkler Sohn des hellen Sonnengottes!
Wie machtvoll breitet deine Herrschaft sich
Ob den Gerechten und den Ungerechten!
An ihrer herben Strenge laß mich rütteln,
Bis deines Wesens Milde überfließt!
Oh, nimm voll Gnade meine Worte auf!

Blind ist und taub, wer hören will und sehen,
Das Gute offenbart sich nur dem Fühlen.
Erfühlt, wächst's in dein Herz, wallt's durch dein Blut
Und führt dir Hand und Zunge allerwege!

Wie sicher schreitet Güte durch die Welt:
Wagt Samen noch an einen stein'gen Grund!
Ihr scheint die Wahrheit durch die dickste Wolke
Und reift die Frucht zum Segen aller Wesen!

Felshart umgürtet Not des Menschen Herz!
Ringsum hascht – Well' nach Welle – gut nach gut
Und brandet himmelwärts in heil'gem Eifer.
Zermürbt,
Versinkt die Schranke.
Gold zum Golde – drängt Gutes sich zu Gutem,
Weltweites Meer erfüllt des Lebens Enge,
Und aus dem Tanz der Fluten taucht
Der Gottheit Ewigkeit!«

»O weises Kind!« so sprach der Tod darauf. »Ohne Ende ist dein Denken und deine Rede schimmert wie das Meer im Sonnenlicht. Der Sturm deines Fühlens hat Wort um Wort, Welle um Welle, an den Felsen getragen und ihn zermalmt. Wähle, du treues Weib! Was es auch sei – ich will's gewähren!«

»Segen über dich Yama! Nun fließt deine Milde wie die göttliche Ganga dahin, denn nicht mehr hemmt sie der strenge Schluß deiner ersten Gnadenerweisungen! – Gib Satyavant mir wieder! – Was nützen mir alle Gaben der Erde und des Himmels, wenn mir der liebende Gatte, der geliebte Herr fehlte. Gib – o gib mir, Tod, meinen Satyavanti wieder

»Es sei!« sprach Yama. »Sieh', ich löse die Schlinge, die seine Seele bindet! – Frei ist sie nun und kehrt zu ihrem alten Sitze zurück. – Du aber geh' nun, Treuste der Frauen! Langes Leben gewähr' ich dir und den Deinen. Aus deinen Söhnen, aus deinen Brüdern sollen der Erde neue Heldenvölker erstehen, und sie sollen deinen hehren Sinn preisen, bis ans Ende der Welt!«

Freundlich grüßend wandte der Todesgott sich von der Reichbeschenkten und schritt seine Straße gegen Süden dahin.

Sawitri aber sprang jubelnd und ohne Ermüdung durch den Wald, bis sie am Lager ihres bleichen Gatten stand. Rasch ließ sie sich nieder und bettete sein Haupt in ihren Schoß.

Da kehrte das Leben in des Schlafenden Antlitz wieder. Er schlug die Augen auf, strich mit der Hand über die Stirne und sprach: »Wie lange hab' ich geschlafen! – Welch banger Traum hat mich genarrt! – O sprich, du Gute, wohin ging der düstere Mann, der mich gefesselt hatte?«

»Du hast lange und tief geschlafen, mein Satyavant. – Schon sieht die Nacht aus tausend Augen auf uns herab! Laß uns heimgehen – sonst bangt deinen Eltern!« sprach Sawitri und half ihrem Gatten von seinem Lager empor.

Satyavant schüttelte den Schlaf von sich, griff nach der Axt und einer der Holzwellen und, sich zum Heimwege anschickend, sprach er sinnend:

»Groß und düster war er – blutrot gekleidet und hatte ein strahlendes Diadem um die Stirne. – War's ein Traumbild, mein teures Weib, so war es grausig – oder war's – –«

»Sinne nicht, Satyavant! laß uns eilen!« sprach Sawitri sorgend. »Morgen will ich dir alles erzählen. Eile, eile! der nächtliche Wald ist voll Spuk, und wir könnten Schaden nehmen an Leib und Seele!«

»Ja! und der Mutter bangt um uns!« erwiderte Satyvavant und schritt kräftiger aus: »Nie noch weilt ich des Nachts im Walde, fern von den Hütten! – Eilen wir, ihre Sorge zu kürzen!«

»Bist du auch wohl, mein Teurer?« sprach Sawitri voll zärtlicher Liebe. »Sonst zünd' ich ein Feuer an, und wir lagern bis zum Morgen im Walde!«

»Ich bin gesund und stark, mein gutes Weib, und nur um der Eltern Kummer bekümmert. Höre nur: Einmal hatte lieblicher Vogelgesang mich eine Stunde über die Zeit im Walde gehalten. Als ich heimkam, fand ich die Eltern in Tränen! – Vergiß nicht! sie haben nur mich, den Blinden zu führen, die alte Mutter zu stützen! – Sicher zittern sie heute in Sorge und fragen zehnmal reihum die Klausner, ob sie nicht wüßten, was aus uns geworden sei, – Oh, eilen wir! denn die Sorge zehrt an dem kargen Lebensreste der Alten! – Wie unklug war es von mir, so lange zu schlafen! – Oh! wenn die Sorge die Eltern tötet, so bin ich nicht schuldlos an ihrem Tode!«

Und im Weiterschreiten wischte der gute Sohn eine Träne von seiner Wange.

Da legte Sawitri die Hand auf den Arm ihres Gatten und sprach: »Weine nicht, Satyavant! So wahr ich drei Tage lang büßte, so wahr wird diese Nacht für die Deinen die glücklichste ihres Lebens werden! Weine nicht: ich habe noch nie gelogen!« Satyavant schlang den Arm um die Schultern der Treuen und eng aneinander geschmiegt eilten die Gatten dahin durch die sternhelle Nacht.


Wie aufgestörte Bienen schwärmten die Einsiedler durch ihr Dorf.

Der blinde Djumatsena hatte um die dritte Nachmittagsstunde plötzlich sein Augenlicht wiedergefunden und war von Hütte zu Hütte geeilt, um seinen freundlichen Nachbarn die frohe Kunde zu bringen.

Von allen bejubelt und beglückwünscht, war er in seine Klause zurückgekehrt und hier, im Glück des wiedergefundenen Lichtes, an der Seite seiner treuen Gattin, vermißte er seine Kinder, welche die Freude teilend gemehrt hätten.

Die Stunde der Dämmerung brach an, und noch war Satyavant und seine Gattin nicht daheim. Da fiel die Sorge mitten ins Glück der beiden Alten und, wie eines das andere zu trösten versuchte, da schwoll die Angst im eigenen Herzen und quoll endlich als Klage über die zitternden Lippen.

»O mein Sohn!« seufzte Djumatsena, »was hält dich fern von dem greisen Vater, der dich zwanzig lange Jahre nur mit dem Herzen sah und heute sein Auge an deiner herrlichen Gestalt ersättigen möchte? – O Tochter, deren silberne Rede dem Blinden das Bildnis der Schri vor die Augen zauberte, wo weilst du mit meinem Sohne? wo seid ihr, Stützen unseres Alters?«

»Oh, wie dunkel es wurde, Vater!« klagte die Gattin. »Wie schaurig im Walde! Die Dämonen gehen um! Sie werden mir meinen Satyavant töten und unserer Sawitri Herzblut trinken!«

»Ach! was nützen mir offene Augen, wenn sie die Liebsten nicht sehen! – Nie kam Satyavant noch so spät, und Sawitri achtet die Wünsche der Eltern wie die Beste! – Oh! sie sind nicht mehr unter den Lebenden! – Erblindet wieder, ihr Augen, wenn dieses der Preis des Lichtes ist! – Nein! nein! verzeiht ihr Himmlischen! – Öffnet euch weit, ihr Göttergeschenke! Ich will die Verlorenen suchen! – Komm, Mutter, komm! – Wir suchen die Kinder und müssen sie finden!«

Der Alte zog seine Gattin aus der Hütte, und sie liefen kreuz und quer durch den Wald, um die Vermißten zu suchen. Das scharfe Gras zerschnitt die nackten Füße der müden Greise, und ihre Stimmen wurden heiser vom Schreien und Weinen.

Aber nur die Nachtvögel antworteten mit unheildräuendem Krächzen. Und die Brüder kamen aus ihren Klausen herbei. Sie umringten die beiden Klagenden und führten sie, tröstende Worte sprechend, ins Dorf.

Dort erwogen sie, was den Vermißten zugestoßen sein könnte, und ob sie imstande wären, ihnen rasche Hilfe zu bringen. Aber der Beste von ihnen und Klügste, der Heilige Gautama, erhob sich und sprach:

»Was sorget ihr euch um die Guten? – Wollen Götter die Frommen schlagen? Können Dämonen die Wahrhaften kränken? – Ist Sawitri nicht die Frömmste, Satyavant nicht der Wahrhaftigste unter uns? – Nein! ich sag' euch: sie leben und kehren uns glücklich wieder! – Nie noch hab' ich, leichtfertig, ein unwahres Wort gesprochen!«

Noch andere der frommen Büßer sprachen nun so wie Gautama, und leise; Hoffnung zog wieder in das Herz Djumatsenas und seiner Gattin.

Da erschienen auf einmal Satyavant und Sawitri, eng umschlungen, am Waldrand.

Innige Freude und freundliche Grüße empfingen die Verspäteten, und die Eltern schlossen die Kinder bewegt in die Arme.

Die Klausner schürten die Opferfeuer, um den Göttern zu danken, und schlossen den Kreis, um zu hören, was all diese Sorge verursacht hatte.

Satyavant wußte nur zu berichten, daß er, ermüdet, im Walde eingeschlafen, sei und so die richtige Zeit zur Rückkehr versäumt habe. Als nun auch Sawitri gefragt wurde und schlicht erzählte, wie sie in Liebe und Treue den Tod überwunden hatte, da wollte die Freude der Frommen kein Ende nehmen.

Immer wieder priesen sie die Glückliche, die in Weisheit und Demut ihr alles verteidigt hatte und allen den Ihrigen zu neuer Herrlichkeit verholfen.

Am nächsten Morgen kamen Edle aus Schalwa mit vielem Volk nach der Einsiedelei.

Der Herrscher, der Djumatsena vom Throne gestoßen hatte, war von dem Schwert seines eigenen Kanzlers gefallen. Ungerecht und streng, hatte er das Volk geknechtet und die Rechte aller Stände mit Füßen getreten. Endlich hatte das ganze Land sich empört und wie ein Mann seinen alten Herrscher, ob blind oder sehend, verlangt. Der Tyrann war im Aufruhr getötet worden.

Nun standen die Gesandten vor Djumatsena und baten ihn, auf den Thron seiner Väter zurückzukehren.

Freudigen Herzens willigte der König in ihre Bitte und, nachdem er von seinen freundlichen Waldgenossen rührenden Abschied genommen hatte, zog er mit den Seinen an der Spitze der Gesandtschaft nach Schalwa und wurde dort vom Jubel des Volkes empfangen.

Satyavant wurde zum Thronfolger geweiht, und Sawitri schenkte ihrem Gatten einhundert starke Söhne, sowie ihre Mutter Malavi dem König Aßwapati einhundert schenkte. Aus diesen ist das kriegerische Volk der Malaver erwachsen, aus jenen der Heldenstamm der Sauwirer.

Sawitris Liebe und Treue aber lebt bis zum heutigen Tag unter den schönen Frauen Indiens.


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