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All-Eins

Es war aber Nacht –
Ein dunkles Sausen schwamm, verwellte sacht – –
Nach schwarzem schwerem Rätselschlaf
Entwühlte mich der All-Gebärungsschacht,
Als hämmernd mich das Leben traf:
Ich war erwacht!

Zu offenbarem Leben aufgerüttelt,
In neue Rätsel wirr geschüttelt:
Der Tag stieg auf!
Ein mildes Flüster-Leuchten kam herauf
Und floß ringsher und stieg und wurde heller – –
Das Strahlen stieg und stieg und strahlte greller
Und fraß die Nacht mit Gier.
Und meine Augen glänzten stier:
Schon sprach das Licht zu mir – –
Und über mir hing hoch und hoch der offne Wolken-Dom
Von neuer Lichtflut übergossen.
Und Wolken-Schären, lichtumflossen,
Goldne Insel-Berge zogen hoch im goldnen Strom.
Ein Warten, namenlos und leise,
Zog unsichtbare Zitterkreise
Allüberall –
Da brach ganz fern am tiefen Himmels-Rand
Der blutdurchglühte Werde-Schrei hervor:
Der rote Feuer-Brand!
Da drang das Sonne-Hirn ins Himmels-Tor!
Und schrie und schrie zu mir!
Und meine Augen gellten
Und meine Schläfen wellten,
Mein wilder Ruf zerschellte
Vor diesem Feuer-Stier!
Alles schmolz im Lichtgemeer –
Alles trank vom Lichtgemeer
Und schwamm und trieb und tauchte –
Die Wolkenflocken, goldenschwer,
Die frische Erde rauchte – –
Und ich, ich schwankte mit betäubter Stirn
Hinauf zu diesem Feuerblutgehirn,
Hinauf – –

Ich floß in Flimmer-Flut; ich sank – ich sank.
In eines Schläfers Wiederkunft-Gebärde
Lag ich mit offnen Händen auf der Erde.
Wolkenschatten zogen
Ganz fern – der Horizont-Gebirge blaue Streifen
Verflossen fast in Sonne-Rauch – – –
Von irgendwo kam weicher Hauch
Und schwoll zu vollem Wind,
Umkühlte wogendweich den sonnbestrahlten Kopf
Und meine lebensvoll erregte Brust.

Ich kam zu mir zurück:
Und sieh, auf meiner Rückenseite
Verglitt gedehnt mein Berg zu Tal:
Zu tiefer grünbedeckter Breite.
Dahinter stand ein aufgereckter Wald,
Von Mittags-Licht zu schwerer Form geballt,
Die satten Schatten schliefen tief darinnen. –
Wenn nun der Säuselwind, der langsam schon verwehte,
In andre Richtung schweifte, sich zum Tal hindrehte,
So hob er starkes Duften zu mir auf
Von unten, von den Matten. –

Doch sieh! doch da! – am Waldrandschatten
Bewegte sich ein heller Fleck – herauf!
Ein heller Körper – stand nun ganz in Sonne:
Er kam! er kam – ein Mensch! ein Mensch!
Und eine jähe sonderbare Wonne
Griff wie mit Fingern an mein Herz
Und bog den Rücken, bog den Kopf weit vor
Und zog die Augen menschenwärts.
Ein Sausen füllte mein erregtes Ohr – –
Nun riß mein Herz mich hoch,
Ich sprang auf einen Damm von Steinen,
Ich stand da mit gespreizten Beinen
Und streckte breitend meine Hände:
Da brach wie Glut aus meinem Mund der große Schall
Und rollte abwärts zum Gelände.
Ich bebte, – ob der Mensch mir Antwort sende? –
Da kam lebendig Echo, süßer Widerhall
Herauf! umschwirrte meine Sinne:
Ein weicher Klang,
Ein Lustgesang,
Der Kündung gab, daß Neues nun beginne!

Die Sonne hatte sich vom höchsten Stande,
Vom Brennpunkt über mir zum untern Lande
Allmählich hingesenkt.
Sie hing schon nahe überm Walde,
Von mildem Licht getränkt. –
Ich hob die Hände schattend vor die Augen;
Ganz langsam sah ich ihn zur Höhe kommen,
Mir schien wie zögernd, wie beklommen,
Ein Leuchten kam mit ihm gegangen –
Doch zwischen uns lag ungewisses Bangen.
Ich wich erstaunt zurück, erschreckte;
Ein Unbekanntes
Aus frohem Sinnen mich erweckte:
Da war, entfernt noch eine Steinwurf-Länge,
Das andre, sonderbare Menschenleben
Und wollte zögernd kaum den Fuß noch heben,
Und stand nun still: Das waren andre Augen! andre Glieder!
Ein andrer Kopf, ein andrer Leib:
Es war das Weib! das Weib! das Weib!
Wie dampfend sprang ich auf und zu ihr nieder
Und riß sie stürmisch freudig hoch! –

Dann ließ ich scheuvoll los die weiche Hand:
Wir standen atmend, Blick in Blick gebannt;
Es war, als wüchse zwischen uns ein Schatten hoch,
Wir sahn uns an, so fremd, so bang –
Doch langsam wich der Schatten, und die Scheu verflog
Vor tiefem innerm Lebenszwang,
Der plötzlich Wonneworte aus uns stieß
Und glühend von den Lippen strömen ließ
Zu unnennbarem Sang!

Da fielen meine Arme wie ein Ring
Um ihren Leib zusammen!
Ihr ganzes, unbewußtes Leben hing
An mir und sprühte Flammen.
Und meine Kraft ward drängend schwer,
Bedrückte liebend sie so sehr,
Daß sie zu Boden sank –
Und ich – den ersten Tropfen aus dem Liebes-Meer,
Den ersten Kuß
Von Ihren Lippen trank!

Wir lagen wie in überwachen Träumen –
Wir sahen, wie tief unten in den Bäumen
Der Erste Tag, der Liebes-Tag verglomm –
Ein letzter Streifen Sonne, feuerrot,
Lag auf dem Wald; – so glühendrot,
Wie sie am Anfang mir geloht,
Die Sonne sank –

Der Wald ertrank
Und alles Dasein um uns her
In dunklem, träumevollem Dämmer-Meer –
In dunklem, träumevollem Schlaf.


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