Sven Elvestad
Der kleine Blaue
Sven Elvestad

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

X.

Gefangen

Auf dem Verdeck wurde Krag von einem Dänisch sprechenden, seemännisch gekleideten Mann von robustem, nichts weniger als Vertrauen erweckendem Aeußeren empfangen.

»Ich bin der Kapitän des Bootes. Was wünschen Sie also?« fragte er.

»Ich wünsche nicht,« erwiderte der Detektiv bestimmt. »Ich verlange Ihr Boot zu untersuchen.«

»Mit welchem Recht?«

Krag zog seine Polizeikarte.

»Ich bin Mitglied der Polizei in Christiania,« erwiderte er.

»Aber das ist ein dänisches Fahrzeug.«

»Hat nichts zu sagen. Wir befinden uns noch auf norwegischem Seeterritorium.«

Der Kapitän sah zu den Torpedobooten hinüber.

»Gut,« sagte er, »ich sehe, daß Sie die Macht haben. Also bitte, tun Sie, was Sie wollen.«

Krag und der Kapitän gingen zusammen in die Kajüte hinunter.

»In welcher Angelegenheit sind Sie in Norwegen gewesen?« fragte er.

»In Ingenieur Barras Angelegenheit,« erwiderte der Kapitän ganz ruhig.

Der Detektiv zuckte zusammen. Also doch!

»Wissen Sie, daß Sie ein Werkzeug in den Händen eines großen Verbrechers gewesen sind?«

»Nein, davon habe ich keine Ahnung.«

»Was haben Sie denn im Mosse-Fahrwasser gemacht.«

»Ich habe zehn kleine Blechkassetten abgeholt.«

»Die in einem roten Automobil zum Schiff gebracht wurden?« fragte der Polizist rasch.

»Ganz richtig.«

»Kannten Sie den Automobilführer?«

»Ja, es war kein anderer als Barra.«

»Und er kam mit an Bord?«

»Nein, er blieb zurück.«

»Das glaube ich nicht.«

»Dann lassen Sie es bleiben. Finden Sie, daß ich Ihnen im übrigen etwas verhehle?«

Krag konnte sich dieser Logik nicht ganz verschließen.

»Hören Sie mal,« sagte er, »kennen Sie Barra schon längere Zeit?«

»Ja, viele Jahre, ich traf ihn das erstemal auf Kuba.«

»Ist er ein guter Kamerad?«

»Er ist nicht mein Kamerad,« erwiderte der Seemann, »ich leiste ihm nur Dienste, wenn er es verlangt.«

»Bezahlt er gut?«

»Nun, ja.«

»Warum lassen Sie sich doch auf so zweifelhafte Geschäfte ein?«

»Weil ich muß, wer einmal in Barras Klauen ist, muß sein Freund sein. Sonst –«

»Sonst?«

Der Seemann erwiderte nichts. Er lächelte nur. Krag dachte bei sich selbst, daß er noch nie ein so unheimliches Lächeln gesehen hatte.

»Wo sind die gestohlenen Blechkassetten?« fragte Krag.

»Gestohlen?« rief der Kapitän. »Ach so! Die sind gestohlen?«

»Das mußten Sie doch wissen.«

»Nein, das konnte ich nicht wissen. Barra hat immer soviel Wunderliches vor. Aber hier sind die Kassetten.«

Er warf einige Plachen beiseite. Darunter standen die zehn Blechkassetten. Krag beugte sich herab, und er konnte einen Ausruf der Freude nicht unterdrücken. Es war wirklich die gestohlene Goldsendung. Krag erkannte sie nach der Beschreibung. Und die Siegel waren uneröffnet, der Inhalt also noch unversehrt. Er hatte die Bank vor einem ungeheuren Verlust bewahrt.

Plötzlich hörte er hinter sich eine Türe knirschen. Rasch wie der Blitz sprang er auf und drehte sich um, aber blieb wie versteinert stehen.

Da, vor ihm stand Ingenieur Barra und sah ihn mit seinem unendlich höhnischen und überlegenen Blick an. Er war in seinen alten, staubgrauen, schmutzigen Mantel gehüllt.

Der Detektiv sah sich rasch um. Zu seinem Schrecken entdeckte er, daß der Rotbärtige und der Kapitän zwischen ihm und der Türe standen. Draußen rauschten Wellen und Wind. Selbst der verzweifeltste Schrei konnte von keinem menschlichen Ohr an Bord der zwei Torpedoboote gehört werden.

Ingenieur Barra stand lange still und starrte den Detektiv mit seinen kalten, fühllosen Schlangenaugen an.

Der Kapitän des Schiffes schien über das Erscheinen des Rotbärtigen nicht im geringsten betroffen.

Er lächelte und sagte:

»Sie strafen mich Lügen, Herr Barra! Nun ja, so habe ich nichts mehr zu sagen, da meine Worte ja doch keinen Glauben mehr finden werden.«

Asbjörn Krag nickte: »Da haben Sie recht,« sagte er, »ich glaube Ihnen nichts mehr.«

Es trat eine Pause ein, in der die drei Männer einander betrachteten und gleichsam gegenseitig ihre Kräfte prüften. »Soll ich gehen?« fragte dann plötzlich der Kapitän.

»Nein,« antwortete der Rotbärtige. »Bleiben Sie nur, wir sind stärker, wenn wir zu zweien sind.«

Asbjörn Krag hatte nun seine Beherrschung wiedererlangt.

»Wollen wir uns nicht setzen?« fragte er gleichmütig. »Ich vermute, daß Sie mit mir unterhandeln wollen, und da ist es unleugbar behaglicher, zu sitzen, als zu stehen.«

Der Rotbärtige machte eine Handbewegung.

»Bitte,« sagte er. »Nehmen Sie auf dem Sofa Platz. Ich selbst ziehe es vor, zu stehen.«

»Ich liebe es,« fuhr Krag fort, indem er Platz nahm, »ich liebe es, meine starken, türkischen Zigaretten zu rauchen, wenn ich in eine peinliche und nervenanspannende Situation gerate. Gestatten Sie, daß –«

»Nein,« unterbrach der Rotbärtige rasch.

Krag sah, daß ein Gegenstand in seiner Hand aufblitzte. Es war ein Revolver.

»Warum nicht?«

»Weil«, erwiderte der Ingenieur und lächelte in seiner unheimlichen Weise, »ich nicht wünsche, daß Sie auch nur einen einzigen Augenblick Ihre Hand in die Tasche stecken.«

»Was wollen Sie denn eigentlich von mir?«

»Das werden Sie sogleich erfahren. Ich hatte zuerst gedacht, mich vor Ihnen zu verbergen. Aber als ich entdeckte, daß Sie allein an Bord gekommen sind, überlegte ich es mir sofort. Sie haben eine Dummheit gemacht, Herr Detektiv.«

»Kaum! Ich wollte nur nicht noch andere irgendwelchen teuflischen Anschlägen von Ihrer Seite aussetzen. Ich konnte mir ja denken, daß Sie, wenn Sie sahen, daß alles aus ist, sowohl sich selber, wie uns andere in einer Weise aus der Welt befördern würden, die eines großen Verbrechers würdig ist.«

»Wirklich, – dachten Sie das? Ich gestehe, daß ich einen Augenblick dieselbe Idee hatte, aber ich habe sie wieder aufgegeben.«

»Sie ergeben sich also? Damit tun Sie sehr klug.«

»Ich ergebe mich nie. Da will ich lieber untergehen und Sie mitreißen.«

»Sie vergessen, daß Sie in meiner Macht sind,« erwiderte Krag. »Ich habe die zwei Torpedoboote, die hier vor uns kreuzen, vollständig zu meiner Verfügung.«

Der Rotbärtige lachte laut.

»Ja, eben diese zwei Torpedoboote genieren mich. Die müssen wir loswerden.«

»Da wäre ich aber neugierig.«

»Sie müssen mir dazu helfen.«

»Wollen Sie schon wieder versuchen, mich zu bestechen?«

»Durchaus nicht. Ich will Sie zwingen.«

»Damit werden Sie noch weniger Glück haben.«

»Ja, dann müssen Sie sterben!«

»Das wird auch Ihnen das Leben kosten.«

»Sagen Sie das nicht! Ich habe vielleicht noch mehr Auswege, als Sie ahnen.«

Krag überlegte einen Augenblick.

Unterdessen hatte Ingenieur Barra seinen Revolver gehoben.

Der Polizist sah an dem bösen Blick seiner Augen, daß er es ernst meinte.

»Was wollen Sie, daß ich tue?« fragte er.

»Schreiben! Dann werde ich Ihnen etwas erzählen.«

Er gab dem Kapitän einen Wink, und dieser schaffte Tinte, Feder und Papier herbei.

»Wem soll ich schreiben?«

»Dem Chef der Torpedoboote, dem Admiral. Ich sehe, daß das eine die Admiralsflagge führt. Sie sollen die Torpedoboote ersuchen, sich wegzubegeben.«

»Das tun sie ja doch nicht.«

Krag erhob noch allerlei Einwürfe, nur um Zeit zu gewinnen. Sein Gehirn arbeitete intensiv, um einen Ausweg zu finden.

»Schreiben Sie nur, wie ich Ihnen diktiere,« rief Barra.

Krag kam plötzlich eine Idee, und er brachte die Feder ans Papier und schrieb nach dem Diktat des rotbärtigen Ingenieurs. Aber Krag, der ein Meister darin war, seine Handschrift zu verstellen, schrieb vollkommen anders, als er zu schreiben pflegte.

Der Brief lautete so:

Lieber Admiral!

Der geraubte Schatz ist per Automobil südwärts über den Smaalensweg gebracht. Halten Sie ihn von der Skjebergsbucht aus an der Station Berg auf. Senden Sie das andere Torpedoboot nach Arendal, wohin Barra, als er sich verfolgt wußte, per Motorboot geflüchtet ist. Ich fahre mit der »Anna« weiter nach Fredrikshavn, um die übrigen Mitglieder der Bande zu arretieren.

Krag.

Ingenieur Barra nahm das Papier und las es durch.

»Sie haben eine hübsche und natürliche Handschrift,« sagte er. »Wollen Sie nur noch so liebenswürdig sein, das Datum hinzuzufügen. Das gehört zu jedem ordentlichen Schreiben. Aber vorher will ich mich revanchieren, damit Sie auch sehen, daß für den Augenblick nicht mit mir zu spaßen ist. Ich will Ihnen etwas aus meiner Geschichte erzählen, damit Sie nicht weiter glauben, daß Sie es mit einem gewöhnlichen Golddieb und Mörder zu tun haben.«

Krag verbeugte sich mit einem spöttischen Lächeln, dadurch gewann er ja Zeit. Zeit, die einzige Hoffnung, um einen möglichen Plan zu durchdenken, wie er sich mit heiler Haut aus der Affäre ziehen sollte.

»Ah,« rief Barra heftiger, als Krag ihn je gesehen hatte, »was versteht solch ein kalter Schnüffler wie Sie von Menschen meiner Art, meiner Ideen eines Fortschrittes für die Menschheit? Welche Rolle spielen für einen großen Feldherrn ein paar elende Menschenleben und die sogenannten Werte des Augenblicks! Wo wir das Zehntausendfache erreichen können! Für alle Menschen!«

»Gestatten Sie mir doch zu bemerken,« versuchte Krag einzuschalten.

»Unterbrechen Sie mich nicht!« rief Barra. »Ich habe mit größeren Polizisten, als Sie es sind, zu tun gehabt, mit dem ganzen französischen sogenannten Rechtsbewußtsein bin ich infolge meiner edel anarchistischen Anschauungen, die die Revolte um der Zukunft willen anstreben, in Konflikt gekommen. Ich bin da auch Eures sogenannten Mordes und ähnlicher Verbrechen angeklagt gewesen, aber begnadigt worden, weil ich auf dem Gebiete der Kanonentechnik meinem Vaterlande Dienste erwiesen hatte, die vielleicht mehr wert waren als Tausende von Menschenleben! Aber ich mußte mich gleichzeitig verpflichten, in Frankreich zu wohnen und die Polizei jede Woche von mir hören zu lassen. Man fürchtete, daß ich meine Erfindungen verkaufen könnte, verstehen Sie! Aber ich mußte weiter. Ich hatte eine neue – epochemachende – Erfindung zu machen, die mich viele Jahre meines Lebens hauptsächlich beschäftigt hatte. Ich will die Kraftquellen des Sonnenlichtes beherrschen, wie der Müller den Strom seines Mühlbaches! Ich flüchtete darum trotz Ehrenwort und Versprechungen aus Frankreich. Ich brauchte ein Laboratorium auf einem hohen Felsen, und ich fand das, was mir paßte, endlich hier in Norwegen. Ueber die Grundprinzipien meiner Erfindung kam ich hier ins reine, und ich sah die Zukunft in einem Glorienschein, als Sie zum erstenmal meinen Weg kreuzten. Bedauerlicherweise – denn jetzt handelte es sich um die andere Seite der Sache: in diesem fernen Felsenlande Geld zu schaffen! Sie kennen meinen Witz mit den Telegraphendrähten. Dadurch kam ich in den Besitz vieler Geschäftsgeheimnisse, die ich einträglich zu gestalten wußte. Aber ich brauchte Millionen für mein Werk. Da schnappte ich durch den Telegraphen das Geheimnis zwischen den Banken auf und entwarf den Plan, dessen Ausbeute Sie dort drüben sehen – etwas über die erste Million, die ich brauche!

Zuerst wollte ich doch meiner Sache sicher sein und prüfte einige Maschinenteile unter höchster elektrischer Spannung. Sehen Sie! Darum konzentrierte ich in meinem Zimmer in Christiania, das Sie ja kennen, die gesamten Kräfte des Elektrizitätswerkes. Christiania lag mehrere Stunden im Dunkeln, aber mir leuchtete meine verwirklichte Erfindung.

Da kreuzten Sie plötzlich zum zweiten Male meinen Weg und meine Pläne. Zur Warnung sandte ich tausend Volt durch Sie. Ich hätte Sie töten können und bedaure jetzt, daß ich es nicht tat.

Nun kommt das, was Sie ebensogut wissen, wie ich selbst. Aber«, fügte Barra mit erhobener Stimme hinzu, »jetzt haben Sie mich zum dritten Male auf der Schwelle zu dem Ruhm und Glück meines Lebens aufgehalten. Darum werden Sie begreifen, entweder lassen Sie mich jetzt mit meinem durch, oder weder ich noch Sie kommen lebend von hier fort.«

»Ich verstehe Sie,« sagte Krag mit anscheinender Kälte, aber nicht ganz unberührt von den Ideen des tollen Mannes, »und nun?«

»Nun sind Sie so gut, ein Datum unter Ihr Schreiben zu setzen.« Und er legte das Papier noch einmal dem Detektiv vor, während er gleichzeitig deutlich an seinem Revolver fingerte.

Krag setzte das Datum ein und fragte Barra, ob er wirklich glaubte, daß er ihn durch die Revolvermündung dazu gebracht habe, diesen Brief zu unterschreiben.

»Nein, Herr Erfinder, nicht deshalb habe ich es getan,« fügte er hinzu, »sondern ausschließlich, weil ich nicht glaube, daß der Admiral die geringste Rücksicht auf ein so plumpes Schreiben nehmen wird! Jeder muß ja sehen, daß es mir erpreßt ist.«

»Möglich,« erwiderte Barra. »Aber zu dem Schreiben muß noch etwas anderes kommen, das wirkungsvoller ist.«

»Das wäre?«

»Sie werden auf Verdeck gehen und zum Abschied winken, damit der Admiral persönlich konstatieren kann, daß alles in Ordnung ist.«

»Nie!« rief der Detektiv anscheinend empört, während in seinem Innern sich jetzt ein neuer Plan formte. Hier galt es in Wahrheit die höhere Komödie. Und bevor jemand ihn hindern konnte, ergriff er das Schreiben und riß es quer durch.

»Machen Sie mit mir, was Sie wollen!« schrie er. »Mein Leben spielt keine Rolle.«

»Aber meines schon,« rief Barra und gab dem Kapitän einen Wink, und binnen wenigen Sekunden hatte der riesenstarke Seemann Asbjörn Krag gefesselt.

»Lassen Sie ihn nur stehen und zusehen,« sagte Barra. »Diese Art Kopien sind meine geringste Kunst.« Und er nahm das zerrissene Schreiben, legte die Stücke zusammen und studierte die Schrift einige Augenblicke genau. Dann griff er zur Feder und ahmte das Schreiben genau nach vom ersten bis zum letzten Buchstaben.

»Selbst der berühmte John Burnes, der Bankschwindler in London, von dem Sie wohl schon gehört haben,« warf er, an Asbjörn Krag gewendet, hin, »hätte dieses Schriftstück nicht besser nachahmen können.«

Asbjörn Krag neigte den Kopf wie ein Mann, der sich überwunden fühlt, aber in seinem Herzen freute er sich darüber, wie leicht seine List gelungen war.

Dieser Barra war ein Phantast, der seine Gegner immer unterschätzte. Darum mußte er ihn auch schließlich trotz alledem unterkriegen. Sicherlich würde Krags Kollege, der junge, tüchtige Detektiv, keine Silbe dieses Schreibens glauben, denn er kannte Krags wirkliche Handschrift ganz genau.

»So, und jetzt stellen Sie sich auf das Verdeck und winken,« sagte Barra, »wenn nicht, blase ich Ihnen das Hirn aus!«

»Winken – mit gebundenen Händen?« fragte Krag beinahe lustig.

»Nein, Sie sollen freie Hand haben, da es sich doch um Ihr Leben handelt,« erwiderte Barra zuvorkommend und gab seinem Kapitän Order, den Detektiv wieder zu befreien. Dies geschah, und Asbjörn Krag fühlte die Kälte einer Revolvermündung in seinem Nacken, während ihn die zwei Banditen zwangen, mit auf das Verdeck hinaufzukommen. Er tat es mit Freuden, stellte sich aber, als fühlte er sich überwunden, und sah mit Gemütsruhe zu, wie ein Boot bemannt wurde, um sein gefälschtes Schreiben an Bord des Admiralschiffes zu bringen. Es war der Kapitän selbst, der diese gefahrvolle Mission auf sich nahm. Aber bevor er in das Boot stieg, rief er seinen Steuermann, einen vierschrötigen, stiernackigen Gesellen, und gab ihm einige Weisungen. Unterdessen wandte sich Krag Barra zu, der die ganze Zeit jede seiner Bewegungen bewachte und den Finger in einer Weise auf dem Hahn des Revolvers hielt, die Krag nicht daran zweifeln ließ, daß er ihn bei der geringsten unvorsichtigen Bewegung niederschießen würde wie einen tollen Hund.

»Sie sollten mit Ihrem Revolver etwas vorsichtiger sein,« sagte er ruhig.

»Darf ich ehrerbietigst fragen, warum?« fragte Barra mit einem ungeheuer liebenswürdigen Lächeln.

»Weil man an Bord des Torpedobootes gute Ferngläser hat! Gesetzt, das Auge des Admirals fiele auf Ihren Revolver! Was würde dann geschehen?«

»Dann würden vermutlich die kleinen Kriegsschiffe hierher steuern,« erwiderte Barra gleichgültig.

»Nun? Und was dann?«

»Dann wäre ich eben genötigt, Sie zu erschießen! Denken Sie, Ihre Gesellschaft bis Fredrikshavn entbehren zu müssen,« lachte er spöttisch.

»Warten Sie nur!«

»Das tue ich.«

Der Kapitän hatte unterdessen seinen Steuermann instruiert, und Krag sah jetzt, wie er das Boot bestieg, während der Steuermann seinen Revolver in Empfang nahm und sich auf der anderen Seite von Asbjörn Krag aufstellte.

»Du verstehst – bei der geringsten verdächtigen Bewegung!« rief der Kapitän noch einmal dem Steuermann zu.

»All right,« erwiderte dieser mit einem finsteren Blick auf Asbjörn Krag, der jetzt zwischen Barra und ihm stand. Aber keiner von ihnen war doch so nahe, daß Krag ihn mit ausgestreckter Hand erreichen konnte. Als der Kapitän in das Boot gesprungen war, legten die Matrosen die Riemen aus, und gleich darauf war das Boot von einer Sturzwelle ein tüchtiges Stück von dem kleinen Dampfer fortgeschleudert. Das eine Torpedoboot dampfte langsam den Kommenden entgegen. Nach Verlauf von zehn Minuten konnten die Ruderer an der eisernen Flanke des Torpedobootes anlegen, und Krag sah den Kapitän auf das Verdeck springen. Was dort vorging, konnte er nicht sehen, die Entfernung war zu groß, auch war es noch zu dunkel.

Krag bemerkte, daß Ingenieur Barra von der Spannung des Moments ergriffen war. Das Einzigartige und Gewagte des Spieles, das jetzt vorging, hatte also selbst auf einen so verhärteten Burschen wie den rotbärtigen Ingenieur seine Wirkung nicht verfehlt. Sollte ihm das Spiel gelingen?

»Ah,« murmelte Barra, »ein Signal!«

Und wirklich, aus dem Boot des Admirals wurde dem anderen Torpedoboot, das sich in der Nähe befand, signalisiert. Ein paar Minuten darauf sah Krag, wie dieses Boot nach Norden drehte und davondampfte. Dicke, schwere Rauchwolken wälzten sich aus seinem Rauchfang.

Ingenieur Barra lächelte, und beinahe freundlich sagte er zu dem Polizisten:

»Jetzt geht das eine Torpedoboot nach Arendal. Es sieht aus, als sollte das Ganze gelingen. Ihr Schicksal wollte nicht, daß Sie diesmal sterben.«

»Triumphieren Sie nicht zu früh,« sagte Krag. »Sehen Sie das andere Torpedoboot. Das kommt hierher.«

Ingenieur Barra zuckte zusammen.

»Zum Geier,« rief er. »Was soll das heißen?«

Das Torpedoboot dampfte langsam auf sie zu.

»Auf dem Kommandoturm steht ein Mann in Zivil,« sagte Barra. »Er hat ein Taschentuch in der Hand.«

»Ich bewundere Ihre Augen,« sagte der Detektiv nur. Aber er wußte, daß der Mann in Zivil sein Kollege sein mußte.

Jetzt winkte er mit dem Taschentuch.

»Ausgezeichnet!« rief plötzlich Barra. »Jetzt verstehe ich das Ganze. Das Boot wird nur so dicht an uns vorbeistreichen, daß ein Mann an Bord Ihnen zum Abschied winken kann. Wenn Sie dann zurückwinken, versteht man, daß alles in Ordnung ist. Winken Sie, Mann! Winken Sie! Oder Sie sind des Todes.«

Barra rückte dem Detektiv auf den Leib und hob den Revolver in der Richtung seines Kopfes, aber so, daß man es an Bord des Torpedobootes nicht sehen konnte. Er wiederholte: »Winken Sie! Winken Sie zurück, hören Sie?«

Krag wollte in die Tasche nach seinem Taschentuch greifen, aber Barra hielt ihn zurück.

»Nein,« rief er, und warf ihm sein eigenes Taschentuch zu. »Hände aus der Tasche! Nehmen Sie dieses. So winken Sie doch jetzt, zum Teufel!«

Krag war ganz ruhig. Er fühlte, daß der Augenblick der Entscheidung nahte.

Jetzt konnte er, wenn er wollte, die Hand ausstrecken und den Ingenieur erreichen.

»Warten Sie noch einen kleinen Augenblick,« sagte er zu Barra, »warten Sie, bis das Torpedoboot dicht an uns vorbeistreicht!«

Ein paar stumme Sekunden vergingen.

Nun strich das Torpedoboot in der Entfernung einer halben Kabellänge vorbei. An der Steuerkurbel stand der Polizist und winkte langsam mit seinem weißen Taschentuch.

»Nun!« rief Barra. »Jetzt oder nie!« Der Detektiv sah, daß seine Augen vor Erregung ganz blutunterlaufen waren.

»Jawohl,« sagte der Detektiv, »ich winke ja schon.«

Im selben Augenblick streckte er den Arm aus. Aber nicht, um zu winken. Blitzschnell schlang er seine beiden langen Arme um den Rotbärtigen, dessen Schuß im selben Augenblick losging.

»Hallo!« rief Krag. »Sie haben nicht getroffen, diesmal war ich Ihnen zu schnell.« Er hielt ihn mit seinen Riesenkräften fest an sich gedrückt und sorgte dafür, daß Barras Körper zwischen ihm und dem anderen Banditen war. Dieser beschützte ihn so wie ein Schild.

Aber der Steuermann trachtete, auf die andere Seite hinüberzukommen. Er hatte den Revolver schußbereit in der Hand, Krag wußte, daß es im nächsten Augenblick um ihn geschehen sein mußte. Aber da faßte er einen blitzschnellen Entschluß. Eine heftige Kraftanstrengung und er schleuderte sich selbst und den Ingenieur über das Geländer ins Meer hinaus!

»Teufel!« rief der Bandit an Bord und flog mit ausgestrecktem Revolver zum Geländer hin. Seine Augen leuchteten mit fanatischem Glanz. Wenn er doch den Polizisten treffen könnte!

Dort unten im Wasser lagen die beiden und rangen miteinander – der Detektiv und der Rotbärtige, und die Wellen spritzten rings um sie auf.

Aber an Bord des Torpedoboots war man auf den Sachverhalt aufmerksam geworden.

Einige kurze, scharfe Kommandorufe ertönten, und ein kleines Segeltuchboot wurde ins Wasser gelassen, mit drei stämmigen Matrosen bemannt.

Binnen wenigen Minuten waren sie an der Stelle, wo der Polizist und der Ingenieur in den Wellen lagen und auf Leben und Tod miteinander kämpften.

Asbjörn Krag schien sehr angegriffen, seine Kräfte waren fast erschöpft. Ingenieur Barra hatte immer wieder versucht, ihn mit in die Tiefe zu ziehen.

Nun ist das Rettungsboot ganz in der Nähe.

Im selben Augenblick stößt Krag den Kopf des Ingenieurs weg, so daß der Rotbärtige mit einem heiseren Schrei sinkt.

Doch da ist die Rettung schon da. Eine kräftige Faust packt Krag im Nacken und zieht ihn in das Segeltuchboot. Er wird auf den Boden des Bootes gelegt, wo er sofort ohnmächtig zusammensinkt. Aber vorher hat er noch Gelegenheit zu rufen:

»Rettet den andern! Rettet Barra!«

Die Matrosen ruderten eine Weile umher, und wirklich! Dort tauchte der Ingenieur auf. Sein Rücken krümmte sich über dem Meeresspiegel, während der Kopf unter Wasser blieb.

Man packte ihn sofort an den Kleidern und zog ihn an Bord.

Einer der Seeleute – es war ein Unteroffizier – legte das Ohr an seine Brust:

»Er lebt noch,« sagte er. »Das Herz schlägt. Soweit keine Gefahr.«

Sie legten ihn so, daß der Mund nach unten gekehrt war, eine Menge Seewasser lief heraus.

Dann wurde zu dem Torpedoboot zurückgerudert.

In dem Augenblick, in dem man Krag über das Geländer auf das Verdeck hob, kam er zum Bewußtsein.

Er rief dem Admiral, der herbeieilte und seine Hände ergriff, zu: »Passen Sie auf den Fredrikshavner auf.«

Im selben Augenblick ertönte ein Schuß von dort.

»Der Schurke!« rief der Admiral. »Er hat die Schiffsseite getroffen.«

»Die Kugel war mir zugedacht,« murmelte der Detektiv. Er war furchtbar blaß. Gleich darauf wurde er wieder ohnmächtig.

Man brachte trockene Kleider, und einige Minuten später lagen der Polizist und der Rotbärtige in der Kajüte des Chefs, der letztere mit entsprechenden Eisen um die Handgelenke versehen.

Auf Krags Weisung wurde dann das Fredrikshavner Dampfschiff mit Marinesoldaten bemannt, und man fuhr zuerst nach Langesund, von wo Krag den glücklichen Ausfall der Sache sowohl dem Chef des Sicherheitsbureaus, wie den interessierten Banken telegraphierte.

Als dies glücklich geordnet war, wurde sofort Kurs auf Christiania genommen.


 << zurück weiter >>