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19.

Ist's Gottes Werk, so wird's bestehen,
Ist's Menschenwerk, wird's untergehen!

Alter Spruch.

Jesabell drückte Dagmars bleiches Haupt an die Brust und küßte sie auf die Lippen. »Fühlst Du Dich jetzt wohler, liebes Herz?« fragte sie zärtlich, und Fräulein von der Ropp lächelte ein lügnerisches »Ja!« und versank wieder in ihr träumerisches Schweigen.

Da öffnete sich hastig die Thür und Dolores trat ein.

»Laß mich einen Augenblick mit Dagmar allein, Kleine!« sagte sie mit ungewohnter Erregung, neigte sich dicht zu dem Ohr der jungen Dame hernieder und flüsterte, noch ehe sie die Thür völlig hinter Jesabell geschlossen: »Sind Sie stark genug, Dagmar, einen schändlichen Anschlag, ein Bubenstück Lothars vereiteln zu helfen?«

Wie von einem Dolch getroffen sprang die junge Baronesse empor, ihr Auge blitzte und die kleinen Hände ballten sich. »Einen Anschlag gegen ihn, gegen Desider?« rief sie mit fliegendem Athem, »ich folge Ihnen, Dolores, ich fühle mich stärker und muthiger denn je!«

Die Comtesse reichte ihr mit kurzem Druck die Hand und sah ihr fest in die Augen. »Ich wußte es, Dagmar, Ihnen kann ich vertrauen, auf Sie verlasse ich mich, kommen Sie schnell!« Sie griff nach dem schwarzen Shawl, welcher die Füße der jungen Dame bedeckt hatte, hing ihn über den Arm und zog Dagmar mit sich fort, »wir werden ihn vielleicht nöthig haben!« sagte sie kurz, »es steigt ein neues Wetter herauf, der gestrige Wolkenbruch war nur das Vorspiel zu einer Tragödie, welche heute mit Donner und Blitz zünden wird!«

Wieder schritten die beiden Frauen durch jene Gemächer und Gänge, welche sie in der Ballnacht jüngst durcheilt hatten, vor dem Tapetengang hielt Dolores momentan inne. »Seien Sie stark, Dagmar, Desiders Lebensheil liegt in Ihrer Hand!« Sie öffnete lautlos die schmale Pforte und huschte wie ein grauer Schatten in den dunkeln Geheimgang voran.

Vor einer Kaminöffnung blieb sie stehen, zog Fräulein von der Ropp fest in ihre Arme und deutete schweigend hinab. Athemlos lauschten sie. Gedämpftes Sprechen hallte deutlich empor, Lothars Stimme.

»Es giebt keine Wahl mehr, Mutter!« sprach er zwischen den Zähnen, »entweder Er – oder ich! Sein Geheimniß war elende Bildhauerei, auf die Ropp ist kein Verlaß mehr, sie liebt mich nicht, und am ersten des nächsten Monats laufen meine Wechsel ab, welche mir kein Mensch mehr verlängert!«

»Desider bezahlt sie ja doch, Liebling!« klang Leontinens Stimme schrill und sehr erregt, »er hat ja bereits die Summe nach Berlin gesandt!«

Kurzes Auflachen unterbrach sie. »Die Großmuth meines Herrn Bruders ist nicht weit her, Mutter, er ahnt nicht die wahre Höhe meiner Schulden und fiel fast in Ohnmacht, als ich ihm den kleinsten Posten bei Aaron nannte, da verging mir die Lust, ihm weitere Confidenzen, zu machen!«

» Grâce à Dieu! noch mehr?!« Ihre Excellenz athmete schwer auf, »wir müssen neues Kapital aufnehmen, um Zeit zu gewinnen!«

»Umsonst, Mutter!« Lothars Stimme klang furchtbar, »Du ahnst nicht den ganzen Sachverhalt. Warum soll ich ihn länger verhehlen? Einmal muß es ja doch heraus. Du schriebst damals so zuversichtlich über Desiders geistigen Zustand, daß ich überzeugt war, es mit einem völlig Verrückten zu thun zu haben; wie sehr wir uns in dem heuchlerischen Burschen geirrt, weißt Du selbst. Ich hatte mir die hiesigen Verhältnisse anders gedacht als sie sind. Ich hatte Desider bereits gestrichen in Gedanken, und darum ließ ich mich in einer Stunde höchster Bedrängniß hinreißen, Ehrenscheine auf Desiders Namen auszustellen.«

Ein leiser, erschreckter Aufschrei der Gräfin Mutter unterbrach ihn, Lothar aber fuhr mit fast rüder Trockenheit fort: »Ich habe also Wechsel gefälscht, verehrte Mama, und nehme an, daß Du verstehst, was diese paar Worte sagen. In sechs Tage sind sie fällig, die Folgen unausbleiblich, meine Ehre, meine Existenz verloren.«

»Gott erbarme sich! Lothar, mein Herzenskind, was sollen wir beginnen?!« jammerte Leontine außer sich.

»Einer von uns beiden Brüdern ist zu viel auf der Welt!« klang es in dumpfer, unheimlicher Betonung von den Lippen des schönen Mannes, »Einer muß weichen, wähle zwischen ihm und mir!«

»Lothar!« gellte es drunten auf, und Dagmar klammerte sich in zitterndem Entsetzen an den Arm der Comtesse.

»Muth!« flüsterte Dolores.

»Die Flucht nützt mir nichts, denn ein Leben voll Entbehrungen ertrage ich nicht,« fuhr Lothar heftig fort, »und meine Ehre kann ich nicht mehr retten, ohne Majoratsherr auf Casgamala zu sein. Soll ich mir also eine Kugel durch den Kopf jagen, um jenem blödsinnigen Burschen seinen Marmorfratzen zu erhalten? Bei allen Teufeln, nein! Du hast die Karten gemischt, Mutter, habe nur auch den Muth den großen Trumpf auszuspielen!«

»Lothar, was willst Du thun? Um Gotteswillen laß mich aus dem Spiel!« kreischte Frau Leontine außer sich, »ich wasche meine Hände in Unschuld, ich habe kein Theil daran!«

»Nein, Mutter, ich bin Gott sei Dank Manns genug, um die Hilfe eines Weibes entbehren zu können!«

»Bedenke die Folgen, Lothar, Du würfelst um Leben und Tod!«

»Und bestelle mir die Musik und Illumination von Freund Petrus!« lachte Lothar gezwungen auf, »ich werde schlau genug sein, nur den Weg anzugeben, welchen ein hilfsbereiter Blitz nehmen soll!«

»Sprich deutlicher, foltere mich nicht länger!«

»Was bedarf es mehr der Deutlichkeit, Mutter? Würde es unglaublich sein, daß in jenen schwarzen Wolken ein Funken ruht, welcher in das geheiligte Dach des Kiosk schlägt? Der alte Lebrecht ist in das Dorf hinab, der Majoratsherr von Casgamala meißelt ahnungslos seine Steinbilder, und was der Blitz freiwillig versäumt, besorgt eine Patrone Dynamit desto prompter. Ruhe, Mutter!« fuhr er befehlerisch auf, »kein weibisches Lamentiren jetzt, wo unser aller Existenz an schwachem Faden hängt, ihn oder mich? Hörst Du die Antwort droben? Jener Donner ist der Herold eines gewaltigen Wetterschlags! Leb wohl, Mutter, und bei Deinem und meinem Leben – schweige!«

»Lothar!« schrie es drunten verzweifelt auf, Dolores aber zog die zitternde Freundin schnell entschlossen mit sich fort, warf ihr den Shawl um die Schultern und das bleiche Antlitz und flüsterte: »Jetzt schnell in den Kiosk, um die Blitze aufzufangen!«

Schon sauste der Wind durch die Parkwipfel und zerrte an den Gewändern der beiden schlanken Frauengestalten, welche wie ein gehetztes Wild auf heimlichem Pfad dahineilten. Starre Entschlossenheit, strahlender Muth leuchtete von Dagmars reiner Stirn, und nie hatte Dolores dieses Antlitz schöner gesehen, als in diesem Augenblick durchgeisteter Vollendung.

Dagmar schlug die großen Augen in ernster Frage auf. »Du mußt Desider sehr lieben und Lothar tödtlich hassen, Dolores, warum?!«

Die Comtesse blieb einen Moment stehen, ihr kalter Blick senkte sich voll unheimlicher Starrheit auf die Fragerin.

»Ja, ich hasse Lothar!« sprach sie hart und deutlich, »ich hasse ihn und vernichte sein Glück, wie er ehemals das meine! Dagmar!« Ein jähes Zucken flog über das seltsame Gesicht und brach in leidenschaftlicher Glut aus den grauen Augen. »Weißt Du, wie es thut, wenn man Einen so von ganzer Seele liebt, wenn man wieder geliebt wird und sich Bilder unendlicher Glückseligkeit malt? Und wenn man vor seine Mutter tritt und bittet: »Gieb mir mein väterliches Erbe, damit ich mein Glück erkaufen kann! – O dreimal glücklich das Kind, welches dann eine gewissenhafte Mutter hat. Die meinige war eine Betrügerin, Dagmar! Jesabell und ich waren zu Bettlerinnen geworden, weil Graf Lothar unser Vermögen am Spieltisch und Champagnerbuffet verjubelt hatte! Es war ein armer Offizier, dem ich mich verlobt hatte, Lothar nannte ihn einen Lump, wurde gefordert von ihm und erschoß meinen Bräutigam im Duell.« Dolores athmete tief auf, glühende Röthe jagte über ihre Stirn und die Hände ballten sich über der Brust: »Damals schwur ich Rache für mein Lebensglück, und heute nehme ich sie! komm, Dagmar! – frisch auf!« Und in wilder Hast zog die unheimliche Sprecherin sie weiter mit sich fort durch die Büsche und den morastigen Boden.

Ferner Donner rollte, ein matter Blitz züngelte durch die Wolken, und der Sturm pfiff durch die Aeste. Der Kiosk tauchte vor ihnen auf.

»Hier ist der Nebeneingang, das Gebüsch deckt uns bis an die Treppe –« abermals blieb die Comtesse stehen, sah Dagmar scharf und prüfend in die Augen und faßte ihre Hände. »Du liebst Desider!« sagte sie kurz.

Dagmar hob stolz das bleiche Antlitz. »Du sagst es!« bekannte sie freimüthig.

»So geh und rette ihn!«

»Du folgst mir nicht?«

»Nein! Gott beschütze Euch Beide, leb' wohl!«

Dagmar drückte die Hand der Sprecherin erregt in der ihren. »Du hast bis jetzt als treue Vorsehung über seinem Haupte gewacht, warum im letzten Augenblick den Sieg einer Fremden allein gönnen?«

»Weil ich einen lichten Engel senden will, das Glück des Hauses Echtersloh aufs neue zu begründen! Deine Mission ist Frieden und Versöhnung, mir genügt es »Rache« zu schauen – mein Werk ist vollbracht, Du sollst es krönen, Dagmar!«

Und Dolores neigte sich, nahm den schönen Mädchenkopf zwischen die Hände und drückte einen heftigen heißen Segenskuß auf die klare Stirn. »Wir scheiden für ewig, Kind,« sagte sie tonlos, »grüße den Desider,« und sie wandte sich kurz um und schritt mit hastigen Schritten zurück, in Sturm und Wetter hinaus. Einen Augenblick schaute ihr Dagmar noch nach, wie das graue Nonnengewand als letzter Gruß durch die Büsche flatterte, dann preßte sie die Hand entschlossen auf das Herz und stieg die grauen Stufen zu dem Kiosk empor.


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