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2.

Und Nebelbilder steigen, wohl aus der Erd' hervor.
Und tanzen lust'gen Reigen in wunderlichem Chor,
Und blaue Funken brennen, an jedem Blatt und Reis,
Und rothe Lichter rennen, in irrem, wirrem Kreis.

Aus dem Lied: »Aus alten Märchen winkt es.«

Zum Teufel, Laubmann, man sieht nicht die Hand vor Augen in dieser Dunkelheit! Das ist ja ein Geholpere und Gestoße, als führen wir auf einer Wüste von Felsblöcken, anstatt auf königlicher Chaussee! Wo sind wir eigentlich? Ich glaube, Alter, überall anders, nur nicht auf dem richtigen Wege!«

»Auf dem Wege sind wir schon, Ew. Gnaden, aber 's geht hier halt ein bissel übers Geröll, eh' wir in die Haide kommen, und da ist's halt schon besser, ein bissel vorsichtig zu fahren, denn wenn man in solch' stockdunkler Nacht lustig drauf los kutschirt, dann könnt's halt ein bissel umkippen, Ew. Gnaden!«

Ein leiser Fluch war die Antwort, dann herrschte abermals Stille.

Erde und Himmel verschwammen im schwarzen Dunkel, kein Stern, kein Mondstrahl beleuchtete den Weg, nur die letzte, halb erloschene Laterne, welche Laubmann an die Deichselspitze des leichten Cabriolets gebunden hatte, warf hie und da einen unsichern Flackerschein über den tief ausgewaschenen Feldweg, dessen steinbesäete Furchen das Gefährt wie auf Meereswogen schwanken ließ. Zu beiden Seiten dehnte sich flache Ebene aus, sehr selten unterbrochen durch eine verwilderte Brombeerhecke, welche, wie ein schwarzer Klumpen, mit abenteuerlichsten Formen im Nebelmeer auftauchte.

Im Wagen blitzt ein Streichholz auf, eine weiße, ringgeschmückte Hand hebt es empor, um eine neue Cigarre in Brand zu stecken.

Es ist ein schönes Männergesicht, welches die rothe Flamme momentan beleuchtet. Ein schwarzes Bärtchen kräuselt sich keck auf der Oberlippe, zwei große stolze Augen leuchten unter regelmäßig gewölbten Brauen, Wangen und Kinn sind halb verdeckt durch den emporgeschlagenen Kragen eines Offizierpaletots.

»Jetzt sind wir halt auf der Haide, Herr Graf,« wandte sich Laubmann von seinem hohen Kutschersitz zurück, »nun braucht's noch ein bissel Geduld, und wir sind wieder auf der Chaussee, dann ist's halt noch ein' Pfeif Tabak lang und wir sehen Casgamala vor uns!«

Der junge Offizier strich ein zweites Streichholz an und sah nach der Uhr.

»Dreiviertel auf elf schon! Wir kommen nicht vor Mitternacht an, Alter!« antwortete er ungeduldig, »hol' der Satan Eure verdammten Steppen hier, die kaum einen Fahrweg, geschweige eine Eisenbahn aufzuweisen haben!«

»Bscht! – wenn der Herr Graf so gnädig sein wollten und lieber nicht so laut hier fluchen!« wandte sich der Kutscher mit scheuem Flüsterton zurück, »wir sind halt auf der Haide jetzt, Ew. Gnaden, und da muß man ein bissel vorsichtig sein, möchte auch Ew. Gnaden gar nicht rathen, sich hier so scharf umzuschauen; man sieht oft mehr, als man halt wünscht und ei'm lieb ist!«

Graf Echtersloh lachte laut auf. »Ich glaube bei Gott, alter Maulwurf, Er will mich ein »bissel« graulich machen!« rief er, übermüthig die Arme auf die Barrière des Kutscherbockes legend, »es spukt wohl hier, Laubmann, he?« Der Alte nickte geheimnißvoll.

»Und was für ein gespenstiges Wesen hat sein Reich auf dieser Haide aufgeschlagen, wenn man fragen darf? Wenn es eine ideale Fee voll Zauber und Schönheit ist, soll sie mir jederzeit auf meinem Boden willkommen sein, der Frau Venus erlasse ich sogar Steuer und Miethzins!« Sein helles Lachen hallte laut über die Haide und weckte fern über dem Moor ein paar melancholische Unkenstimmen, der Wind pfiff durch das struppige Ginsterkraut und raschelte in den langen Schlehdornzweigen, welche am Straßenhang in dichten Büschen wucherten.

Laubmann zog den Mantel hoch über die Ohren und schaute nicht rechts noch links.

»Was es für ein Spuk ist, der hier umgeht, weiß halt kein Mensch zu sagen, Herr Graf,« murmelte er fast grimmig in den Bart, »aber sie nennen ihn den Irrgeist von Casgamala!«

»Alle Wetter! Irrgeist von Casgamala! Wenn der Träger dem Namen entspricht, so ist es wenigstens ein poetisches Ungeheuer, das etwas auf wohllautende Visitenkarten gießt! Hm – und in welcher Weise macht sich besagtes Wesen ohne Fleisch und Blut bemerklich?«

Der Alte schauderte unter dem Klang der leichtfertigen Männerstimme neben ihm.

»Der Irrgeist von Casgamala ist halt nur ein Licht, Ew. Gnaden!« flüsterte er.

»Ein Licht?!«

Laubmann bejahte. »Eine grellrothe Feuerflamme, welche urplötzlich vor einem auftaucht und Augen und Sinne blendet; das Vieh ist tagelang wie im Dusel hinterher, wenn's sie gesehen hat, und die Menschen – ja, die zittern halt an allen Gliedern, weil es stets ein Unglück giebt, wenn sich der Geist blicken läßt!«

Hol ihn der Henker! Na, und Er sagt, Laubmann, hier auf der Haide treibe sich der freche Geselle herum?«

Der Gefragte neigte sich dicht zu dem Ohr seines jungen Herrn. »Nicht allein hier, Herr Graf, überall spukt er herum! Im Schlosse selber, im Park, auf der Haide hier, und vornehmlich bei recht dunkeln stürmischen Nächten in der Nähe der Marmorbrüche. Dort links, wir werden gleich hinkommen! Es war eigentlich lange Jahre Ruhe, man kannte den Irrgeist von Casgamala halt nur wie eine Sage im Dorf, denn seit der alte Herr Graf gestorben waren und deren Frau Mutter sich nie mehr um das Schloß bekümmert hat, von der Residenz aus, da ist alles zerfallen und vermodert bei uns, und wenn nicht der lahme Christoph, der Kastellan, den die Frau Exzellenz-Gräfin ins Schloß gesetzt hat, hie und da in den Spinnstuben die Geschichte von dem gespenstigen Lichte erzählte, dann hätte halt keine Seele mehr an den Spuk gedacht, Ew. Gnaden! Wie aber eines schönen Tages dero gnädigster Herr Bruder aus dem Kadettenkorps zurückkam und sich in den alten zerfallenen Thurm im Park einlogirte, und kein Mensch aus dem sonderbaren Wesen des Herrn Grafen klug wurde, da fing urplötzlich auch wieder der Spuk an, und seit den sieben Jahren ist wohl kaum eine Woche oder höchstens ein Monat vergangen, daß nicht die rothe Flamme überall umhergehuscht wäre!«

»Mein Bruder Desider wohnt also nicht im Schlosse selbst?« fragte Graf Echtersloh nachdenklich.

»Nein, Ew. Gnaden; wie schon gesagt, er kam eines schönen Tages an, suchte sich den alten Lebrecht, seines Vaters ehemaligen Kammerdiener im Dorfe auf, ließ sich das Schloß aufschließen und durchwanderte schweigend alle Zimmer, dann streifte er mit dem Lebrecht kreuz und quer durch den Park, ließ sich den alten Thurm oder Kiosk, wie man's heißt, öffnen und blieb wohl eine halb Stunde lang darin. Dann wurden ein paar Zimmerleute aus dem Dorfe geholt, die haben einen Tag lang darin umher rumort und hierauf ist keine Menschenseele wieder in den Park gekommen. Der Graf hat ein Gitter mitten durch ihn hingezogen, das die Anlagen samt dem Kiosk von dem modernen Schloßgarten trennt und dahinter hat er nun gehaust, Tag für Tag mit dem alten Lebrecht zusammen, ohne daß ein Menschenauge mal bei ihm hätte hinein schauen dürfen.«

»Seltsam! Mein Stiefbruder ist eben verrückt! Er hatte das Unglück im Cadettencorps von dem Pferde zu stürzen und sich das Gehirn zu erschüttern –«

»Halten zu Gnaden, Herr Graf, er redet aber ganz vernünftig und bei Sinnen. Hie und da ist er mal ein paar Arbeitern auf dem Felde begegnet, und die konnten gar nicht genug rühmen, wie gut und freundlich Graf Desider mit ihnen gesprochen hat, ein bissel seltsam ist er wohl schon, das mag sein, aber –«

»Unsinn! Mein Bruder ist unheilbar geisteskrank!« unterbrach Graf Lothar fast barsch, »das beste Zeugniß dafür ist wohl sein ganzes Gebahren, welches mit gesundem Menschenverstand nichts mehr gemein hat. Meine Mutter hat mir bis jetzt nur sehr flüchtige Mittheilungen über ihn gemacht, da der liebenswürdige Sohn in den ganzen drei Monaten ihrer Anwesenheit kaum fünf Minuten Zeit für sie gehabt hat. Er ist verschollen und vergessen in seiner Einsamkeit, und ich halte es darum für meine Pflicht, mich selber von dem ganzen Stand der Dinge zu überzeugen. Desiders Unzurechnungsfähigkeit macht mich zum Majoratsherrn und Haupt der Familie!« Es lag ein scharfer Klang in der Stimme des schönen Offiziers und die Worte: »Mein Bruder ist unheilbar geisteskrank« trugen den Charakter eines Befehles, da gab es kein Widersprechen mehr. »Bewohnt meine Mutter das ganze Schloß?« fuhr er nach kurzer Pause fort, den Rest der glimmenden Cigarre mit nachlässiger Handbewegung über den Wagenschlag auf den Weg schlendernd: »Sie schrieb mir, daß das ganze Gebäude bedeutender Reparaturen bedürfe!«

»Das bedarfs halt schon, Ew. Gnaden, der linke Schloßflügel ist nahezu am Zusammenfallen und wenn ihm nicht bald ein bissel aufgeholfen wird, dann dauerts nicht lange mehr, und er schaut ebenso wackelig drein, wie die alten Gemäuer, die noch rings im Parke stehn! Die Frau Gräfin Mutter bewohnt den ganzen Neubau und auf Wunsch der Comtesse Dolores sind auch die versiegelten Zimmer geöffnet, welche zu der Kapelle führen!«

Graf Lothar lachte leise und ironisch auf: »Natürlich, die Kapelle, die hat meine fromme Schwester zuerst ausgefegt! Es giebt doch recht viele Heiligenbilder und Betschemel darin und grausige Fegefeuer, welche die gläubigen Seelen nach Möglichkeit ängstigen?«

Der alte Mann verstand nicht den frivolen Spott in der Frage des Grafen, er nickte eifrig mit dem Kopf und schien froh zu sein, das Gespräch auf ein weniger gefährliches Thema gelenkt zu sehen.

»Das will ich meinen, Ew. Gnaden, wie ein wahres Schmuckkästchen schaut die kleine Kirche aus. Rings an den Wänden vergoldete Bilder, Märtyrer und edle Herren und Frauen aus dem Geschlecht der Grafen von Echtersloh mit vielerlei Wappen und Waffen darum her, und hohen Denksteinen von Marmor, immer da, wo der Sarg in der Gruft darunter steht. Nur ein einziges Schild ist umgekehrt und mit einem schwarzen Vorhang bedeckt, da soll kein Mensch hinter schauen, Ew. Gnaden, weils der Grabstein der schönen Gräfin Casga ist!« fuhr er mit gedämpftem Flüsterton fort, »der Christian hats aber doch einmal gethan, na – und da sah er eben – der Herr wissen doch –!«

»Gar nichts weiß ich, Alter! – am Ende gar meine schöne Ahnfrau selber?«

Laubmann hob die Hand an den Mund und blickte sich scheu um. »Gott behüte, Ew. Gnaden, aber eine hohe Feuerflamme, welche auf den schwarzen Grund gemalt ist, und über deren Spitze eine rothe Rose schwebt, das ist eben der Irrgeist von Casgamala, und darum sind auch die Rosen und die Flammen zum Schicksal der Grafen von Echtersloh geworden!«

Graf Lothar lachte schallend auf. »Der Irrgeist von Casgamala! Gut, daß Du mich wieder an den interessanten Gesellen erinnerst, Laubmann! Du sagtest vorhin, wir seien nicht mehr weit von den Marmorbrüchen entfernt, he? wie lange dauert es noch, bis wir hinkommen?«

»Still, Herr Lieutenant, bei allem, was Ihnen lieb ist, hier dicht zur Seite sind sie schon, wir fahren halt eben daran vorüber.« Der Alte legte wie beschwörend seine zitternde Hand auf den Arm des jungen Offiziers, »treiben Sie keinen Scherz damit, Graf Lothar, erst wenn man den Schaden hat, wird man klug, sagt's Sprichwort!«

»Hasenfuß Er!« spottete Graf Echtersloh mit lauter Stimme, »eine Schande ist's, daß solch ein alter Kerl noch an blödsinnige Ammenmärchen glaubt, mein Bruder scheint Ihn angesteckt zu haben mit seiner Verrücktheit! Aufgepaßt, Monsieur Graukopf! Ich will Ihm beweisen, daß der Irrgeist von Casgamala nur in den Köpfen dummer Bauern spukt!« Und sich hoch im Wagen emporstellend, rief Graf Lothar mit übermüthiger Stimme durch Wind und Haideland in die schwarze Nacht hinaus: »Irrgeist von Casgamala, Engel oder Teufel, Flamme oder Rose, süßes Weib oder greulicher Unhold, heran zu mir und neige Dich vor Deinem zukünftigen Meister, dem Erben und Majoratsherrn von Casgamala, Grafen Lothar von Echtersloh!«

Schauerlich hallte es durch die Dunkelheit, der Wind sauste um den Wagen und die Gräser am Wege raschelten auf, Laubmann aber saß bleich wie der Tod auf seinem Kutscherbock und umklammerte mit zitternden Händen die Zügel.

»Schläfst Du, Irrgeist von Casgamala?!« donnerte die Stimme Lothars abermals durch den Sturm, »heran. Du frecher Geselle – – ha! – – was ist das?!«

Wie ein Blitz stammte es urplötzlich durch die Dunkelheit, dicht vor dem Wagen glühte ein grelles Licht auf, flackernd in blutigem Roth, und die ganze Gegend in blendende Helle tauchend, als stünde der frivole Geisterbeschwörer auf lohendem Feuerthron. Einen Augenblick – dann schlug die Finsternis wieder über ihm zusammen.

Mit wahnwitzigem Aufschrei war Laubmann auf die Erde herab gesprungen, um das Gesicht auf dem Erdboden zu bergen, Lothar aber stand starr, mit weit aufgerissenen Augen im Wagen, stumm, unfähig sich zu rühren; doch nur eine Sekunde lang, dann stieg der Apfelschimmel mit schnaubenden Nüstern pfeilgrad in die Luft und raste wie von Furien gepeitscht über das weite Feld ... Nach wenig Minuten biegt der Weg scharf in die Chaussee ein. Lothar neigt sich schwankend vor und hascht nach den Zügeln ... umsonst – der Mond bricht jäh durch die Wolken – dort – kaum zwanzig Schritte noch, ragen die Marmorbrüche und senken sich mit schwarzer Untiefe hinab – schnurgerade auf sie zu donnert das Gefährt, Funken sprühen unter den Hufen des dahinstürmenden Thieres.

Schwindel erfaßt den jungen Offizier, er schwingt sich über den Wagenrand und will hernieder springen, da krachen auch schon die Räder an aufgethürmtem Felsgeröll, schnaufend bricht der Schimmel in die Kniee und schleudert das leichte Gefährt schmetternd gegen die scharfen Marmorblöcke. – –


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