Alois Essigmann
Sagen und Märchen Altindiens. 2. Band
Alois Essigmann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sakuntala

Mit Heißa und Horidoh fegte die Jagd des Königs am Ufer der Malini dahin.

Duschjanta hieß der starke Sohn des Purugeschlechtes, der in dem weiten Reiche die Herrschaft führte.

Die Sänger priesen ihn als den unbesieglichen Feindebezwinger, als Hort des Rechtes und der Vätersitte. Glücklich lebten die vier Kasten unter seiner Herrschaft und der Götter Segen lag über seinem Land. Reichlich spendete Indra dem gerechten Herrscher Regen und die Opferfeuer loderten in reinem Glanze zum Himmel.

Duschjanta war eine prächtige Kriegergestalt; hoch und breitbrüstig, mit Armen wie Keulen und blitzenden Augen in dem beweglichen Antlitz.

Fröhlich hetzte er an der Spitze seines Gefolges durch den Wald und sandte seine scharfen Pfeile nach dem aufgeschreckten Wild. Mancher starke Hirsch, manche flüchtige Gazelle sank vor den Geschossen des flüchtigen Jägers dahin, und das zornige Gebrüll der großen Raubtiere schreckte ihn nicht.

Kühn drang er ins Dickicht, erlegte einen wilden Elefanten mit der Lanze und einen mächtigen Tiger mit dem Schwert.

Im Eifer der Jagd ließ er sein Gefolge weit hinter sich und streifte bald allein durch den schweigenden Urwald. Hinter einer flüchtigen Hindin hetzte er her und konnte die Schnelle nicht erreichen.

Weiter flußaufwärts lag die Siedelei Vater Kanvas. Durch unwegsamen Urwald von aller Welt abgeschlossen, standen hier die Hütten der Frommen. Im Schatten uralter Bäume, die einander wie in Liebe mit ihrem Astwerk berührten, ward hier ein Leben der Andacht, der stillen Freude am Guten, der Ehrfurcht vor dem Ewigen und seinem Werke, gelebt. Vogelgesang erfüllte die frische Waldesluft, und Heimchen zirpten munter in der Sonne. Die Bienen taumelten von Blüte zu Blüte und sammelten ihre Schätze den Frommen zu leckerem Mahle. Schwer hingen Baum und Strauch voller Früchte und Dornen wie Nesseln schienen diese Stätte des Friedens in ehrlicher Scham zu meiden. Das scheue Getier des Waldes schritt vertrauensvoll über die sonnenglänzende Dorfstraße, spielte hier mit den frommen Schülern und leckte dort Salz aus der Hand eines freundlichen Greises. Seufzend, klagend, schmetternd und jubelnd klang der Sang des Kokila aus den Wipfeln, und manch fröhlicher Windstoß ließ einen Regen von duftenden Blüten niederfallen. Wie weitab lag diese Stätte frommer Freude von dem Getriebe der Welt. Wie gedieh hier der Liebe, was draußen im Kampfe der Natur und dem Nächsten abgerungen werden mußte. Wie klang hier das Lachen der Brahmanenmädchen so fröhlich, die Stimme des Lehrers so sanft, das Raunen der Gebete so feierlich. Wie glänzten die Feuer auf den Opferstätten und dufteten von den köstlichen Hölzern des Waldes, als würden sie mit Weihrauch und Myrrhen geschürt.

Oh, wie reichlich schenkte Natur hier den Bescheidenen, sie, die sich so kargen Zins abtrotzen läßt.

Wie gedieh in dieser vollen Schönheit wahre Fröhlichkeit des Herzens, mitten unter der Lehre von Wahrheit und Tugend, von Pflicht, von Lebens- und Sterbensweisheit.

Vater Kanva, das Haupt der frommen Dorfschaft, war ein Sprößling Kaschjapas, des Schöpfers. Überall in der Welt hätte man ihn hochgestellt, doch er liebte den Wald um seiner Stille willen, die ihn die Weisheit seines Herzens hören ließ.

So lebte er an dem Ufer der Malini allein und doch mit vielen Frommen, denen er allen ein Freund, ein Lehrer, ein Vater war. Sein liebstes Kind aber war Sakuntala, der Findling, den einst die Vögel – Sakuntas heißen sie in der Sprache Altindiens – beschützt und genährt hatten.


Nach dieser Insel des Friedens floh die schnelle Hindin vor dem nachkeuchenden König, und als sie den Schatten der ersten heiligen Bäume erreicht hatte, schritt sie sorglos äsend weiter, denn sie fühlte die Nähe ihrer frommen Beschützer.

Duschjanta, einen guten Bogenschuß hinter ihr, riß die Waffe empor und spannte die Sehne schier zum Zerreißen.

»Halt, König! Hüte dich vor Mord!« rief es da zu seiner Linken, und drei Büßer, mit Brennholz beladen, traten aus dem Wald. »Die Hindin gehört zu Vater Kanvas Einsiedelei. Sie vertraut seinem und deinem Schutz, o König! Töte sie nicht!«

Duschjanta senkte den Bogen.

»Edelster aus Purus Geschlecht, du trägst die Waffen, um Schwache zu schützen, nicht um sie zu töten!« fuhr der Sprecher fort.

Da nahm der König den Pfeil vom Bogen und tat ihn in den Köcher.

»Heil!« riefen die Drei. »Möge der Himmel dir einen Sohn schenken, der die Welt beherrscht, denn du weißt dich selbst zu beherrschen, tapferster Purusproß!«

Und sie neigten sich vor dem König und gaben ihm freundlich Antwort auf seine Fragen: daß dies die Einsiedelei Vater Kanvas sei, daß der edle Kaschjapasproß auf einer Wallfahrt wäre, um drohendes Unheil vom Haupt seines Töchterleins zu wenden und daß die liebliche Sakuntala an des Vaters Stelle würdige Gäste empfange und den König willkommen heißen würde!

Duschjanta dankte den Frommen mit huldvollen Worten und entließ sie mit freundlicher Gebärde.

Dann saß der König auf einem Stein in der Sonne nieder. Er dachte mit Freude an den glückverheißenden Wunsch der frommen Klausner und mit nie gekanntem Sehnen an das schöne Kind, welches ihn als Gast empfangen würde.

Der freudige Zuruf seines Wagenlenkers, der den ängstlich gesuchten Herrn hier fand, weckte Duschjanta aus seinem Sinnen. Er gab dem erprobten Gefährten manches Jagd- und Kriegszuges seinen königlichen Schmuck und sandte ihn zurück, um das Gefolge von der frommen Stätte fernzuhalten.

Nicht Schmuck und königlichem Gepränge wollte Duschjanta einen freundlichen Willkomm verdanken.

Als der Wagenlenker gegangen war, schritt der König nach dem Büßerhain und ahnte in seinem frohen Herzen, daß er den Weg zu seinem Glücke wandle.

Bald schlugen fröhliche Stimmen an sein Ohr, und als er durch die Büsche spähte, sah er drei liebliche Mädchen, denen das einfache Büßerkleid aus Bast nichts von ihrer Schönheit rauben konnte.

»Bei der schönen Göttin des Glückes!« dachte der König, »an meinem Hofe sah ich nicht so viel Anmut wie hier. Waldröslein ist lieblicher als die prächtigste Zentifolie. Ich will noch verborgen bleiben und mich an der Ungezwungenheit der Holden erfreuen!«

Lachend und scherzend schöpften die Mädchen mit ihren Krügen Wasser aus einem kleinen Weiher und gossen es über die Wurzeln der Bäume, die ihrer Pflege anvertraut waren.

»Oh, ihr guten Bäume!« rief Sakuntala, die Lieblichste der drei, »wie ihr die Luft mit Düften schwängert, daß man der Brust keine Ruhe gönnen möchte, um all die Herrlichkeit einzutrinken.«

»Deine Jugend schwellt dir die Brust, nicht die alten Bäume, du Schöne!« lachte eine der Gespielinnen, der Freundin sanft über das Haar streichend.

»Schmeichelkätzchen!« sprach Sakuntala errötend. »Du trägst mit Recht deinen Namen; Priyamvada, die Schmeichlerin! – Sieh dort den alten Herrn, der mit seinen Zweigen mir und meinem Kruge winkt, obwohl eine Liane ihn umschlingt, wie ein Weib seinen Gatten.«

»Du möchtest wohl auch bald einen Gatten umschlingen?« rief lächelnd die Dritte, Anasuya mit Namen.

»So denkst du!« schoß Sakuntala, zürnend und aufs neue errötend, den Pfeil der Freundin zurück. Dann wehrte sie sachte einer der vielen Bienen und wandte sich vor der Zudringlichen zur Flucht.

Und der König stand hinter den Büschen und hätte all seine Schätze und Würden hingegeben, wenn er als Bienlein um diesen Kirschenmund, um diese Pfirsichwangen hätte flattern können.

Sakuntala aber hatte Angst vor der kleinen Stachelträgerin, und zwischen Lachen und Weinen rief sie einige Male: »So helft mir doch!«

Die beiden losen Mädchen jedoch lachten: »Wir? – Oh, König Duschjanta hat die Pflicht, alle Schwachen in seinem Lande zu schützen; rufe doch ihn!«

»Oh, helft mir, helft mir!« rief Sakuntala wieder.

Da sprang der König aus seinem Versteck und rief: »Wo gilt es zu helfen und zu schützen?«

Priyamvada aber lachte und fragte, ob der Tapfere mit einem Bienlein Speere brechen wolle.

Duschjanta begrüßte Sakuntala nun freundlich und fragte der Sitte gemäß, ob ihr Bußwerk gedeihe. Die Verwirrte fand aber keine Worte der Erwiderung.

»Willst du dem edlen Helfer nicht die gastliche Spende holen, Sakuntala?« neckte Priyamvada, schnell gefaßt. »Fußwasser haben wir hier in den Krügen, doch Trunk und Früchte sind im Haus.«

»Dank euch! Ich nehme das Wort für die Tat und will im Grünen bei euch sitzen!« sprach Duschjana, nach einer Rasenbank schreitend.

»Und du, Sakuntala, sollst neben dem Gaste sitzen. Das erfordert die Ehrerbietung und gestattet die Sitte!« neckte Anasuya wieder.

Schüchtern folgte Sakuntala den Worten der Freundin. Duschjantas Blut jagte heiß durch die Adern, als er die Holde so nahe sah, und schwer fiel es ihm auf die Seele, daß das Kind des Brahmanen dem Sehnen des Kriegers von unerbittlichen Gesetzen entrückt war.

Da störte Anasuya sein Sinnen:

»Wer bist du, Herr? Wie heißt der edle Stamm der Frommen, dem du durch dein Fernsein Kummer bereitest?« fragte sie.

Schnell gefaßt, antwortete Duschjanta, der sich noch nicht als König zu erkennen geben wollte: »Der edle Purusproß hat mich mit der Pflege des Rechtes im Lande betraut, und ich kam, um zu sehen, ob niemand euren frommen Frieden stört!«

»Keiner hat ihn gestört – bis jetzt! Nicht wahr, Sakuntala?« neckte Anasuya wieder.

Die Verwirrte schlug errötend die Augen zu Boden und schwieg.

»Ist Sakuntala wirklich des frommen Kanva Tochter?« fragte der König. »Mich dünkt, der gute Heilige hat neben anderen Gelübden auch das der Ehelosigkeit getan.«

»Und Vater Kanva hielt es auch!« sprach Priyamvada. »Die Vögel haben meine schöne Freundin als Kindlein betreut, und wie sie geboren ward, mag dir, o Herr, die märchenfrohe Anasuya erzählen.«

Auf einen Wink des Königs begann Anasuya:


»Du hast von den Weisen aus dem Königsgeschlecht des Kuschika, dem frommen Kauschika oder Wischwamitra gehört, o Herr! Seine Bußfertigkeit überwand das Hindernis der Kaste: er ward aus einem Krieger ein Heiliger.

Oh, wie wußte der Fromme die Leidenschaft zu zähmen, sein ungestümes Blut zu zügeln! Wie fest stand jedes Wort der Heiligen Schrift in seinem Sinn, in seinem Herzen! Wie ferne lebte er von Stolz und Eigennutz, wie fern von jedem Wunsch der Sinne und des Leibes. Sein Bußwerk gedieh wie kein anderes und alle Götter standen tief in seiner Schuld. Fastend und schweigend, den Winter im Wasser, den Sommer zwischen lodernden Feuern, so brachte er seine Jahre hin, und diese schier endlose Buße gab ihm Macht über Himmel und Erde.

Indra zitterte vor ihm, denn du weißt, o Herr, daß geschrieben steht: Ein Bußfertiger kann den König der Götter vom Throne stoßen und ihm das Tor des Todes öffnen!

Indra zitterte!

Da rief er Menaka, die Schönste der Apsaras, der Göttermädchen aus seinem Gefolge, und befahl ihr, den frommen Kauschika von seinem Bußwerk abzuziehen.

»O König der Götter!« rief Menaka, »des Heiligen Fluch wird mich zum Unglücklichsten der Geschöpfe machen.«

»Fürchte dich nicht!« erwiderte der Donnerer, »Anmut schlägt den Stärksten in Ketten! Auch will ich dir den lachenden Lenz mitgeben, den wehenden Wind und den Gott mit den blütenspitzigen Pfeilen.«

Da gehorchte Menaka leichterem Sinnes und ging mit ihren Bundesgenossen nach Kauschikas Hain.

Eben war der Asket seinem nassen Nachtlager entstiegen und hob nun die hageren Arme gegen die aufgehende Sonne, um den Tag zum Lobe des Ewigen in Säulenstarrheit zu verbringen.

Er sah nicht, daß der Lenz seinen Wald mit den buntesten Blüten über und über geschmückt hatte; er fühlte nicht, daß ein sanfter Wind seine gemarterten Glieder liebkoste; stumpf blieb er gegen das Duftmeer um sich, taub gegen den Jubel der Lerche und des Kuckucks, denn sein Geist war beim Ewigen.

Da schritt Menaka, Blumen pflückend, an ihm vorüber, und lockend spielte der Wind in ihrem leichten Kleide.

Nur eines Atems Länge ließ Kauschikas Geist vom Himmlischen und wandte sich dem Irdischen zu. Und schon brannte Kamas Blütengeschoß in dem alternden Herzen, es zu neuer Jugend entflammend.

Fröhlich lachend ließ der Büßer die Arme sinken und ergriff die Hände des herrlichen Göttermädchens.

»Was tust du in meiner Einsiedelei?« fragte er freundlich.

»Ich will Blumen pflücken und sie in dein einsames Leben flechten!« sprach Menaka errötend.

»So komm!« rief der Mächtige.

Aus dem Schatz seiner Buße wählte sich Kauschika Jugend und männliche Kraft und führte das liebliche Göttermädchen als sein Weib in die Klause.

Kama, der Gott der Liebe, Waju, der wehende Wind, und der lachende Lenz eilten zu Indra und sagten ihm, daß die List gelungen und die Gefahr von seinem Haupte gewendet sei.

Der Heilige aber, in der neuen Kraft seiner Jugend, freute sich an seinem herrlichen Weibe, und wenn das lose Himmelskind entschlüpfen wollte, so bat er es, zu verweilen und sein traumhaftes Glück zu segnen.

Als Kauschika endlich unter die Tür seiner Hütte trat, sah er die Sonne langsam hinter dem Berge des Unterganges verschwinden.

»Heil dem Sonnengott!« rief er froh. »Er ließ mich mein Bußwerk nicht versäumen, denn eben naht die Stunde der gebotenen Abendandacht!« »O du weißer Narr, du närrischer Weiser!« lachte Menaka silberhell. »Wohl war es Morgen, als ich kam, und ist nun Abend, da ich gehen will, doch neunhundert Jahre und ein Tag liegen dazwischen. Dreihundert Jahre blieb ich bei dir, du Starker! Und als du mich wieder und wieder batest zu verweilen, da blieb ich von neuem dreihundert und dreihundert Jahre!«

»Weh' mir! wie konnte ich mich so vergessen!« rief Kauschika bestürzt. »Verloren, aufgebraucht ist mein so reicher Schatz der Buße, wie eines Tagelöhners Sparpfennig von einer Stunde im Trinkhaus. Wahrlich! von eines Weibes Lippen trinkt man den stärksten Rauschtrank! – Geh', geh', daß ich die nicht verfluche, die mir des Himmels Freuden gezeigt und für immer geraubt hat!«

Der Erschöpfte warf sich auf das Lager, um am andern Tage sein Bußwerk von vorne zu beginnen.

Menaka aber wandte sich traurig von dem Erzürnten und schritt in den Wald. Dort gebar sie ein liebliches Mädchen, vertraute es der Fürsorge der Waldvöglein an und wandelte durch das Wasser nach Indras Himmel zurück.

Der gute Vater Kanva fand das Mägdlein, eingebettet in die weichen Brustfedern von tausend und abertausend kleinen Vöglein und umzwitschert von den fröhlichen Sängern des Waldes. Er nahm das hilflose Wesen mit nach Hause und nannte es nach seinen kleinen Beschützern, den Sakuntas: Sakuntala.

An deiner Seite, o Herr, sitzt die Herangewachsene und harrt deiner Befehle als Gast und Gebieter!«


»So stammt die Fromme aus der Kriegerkaste!« sprach Duschjanta sinnend, als Anasuya geendet hatte. Und sein Inneres war voller Freude.

»Noch eine Frage, ihr lieben Mädchen, wenn es erlaubt ist.«

»Frage nur zu, Herr!« lachte Priyamvada. »Wir Büßermädchen plappern so gerne wie alle anderen!«

Der König fragte, ob Vater Kanva sein Töchterlein der Ehelosigkeit geweiht habe.

Da errötete Sakuntala, und ihre Freundinnen lachten: »Nein, nein! dem rechten Manne wird sie der Vater gerne überlassen!«

Sakuntala sprang auf: »Oh, laßt – ich muß – ei ja – ich muß noch Bäume gießen!« stammelte sie verlegen.

Nun faßte Duschjanta der Lieblichen Hand und schob ihr einen Ring an den Finger. »Mit dem Geschmeide lös' ich dich von deiner Arbeit, Kind,« sprach er lächelnd.

Und die Mädchen steckten die Köpfe zusammen und bewunderten die Kunst des Goldschmiedes. »Ei seht! des Königs Namenszug!« jubelte Priyamvada.

»Es ist ein Geschenk des Königs!" sprach Duschjanta, der Zweifelnden die Deutung seiner Worte überlassend.

Da klangen von fernher die Muscheln von des Königs Jagdzug in das Gespräch.

»Die Jagd!« rief Duschjanta. »Sie soll den Frieden des Haines nicht stören! – Lebt wohl! auf Wiedersehen!« Und nachdem sein Blick für eines Atems Länge in Sakuntalas Lotosaugen geruht hatte, eilte der König den schmetternden Klängen entgegen.

Sakuntala aber setzte sich auf die Rasenbank, schlug die Hände vor das Antlitz, und heiße Tränen, die von der ersten Liebe Leid und Lust erzählten, perlten über ihre Finger.

Priyamvada und Anasuya knieten vor ihr nieder und umfingen die Schluchzende: »O du Schöne, du Gute, du Zarte – was ficht dich an? – Hat der Gast dich gekränkt oder der Gott mit der Blumenwaffe dich versehrt? – Oh, sprich doch, weine nicht so herzzerbrechend. –«

»Auf Wiedersehen! – Kehrt er wieder? – Und wann? – Wer weiß es wann? – O meine Schwestern –« so schluchzte Sakuntala.

»Du liebst!« jubelte Anasuya.

»Wie könnt' er dich meiden, Schönste!« tröstete Priyamvada.

»Oh, da mögt ihr nur gleich mein Totenopfer richten –«

»Verläßt der Frühling die geliebte Erde für immer, wenn er dem schenkenden Sommer entgegen geht? – Oh, er kehrt wieder!« tröstete nun auch Anasuya.

Und die drei Mädchen hielten sich umschlungen und schwärmten von Sehnsucht und Liebe, von Freud und Leid der Trennung und von Treue über die Unendlichkeit der Zeit und Ferne.

Und dann begann die Beratung:

»Wenn er wiederkehrt, mußt du es ihm sagen!« rief Priyamvada.

»Nie, nie!« rief Sakuntala. »Ich stürbe vor Scham.«

»So schreib' es ihm!« riet Priyamvada wieder. »Nie wagt der Edle sonst, sich der Königin der Schönheit werbend zu nahen.«

»Ja, ein Verslein!« jubelte Anasuya. »Du birgst das Blättchen in einer Blume – –«

»Oder ritzest es mit deinem rosigen Fingernagel auf ein Lotusblatt!« setzte Priyamvada fort.

Da erhob sich Sakuntala von der Rasenbank und sprach mit zitternder Stimme:

»Scheint so warm ins Herz die Lieb' mir,
Kosend wie der Flamme Hauch,
Doch wie tausend Feuer brennen,
Brennt die Frag': Liebst du mich auch?«

Da rief es aus dem Busch vor ihr:

»Leuchtet Lieb' dir, wärmt das Herz dir,
Konnte Bangnis kaum dich sehren,
Lodert es in mir wie Hölle,
Will mir Herz und Sinn verzehren!«

Und Duschjanta sprang heraus, sank vor der Erschrockenen nieder und barg, ihre Knie umschlingend, sein Antlitz im Schoße der Erschauernden. Die Sehnsucht hatte ihn umkehren lassen, ehe er sein Gefolge erreicht hatte.

Priyamvada und Anasuya drückten sich eng aneinander, und Sakuntala strich liebevoll über die Locken des Gebeugten.

Da erhob sich der König:

»Weib!« sprach er, »Wahl ohne Zwang hat uns zueinander geführt. Wir schließen nach Vätersitte den Bund am Ort unseres Findens. Er ist so heilig, als hätte der Priester und das Haus mit seinem ewigen Feuer ihn geweiht. Gandharvaehe heißt er in des Landes heiligen Büchern, die mir, dem König, das einzige Gesetz sind. Vertraue mir, Innigstgeliebte!«

»Der König!« murmelte Priyamvada.

»Ich ahnte es!« erwiderte Anasuya leise, und laut rief sie aus: »Sieh dort das verirrte Gazellenkälbchen, wir wollen es seiner Mutter bringen.«

Hand in Hand liefen die beiden Mädchen davon und hörten nicht auf den leisen, ängstlichen Ruf Sakuntalas.

Der König aber schloß die Scheue und dennoch Willige in seine starken Arme und machte sie zu seinem Weib nach Väterbrauch.

Bis zum sinkenden Abend kosten sie in allesvergessender Liebe. Da klangen wieder die Drommeten des Jagdzuges, klagend und den Herrn suchend, in ihre stille Freude,

»Auf!« rief Duschjanta. »Ich führe die Jagd heim und hole dich in festlichem Zug an meinen Hof als Königin.«

»Du Lieber! – ach, bleib' bei mir!« flüsterte Sakuntala an seiner Brust.

»Mein Weib – mein holdes Weib, ich hole dich! Vertraue!« sprach Duschjanta bewegt, und mit einem innigen Kuß und einem leisen: Vergiß mein nicht! nahm er Abschied.

Sakuntala aber stand an den Baum gelehnt und sah dem Geliebten noch nach, als er schon lange ihrem Blick entschwunden war. Sie sah nicht, daß ein wandernder Brahmane aus dem Walde trat, hörte nicht seine müde Bitte um Gastfreundschaft und beachtete nicht, daß er sich zürnend wieder in den Wald wandte.

Anasuya und Priyamvada näherten sich vorsichtig dem Orte, wo sie das Brautpaar verlassen hatten, und wollten die Glücklichen nun als Gatten begrüßen. Da begegneten sie dem zürnenden Frommen.

»Wieder Mädchen, die den Kopf voll verliebter Torheiten haben!« schalt der. »Eben ließ mich solch eine Dirne vergeblich bitten. Aber die Götter sollen ihr Bild aus dem Gedächtnis des Ersehnten löschen, wie er aus dem ihren die Pflichten der Gastfreundschaft!«

»Schrecklich!« flüsterte Anasuya ihrer Freundin zu. »Es ist der Heilige Durwasa, der wegen seines Jähzornes bekannt ist. O komm, wir wollen ihn bitten, den Fluch vom Haupte der liebenden Gatten zu nehmen!«

Und sie traten vor den Heiligen und baten und flehten, die Freundin nicht unglücklich werden zu lassen, weil sie im Glück ihres Hochzeitstages etwas versehen hatte.

Der Alte wurde unter den Schmeichelhänden der Mädchen weich und bereute seinen schnellen Zorn. Aber eines Frommen Worte können nicht zurückgenommen werden wie eine kranke Kuh. So milderte er denn seinen Fluch und bat die Götter, sie mögen Duschjantas Gedächtnis wieder wecken, wenn sein Blick auf Geschmeide fiele, das er einst seiner Braut geschenkt hatte.

Da beruhigten sich die Freundinnen, denn sie gedachten des Ringleins an Sakuntalas Hand.

Und sie beschlossen, den Vorfall zu verschweigen, um nicht das Glück der ersten Liebe in Kummer und Sorge zu ersticken.


Als der Heilige Kanva von seiner Wallfahrt heimkam, verbarg sich Sakuntala in holder Scham vor dem geliebten Vater, dessen Haus nun bald durch ihre Ehe einsam werden mußte.

Kanva aber befragte Agni im Opfer, und die Flamme flüsterte dem Frommen zu, daß seine Tochter die Gattin des Königs geworden sei und bald einen Prinzen, den künftigen Herrn der Erde, zur Welt bringen werde. Der Heilige dankte den Göttern für diesen Segen; denn Pflicht des Weibes ist es, Gattin und Mutter zu werden, und manch trüber Gedanke, wie das Kind seiner Sorge in der Wildnis einen würdigen Gatten fände, hatte das Herz des Guten schon beschwert.

Nun war er glücklich und suchte die Tochter, um sie zur Fahrt an den Hof festlich zu schmücken.

Weinend und lachend empfing Sakuntala den treuen Beschützer ihrer Kindheit und folgte willig, wenn auch mit leisem Abschiedsweh, den Weisungen des Vaters, sich zur Reise zu rüsten.

Anasuya und Priyamvada wurden in den Wald gesandt, um Ranken und Blüten als köstlichsten Schmuck für die Tochter des Waldes zu holen.

Doch Wunder: die dankbaren Bäume streckten den Mädchen ihre Äste entgegen und reichten ihnen schimmerndes Geschmeide, weiße, seidenweiche Gewänder und köstlich duftende Salben für den Liebling des Waldes.

So ward die Holde herrlicher angetan als irgendein Weib aus dem Frauenhause des Königs.

Zwei würdige Jünger Vater Kanvas sollten Sakuntala nach der Residenz Hastinapura geleiten und dem König die Gattin mit den Segenswünschen ihres Vaters überbringen.

Gar schwer fiel allen der Abschied von dem lieblichen Kind. Sakuntala sank aus den Armen des Vaters in die ihrer mütterlichen Freundin Gautami. Sie umhalste ihre fröhlichen, heut' ach so traurigen Gespielinnen Anasuya und Priyamvada, sie gab hier einem Papageien noch ein paar Reiskörner, nahm dort ein Gazellenkälbchen auf den Arm und strich liebkosend über jeden der uralten Bäume, die ihre glückliche Kindheit beschattet hatten.

Endlich riß sie sich los, denn ihre Führer hatten, voll Ungeduld, schon den Weg nach Hastinapura eingeschlagen.

Kaum war sie hundert Schritt weit gewandert, so kam Anasuya noch einmal geflogen, umarmte und küßte die Freundin zärtlich und flüsterte ihr zu: »Zeige dem König das Ringlein, das er dir im Walde angesteckt hat!« Und husch! war die Treue in den Büschen verschwunden.


Duschjanta, den der Fluch Durwasas in dem Augenblick, da er auf sein Gefolge stieß, ereilt hatte, zog mit fröhlichem Jägerherzen nach seiner Residenz, ohne nur einen Gedanken für diejenige zu haben, die vor kurzem sein ganzes Wesen erfüllt, der er, der Treue, Treue fürs Leben geschworen hatte.

Zu Hastinapura übernahm er wieder die Herrschaft und übte sein Amt aus, so gut wie eh und je. Der Jagdzug war ihm nur wie irgendeine andere seiner fröhlichen Streifen im Gedächtnis. Keine Ahnung sagte dem König von der Wendung in seinem und Sakunlalas Leben.

Da wurden ihm eines Morgens ehrwürdige Boten aus Vater Kanvas Einsiedelei gemeldet. Duschjanta befahl sie vor sein Antlitz zu führen und erwog besorgt, was wohl den Heiligen zu dieser Gesandtschaft bewogen haben könnte: ob wilde Tiere oder böse Menschen den Frieden des Haines bedrohten oder ob Dämonen die Opfer verhinderten? – In jedem Falle war er bereit zu helfen und den Guten mit seinen Waffen den Frieden zu erzwingen.

Die Boten Mater Kanvas traten ein: zwei rüstige Greise und zwischen ihnen eine Verschleierte.

»Heil dem König!« rief der Sprecher der Gesandtschaft. »Liegt Segen auf deiner Herrschaft? Leben die Deinen im Glück?«

»Indras Segen ruht auf meinem Lande, Glück und Frieden haben meine Völker! doch neig' ich mich in Demut vor euch, die ihr für den Heiligen hier steht!« erwiderte der König mit allen Zeichen der Ehrerbietung.

»Du neigst dich wie der früchteschwere Ast, wie die regenschwangere Wolke! das ist die Art der wahrhaft Großen! – Sie dienen im Herrschen den Ihrigen!« sprach der Gesandte.

»Wie kann ich dem Heiligen dienen? Was stört den Frieden der Frommen?« fragte der König.

»Nichts, Herr!« erwiderte der Brahmane. »Nicht als Bittende sandte der Erhabene uns aus! als Gewährende stehen wir da: die Gattin, die du nach Gandharwersitte gefreit hast, bringen wir dir, samt ihres frommen Erährers Segen und Gebet!«

»Die Gattin? mir? Ihr scherzet – irrt – Ehrwürdiger! – Wollt eine Braut vielleicht mir bringen!« rief Duschjanta.

»Die Opferflamme nannt' sie deine Gattin und sagt', sie würde bald die Mutter eines Sohnes werden, des künft'gen Herrn der Erde!»

»Gattin? – Mutter eines Sohnes?« murmelte der König. »Wie kann ich eines andren Weib begehren? – Wer ist sie?«

Da schlug der Sprecher den Schleier zurück und rief: »Sakuntala ist es, des Heiligen Kanva Tochter!«

»Sakuntala?« sprach der König mit Ernst und fester Stimme. »Ich kenne sie nicht! – Was soll das Possenspiel? – Wollt ihr auf Purus edlen Stamm ein schlechtes Reis pfropfen?«

»O Herr! so hast du mein vergessen?« sprach Sakuntala sanft, und Tränen perlten über ihre Wangen.

»Weib! ich kenne dich nicht!« sprach Duschjanta voll Würde.

»So hast du Vater Kanva und uns belogen? die heilige Opferflamme in schnödem Zauber mißbraucht!» riefen nun die zornigen Büßer der Erschrockenen zu.

»O nein! – nein!« stammelte Sakuntala. »Seht hier des Königs Ring – er gab ihn mir – . Mein Gott – wo ist er – ? Ich hatt' ihn heute morgen noch – . Am heiligen Schakrawasser vor der Stadt muß ich ihn verloren haben, als ich mich Schatschi, der treuen Gattin Indras, zu Ehren wusch – man muß ihn suchen – wird ihn finden – !«

»Betrug! – nichts als Betrug!« riefen die Büßer.

»Wir kehren zu Vater Kanva zurück und wollen ihm von seinem sauberen Liebling erzählen!«

Rasch und voll Scham über die Rolle, die sie vor dem Hof gespielt hatten, verließen die beiden Alten den Saal.

Duschjanta aber sah lange sinnend auf die Weinende und sprach bestimmt: »Ich kenne dich nicht!«

Da warf Sakuntala sich ihm zu Füßen und jammerte:

»O Herr, wenn du schon mich verstoßen willst, so denk an deinen kommenden Sohn! Beraube dich nicht des künftigen Opferspenders, des Herrn der Erde, der dein ruhmreiches Geschlecht fortsetzen soll! – Bring dich nicht um das höchste Glück, das ein Mann finden kann – – .«

»Führt sie aus der Stadt!« sprach der König zu seinem Gefolge. »Wie dürfte ich, der Hüter des Gesetzes, eines anderen Gattin beherbergen?«

»O Erhabener!« schrie Sakuntala, »stoße mich ins Elend und unseren Sohn! ich wollt' es gerne tragen, um der wenigen Stunden des Glückes willen, doch deiner Seele Seligkeit ginge darob verloren. Gedenke des alten Spruches:

Hundert schenkende Brunnen erfüllen kaum einen Weiher;
Wasser aus hundert Weihern reinigt nicht wie ein Opfer;
Hundert rauchende Opfer ersetzen im Himmel den Sohn nicht;
Einzig die Wahrheit wiegt schwerer als hundert der edelsten Söhne!

»Einzig die Wahrheit wiegt schwerer als hundert der edelsten Söhne!« wiederholte Duschjanta sinnend. Dann sprang er auf und rief: »Ich kenne das Weib nicht!«

Und von den Würdenträgern des Hofes umgeben, verließ er eilig die Halle.

Häscher führten die weinende Sakuntala vor die Stadt, und sie konnte nur immer stammeln: »Vergessen! – verlassen!«

Kaum hatten die Schergen ihr den Rücken gewendet, fuhr ein Blitz aus heiterem Himmel herab, und die erschrockenen Beamten sahen, wie Sakuntala von einem wunderschönen Göttermädchen himmelwärts entführt wurde. Rasch liefen sie in die Stadt und verkündigten das Wunder aller Welt.

Als der König davon hörte, saß er lange grübelnd da. Schwer lastete des edlen Weibes Klage auf seinem Herzen, und immer aufs neue prüfte der Strenge, ob er der Pflicht gemäß gehandelt hätte.

»Ich kenne sie nicht!« rief er ein- über das anderemal und versank wieder in schmerzliches Sinnen.

Wenige Tage danach ergriffen die Häscher einen armseligen Fischer, der auf dem Markte einen kostbaren Ring feilbot. Als ihr Führer auf dem Juwel des Königs Namenszug erkannte, brachte er den Zitternden in den Palast, um zu erforschen, ob der Ring des Königs auf rechtem Weg in die Hand des niedrigen Knechtes gekommen wäre. Der Ertappte schwor, er sei ein redlicher Mann, ein armer Fischer, welcher am Schakrawasser, dem heiligen Weiher vor der Stadt, sein Gewerbe ausübe, und den Ring im Bauch eines gefangenen Fisches gefunden habe. Doch die Häscher glaubten ihm nicht. Sie pufften und knufften den Armen, drohten ihm mit dem Block, und höhnten, daß er wohl nächstens einen vollen Beutel oder seines Nachbars Kuh in einem Fischbauch finden würde.

Ihr Führer war mittlerweile vor den König gekommen und hatte ihm das verdachterregende Geschmeide gezeigt.

Es war der Ring, den Duschjanta im Walde der Geliebten angesteckt hatte.

Wie Indras Blitz die Wolken zerreißt, so zerriß der Anblick des Kleinodes die Schleier, die auf des Verfluchten Erinnerung lagen:

Sakuntala sah er im Walde vor sich stehen, liebend und vertrauend, und wieder sah er sie im Thronsaal, weinend und klagend, stammelnd, daß sie den Ring wohl am beiligen Wasser hei andächtiger Waschung verloren habe.

»Der Fischer hat die Wahrheit gesprochen! Gebt ihm einen Beutel Goldes für den Ring!« sprach der königliche Richter und zog sich tief erschüttert in seine Gemächer zurück.

Draußen aber jubelte der Fischer ob des Königs Gnade und zog mit seinen Häschern Arm in Arm zur Schenke, um dort des Erhabenen Freigebigkeit würdig zu feiern.


Sechs Jahre waren über die Erde gerollt. Der fröhliche König Duschjanta war ein Stiller und Trauriger geworden. Voll gütigen Ernstes versah er sein Amt als Herrscher im Lande, und kämpfte voll grimmiger Todesverachtung gegen einzelne Feinde an der Grenze. Keiner hatte ihn wieder lachen gesehen, seitdem der Ring aus dem Fischbauch an seiner Hand glänzte.

Der Widuschaka – so hieß man damals den »Lustigen Rat«, den launigen Gesellschafter des Königs – hatte vergebliche Mühe, und nur seinem innigen Empfinden, seinem getreuen Mitleiden am unheilbaren Schmerz des erlauchten Freundes verdankte es dieser gute Brahmane, daß der König seine Gesellschaft gerne ertrug und sich nicht ganz der Einsamkeit und Selbstquälerei ergab.


Es war im siebenten Jahre nach Sakuntalas Entrückung, als Matali, des Götterkönigs Wagenlenker, vor Duschjanta erschien. Indra ließ den frommen König, den tapfersten Krieger seiner Zeit, durch seinen Boten bitten, für ihn im Kampfe gegen ein aufrührerisches Dämonenvolk zu stehen.

Gleich ließ Duschjanta sich rüsten und bestieg mit Matali den Wolkenwagen Indras, der zum Erstaunen alles Volkes vor dem Palast zu Hastinapura gelandet war. Himmelwärts ging's mit des Donnerers pfaufarbigen Rossen unter Matalis kundiger Führung.

In blutiger Schlacht besiegte Duschjanta, dem Götterheer voran kämpfend, die Kalanemi, ein Danawergeschlecht, dem Brahma einst auf seine Gebete gewährt hatte, daß es von Indra nie besiegt werden solle.

Dem tapferen König der Erde aber, dem der Schmerz kampfgierig im Herzen loderte, konnten die Söhne der Finsternis nicht widerstehen. Sie flohen vor ihm und seinen windschnellen Scharen zurück in das Reich der Nacht, wie Morgennebel vor der Sonne weichen.

Matali, der den herrlichen Purusproß auch in der Schlacht gefahren halte, lenkte jubelnd die falben Rosse erdwärts.

Durch den blauen Äther ging's dahin wie auf Sturmesflügeln, und der Himmlische zeigte dem tapferen Erdensohn manches Wunder des Weltenraumes.

Als der Wolkenwagen sich dem höchsten Gipfel der Erde näherte, erklärte der wackere Führer dem König, daß dort ein Garten des Schatzgottes Kubera liege, und der ehrwürdige Schöpfer Kaschjapa, der Vater der Götter und Dämonen, dort als Büßer hause.

Duschjanta bat, sich vor dem gnädigen Vater der Welt verneigen zu dürfen, und Matali ließ die falben Rosse mitten in einem blühenden Haine halten.

Sie stiegen beide vom Wagen, und während der göttliche Wagenlenker die ungeduldigen Hengste an Bäumen festband, erzählte er dem König von des Heiligen übermenschlichen Bußübungen. Bis an den halben Leib steht der Asket in einem Ameisenhaufen, Nattern schnüren ihm den Atem aus der Brust, und ein Gerank von Dornen würgt seinen Hals. In seinem Haare nisten die Vögel, und ungeblendeten Auges starrt er in die Sonne. So furchtbare Buße gibt ihm die Kraft, Welten zu schaffen und zu erneuern.

Matali fragte einen des Weges kommenden Büßer, ob der heilige Schöpfer jetzt wohl die Verehrung des tapferen Königs Duschjanta entgegennehmen würde. Der Gefragte erwiderte, daß Kaschjapa eben die Frauen des Haines um sich versammelt habe, um sie über ihre Pflichten als Gattin und Mutter zu belehren.

Gerne folgte Duschjanta dem Rate des klugen Matali, hier zu rasten, bis der Weise seinen Vortrag beendet habe, denn er fühlte an diesem heiligen Orte seine Schwermut schwinden, wie Schnee vor der Sonne.

Während sie im Gespräch auf einem Steine saßen, kam ein wunderschöner Knabe gesprungen. Der schleppte einen jungen Löwen wie eine Katze umher. Er spielte fröhlich mit dem kleinen Raubtier, riß ihm das Maul auf, um nach den Zähnen zu sehen, wühlte mit seinen weißen Händchen in dem goldigschimmernden Fließ, und zeigte dem Gefangenen in jeder Weise seine Herrschaft.

Duschjanta sprang auf, denn die Züge des kleinen Bändigers schienen ihm so vertraut und lieb.

Eine Magd kam gelaufen und rief dem kleinen Wildling ängstlich zu:

»Ach, laß doch den jungen Löwen los, sonst wird seine Mutter dich fressen!«

»Die fürcht' ich so wenig wie dich!« lachte der Knabe.

»Ach ihr guten Fremden, helft mir doch, das arme gequälte Tier von dem unbändigen Knaben zu befreien!« bat die Magd.

Dann blieb ihr Blick auf Duschjanta haften, und sie stammelte: »Bei den dreiunddreißig Göttern, welche Ähnlichkeit zwischen dir und dem Kleinen, Herr!«

Und da der König eben den Knaben ganz sanft von dem Löwen hinweggezogen hatte, staunte sie weiter: »Und wie er sich dir fügt, der unbändige Allbändiger, Herr! – Das ist sonst nicht die Art des jungen Purusprosses!«

»Ein Purusproß ist er?« rief Duschjanta überrascht. »Auch ich stamme von Puru!« fuhr er fort, »so fügt sich Blut dem Blute!«

Und heimlich bedachte er, daß wohl mancher Puruenkel unter die Büßer gegangen sei, und der Knabe wohl von einem solchen stammen konnte. Denn noch wagte sein zerrissenes Herz nicht zu hoffen.

Die Magd strich dem Knaben das Kleidchen zurecht und schalt:

»Dein Amulett hast du auch verloren, bei dem verbotenen Spiel. Nun such es, ehe die Mutter dich darob schilt!«

»Hier liegt es!« rief Duschjanta und bückte sich rasch nach der goldenen Kapsel zu seinen Füßen.

»Nicht, nicht!« schrie die Magd.

Doch der König hatte dem Knaben das Geschmeide schon übergeben.

»Ein neues Wunder!« murmelte die Magd mit allen Zeichen der Angst.

»In diesem Büchslein ist das Kräutlein ›Unbesieglich‹. Kaschjapa, der fromme Heilige, hat es dem Knaben bei der Geburt gegeben und, um es dem Beschenkten zu sichern, einen mächtigen Zauber daran geknüpft: nur das Kind und seine Eltern sollen es ohne Gefahr anfassen können! Greift ein anderes danach, so wird es zur Natter und beißt den Entweiher tot. – Schon manchen sah ich so sterben! – Oh – oh! ich muß das meiner Herrin melden!«

Und während die Magd fortlief, sprach sinnend der König: »So hätt' ich mich nicht getäuscht? mein Herz sprach die Wahrheit, als es dem herrlichen Knaben entgegenschlug? – O komme, Sohn, laß dich herzen!«

»Ich hab' dich lieb!« sprach der Knabe, sich zärtlich an den Mann schmiegend, "doch mein Vater bist du nicht! der ist König und heißt Duschjanta!«

»Du bestätigst meine Worte im Widerspruch, Teurer! Ich bin der König Duschjanta!«

»Die Mutter!« rief der Kleine, sich losreißend: und Sakuntala stand vor ihrem sprachlosen Gatten. »Mein Weib! – vergib! – vergib dem vom Wahnsinn Umnachteten!« stammelte er endlich.

»O Herr! wie weh hast du mir getan!« flüsterte Sakuntala, den Kopf an die Brust ihres Gatten schmiegend.

»Verzeih – verzeih! Ein Dämon muß mein Gedächtnis ausgelöscht haben – meine Erinnerung schlief wie tot – – «

»Und wann ist die Gute erwacht?« fragte Sakuntala, unter Tränen lächelnd.

»Als ich den Ring sah, Teure! Deinen Ring, den mir ein Fischer vom heiligen Schakrawasser brachte!«

»Der Ring – der Ring – « murmelte Sakuntala, »so ahnte Anasuya etwas – ! O komm, Herr, wir wollen vor den Heiligen Kaschjapa treten und ihn, der die drei Zeiten: Vergangenheit, Gegewart und Zukunft kennt, um des Rätsels Lösung bitten!«

Die Wiedervereinten wurden von dem erhabenen Büßer voll Freundlichkeit empfangen, und er erzählte ihnen von Sakuntalas Glückversunkenheit und des jähzornigen Durwasas Fluch.

Selig war die Schwergeprüfte, daß ihren edlen Gatten kein Schatten von Schuld traf; glücklich der Treue, mit der Geliebten und seinem schönen Söhnlein nun auf immer vereint zu sein.

Kaschjapa sandte einen fliegenden Boten zu Vater Kanva und beruhigte den würdigen Greis über das Schicksal seiner Tochter. Dem schönen Sohn dieser Verbindung von Liebe und Treue halte er übermenschliche Leibes- und Geistesstärke verliehen. »Allbändiger« hieß der Knabe schon allen, und des Heiligen Segen verhieß, daß er der Allherrscher, der Weltschützer, der Bharata, werden würde.

Als die Glücklichen in heißer Dankbarkeit von dem gütigen Heiligen Abschied genommen hatten, führte sie Matali auf Indras Wagen nach Hastinapura. Dort lebte das edle Königspaar noch viele Jahre in Glück und Frieden, zur Freude des ganzen Volkes.

Bharata aber, der Sohn des edlen Duschjanta und der lieblichen Sakuntala, ward der erste Kaiser von Indien, und sein Geschlecht herrschte durch viele Jahrhunderte über alle indischen Stämme des guten Volkes der Arier.


 << zurück weiter >>