Otto Ernst
Frieden und Freude
Otto Ernst

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Garten unterm Regenbogen

Niemals bin ich ein sonderlicher Freund von Edelsteinen gewesen. Ja, ein schöner Stein an einer feinen Hand, auf einem weißen Hals oder in einem zarten Öhrchen kann wohl eine gute Wirkung tun, indem er die Schönheit des Menschenleibes hervorhebt; aber er ist doch nur ein lebloser Diener des Lebendigen, und die schöne Hand ist mir immer tausendmal lieber gewesen als der schönste Stein. Für sich allem betrachtet, ist mir auch der herrlichste Diamant eine kalte, tote Pracht, die aus meinem Herzen keinen Schlag in der Minute mehr erweckt.

Dagegen stand ich dieser Tage eines Morgens plötzlich wie angewurzelt, wie festgezaubert, als ich, durchs Fenster in meinen Garten blickend, zwei, drei Edelsteine sah, wie ich sie in meinem Leben noch nie gesehen hatte. Das wunderbarste Feuer des wunderbarsten Diamanten der Welt schien mir nur ein armes Glimmen und Schwelen gegen diesen verwirrenden Farben- und Flammenstreit. Es waren ein paar Tautropfen, mit denen die Sonne ein freundliches Morgengespräch begonnen hatte. Die kleinen Tropfen waren außer sich vor Glück und Eifer und führten eine so unaufhörlich sprühende Unterhaltung, daß die geistreichsten »Causeurs« der ganzen französischen Literatur, mit diesen Tropfen verglichen, nur Tröpfe sind.

Regen und Tautropfen sind Tränen des Himmels; wenn das Licht zu ihnen kommt werden sie zu lebendigen Edelsteinen.

Nun gar, wenn gegen ein Gebirge von Tränen, wenn gegen eine Wand von Regenwolken das Angesicht der Sonne scheint: dann entsteht eine ungeheure Brücke aus lauter Edelsteinen, eine Brücke, die den Abgrund zwischen Erd' und Himmel überspannt, eine Brücke zwischen Tränen und Licht, zwischen Leid und Erlösung, und die Menschen rufen aufleuchtenden Auges: »O seht, ein Regenbogen!«

Eine Geschichte aus grauen Menschheitstagen, eine jener wundersamen, tiefäugigen Geschichten, die man uns in Kindertagen erzählt und die wir erst im Alter hören, die, wenn wir sie nur einmal gehört, in unserm Herzen immer weiterleben, leise immer weiterraunen, bis wir sie verstehen, solch eine Geschichte erzählt uns, daß Jehova nach der Sintflut sprach:

»Solange die Erde steht, soll nicht aufhören
Samen und Ernte, Frost und Hitze,
Sommer und Winter, Tag und Nacht.«

und daß er sprach:

»Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken, der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.«

So wurde die Erde ein Garten unterm Regenbogen.

Und das wissen wir nun seitdem: Wenn auch Haß und Verderben, Tod und Vernichtung, Schrecken und Grauen in schier endlosen Schauern und Wirbeln über die Erde dahinrasen, wenn das ganze Weltall verfinstert scheint von einem Wirbelsturm des Wahnsinns – es kommt doch wieder ein Regenbogen, es schwingt sich doch wieder eine Brücke vom Irdischen zum Himmlischen, vom Endlichen zum Unendlichen, von der Gegenwart zur Zukunft. Samen und Ernte soll nicht aufhören, und zwischen dem Herzen der Erde und dem Herzen ihres Schöpfers ist ein ewiger Bund.

Seit der Aufrichtung des Regenbogens ist das Lachen in der Welt. Vor der Sintflut liest man in der Bibel nichts vom Lachen. Aber Sara lachte. Ob sie Humor hatte, weiß ich nicht; sie lachte ungläubig; der Humor ist ein gläubiges Lachen; er ist der Glaube ans Heil der Welt.

Den Regenbogen, den die Sonne bildet oder der Mond, können alle Menschen sehen. Aber in manchen Menschen spannt sich ein bleibender Regenbogen vom Herzen zum Auge, vom Auge zum Herzen – von solch einem Menschen sagt man: er hat Humor.

Nun will ich dich aber um alles in der Welt nicht erschrecken, mein lieber Leser, wenn du manchmal gelacht hast, ohne an den ewigen Bund der Erde mit dem Gedanken des Schöpfers zu denken. Lache du getrost über den Spaßmacher im Zirkus, der sich ein Glühbirnchen auf die Nase setzt, lache ruhig über einen schiefgeschorenen Pudel, und wenn du ein Backfisch bist, der über nichts, rein gar nichts lacht, nur, weil ihm so unsäglich wohl und jung ums Herz ist, weil er so unglaublich gesund ist – lache, lache, soviel du magst; denn dein Lachen ist wie der Jubelruf der Amsel, wie der Duft des Weißdorns und das stumme Feuer des Glühwurms ein Teil des großen Weltlachens. Du bist ein Mensch? Du gehörst zu diesem Ganzen, Ungeheuren, das sich Welt nennt? Ei, da kannst du lachen! – Nur das Lachen des Bösen, das Lachen über Leid und Kummer einer Mitkreatur – das ist ganz etwas andres, das ist ein ausschließliches Vorrecht des Teufels.

Es ist ja auch zu bedenken, daß alles Lachen sofort verdorren würde, wenn es jedesmal einen Berechtigungsschein von der höchsten Behörde vorzeigen müßte. Tristram Shandy erzählt bekanntlich, daß im Augenblick innigsten Liebestausches seine Mutter seinen Vater gefragt habe, ob er auch nicht vergessen habe, die Wanduhr aufzuziehen. Wie diesem armen Manne, so würde es uns allen zumute sein, wenn ein festangestellter Heiterkeitspolizist uns mitten im Lachen fragte: »Lachen Sie auch philosophisch?«

Freilich kann man auch zu leicht und zu viel lachen, das ist nicht zu leugnen; jeder muß halt sein Maß wissen, daß er nicht zum Narren werde. Zum guten Lachen gehört ein eingeborenes Taktgefühl; wer so lacht, daß er aus dem Takt des Weltgesanges herausfällt, der ist ein Narr, und ein Narr ist fast so schlimm wie ein Würdespießer.

Die ästhetische Obrigkeit in Deutschland hat es nicht an Bemühungen fehlen lassen, durch Humorgendarmen den dichterischen Frohsinn auf ein verständiges Maß herabzustimmen und dafür zu sorgen, daß die literarische Heiterkeit ernsthaft bleibe und beschränkt werde. Sie hat aber nicht viel damit erreicht. Wie die Kinder Israel in Ägypten sich nur um so einiger mehrten, je ärger sie unterdrückt wurden, oder wie die Kamille nach der Behauptung des guten Sir John Falstaff »nur um so schneller wächst, je mehr sie getreten wird«, so ist der deutsche Humor nur um so üppiger gewachsen, je heftiger er geprügelt wurde. Es muß wohl daran liegen, daß er der Humor ist und die Humorgendarmen mit dem Würdespieß humoristisch nimmt. In der Tat: der deutsche Humor ist in solcher Fülle gediehen, daß man tausend Sammelbücher damit füllen könnte, wenn – ja, wenn das nötige Papier vorhanden wäre. Da muß ich eine Geschichte erzählen.

In den Schulen wurde einmal Altmaterial für den Krieg gesammelt, nämlich: Papier, Sektflaschen, Rotweinflaschen, Literflaschen, Weißweinflaschen, Wasserflaschen, dänische Milchflaschen, große Medizinflaschen, kleine Medizinflaschen, Weißblechdosen, Sektkorke, ganze Weinkorke, kleine Korke und Bruchkork, Frauenhaar, Kupfer, Zink, Blei, Gußmetalle und Verschiedenes. Für jede Sorte, die der Schüler ablieferte, bekam er eine Quittung; wenn er sieben verschiedene Dinge brachte, bekam er sieben Quittungen. Der Klassenlehrer hatte eine Kolossalfolio- Liste mit all jenen Rubriken, und in die trug er jeden Beitrag ein, z. B. Friedrich Schiller: 1 Sardinendose – Guthaben 0,005 Mark. Unten auf der Seite zählte er alles zusammen und fuhr auf der nächsten mit dem Übertrag fort. Natürlich wurde diese Kolossalfolio-Liste doppelt angefertigt. Aus allen Klassen gingen diese Listen an den Sammelleiter, und der übertrug ihre Ergebnisse in ein fingerdickes (man muß aber an einen Schwerarbeiterfinger denken) Listenbuch, z. B. Klasse V: 200 g Gummiabfälle – Guthaben 0,04 Mark usw. Die Zahlen und Namen dieses Kolossalfolio-Listenbuches kamen dann in eine Liste C, in der die Gesamtforderungen der Ablieferer verzeichnet wurden, z. B. Samuel Bleichröder: Guthaben 0,73 Mark usw. Außerdem erhielt jeder Lehrer zu den Listen einen Führer durch die Listen, eine Anweisung von 12 engbedruckten Folioseiten, damit er wisse, wozu die Listen zu gebrauchen seien und sie nicht etwa anders verwende. Das war dann alles.

Nun, mein lieber Leser, da bei der Sammlung unmöglich so viel Altpapier eingehen konnte, wie neues verbraucht wurde, so wirst du begreifen, daß für das nationale Gelächter auch nicht annähernd die erforderliche Papiermenge übrigblieb.

Das Papier würde vielleicht reichen, wenn immer nur das Modernste gedruckt würde. Das aber ist leider noch nicht erreicht. Es wird immer noch Altmodisches gedruckt, z. B. Naturalistisches, Romantisches, ja: Klassisches! Wir haben leider noch kein Gesetz, welches bestimmt: »Bis zu dem und dem Datum darf romantisch gedichtet werden; danach nicht mehr. Mit dem 1. Januar neunzehnhundertundsoundso beginnt die neue Richtung. Personen, die nach dem genannten Tage noch bei romantischer oder gar klassischer Dichtung betroffen werden, haben Internierung in einer Idiotenanstalt zu gewärtigen.«

Es gibt tatsächlich heute noch Dichter, die ihren Helden sagen lassen: »Ich liebe dich« statt »Deine roten Wirbel schlitzen meine Seele« oder »Meine Rosse liegen in der Wiege und singen« oder so. Wir wissen, es handelt sich bei solchen Dichtern um arme, bemitleidenswerte Blödsinnige, die man nicht frei umhergehen lassen sollte; aber es fehlen alle gesetzlichen Handhaben, um dergleichen Menschenschund verschwinden zu lassen. Unsere Literatur zeigt immer noch ein unaufhörliches In- und Durcheinanderwogen der mannigfaltigsten Bildungen, und so hat es sich leider noch immer unmöglich erwiesen, zwischen Altem und Neuem eine »reinliche Scheidung« herbeizuführen. Es ist leider nicht zu vermeiden, daß noch bei währendem Regenbogen ganz neue Sonnengulden in den Garten fallen, und daß, wenn kaum das siebenfarbige Stirnband der Welt verblaßte, die alten Sterne wiederkommen.

Meine Hoffnung ist, daß es Menschen gibt, die von allen diesen Dingen: von Gartenlust und Sonnengulden, von Regenbogen und Sterntalern nie genug bekommen und deshalb immer wieder nach deutschen Humoristen verlangen, schon um deswillen, weil von allen Menschen gerade die Humoristen die ernsthaftesten sind.


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