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12.

Wo willst mich denn hinführen?
Ach Gott, was hast gedacht
wohl in der finstern Nacht?

Aus dem Wunderhorn.

Dagmar hatte sich von Graf Lothar in den kleinen Salon führen lassen, dessen weitgeöffnete Thüren den freien Blick auf die Terrasse gewährten, dicht umwachsen von lauschigem Grün, in welchem die einzelnen rothen Lampions schaukelten, um die offene Halle in magisches Dämmerlicht zu kleiden. Die junge Dame lag in dem niederen Sessel, weich und graziös wie eine leuchtende Blüthe, welche sich in dunkles Laub schmiegt. Blendend weiß zeichnete sich der schlanke Nacken und Arm von dem gesättigten Roth der Sammetpolster ab, und wie goldiges Gewölk glitzerten die Kleiderfalten darüber hin, um sich in langer Schleppe auf dem dunkeln Teppich zu verlieren.

Lothar saß auf niederem Tabouret an ihrer Seite. Er ließ die seidenen Sesselquasten mechanisch durch seine Finger gleiten und neigte das schöne Haupt in den Nacken zurück, um seinen anerkannt unwiderstehlich schwärmerischen Blick voll auf dem reizenden Gesicht seines vis-à-visruhen zu lassen.

»So wollen Sie mir also eine Bitte erfüllen, Graf Lothar?« fragte Dagmar mit erhobener Stimme.

»Wie können Sie überhaupt daran zweifeln Baronesse,« entgegnete Lothars melodische Stimme fast vorwurfsvoll. »Sie wissen, daß Sie über mein Gut und Blut zu verfügen haben!«

» Eh bien! Nachher soll droben die alte Klosterruine bengalisch beleuchtet werden, mit Feuerwerk und dem gekrönten Namenszug des gräflich Echtersloh'schen Hauses, so viel ich weiß; – ist dem so?«

» C'est ça, meine Gnädigste.« –

»Nun, so hören Sie mich an, Graf. Ich habe eine herrliche Idee: Vernahmen Sie nicht, wie man vorhin Tante Leontine bestürmte, Aufschluß über die räthselhafte Spukgestalt des Irrgeistes zu geben? Sie schildert dieselbe als ein wunderholdes, ruhelos irrendes Weib, dessen Anblick den Herzensfrieden der Männer koste – ha ha ha! ich denke es mir außerordentlich amüsant, so etliche Krautjunker, wie Herrn von Boyen oder Monsieur de Eicher zitternd vor Angst, Neugierde und Liebe – das Hasenpanier ergreifen zu sehen, und darum kam mir folgende Idee: Wir beide stehlen uns jetzt heimlich zur Ruine – ich nehme ein weißes Laken und einen wallenden Schleier mit, Sie sorgen für die spukhafte Feuerflamme, welche mittelst einer jener hundert Pechfackeln von der Mauerdekoration hergestellt wird, und in dem Moment, wo der Name Echtersloh erlischt, erscheine ich droben auf der Ruine in dem zweiten Bogenfenster, oder besser noch, ich versuche über die Mauerreste hinweg zu schreiten, als weiße schemenhafte Gestalt, welche in dem grellen Licht doppelt schauerlich aussehen wird!«

»Bravo! ausgezeichnete Idee!« jubelte Lothar ungestüm aufspringend, »ich helfe Ihnen, Dagmar, wenn ich jetzt Ihre kleinen Hände küssen darf!« Und schon hatte er sich geneigt, um seinen Worten die That folgen zu lassen. Sie litt es mit schnellem Lächeln, dann erhob sie sich gleichfalls.

»So lassen Sie uns unbemerkt zu entkommen suchen, Graf, ich vertraue mich Ihrem ritterlichen Schutze an!«

Er legte ihre Hand auf seinen Arm und neigte sich tief zu ihr nieder. »Sie werden beschützt sein, Baronesse,« flüsterte er. »Wehe irdischer und überirdischer Macht, welche es wagen wollte, diese kleine Hand aus der Meinen zu reißen, – ich habe Ihnen viel, sehr viel in der einsamen Ruine droben zu sagen!«

Einen Augenblick schien Dagmars Fuß zurückzuschrecken, als sei die Schwelle, welche sie überschreiten solle, feuriges Eisen, und der schwarze Schatten, welcher vor ihren Augen wogte, wuchs zu einer hohen, stolzen Männergestalt, welche sich mit finsterem Blick, stumm und drohend vor diese Schwelle drängte.

Lächerlich, was wollte er, dieser seltsame, unheimliche Gesell, welcher starr und zäh wie ein ungefüger Eichstamm den schönen Händen trotzte, deren eigensinniges Spiel es nun einmal war, alles, was da hoch und stolz war, in den Staub vor ihre Füße niederzubeugen?

Sie warf in finsterm Trotz das Haupt zurück, und schritt gelassen an Lothars Arm durch die Thür. Einige Minuten später löste sich eine dunkle Gestalt aus dem buschigen Laub der Terrasse.

Desider schritt eilig über die ausgetretenen Mosaiksterne des Estrichs, blieb einen Augenblick wie in schwerem Kampfe an dem Kreuzweg der Parkanlagen stehen und ließ den Blick über die strahlende Schloßfront gleiten. Dann wandte er sich kurz entschlossen zur Seite und verfolgte den dunkeln Weg, welcher durch die Gitterthüre zu dem Kiosk führt.

Droben in den Klosterruinen herrschte reges Leben. Die Arbeiter waren soeben dabei, die letzte Hand an die Vorbereitungen der Illumination zu legen, und die Leitern parat zu stellen, mittelst welcher die Buntfeuer und der Namenszug auf dem hohen Gemäuer entzündet werden sollten. Dagmar schritt an Lothars Arm über das knirschende Geröll, die duftige Schleppe über den Arm geschlagen und sorgfältig die ebensten Steine für die weißen Atlasschuhchen aussuchend. Den Schleier hatte sie bereits schützend über das lockige Haar geschlungen, während der junge Mann an ihrer Seite das weiße Damasttuch der Gespenstertoilette trug.

»Wir sind etwas früh gekommen, Baronesse!« sagte er mit schnellem Umblick, »man arbeitet noch an den Arrangements und ist im Stande, uns Mörtel und Kalk in die Augen zu streuen! Tant mieux, so werden wir uns für die kurze Zeit in den Kreuzgang zurückziehen und den edlen Handwerkern nicht zürnen, wenn sie uns in diesem reizenden Idyll etwas warten lassen!«

Mechanisch folgte ihm Dagmar über die moosigen Fliesen und setzte sich mit nachdenklichem Umblick auf einen der gestürzten Säulenrümpfe; etliche Schritte zur Seite brannte eine Pechfackel und warf ihr rothes Licht über die Grabsteinbilder des Erdbodens, entfernter am Gemäuer versuchten zwei Arbeiter in das Bogenfenster zu klettern, um zwei bengalische Flammen darin zu befestigen.

»Sehen Sie, jenes Fenster hatte ich in Gedanken, Graf!« rief Dagmar mit lebhaft erhobener Hand, »aber eben sehe ich, daß der Erdwall von hier aus bis fast an die höchsten Mauerspitzen ragt, welche von der westlichen Seite, also dem Gesichtspunkte des Publikums aus, wie senkrecht, schwindelndhohe Ruinen emporragen! Lassen Sie mich versuchen da oben zu gehen! Der Effekt wird außerordentlich sein, denn von drunten wird es aussehen, als schwebte ich in der Luft über dem haltlosen Gestein!« und Fräulein von der Ropp erhob sich eifrig, um mit leichten Schritten den Trümmerwall emporzusteigen. Graf Lothar blieb an ihrer Seite. Gewandt und mühelos sprang er von Stein zu Stein, die junge Dame mit einer Sicherheit stützend und nach sich ziehend, als schreite er auf ebenstem Parquet. Seine schlanke Gestalt konnte wohl niemals vortheilhafter zur Geltung kommen, als im Einklang dieser geschmeidigen Bewegungen, welche ihm, vereint mit dem leichten Windhauch, die dunkeln Haarwellen tiefer auf die weiße Stirne senkten. Dagmars Blick haftete sinnend an diesen schönen Zügen, aus welchen ihr just dieselben dunkel feurigen Augen entgegen leuchteten, welche sie so oft träumend im Antlitz ihres Ideals gesehen – und dennoch tauchten neben diesen blitzenden Sternen zwei andere Augen empor, tief ernst und blau, flammend in stolzem Zorn – welch' eine dämonische Gewalt drängt ihr denn stets das Bild dieses gehaßten Mannes neben die sonnige Erscheinung des Bruders? – Lothar ist der helle, wolkenlose Sommerhimmel, dessen lachende Sonnenstrahlen die Rosen aus der Knospe küssen, Desider aber ist die düstere Gewitterwolke, deren Schatten sich erdrückend darüber wirft, deren gewaltiger Majestät die Sonne weichen muß, und deren Blitz die Rose unbarmherzig niederschlägt.

Sie schritten probend über das wankende Gestein, umflossen von silbernem Mondlicht. Der Wind strich um die Ruine und spielte mit Dagmars flatterndem Schleier, fröstelnd zog sie ihn fester um sich her.

»Es geht prächtig, unser Streich wird ein Meisterwerk,« sagte sie hastig, »davon werden die aristokratischen Spießbürger noch lange reden! Aber es ist kühl hier oben, kehren wir um!«

Langsam schritten sie zurück, es war kein weiter Weg. Lothar schloß den Arm des jungen Mädchens fester an sich, ja er legte den seinen sogar schirmend um ihre schlanke Gestalt, als das lose Erdreich unter den kleinen Füßen nachgab.

»Unbesorgt, Fräulein Dagmar, ich halte Sie fest und sicher!« sagte er mit wundersam erregter Stimme, »und so wie ich Sie jetzt über die versunkene Pracht Casgamalas leite, so möchte ich Sie wohl fortan immer führen, durch das ganze Leben.

Sie waren drunten im Kreuzgang angekommen, rother Fackelschein zuckte über Dagmars bleiches Gesicht. »Die versunkene Pracht Casgamalas!« wiederholte sie ausweichend, »wie viel Glück und Herzeleid mag unter diesen grauen Steinen begraben liegen!« Sie zog ihre Hand nicht aus der seinen, es lag wie eine dumpfe Resignation in ihrer Haltung, welche sich bewußt ist, daß es einmal doch so kommen muß, früher oder später.

»Und wie nun, Dagmar, wenn dieses Glück urplötzlich wieder aus allen Fugen und Ritzen empor flammte, überschüttend mit seinem süßen Zauber die zwei jungen Herzen, deren Geheimniß so heilig gehütet wurde, bis das zaubermächtigste Wort des Weltalls seine Siegel löst, in dem innigen, heißen Geständnis; – ich habe Dich so lieb!?«

Der junge Offizier hat ihre beiden Hände gefaßt: tief zu ihr geneigt wiederholte er mit brennendem Blick in das gesenkte Antlitz, flüsternd, flehend leidenschaftlich: »Ich habe Dich so lieb!«

»Und wenn diese todten Steine auch ihr Glück neidlos über uns ergießen wollten, würde er es sich denn so willig entreißen lassen, er, der das größte Anrecht darauf hat, der Irrgeist von Casgamala?«

Dagmar versuchte mit bleichen Lippen zu scherzen, aber kaum war ihnen der unheimliche Name entschlüpft, als sie mit gellendem Schrei des Entsetzens und mit angstvoll erhobenen Händen gegen das graue Gemäuer zurücktaumelte.

Auch Lothar wich mit jähem Laut der Ueberraschung zur Seite, stieren Blickes in das grelle Licht starrend, dessen plötzliches Aufblitzen ihn blendete und seine Glieder erbeben ließ.

Wie hervorgezaubert aus dem grauen Gestein tauchte, nur wenige Schritte von ihnen entfernt, das unheimliche Wahrzeichen des Irrgeistes empor, scharfes, weiß blendendes Licht. Es war unmöglich, die Konturen einer Flamme zu unterscheiden, und dennoch verharrte das Licht regungslos auf einem Punkte, um den ganzen Kreuzgang für einige Sekunden tageshell zu beleuchten. Gespenstisch traten die alten Mönchsbilder aus ihren Nischen hervor, jäh aufgeschreckt flatterten zwei Käuzchen schreiend aus den Mauerrissen; dann war es vorbei, tiefe schwarze Nacht deckte momentan die Ruine, bis sich das Auge allmählich wieder an das matte Fackellicht gewöhnte.

»Tod und Teufel – kommen Sie zu sich, Dagmar – ein infames Possenspiel, aber frappirend, bei Gott – stützen Sie sich auf meinen Arm, ich werde Sie hinab zum Schloß führen!« stotterte Lothar hastig, neigte sich zu ihr nieder und flüsterte mit schnellem Umblick: »Sagen Sie nichts, es ist sonst keine Seele mehr hier zu halten, das Volk ist abergläubisch bis zum Wahnwitz!«

Dagmar richtete sich langsam, schwerathmend auf, ihre großen, weitgeöffneten Augen schweiften glanzlos über die zerfallenen Mauern, nicht angstvoll, sondern todternst, wie über dem ganzen Antlitz eine fast starre Ruhe lag.

»Der Irrgeist von Casgamala!« sagte sie tonlos, »sein Licht glüht noch durch meine Seele, klar, gewaltig, zauberhaft, ich fürchte mich nicht, Graf Lothar! Warum wollen Sie so hastig fort? Lassen Sie mich erst völlig sehen, damit ich völlig glauben kann, überzeugen Sie mich, daß es nicht Menschenwerk, sondern ein Strahl aus jener Welt des Lichtes war, dessen Riegel nur Geisterhände lösen können!« Und Dagmar wandte den Kopf nach dem schmalen Kiesweg, welchen soeben wieder einige Arbeiter empor stiegen. »Rufen Sie die Leute herzu, Graf, wir wollen den Kreuzgang durchsuchen.

Lothar blickte zweifelnd in das Antlitz der Sprechenden, welches urplötzlich so ganz verwandelt, stolz entschlossen zu ihm aufschaute. »Wie Sie wünschen, Dagmar!« Dann rief er mit kurzem Befehl die Männer herzu.

»Ich habe mein Armband hier in der Ruine verloren, leuchten Sie mit einer Fackel voran und lassen Sie uns suchen!« bat Fräulein von der Ropp, und diensteifrig hoben sich sofort zwei nervige Fäuste, um die nächste Fackel aus dem Gestein zu lösen.

»Hierher, lassen Sie uns durch die Grabsteine gehen; wollen Sie uns nicht begleiten, Graf?«

Lothar biß sich auf die Lippe, er zauderte. »Ich halte Ihr Beginnen für nutzlos, Dagmar, lassen Sie uns morgen bei Tage hergehen! Der Fackelschein ist so unsicher und das Gemäuer ringsum, namentlich nach jener Seite zu, sehr gebrechlich.«

»Ich fürchte mich nicht!« wiederholte die junge Dame mit durchdringendem Blick; es war, als spiele plötzlich ein leises, ironisches Lächeln um die schmalen Lippen, »lassen Sie mich getrost allein gehen und erfüllen Sie während dessen Ihre Pflichten, die Gäste hier an dem Thor zu erwarten, in fünf Minuten bin ich wieder zurück,« und sie wandte sich hastig um und trat zu dem Arbeiter, welcher bereits zu dem ersten Steinbild geschritten war.

»Welche Zumuthung, Baronesse, ich verlasse Sie nicht,« und mit unmuthigem Achselzucken folgte er der jungen Dame, welche geneigten Hauptes den Grabstein umschritt und aufmerksam jede leiseste Spur auf dem Erdboden beobachtete.

»Hier war es,« murmelte sie, »und kein Stäubchen zeugt von einem menschlichen Fuß, welcher zur Seite mindestens die Halme geknickt haben würde – gehen wir weiter!«

Sie fühlte einen eisigen Schauer durch ihr Herz wehen, das rothe Fackellicht tanzte gespenstisch aus dem Steinboden und der Wind sauste durch die geborstene Rückwand des Ganges, um kühl über ihre Stirn zu streichen. Lothar hämmerte mit dem Stiefelabsatz unwirsch gegen den bröckelnden Marmor der Pfeiler. »Hier endet der Weg. Rechts die kahlen, hochaufsteigenden Wände der ehemaligen Sacristei, links eine niedere Mauer, welche schwindelnden Abgrund begrenzt, leuchten Sie über die Brüstung, tief und schwarz, da klimmt kein Mensch hinab!«

»Das gnädige Fräulein glauben, das Armband sei etwa gestohlen?«

»Mir schien es vorhin, als hätte ich Schritte hinter mir gehört.«

Der alte Arbeiter schüttelte versichernd den grauen Kopf.

»Das ist unmöglich, Fräulein, von hier aus kann selbst keine Katze in den Kreuzgang, und seit heute Nachmittag schon arbeite ich mit dem Friedel an dem Namensschild über dem Thor, da ist keine Seele hier herein geschlichen, müßte uns sonst auch soeben begegnet sein, wir kommen ja vom Ausgang her!«

»Sie haben Recht, Alter, ich täusche mich wohl. Nun, so muß es heute dabei bewenden, möglich auch, daß ich die Spange drunten im Garten verlor!« Und Dagmar wandte sich zurück und schritt, in tiefes Sinnen verloren, über das moosige Gestein. – Dann zog sie langsam den Schleier von dem Kopf: »Der Irrgeist wartet selber seines Amtes, Graf Echtersloh, ich denke unsere Komödie ist überflüssig.« –

—————

Die Mehrzahl der Gäste war abgefahren, nur einzelne Herren und die Husarenoffiziere blieben noch in dem Rauchzimmer bei dem Schlummerpunsch zusammen. Dagmar stand droben in ihrem Zimmer und löste mechanisch den Kranz aus ihrem Haar, ein hoher Spiegel warf ihre strahlende Gestalt zurück und zeigte ihr ein bleiches, sinnendes Antlitz. War sie es wirklich? Noch zuckte ein grelles Licht vor ihren Augen. Zittern schüttelte ihre Glieder und ließ ihren Herzschlag stocken. Ja, sie hatte den Irrgeist gesehen und sein Blitz hatte sie ins Herz getroffen, sein unheimlicher Zauber sie ergriffen, das Unheil heftete sich von nun an an ihre Sohlen und – ja, war es denn nicht schon über sie hereingebrochen? Ihr Glück war vernichtet, wie ein zweischneidiges Schwert war die Flamme des Irrgeistes zwischen zwei Herzen gezückt, um die Bande zu zerschmettern, welche sie soeben für Zeit und Leben verbinden sollte – und nicht genug mit dem, es schien, als habe das grelle Licht einen Schleier von ihren Augen gezogen, um ihr plötzlich die Gestalt des erwählten Mannes in nüchterner Wahrheit zu zeigen. Der Zauber seiner Schönheit war mit der Leichenblässe kindischer Furcht entschwunden, und als er mit finsterem Blick des Mißmuthes ihr dennoch folgte, stumm, grollend, unfähig seine Verstimmung zu bemeistern, da zerriß es wie ein Nebelbild vor Dagmars Seele, und sie wußte, daß ihr Ideal für ewige Zeit zersplittert war. Unwillkürlich dachte sie sich Desider an seine Stelle. Diese gewaltige Brust würde nicht vor dem Wahrzeichen seines Hauses zurückgeschreckt sein, sein Fuß hätte kein unsicheres Gestein gefürchtet, seine Hand hätte die ihre nicht launisch freigegeben – Desider! – sie will ja nicht an ihn denken, nein, sie will's nicht. –

Da klopft es leise an der Thür. Dagmar schreckt aus ihren Träumen auf und lauscht. »Wer ist da?«

»Ich, Dolores, öffnen Sie!«

Der Klang der dumpfen Stimme weht wie Grabesluft durch das Herz des jungen Mädchens, zögernd tritt sie zur Thür und schiebt den Riegel bei Seite.

»Sie, Comtesse? Was um alles in der Welt führt Sie zur jetzigen Stunde zu mir

»Meine Menschenfreundlichkeit!« Die graue Gestalt steht in dem Thürrahmen, ein brennendes Licht in der Hand. »Nehmen Sie ein Tuch um und folgen Sie mir, ich will Sie noch in die Komödie führen!« Ein scharfes Lächeln läßt ihre Zähne aufleuchten, befehlerisch weist sie auf den Shawl über der Sessellehne.

Staunend gehorcht Dagmar. »In eine Komödie?« fragt sie schüchtern, »ich verstehe Sie nicht, Dolores!«

»Aber Sie werden verstehen lernen!« lächelt die seltsame Besucherin mit glimmendem Blick, »und hoffentlich noch mehr, als meine gute Absicht; kommen Sie, ich gedenke Ihnen eine rechte Freude zu bereiten!«

Sie wandte sich und schritt lautlos über den langen Corridor voran. »So muß der Irrgeist aussehen,« dachte Dagmar unwillkürlich. Durch eine Reihe unbekannter Zimmer führte sie die Comtesse, dann ging es ein paar Stufen hinab, sie standen im engen, lichtlosen Alkoven. – Dolores wandte sich zurück.

»Stille jetzt, gehen Sie auf den Zehen – und keinen Laut mehr!« befahl sie kurz.

Ein jähes Grauen schnürte Dagmars Kehle zusammen, sie nickte nur stumm und regte sich nicht.

Comtesse Echtersloh trat an das dunkle Holzgetäfel und sah einen Augenblick spähend darüber hin, dann drückte sie leicht gegen einen Nagelknopf, und lautlos wichen die schweren Nußbaumquadrate zurück, um einen schmalen Spalt frei zu geben. Laute, verworrene Stimmen schallten ihnen entgegen. Gläserklirren und übermüthiges Gelächter.

Dolores schob die Holztafeln behutsam noch weiter zurück, glitt leise durch die geheimnißvolle Thür und winkte Fräulein von der Ropp zu folgen.

Klopfenden Herzens betrat Dagmar einen ganz schmalen, niederen Tapetengang, welcher nach beiden Seiten eine lange Flucht von Zimmern begrenzen mußte, fast erschreckend nahe klang der wüste Lärm vor ihnen. Dolores faßte ihre Hand und zog das junge Mädchen vor ein offenes Astloch, welches den freien Blick in ein Zimmer gewährte. Ein sardonisches Lächeln spielte um ihre blassen Lippen, und sich dicht zu Dagmars Ohr neigend, flüsterte sie: »Nun sehen Sie sich einmal Ihren zukünftigen Herrn Gatten ohne Maske an!«

Athemlos starrte Dagmar in das ihr wohlbekannte Büffetzimmer, in dessen Mitte ein großer Tisch gerückt war, um welchen die jungen Herren in außerordentlich animirter Stimmung lagerten. Karten, Gold und Banknoten bedeckten die Platte, und Graf Lothar, die qualmende Cigarre zwischen den Lippen, saß obenan und leitete das Spiel. Sein Gesicht war dunkelgeröthet, das Haar hing ihm wirr und feucht tief in die Stirn; er lachte laut und unbändig, und die Augen flackerten wie im Fieber. Ein Zug der leidenschaftlichsten Zügellosigkeit entstellte das Gesicht, und die ganze Art und Weise seines Trinkens, Spielens und Fluchens trug das Gepräge außerordentlicher Rohheit, Graf Lothar fühlte den hitzigen Wein in seinen Adern glühen. Ihm zur Seite saß der englische Gutsbesitzer Charles Reginald Dickens, eine korpulente, biederbe Fallstafffigur mit breitknochigem Gesicht und strotzendem Geldbeutel, »C. R. Dickens« stand auf seinen Visitenkarten.

Lothar hatte gewonnen, er leerte sein Glas bis auf den Grund, neigte sich zur Seite und schlug den Engländer cordial klatschend auf den breiten Rücken. »Sie sind ein ganz verfluchter Kerl, mein guter C. R. Dickens!« lachte er übermüthig, »aber ein Lump, wenn Sie jetzt nicht den doppelten Einsatz wagen! Herr C. R. Dickens ist ein Gentleman, messieurs, und darum wollen wir ihn auch in corpore Mister »C. R. Dickens« nennen, damit er doch etwas vor seinen Namen bekommt, ha ha ha – ich bin nicht an so kahle Titel gewöhnt, mein edler C. R. Dickens, und nun schießen Sie los, Clavigo – 500 Mark auf die Coeurdame – hazard – pour vous – pour moi

» All right – auf 500 Mark – ich gehe los!« und Mister Dickens verzog keine Miene.

» Pour vous – pour moi – pour vous – diantre!« und Lothars Züge verzerrten sich zu gewaltsamen Grinsen – »die Coeurdame verläßt mich – hol sie der Geier!«

C. R. Dickens strich gelassen sein Geld ein, ein Goldstück glitt durch seine Finger und rollte auf den Fußboden, er beugte sich, um es aufzuheben.

»Ha ha ha!« schrie Lothar überlaut, »der Gentleman sucht seine Heller zusammen, attention, meine Herren, es ist Cavalierspflicht ihm zu solcher Arbeit zu leuchten!« Und mit frivolem Lachen griff er zu einem Hundertmarkschein, rollte ihn zusammen und entzündete ihn gleich einem Fidibus am offenen Licht. – »Gestatten Sie, mein wackerer C. R. Dickens, daß ich Ihre Mühe unterstütze?«

Brüllendes Gelächter der Anwesenden begleitete diese letzten Worte; aus einer Fensternische aber trat lautlos eine hohe, schwarze Gestalt, ein Blick maßloser Verachtung flammte auf den Bruder herab, dann wandte sich Desider und schritt unbemerkt aus dem Zimmer. Auch Dagmar wich mit farblosen Wangen von ihrem Lauscherposten zurück, ihr blitzender Blick traf das Antlitz der Comtesse, welche mit gekreuzten Armen regungslos an der Thürspalte lehnte. Sie trat in den Alkoven zurück, und Fräulein von der Ropp folgte wankenden Schritts.

»Nun? – Gefällt er Ihnen?« lächelten die schmalen Lippen triumphirend. »Ein nettes Früchtchen, nicht wahr? Und was man noch zu solchem Betragen wissen muß, um es erst völlig würdigen zu können,« fuhr sie leiser, voll unsagbaren Hohnes fort, »mein Herr Bruder zehrt jetzt schon von der reichen Mitgift seiner dereinstigen Frau. Denn er selber, Fräulein von der Ropp, nennt nichts mehr auf der Welt sein eigen, als den Leichtsinn und die Schuldscheine, welche bereits den letzten Heller seines Vermögens verschlungen haben und welchem, mit Hilfe der Frau Mutter, auch dasjenige seiner Schwestern gefolgt ist, gleichviel, ob ihr Glück darüber zu Grunde ging!« Dolores athmete tief auf, ein wildes Feuer glühte in ihrem Auge, dann war es, als streife eine kühle Hand über ihr Gesicht. »Und nun kommen Sie, Kleine, Sie werden mit einer schlaflosen Nacht die Ruhe Ihres ganzen Lebens erkaufen.«

Wie ein Wirbel brauste es durch Dagmars Seele, fast ungestüm griff sie nach beiden Händen der Comtesse und preßte sie leidenschaftlich in den ihren. »Dolores, warum wüthest Du so unnatürlich gegen Dein eigen Fleisch und Blut? Auch Du bist eine Echtersloh –«

»Die keinen Tropfen dieses Blutes jemals verleugnen wird! Eine Echtersloh, Dagmar, ja, die bin ich, Lothar aber und die Mutter sind die giftigen Parasiten, welche den stolzen Stammbaum unseres Hauses zu verderben drohen! Noch blüht ein markiger Zweig dieser Eiche, lauter und treu und ungefälschten Blutes, er ist die letzte Hoffnung meines Hauses und auch ihn umstricken schon die vernichtenden Fäden schmarotzerischer Falschheit. Und gerade darum, Dagmar, weil ich mit Leib und Seele eine Echtersloh bin, darum zerschlage ich die Wurzeln jenes Genistes und opfere sie dem edlen Zweige unseres Geschlechts!«

Dolores stand hoch und frei vor dem jungen Mädchen, eiserne Entschlossenheit leuchtete von der klaren Stirne, und veredelt in stolzer Begeisterung, war es wundersam, welche Aehnlichkeit mit Desider plötzlich aus diesem Antlitz sprach.

Mit glänzenden Augen schaute Dagmar zu ihr empor, unbewußt fast, einer jähen Eingebung folgend, zog sie die schmalen Finger der Comtesse an die Lippen und flüsterte mit stockendem Herzschlag: »Ja, Dolores – hilf ihm – schütze Du den echten Stamm der Echtersloh!«


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