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11.

»So behüt di Gott herztausiger Schatz,
Du siehst mi nimmer mehr! –«

Volkslied.

Die Büffets waren eröffnet und wie ein Bienenschwarm wogten die diensteifrigen Kavaliere und hungernden Väter um diese »Tischlein deck Dich,« welche auf breiten Marmorplatten oder hochgeschnitzten Pyramidenbauten die leckeren Wunder aller Erdtheile feil zu bieten schienen. Je nach dem nun der rosige Mund der erwählten Dame »süß oder sauer« gewünscht hatte, baute es sich duftend auf den Tellern zusammen, und gleich Hermann dem Raben flatterten die schwarzen Frackzipfel oder kokett abstehenden Uniformschöße durch die Menge und Länge des Saales zurück, um in traulichem Plaudereckchen neben Schleppen und Fächern des heiß erstrittenen Gutes froh zu werden. Jesabell benutzte einen günstigen Augenblick, um sich reich mit Konfekt und duftigem Obst beladen aus dem Saal zu stehlen, und gleich einer gütigen Fee den Kindern der Frau Sibylle diese Kostbarkeiten auf die Bettchen zu schütten.

Eilig stieg sie die eiserne Freitreppe hinab, auf deren Eckpfeilern die mächtigen, pechgefüllten Steinurnen zum Himmel lohten, um ihr grellrothes Flackerlicht über die schlanke Gestalt zu gießen, welche in duftiger Balltoilette, rosig und seidenknisternd über die Stufen schwebte.

»Was der Tausend, Fräulein Malchen!« klang es plötzlich dicht neben ihr hinter den laubigen Fliederbüschen hervor und schnell wie der Gedanke folgte schon der Stimme die schmucke Gestalt Malzhoff's, welcher mit zwei Schritten neben der jungen Dame stand. »Ist's denn die Möglichkeit, Fräulein Malchen zum großen Zauberfest im Schlosse! Ne, hören Sie mal, das hätte ich nicht von Ihnen gedacht!«

Erschrocken war die Comtesse zurückgewichen, jetzt lachte sie leise auf, baute geschickt die Düte voll Pfirsichen noch auf den linken Arm und reichte dann dem jungen Mann die Hand entgegen.

»Herr von Malzhoff, das nenne ich eine Ueberraschung und hier im Garten, hinter den Büschen verstecken Sie sich in hinterlistiger Weise? Gestatten Sie, daß ich Ihnen gleich Ihr: »das hätte ich nicht von Ihnen gedacht!« mit schönstem Knix zurückgebe?«

»Verstecken? Eben im Augenblick komme ich dort den Weg herauf, gerade noch zur rechten Zeit, um Sie abzufangen! Denken Sie vielleicht, ich ging in's Schloß, wenn es nicht dringend nötig wäre? Und heute gar, wo Graf Lothar der ganzen Umgegend ein großes X für ein U vormalen möchte! Nein, Fräulein Malchen, wenn nicht in Clausthal ein halber Morgen Wald lichterloh in Flammen stünde, wäre ich, weiß Gott, nicht hier!«

»Ein Waldbrand? Um Gottes Willen – in Clausthal?«

Malzhoff schlug mit der Reitgerte gegen den hohen Jagdstiefel. »Ja gewiß, aber Sie brauchen weiter nicht zu erschrecken, bis hierher kommt's nicht. Wir haben schon Militär geholt und alles abgegraben, da mag sich's denn in der Mitte in Gottes Namen ausbrennen. Aber dem Grafen muß ich es doch melden, noch dazu es in Clausthal ist, seinem Lieblingsrevier, wo die besten Hirsche stehen! Hm, Sie sehen ja wunderschön aus, Fräulein Malchen, ganz wie ein zuckerner Christengel!« Und mit zärtlich musterndem Blick schritt er um sie herum, um sich auch den Anblick der Schleppe zu gönnen. »Aber halten thut das Zeug nicht, wie Spinnewebe so fein!«

»Gefallen thut's Ihnen aber doch?!« Mit reizender Grazie wandte Jesabell das Köpfchen über die Schulter und streckte den kleinen Fuß in das Bereich des Flammenscheins, »sehen Sie mal, Goldkäferschuh!«

»'s ist die Möglichkeit! die werden gut theuer gewesen sein, was? Aber hübsch aussehen thut's – weil Sie nämlich drin stecken, Fräulein Malchen, denn an Ihnen gefällt mir eben alles!«

Ein seliges Lächeln huschte über das Gesichtchen der Comtesse, sie wollte sich hastig zu ihm wenden um in den blauen Augen zu lesen, ob dies Kompliment auch ehrlich gemeint, sei, die Pfirsichen aber schienen längst auf die Vergeßlichkeit der jungen Dame gewartet zu haben und rollten nun, diese schnelle Bewegung benutzend, über den weißen Arm auf den Kiesweg hernieder.

»Brr! hiergeblieben, meine Herrschaften!« Und mit schnellen Schritten folgte Malzhoff den Deserteuren, um sie wieder einzusammeln und behutsam auf Jesabells Arm zurückzuliefern. »Wenn die hier liegen bleiben sollen, Fräulein Malchen, dürfen Sie sich nicht von der Stelle rühren, sonst giebt's Muß! Heiliger Gott! Sie haben aber gut eingehamstert, wollen Sie etwa die Frau Gräfin bankerott machen, durch diesen Raubzug?«

Das junge Mädchen lachte. »Dafür hat's noch keine Gefahr! Aber nehmen Sie mir mal die Früchte wieder ab, ich habe keine Lust, etwa Statue hier zu stehen! Ich muß jetzt zu Laubmanns hinüber und den Kleinen Wort halten.«

»Aha! diese glücklichen Kleinen, mich hat noch keine einzige junge Dame so gefüttert!« Und der Jägersmann seufzte mit wahrer Kraftaufwendung: »na, dann geben Sie die Dinger her, ich werde Sie Ihnen tragen!«

»Sie wollen mit?«

»Natürlich!« Ohne weiteres nahm er die Früchte wieder zur Hand und wandte sich nach dem Garten. Schweigend schritten sie nebeneinander her, der Mond trat hinter den Wolken hervor und zitterte mit silbernem Licht über Jesabells reizende Gestalt, weiß wie Schnee hoben sich Hals und Arme aus dem rosa Flor und mit leuchtenden Augen blieb Malzhoff abermals stehen und sah sie an.

»Fräulein Malchen – ich –«

»Warum bleiben Sie denn stehen? So kommen Sie doch!«

»Nein, ich komme nicht, da drüben ist ja schon das Palais Laubmann!« Und voll unwiderstehlicher Komik schüttelte er den Kopf; »ich muß Sie erst noch eine Weile betrachten, so wunderlich wie in diesem Augenblick ist es mir noch niemals zu Muthe gewesen! Ich weiß gar nicht, ob es wirklich nur das Kleid ist, was mir so in den Kopf steigt, oder die Goldkäferschuhe, oder das Mondlicht, das einen verliebten Gesellen so wie so schon weich und träumerisch stimmt! Aber zu Kopf steigt mir etwas, Fräulein Malchen, weil es im Herzen nämlich schon gar keinen Platz mehr hat, und weil – weil ich eben ganz toll und blind und verrückt bin seit einiger Zeit. Nein, ich wollte sagen – weil –« und Malzhoff preßte die Hände gegen die Brust – »weil es eben einmal heraus muß, daß ich Sie ganz rasend liebe, Fräulein Malchen, und nun schlagen Sie mich todt aber ich kann nicht anders!«

Jesabell neigte das reizende Köpfchen und preßte die Zuckerdüte noch fester gegen das hochklopfende Herz.

»Todtschlagen? Ist es denn ein solches Verbrechen, mir gut zu sein, Herr von Malzhoff?«

»Nein, süßes Malchen, ein Verbrechen wäre es höchstens, wenn ich jetzt dem heißen Drang meines Herzens folgte und Sie mit sammt Ihren Pfirsichen, an das Herz drückte, es wäre der Tod der Pfirsichen, des Goldkleides, der Zuckerdüte – kurzum, machen Sie keinen Massenmörder aus mir, sondern schütten Sie in Gottes Namen Ihren süßen Segen über die Sibyllischen Sprößlinge im Gartenhaus und dann kommen Sie schnell wieder in meine Arme und sagen Sie mit einem tüchtigen Verlobungskuß, daß Sie mich auch lieb haben!«

»Einem Verlobungskuß?« jubelte die Comtesse mit leuchtenden Augen, »so soll ich wirklich Ihre Braut sein?«

Der junge Jäger breitete in ungestümer Glückseligkeit beide Arme aus. »Sechs Wochen lang meine Braut und dann die Frau Revierförsterin von Gottes Gnaden!« rief er sehr entschieden, »und Kirschner wird Brautführer! Dann aber, mein lieber, kleiner Schatz,« und Malzhoff trat hastig näher und legte stürmisch – Pfirsiche und Confect vergessend –, den Arm um ihre schlanke Gestalt, »dann nennst Du mich Du und Sacha, wie mein gutes, russisches Mütterchen den Flachskopf Alexander auch ruft, also Malchen! sieh mir in die Augen hinein, hast Du mich lieb, willst Du mich haben?«

»Ja, Sacha, ich habe Dich lieb!« flüsterten ihre rothen Lippen leise erbebend; »aber ehe Du Dich mir verlobst, lerne mich erst kennen! Ich bin ein armes Mädchen, ohne Vermögen –«

»Darum heirathest Du einen reichen Mann, der Revierförster ist und außer seiner Büchse, seinem Gaul und Jagdhund gerade genug hat und verdient, um eine Frau mit bescheidenen Ansprüchen ernähren zu können!«

In diesem Augenblick erknirschte hinter ihnen der Kies unter hastigen Schritten, wie aus der Erde gewachsen stand Sibyllens korpulente Gestalt, scharf um die Ecke biegend, vor beiden, um mit lautem aufkreischendem »Josef Maria!« zurückzuprallen.

»Ach, Sibylle! um Gottes Willen ruhig!« rief Jesabell, nicht minder erschrocken auf die kleine Frau zueilend. »Ich bin es ja nur und Herr von Malzhoff, Sibylle!«

»Gott erbarme sich, wie haben Sie mich entsetzt, in Ihrem hellen Kleid, alle Heiligen, ich glaubte ja nicht anders, als an den Irrgeist,« keuchte die Alte unter gutmüthigem Lachen, »aber liebstes Comteßchen, um die jetzige Zeit hier –«

»Ich wollte zu Deinen Kleinen und das versprochene Naschwerk bringen,« unterbrach die junge Dame mit bangem Blick auf Malzhoff.

»Comtesse selber? Ist die Möglichkeit! Jetzt mitten aus dem Fest heraus, wo droben schon wieder flott getanzt wird?«

Starr wie ein steinernes Bild stand der junge Jäger und schaute mit unheimlich großen Augen in Jesabells geneigtes Antlitz, langsam trat er von ihr zurück an die Seite Sibyllens.

»Sie nennen jene Dame Comtesse, Frau Laubmann,« sagte er tonlos, »ist sie etwa nicht die Nichte des Herrn Kirschner?«

»Nichte des Herrn Kirschner? Gott behüte, die war bloß zwei Wochen lang hier, aber – kennen Sie unsere Comtesse Jesabell nicht? Sie sprachen ja –«

»Comtesse Jesabell!« wie ein Aufschrei gellte es durch die stille Nacht, der junge Mann schlug beide Hände vor das Gesicht und taumelte einen Schritt zurück, »sie, – sie ist Comtesse Echtersloh!«

Pfirsiche und Confect rollten über den Kiesboden, mit angstvoller Hast die Arme nach ihm hebend, stürmte Jesabell an der Wirthschafterin vorüber an Sachas Seite, um seinen Arm flehend zu umklammern. »Sacha – lieber Sacha, sei mir nicht böse, – ich kann ja nichts dafür, daß ich es bin!« rief sie flehend. –

Er blickte auf, bleich und verstört, löste sanft ihre Hände und trat zurück. »Sie haben ein gewissenloses Spiel mit einem Herzen getrieben, Gräfin, einem Herzen, welches Sie treu, lauter und innig liebte! Eine übermüthige Laune ließ Sie die Kluft zwischen uns mit harmloser Maske überbrücken, und da sie herniedergerissen ward, versank mein junges Lebensglück in ihrer Tiefe. Leben Sie wohl, Comtesse, und verzeihen Sie meine Kühnheit, mit welcher ich eine Gräfin Echtersloh niemals belästigt hätte!»

Er verneigte sich kurz, ein langer unaussprechlicher Blick in ihr Auge, und seine Schritte klangen über den Kies, um die stattliche Gestalt hinter den Goldregenbüschen verschwinden zu lassen.

»Sibylle!« mit leisem Aufschluchzen sank Jesabell an den Hals der kleinen Frau und barg das bleiche Antlitz an ihrer Brust, leises Zittern flog über die schöne Gestalt, und Thränen und welke Rosenblätter aus dem Ballkranz rieselten lautlos in Spitzen und Crèpeflor hernieder.

Mit zuckenden Lippen streichelte die treue Magd das Köpfchen ihres Lieblings. »Armes, armes Fräulein Sie,« flüsterte sie erbittert, »was haben Sie dem Schicksal gethan, daß es Sie um der Sünden Anderer willen verfolgt!« –

»Der Fluch der Echterslohs!« murmelte das junge Mädchen voll düsterer Leidenschaft, »die Feuerflamme verzehrt das Glück, verbrennts zu Asche und Staub!« –

Droben aber, aus den strahlenden Fenstern des Ballsaales klangen die brausenden Weisen des Tanzes, Graf Lothar – raste einen Galopp.


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