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15.

»Du sprichst von Zeiten, die vergangen sind!«

Schiller

Ich bin eine Fremde hier, eine Spanierin; man nennt mich Casga-Mala. In Granada war ich jung, in Cadix glücklich. Man sagt, ich sei schön gewesen, nannte mich »die Gebenedeite« und klatschte mir jubelnden Beifall, wenn ich sang und tanzte. Wer mein Ahnherr gewesen, weiß ich nicht. Bredjje, das braune Weib mit dem rothen Kopftuch und den klingenden Münzketten zog mit mir durchs Land, sie diente mir wie einer Prinzessin, sie stachelte meinen Eigensinn, sie nickte zu meinen tollen Streichen. »Täubchen,« sagte sie zu mir, wenn wir auf irrer Wanderschaft in alter Ruine rasteten, »schau Dich um, dies alles ist Dein! Dieser Estrich hat das Blut Deiner Ahnen getrunken, diese Wände haben unter ihrem gewaltigen Wort gezittert, diese Gräber haben ihr Gebein und ihr Gedächtniß verschlungen! Was aber blieb von den Mächtigen der Welt? Selbst der Staub nicht, den ihr Fuß zertreten!« Und sie legte mir den rostigen Brunnenreif um die Stirn, rollte mir bröckelnden Marmor unter die Füße und neigte sich vor meiner Majestät. Wer war ich? Ich wußte es nicht. Ein Lied aber sang sie mir stets, zum Schlaf, zum Tanz, zum Trost, sie kannte wohl kein anderes. Es sprach von der alten Pracht der Maurenfürsten, von Liebe, Noth und Tod des Ebn Serradsch, des kühnen Abencerragen, dessen Blut geflossen und dessen Kinder bettelnd durch ihr eigen Land ziehen.

Ich war eine Heidin, ich spottete der Christengötter, ich brauchte keine Religion, denn ich war glücklich. Da kam ich nach Granada und besiegelte mein Verhängniß. Ich kannte ihn nicht, den finstern Fremdling, dessen Blick mich wie ein böser Dämon verfolgte, ich fürchtete ihn, ich floh seine Nähe. Groß war er, hoch und stolz, seine Sprache klang wie Wettergrollen und in seinem Auge blitzte es von Stolz und Leidenschaft, er war ein Graf von Echtersloh. Aber wunderbar, ich bebte wenn er kam, und ich weinte, wenn er ging, ich lachte nicht mehr, sondern seufzte, ich wollte ihn hassen und liebte ihn. Ich ward sein Weib. Glücklich war ich, kurze Zeit so glücklich, wie ich nachher lange, bange Jahre zu Tode unglücklich ward. Er führte mich fort durch weites, fremdes Land nach seiner deutschen Heimat, hierher, wo es so kalt und öde war, so grabesstill und traurig, kein Lied, kein Sang, nur hohe, trotzige Mauern, welche mich wie ein Grab umschlossen und mir das Lächeln von den Lippen streiften. Wie ein gefangener Vogel saß ich bleich und scheu in der Burg, einsam, wenn Ruppertus auf seinen Jagdzügen Tage lang fern blieb, und fremd und unverstanden, wenn prunkende Gäste bei uns vorsprachen. Ruppert liebte mich. Wer kann den seltenen Mann beschreiben? Eine Thräne in meinem Auge ließ ihn zittern und um ein Lächeln von mir hätte er wohl sein Herzblut gegeben, wäre es gefordert worden; aber dabei war er wild und ungefüg' wie das tolle Bergwasser, leidenschaftlich bis zur Raserei und mild und gut wie ein schuldlos Kinderherz; ihn sollte ich lieben, ihn allein auf Gottes Welt und er wird den Staub vor meinen Füßen küssen! Groß und selbstlos war seine Liebe! Mit unsagbarer Mühe ließ er mir den orientalischen Garten und den Kiosk bauen, er streute das Geld mit vollen Händen aus, um das Schönste und Herrlichste für mich zu erlangen, Unsummen verschwendete er, um hier auf dem deutschen Bergriesen ein süßes Märchenland spanischer Herrlichkeit erblühen zu lassen. Murmelnde Wasser und blühende Haine, Rosen und Myrthen, weiße Steinbilder und lauschige Grotten, und ich war die Königin dieses Paradieses, lächelnd vor seinen Augen und vergehend vor Jammer und Heimweh in meiner Einsamkeit. Meine treue Bredjje war gestorben; ich war ganz allein. Mein Gatte verschloß mich in die Einsamkeit des Kiosks, wahnsinnige Eifersucht vergiftete sein Herz, seitdem ich angefangen hatte, die deutsche Sprache zu erlernen und mich nach dem Umgang heiterer Menschen sehnte: er hatte mir ein Paradies geschaffen, um es zu einer Hölle qualvollster Verlassenheit zu gestalten. Ich ward Mutter eines Sohnes, und noch einmal schien des Glückes strahlende Sonne über meinem Haupte zu stehen, Ruppertus' ganze, heiße Liebe schüttete ihr Füllhorn der Seligkeit über Mutter und Kind, nichts trübte mehr unser Glück, als jener eine Umstand: daß ich noch Heidin war. Dicht bei dem Schlosse, welches mein Gatte mir zur Ehre Casga-Mala genannt hatte, stand seitwärts am östlichen Bergabhang ein Kloster. Innige Freundschaft verband die Grafen Echtersloh mit seinen frommen Brüdern, und es war von altersher bestimmt, daß der jüngste Sohn des Hauses, falls mehrere Grafen auf der Burg geboren wurden, die Rüstung mit der Kutte tauschte, um als Prior des Klosters die weltliche Macht seiner Familie durch den allgewaltigen Segen des Kreuzes aufs energischste zu unterstützen. In jenes Kloster ritt nun mein Gemahl hinauf und bat die geistlichen Herren um ihren Beistand, seiner reumüthigen Gemahlin die Pforten ewiger Seligkeit zu erschließen und sie nach vorangegangener Taufe in den Bund der allein seligmachenden Kirche aufzunehmen. Lange schon bestand zwischen Burg und Kloster ein geheimer, unterirdischer Gang, welcher oftmals die Spitzen der Kirche und Ritterschaft zu wichtiger Berathung in Kriegszeiten vereinigt hatte; jetzt nun wurde dieses Gewölbe bei nächtlicher Weile dem Kiosk zugänglich gemacht und seine düsteren Steinstufen empor schritt die hohe Gestalt des Priors, gefolgt von einem Priester, welcher von nun an mein Lehrer in der christlichen Religion sein sollte. Er war ein schlanker junger Mann, dieser Pater Benedictus, mit flammend schwarzen Augen, welche ernst und tief durchgeistet aus den bleichen Zügen schauten, glühender Fanatismus malte sich darin, und wenn er die schmalen Lippen zur Rede öffnete, so klang es wie leises, harmonisches Säuseln, anwachsend zu Sturm und Brausen gipfelnd in dem Donner gewaltigster Kraft und Ueberzeugung. Mein Mann ritt wieder viel in die Wälder hinaus, der heiße Sommerhimmel glühte über Casgamala und ich war einsamer denn je. Tiefe, haltlose Sehnsucht übermannte mich und fraß in heimlichem Gram an meinem Herzen. Ruppertus aber schaute finster auf meine bleichen Wangen und glaubte es nicht, daß nur meinem fernen Heimatlande die Thränen galten, welche heimlich ihre Furchen hineingegraben.

Da begab sich ein seltsames Wunder. Zum Andenken an den unvergeßlichen Zauber der Alhambra hatte ich am Tage meines Scheidens einen Rosenzweig in ihrem mondhellen Garten gebrochen, pflanzte ihn sorgsam in einen kleinen Scherben, und meine treue Bredjje wartete und pflegte ihn, als trüge sie mit diesem schlanken Reislein die ganze Pracht und Herrlichkeit Hispaniens in meine neue Heimat. Vor dem Kiosk, neben murmelnden Wassern hatten wir das Stämmchen eingesenkt und nun trieb und keimte es empor, entfaltete Blätter und Zweige zu stolzer Krone, aber keine einzige Knospe schaute daraus hervor, die Rose blühte nicht. Bredjje war todt, mein Sohn geboren, und plötzlich brach eine schwellende Knospe aus dem dunkeln Laub, purpurrot durchleuchtet, die erste und die einzige am ganzen Stamm. Ruppertus hielt mich in seinem Arm und blickte lächelnd darauf hernieder. »Und was wird mein süßes Weib mit dieser Zauberblüte beginnen?« fragte er. Ich blickte voll zu ihm auf: »Demjenigen Wesen, welches mir das Liebste, das Höchste und Herrlichste auf dieser Welt sein wird, soll diese Rose geopfert sein!« sprach ich feierlich. Da küßte er mich und schwieg, aber in seinem Auge glühte es seltsam und meine Hand schmerzte mich, so leidenschaftlich preßte er sie in der seinen. Pater Benedictus kam oft, er dehnte seine Lehrstunden weit über die Zeit hinaus, und wenn er vor mir unter den blühenden Büschen, oder am hohen, enthüllten Fenster des Kiosks saß, mir in gewaltigen, in süßen und wunderseligen Worten das Heil der ewigen Seligkeit verkündete, dann faltete ich wohl mit feuchten Augen die Hände, drückte das Gesicht tief in die Polster meines Ruhelagers und lauschte dem Klang seiner Stimme, wie eine wonnige Verheißung, welche: »Frieden! Frieden! Frieden!« in unsere schmerzzerrissene Seele flüstert. Oft war Ruppertus alsdann zwischen uns getreten, plötzlich, unerwartet, mit gekreuzten Armen und loderndem Blick. – Die Purpurrose brach auf, voll, glühend, duftberauschend, schön wie keine zweite Blüte im weiten Rund; an demselben Tage kniete ich vor dem gekreuzigten Heiland, preßte meine Lippen auf die Rechte des Mönches und bekannte mit brennender Seele: »Ja, ich glaube!« Benedictus aber war bleicher denn je, legte seine zitternde Hand auf mein Haupt und segnete mich als junge Christin, welcher noch heute das geweihte Wasser die reine Stirn küssen sollte.

» Sancta Maria,! Mater Dei! ora pro nobis peccatoribus, nunc, et in hora mortis nostrae! Dominus tecum, amen!« sprach er mit seiner ruhigen, klaren Stimme, und wie im Traume erhob ich mich, meine Seele war so licht und glückerfüllt wie nie zuvor; zum Himmel auf fühlte ich mich gehoben durch zauberische Gewalt, und mein ganzes Wesen und Sein war zerschmolzen in zitternder Erkenntniß höchster Vollendung und göttlicher Vollkommenheit. »Ja, Maria, Du reine Magd, Du gnadenerfüllte Mutter des Heiles, Du bist es, zu der mein Herz verlangt, Du bist es die ich liebe, wie nichts auf dieser armseligen Welt, darum nimm es hin, das theuerste Kleinod, welches ich rein und makellos in Deine Hände legen kann, meine Rose!« Und ehe Benedictus mir folgen konnte, war ich hinausgeeilt, brach meine Rose, drückte sie heiß und inbrünstig an meine Lippen: »Erflehe mir Liebe, Glück und Segen für die Meinen!« Ich wandte mich zurück, reichte sie dem Mönch und sprach: »Hier nimm mein Liebstes was ich habe, und leg' es droben an dem Altare der Maria nieder!« Benedictus ging, er trug die Rose in der Hand. Noch kniee ich betend neben der Wiege meines Kindes, da dringt ein Schrei an mein Ohr, ein leiser, furchtbarer Schrei.

Ich will kurz sein, helfe mir Gott! Draußen liegt Benedictus von dem Degen meines Gatten durchbohrt, die rothe Rose trinkt sein Herzblut, bis sie die Füße meines Gatten in dem Staub zermalmen, mein Herzschlag steht still, ich sehe nur feurige, fratzenhafte Zeichen durch die Luft tanzen. » Ave Maria, getaufte Närrin Du! Da, sieh den Christenglauben, der seine Eifersucht im Blut der Priester kühlt!« zischt und dröhnt es mir vor den Ohren, ein furchtbarer Schmerz will Leib und Seele auseinanderreißen, und dann wird's schwarz, ganz schwarz um mich her. Meine Enkelkinder haben mir jetzt gesagt, seit jener Stunde sei ich ein geisteskrankes Weib gewesen; sie lügen, ich weiß es besser. Ein Weib war ich, dessen Glaube, dessen Liebe von blutigen Wellen verschlungen war, dessen ganzes Dasein nur noch ein Wunsch und Athemzug beseelte, das fibernde Verlangen, zu rächen, zu hassen, wo ich erst so innig geliebt hatte. Es war eine stürmische, furchtbare Nacht. Der Wind sauste um den Schloßthurm und trieb schwarze Wolken vor den Mond, im Walde ächzte es wie Angst- und Sterbelieder. Ruppertus war auf der Jagd, er hatte die rebellischen Mönche besiegt, ihr Kloster war in Rauch und Flammen aufgegangen, was lag ihm an dem Bannfluch des Papstes? Casgamala war eine trutzige Veste, ein himmelhoher Markstein inmitten einer meilenweit öden dicht bewaldeten Gegend. Eine halbe Stunde von der Burg lag die Haide und in ihrer Mitte senkten sich jähe, klaftertiefe Steinbrüche hinab, aus welchen der Marmor des Kiosks gehauen war, darein hatte sich mancher Wanderer, manches Roß und Gefährt verloren, und darum hatte sich ein frommer Klausner an ihrem Rande angesiedelt, der hielt auf Kosten des Grafen ein Lichtlein aufgestellt, flackernden Kienspahn oder ein Kohlenfeuer, damit man es schon von ferne sah und einen Umweg nehmen konnte. Diese Brüche mußte mein Gemahl heute passiren. Leise schlich ich mich hinaus, furchtlos durch Nacht und Sturm, hin zu der Haide. Richtig, da brennt das Feuer! Lautlos schleiche ich näher, der rothe Flammenschein beleuchtet die zusammengesunkene Gestalt des Alten, er schläft! Meine Sinne wirbeln, der Teufel tobt in meinem Herzen. Behutsam raffe ich ein brennendes Holzscheit auf, dämme die übrigen Flammen aus, und jage in wilder Flucht mit meiner Fackel weit ab, jenseits zum Rand der Untiefe. Mit zitternden Händen, verblendet in hohnlachender Wuth, trage ich das trockene Reisig zusammen, an der gefährlichsten Stelle häufe ich es auf und entzünde ich es, hei! wie es grell durch die schwarze Nacht blitzt! Da klingt es: »Hussa!« von dem Walde drüben, ich presse die Hände gegen die Brust und fletsche in satanischem Lachen die Zähne gegen den Verhaßten. Pferdehufe klingen an mein Ohr, Lachen und Johlen, lautes Gekläff der Meute. Näher, immer näher kommen sie – ich schüre wild das Feuer auf, drüben am Rande des Abgrundes sehe ich meines Gatten Schimmel leuchten, allen voran. Da klingt ein lauter Schrei an mein Ohr, der Klausner erwacht und überblickt das Unheil: »Zurück!« schreit er auf – zu spät! schon schnauft es an ihm vorbei. »Tod und Teufel!« gellt es zu mir herüber, ein wildes Rollen, Aufschlagen und Dröhnen in die Tiefe, dann ist es still, todtenstill.

Von jenem Augenblicke an liegt es wie ein grauer Nebel über meinem Dasein, ich habe keine Erinnerung mehr an die Jahre, welche schattenhaft an mir vorüberzogen. Nur jener Stunde entsinne ich mich noch klar, jener furchtbaren Stunde, wo die zerschmetterte Leiche Ruppertus' durch das finstere Burgthor getragen wurde, wo ich mein Kind in wilder Leidenschaft an die Brust drückte und ihm scheu in das verständnißlose Ohr flüsterte: »Sein eigen Weib hat ihn in die Untiefe gelockt, sein eigen Weib hat sein theures Blut vergossen, und dennoch hat sie ihn so sehr geliebt!« Man wich mir aus in der Burg, und ich selber floh in verzehrender Angst den ernsten Blick der Menschen, unstät, rastlos wanderte ich durch die öden Gärten Casgamalas, ich hatte keine Thränen und Klagen, mein Herz war todt, meine Seele gemordet. Zwei Schwestern meines Mannes wurden geschickt, sich des verwaisten Knaben anzunehmen, und wenn ich jene schwarzen, hohen Frauengestalten an der Wiege meines Lieblings sah, dann floh ich zitternd zurück, hinab in die verwilderten Rosen und ich riß mit gellem Lachen ihre Blüten in den Staub und peitschte mich mit den Dornen blutig. Nur die Nacht war meine Freundin. Von ihrem schwarzen Schleier verborgen huschte ich an die Kissen meines Kindes, belauschte den Schlummer des Knaben, des heranwachsenden Jünglings, des Mannes! Dann aber, wenn ich mich an seinen lieben Zügen satt geschaut hatte, dann erwachte die wilde Sehnsucht nach Ruppertus in meinem Herzen, wirre Nebelbilder schwammen vor meinen Augen, ich hörte wieder den Sturm um das Schloß brausen, hörte die kläffende Meute des Geliebten im Hofe, und zitternd in namenloser Angst, sein geliebtes Leben zu retten, stürmte ich mit dem brennenden Licht in die Nacht hinaus, durch Park und Haide seinen Namen jammernd: »Zurück Ruppertus, zurück von den Steinbrüchen!«

Graf Desider ließ die Pergamente sinken. »Soweit ihre eigene Erzählung, zum Schluß folgt noch ein kurzer Nachtrag des Schreibers, Jordanus Desiderius, welcher die barmherzigen Seelen bittet, jenes unglückliche Weib nicht zu richten, sondern ein Vater-Unser für ihren Frieden zu sprechen, damit sie Ruhe im Grabe finden möge. Dies also war die Geschichte des Irrgeistes von Casgamala!«

»Und wem er erscheint, dem bringt seine rothe Feuerflamme nur Unheil und Noth?« fragte Dagmar ohne aufzuschauen.

Desider sah ernst in ihr bleiches Antlitz. »Man sagt es, gnädiges Fräulein,« entgegnete er mit schwerer Betonung, »darum haben wir uns vor ihm zu hüten, wollte er aber Ihnen erscheinen, auf deren Haupt er selber des Himmels Segen herabfleht, dann würde es nur zu Ihrem Heile sein, denn Ihnen lächelt des Irrgeistes Schutz!«


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