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Die Geburt

. In einem Städtlein des Schwarzwaldes ereignete sich gegen die Weihnachtszeit im Krieg folgende Geschichte:

Eine arme Frau gebar einen Knaben.

Zur gleichen Stunde ging der Postbote seinen Gang mit der Nachricht, der Mann der Frau sei in Frankreich gefallen. Schon stand er vor der Türe des kleinen Hauses, das man wohl eine Hütte nennen konnte, als der erste Lebenslaut des Kindes hervordrang.

Da vermochte der dienstbare Horcher nicht, seine Pflicht zu tun, sondern ging mit der bitteren Kunde weiter zu einem Herrn, der zwar aus der Fremde hergezogen war, aber ob seines freundlichen, hilfreichen Wesens sich ein ansehnliches Heimatrecht erworben hatte.

»Ist das nicht ein Zeichen?« fragte der zu Rate Gezogene wie von einer Erleuchtung getroffen. Dann gab er dem Postboten geschriebene Aufträge mit.

* * *

Abends, als die Sterne über dem verschneiten Walde schienen, füllte sich die Gasse um das kleine Haus mit Menschen an. Kaum hörbar, wie vorbewegt von feierlichen Geschehnissen kamen dunkle Gruppen aus dem Ort zusammen.

Inmitten aber waren die Schulkinder geschart unter farbigen Papierlaternen, und aus der Stille stieg von ihrem Munde das Lied von der stillen heiligen Nacht.

In der Kammer lag beim dürftigen Licht der Lampe die Mutter und fragte die hinter dem Ofen sitzende Base: »Sagt, Mine, träume ich's, oder wird wahrlich gesungen?«

»Ja, Marie, es wird Euch gesungen.«

Mit der Antwort ging die Türe auf, und ein Mädchen brachte einen brennenden Christbaum auf den Tisch. Dann folgten drei Knaben, die Arme beladen; der mittlere trug ein lebendiges Lamm.

Im Gang hinter der offenen Türe, so daß sie in der Kammer und auf der Gasse gehört wurde, erhob sich die Stimme jenes Herrn zu einer kleinen Rede. Deren Worte lauteten:

»Sehet, ich verkündige euch eine große Freude, die diesem Hause und dieser Gemeinde widerfährt. Denn euch ist heute ein kleiner Menschenbruder dessen geboren, welchen wir den Heiland nennen.

Schauet dort die Mutter mit dem Knaben und horchet daneben hinüber nach dem Stalle! Ihr weilet in einem Bethlehem des deutschen Vaterlandes.

Da die Welt voll Feindschaft und Trübsal ist, legt der Himmel uns ein Kind des Friedens hernieder, das den Kummer dieser Zeit nicht mehr sehen und nur einen Glanz und eine Kraft davon in seine Tage tragen wird.

Er wird unter uns einhergehen als einer von denen, die uns morgen das Leid von heute in Werke der Freude wandeln sollen.

Frau Marie, weinet nicht und seid getrost, wenn Ihr erfahret, sein Vater sei im fernen Kriegesland von der Erde gegangen, zu der Stunde, als das verjüngte Ebenbild Eures Geliebten zur Erde kam. Denket das Geheimnis, er sei nicht mehr von dieser Welt, die er dem Sohn zum Erbe läßt.

Saget, gleicht das Geschehene nicht einem Wunder und jener schönen Legende, die wir im frommen Buche lesen?

Wie die Hirten kommen wir mit Gaben und mit der Liebe unserer nachbarlichen Herzen. Die wird ihn begleiten und um ihn sein, weil er als ein Gleichnis in unsere Mitte gekommen ist.

Denn in ihm sehen wir das Leben aus dem Tode wachsen und einen Sproß aus dem Stamm unseres Zeitgeschlechtes, an das die Axt der Heimsuchung gelegt ist.

Wer könnte dieser Stunde vergessen, in wem könnte das Licht erlöschen, das uns hier im Dunkel entglomm?«

Niemand sah den Sprecher der Worte. Die Mutter Marie lag in den Kissen mit offenen feuchten Augen, die doch nicht weinten. Draußen aber hoben sich die Tücher der Frauen zu den Gesichtern.

Die Schulkinder sangen wieder, bis die Gemeinde sich verlor. Die Papierlaternen erloschen; nur noch der Baum in der Kammer und die Sterne über dem verschneiten Wald strahlten.

* * *

Soll ich den Namen des Städtleins sagen? Könnte es nicht jedes sein im heiligen deutschen Vaterland in der heiligen Weihnacht dieser erfüllten Zeit?

 


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