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21.

Und nun riß mich Gott, der muthig mich
weckte zur Freude,
Frisch in das Leben hinein, Hoffnung und
Glaube ging mit,
Und ich beschaute die Städte und Länder und
Sitten der Menschen.
Hatt' ich ja lange genug einsam mich
selbst nur geschaut!

E. M. Arndt.

Wieder war es Sommer geworden, die Sonne strahlte am Himmel, die Erde duftete aus tausend holdseligen Blüthenkelchen, und die Herzen der Menschen öffneten sich weit, um Liebe, Licht und Glückseligkeit, Gott dankend, in sich aufzunehmen.

Zwischen lieblichen Bergen gelegen, überschüttet von paradiesischer Schönheit, und gerühmt wegen seiner heilsamen Quellen, liegt die Perle der europäischen Bäder. Alle Nationen geben sich hier ein Rendezvous, alle Eleganz, alle Schönheit, Verkommenheit und Leichtlebigkeit des neunzehnten Jahrhunderts hält hier seinen pikanten Jahrmarkt, Musikklänge schmeicheln dazwischen, purpurdekorirte Säle laden die Jugend zu Spiel und Tanz und die alte Ruine schaute ernsthaft von ihrem Berggipfel hernieder und summt aus melancholischen Aeolsharfen den ewigen Refrain der Vergänglichkeit.

Folgt man den lauschigen Promenadenwegen, zu deren Seite ein silberhelles Flüßchen sprudelt, so sieht man auf mäßiger Anhöhe, versteckt fast unter schattenden Baumwipfeln und umgeben von terrassenartigen Parkanlagen, eine schimmernd weiße Villa leuchten, über deren gewölbtem Thorbogen in goldenen Buchstaben der Name prangt: »Villa Monbonheur.« Neben dem übermüthigen Springbrunnen ragen zwei köstliche Marmorgruppen, deren weibliche Köpfe eine wunderbare Aehnlichkeit mit der jungen Herrin dieser Besitzung haben, welche jüngst am Arm ihres Mannes über die blumengeschmückte Schwelle geschritten ist.

»Ein schönes, interessantes Paar!« sagt man von ihnen, und wenn der junge Gatte mit glückstrahlendem Lächeln durch die wogende Menschenmenge schreitet, dann folgt mancher Blick seiner eleganten Gestalt, und die junge Frau an seinem Arm würde eifersüchtig werden, könnte sie das Urtheil manches schönen Mundes über die »köstlichen Augen« hören. Aber Dagmar hörte eben nicht auf die Menschen. Sie ist vollkommen glücklich, sie tauscht mit keiner Kaiserin, sie ist ein lächelndes, sinniges, minnigliches Weib geworden.

Desider hatte sie sofort am andern Morgen jener unglücklichen Katastrophe in Casgamala nach der Residenz zurückgebracht, er folgte auch der Braut nach dem Quellbad, wohin ein hartnäckiges Knieleiden des Onkel Major die ganze Familie von der Ropp geführt hatte. Und entzückt von der himmlischen Lage hatte das junge Paar beschlossen, sich Hierselbst anzukaufen, um den ersten Sommeraufenthalt ihrer jungen Ehe in »Deutschlands Paradies« zu nehmen. Desider dachte ungern an Casgamala zurück. Der Tod Lothars hatte furchtbar in sämmtliche Verhältnisse eingegriffen, und hatte man Casgamala früher schon ein unheimliches Schloß genannt, jetzt konnte man es mit vollem Fug und Recht, denn seine Mauern beherbergten eine Wahnsinnige. Als man Lothars kaum mehr kenntliche Leiche zur Gräfin Mutter in den Neubau trug, als Graf Desider mit ernstem, furchtbarem Vorwurf in ihr Auge sah, lebend und glücklicher denn je, als Dolores voll kalter Härte auf die Todtenbahre wies und in das Ohr der Excellenz raunte: »Mein ist die Rache, ich will vergelten! spricht der Herr.« Da war die alte Dame mit gellendem Lachen zurückgetaumelt. »Helios, mein Sonnengott!« und sie schüttelte seine erkalteten Arme und rief voll Ungeduld: »Was liegst Du und schläfst? Was bedeckst Du Dein Gesicht? Spute Dich! An die Arbeit, ehe das Wetter vorüberzieht!« Und als der Todte sich nicht regte, ließ sie schaudernd die starren Hände fahren. »Er ist es ja gar nicht, mein Lothar! Er wartet ja drüben in meinem Zimmer und will mir erzählen, wie alles geglückt ist!« flüsterte sie mit irrem Blick zu Dagmar auf, und lautlos floh sie durch die lange Zimmerreihe, hin in ihr Boudoir, da hing das lebensgroße Oelbild ihres Abgottes. Gräfin Mutter schmiegte sich an ihn, streichelte seine Hände und Wangen und nickte ihm zärtlich zu: »Mein Helios, mein Sonnengott!«

So brach der Wahnsinn aus, und so blieb er bis auf den heutigen Tag. Unverändert sitzt die alte Dame vor dem Bild ihres Lieblings, sie spricht mit ihm, leise, heimlich flüsternd, schreibt Briefe an Berliner Wucherer und liest sie ihm vor, ob er's so zufrieden ist. Sie zehrt dahin wie ein Schatten, kaum hat sie noch Kraft sich zu erheben, und so sinkt sie oft ohnmächtig in die Polster zurück mit einem lächelnden: »Helios! mein Sonnengott!« Dieser Wahnsinn ist nicht gefährlich, darum läßt man die Kranke den kurzen Rest ihrer Tage ungetrübt in dem einsamen Felsenschloß verleben. Die getreue Sybille und zwei Wärterinnen hat Graf Desider mit ihrer Pflege betraut, denn Kinder hat Ihre Excellenz nicht mehr und verlangt auch nicht nach ihnen.

Comtesse Dolores reiste noch an demselben Tage, an welchem des Kiosk in Rauch und Flammen aufging, nach einem benachbarten Frauenkloster ab, wo sie bereits den Schleier der Himmelsbräute trägt. Jesabell verlebte noch einige Wochen stillen Friedens bei ihrer Schwiegermutter, einer milden, kränklichen Dame, in der benachbarten Kreisstadt, bis Alexander sein Stammgut neu erworben und beide Frauen zu glückseligem Beisammenwohnen in die lieblichen Fluren Thüringens abholte. Das war eine weite, weite Trennung von Casgamala. Jesabell blüht in ihrem jungen Glück empor wie eine Rose, und als Desider und Dagmar auf der Hochzeitsreise das geliebte Paar überraschten, fanden sie den jungen Gutsherrn und sein Weibchen auf der Parkbrücke, eine Angel wohl in der Hand, aber noch keine einzige Forelle im Korb, denn Jesabell betrachtet dieses Vergnügen einzig als eine heitere Erinnerung an vergangene Zeit, und so oft Alexander die schillernde Fliege über die Wellen tanzen läßt, singt sie um die Wette mit den himmelauffliegenden Vöglein:

»Es lebe, was auf Erden
    stolzirt in grüner Tracht,
Die Wälder und die Felder,
    die Jäger und die Jagd!«

Und Sascha? Er wirft glückselig die Angel zu dem leeren Korb und singt aus vollstem Herzen mit! –

Ueber »die Perle der deutschen Bäder« wogt schimmerndes Abendgold und färbt die weißen Figuren auf dem Dach der Villa Monbonheur mit rosigem Wiederschein. Auf dem Balkon aber steht Arm in Arm Dagmar und Desider, um den weichen Musikklängen zu lauschen, welche von dem Kurhaus wie schwärmerisches Echo emporschallen.

Desider hat seinem jungen Weibe einen Zeitungsbericht vorgelesen, welcher die neueste Ausstellung plastischer Kunstwerke in B. bespricht. Lob und Bewunderung wird einer weiblichen Marmorstatue von außerordentlicher Schönheit zu Theil, deren Meister sich hinter dem bescheidenen Pseudonym » D. E.« versteckt. Es ist das erste Mal, daß Graf Desider auf Dagmars Wunsch mit seinen Werken in die Oeffentlichkeit tritt. Und wenn auch jene herrlichen Bildwerke längst aus dem dunklen Geheimgang des Kiosks an Gottes helles Sonnenlicht gerettet wurden und meistens als Geschenke, oder eigene liebe Erinnerung, die Freude und Bewunderung der Menschheit sind, so wird doch erst dieser erste Erfolg den jungen Künstler bestimmen, weitere Werke zu schaffen, um sie der Oeffentlichkeit zu übergeben.

Strahlendes Lächeln flog über Dagmars reizendes Gesicht, sie bricht mit weißen Händen die Lorbeerzweige aus dem Blumenschmuck des Balkons, schlingt sie geschickt zum Kranze und drückt ihn auf das blonde Haupt des Geliebten, dann neigt sie das Köpfchen zurück und blickt ihn lange stumm und glückversunken an.

»Häßlich! häßlich über alle Begriffe!« persiflirt Graf Echtersloh neckend, die junge Frau aber schlingt in leidenschaftlicher Zärtlichkeit die Arme um seinen Nacken und flüstert mit feuchtem Blick: »Aber treu bis in den Tod!«

*

Und in diesem Augenblick wurde das junge Paar überrascht – von der Verfasserin!

 

Ende.


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