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Das Konzert im Vorfrühling

Meine liebe Frau!

.Erschrecke nicht zu schwer, wenn ich Dir schreibe, daß ich Dir untreu geworden bin.

Zwar soll das Wort gleich der landläufigen Nebenbedeutung entkleidet, darum aber sein Gewicht keineswegs abgeschwächt werden. Denn viel ernster und mehr entscheidend als ein erotischer Zwischenfall ist das Erlebnis, für dessen Sinn ich Dich um eine halbe Stunde Deines ja so gütigen Verständnisses bitte.

Ich schreibe nachts in meinem Gasthofzimmer, um das her schon alles verstummt ist, und ich bin tief allein mit mir und Dir, die mich hören muß.

Du weißt es, wenn ich in der Stadt zu tun habe, gehe ich abends gern in ein Konzert, am liebsten, wenn ein guter deutscher Geiger angezeigt ist.

Das fand ich gestern im Museumsaal. Du hast dort den Volland auch einmal mit mir gehört; und halb und halb in diese Erinnerung gelehnt, saß ich erwartend auf meinem Parkettsitz zwischen einem weißhaarigen, von einem edlen Alter geläuterten Herrn und einem jungen unauffälligen Mädchen.

Der Geiger hatte schon mit den ersten Sätzen in dem lauschenden Raum eine feierliche Stunde eröffnet.

Ich bin kein Musikkenner, aber ein um so tiefer empfänglicher Zuhörer, als das Element an sich auf mich wirkt. Es geht mit mir dabei etwas vor wie bei einem Medium. Meine Vorstellungen und meine Empfindungen lockern sich zugleich und verweben sich in ein leichtes schwebendes Irgendwas, das einen Wandel wunderbar sinnlicher Eindrücke an sich erfährt. Gehör, Geruch und Gefühl geraten zusammen gleichsam in einen höheren Reizzustand und schwelgen in einer sonst nie sich mischenden innigen Vereinigung. Ich glaube, die gewagten Narkotika des Orients erzielen keine solchen Ekstasen; und am Ende bezahle ich die Ausschweifung auch mit einer, wenngleich wohltuenden Erschöpfung. Ich bin Dichter und Maler, Geschwister von Wolke, Baum, Sonnenbeet, Quelle, Fluß, Bergen, Tälern, Nahem und Fernem, bin süßer und schmerzlicher Seligkeiten voll, hohen Erhebungen und abgründigen Erschütterungen ausgesetzt. Ich fliege oder gleite, oder ströme, oder schwinde und entstehe wieder.

Anderen Laien soll Ähnliches durch die Musik widerfahren, doch kaum wird sich einer gleich hemmungslos und gleich beglückt preisgeben müssen.

Über diese meine Zustände, die mir eigentlich krankhaft erschienen, suchte ich mir oft klar zu werden, und glaubte schon manchmal an die erleuchtete Schwelle gelangt zu sein, wo Musik, Sinne, Unbewußtes und Erlebnis, Natur und Mysterium zusammenfließen. Und der Gott, fühlte ich, müsse mir zum Greifen nahe sein.

Auch gestern abend wieder wurde ich von dem Spiel so hingenommen und aus mir fortgeholt. Doch geschah mir diesmal noch etwas auffällig Neues.

In der zweiten Hälfte des Konzertes, als nicht nur ich, sondern alles in dem vollen Saal aufgeschmolzen saß, brachte der Geiger von einem mir unbekannten Komponisten einen dreiteiligen Satz.

Leicht wie ein Lüftchen strich das Ding, beinahe wie von Haydn oder Mozart her, und führte bestrickend in helle Spiele. Nicht schwül und von berauschenden Essenzen dunstend, sondern angewärmelt von früher Sonne und wehend von blumigen Wohlgerüchen.

Da spürte ich auf einmal das junge Mädchen neben mir, das bisher für sich wie ein stillgeschlossenes, innen horchendes Gefäß dagesessen war.

Wohl hatte mir mitunter ein Blick hinüber die feine unbeschwerte Freude gemacht, zu sehen, wie in der gedeckten Seele doch auch schon der Sangboden und die weiche jungfräuliche Dämmerung bebten. Jetzt aber zog mich die Nachbarschaft plötzlich an, und auch drüben strömte die süße Unruhe auf –, als wäre die Luft zwischen uns in Bewegung geraten. Das Mädchen schaute aus sich empor und schaute mich mit zwei seltsam florgrauen, erst im Grund erhellten Augen überrascht, doch ohne Groll an. Dann senkte es, anders geworden von der Sekunde, den Blick in den Schoß zurück und horchte wieder.

Ich aber wußte betroffen, wie ich's noch nie wußte, daß mir die Liebe ins Blut geflossen war. Zum erstenmal so erfüllend hineingegossen, als je vordem in mir eine Sehnsucht sich unerfüllbar geräumig dehnen mochte.

Der Geiger hatte seine Macht über mein hingegebenes Wesen unversehens in Gewalt gewandelt. Ich ließ die Besitznahme staunend und widerstandslos geschehen und empfand nur noch, das Geigenspiel sei ein schmeichelnder Wurf von Lustperlen geworden, die bald nah, bald fernher, bald lichter, bald dichter das Mädchen und mich zusammen einstreuten. Das Ringsum wurde eine melodisch getragene Welle von Wohltat, die wiederum uns trug. Es war zu fühlen, wie die Menschen außer uns und unserem besonderen Wunder von einem entfernt ähnlichen Wirrsal gegeneinander gezweigt wurden. Zauber quoll aus dem singenden braunen Holzschifflein, das droben vor einem Mann schwebte, den ich kaum mehr sah, als hätte die Geige sein Sichtbares in sich eingezogen.

Ich entdeckte, wie das Spiel eigentlich den Knospensprung, jene seltsamste Innenwandlung der zu sich kommenden Mädchenseele, beschreiben wollte und wirklich an dem Wesen neben mir vollzog …

Ein Zweifel dämpfte mich, ob es denn nicht ein sinnloser Zufall sei, daß das gerade in meiner Gegenwart geschah, ob ich denn auch nur einen Hauch des Anteils an dem Vorgang habe. Ich dachte erschrocken und beinahe beschämt an meine vierzig Jahre und an die grauen Haare, die sich an meinen Schläfen schon einschlichen. Dann aber wußte ich wieder überklar, wie unabänderlich die wunderbare Zuwendung sich vollzogen hatte; und in mir jubelte das Frohgefühl eines Auserwählten. Die aufgewehte Seele drüben blühte nach mir hingedreht.

Und wie schön war das Mädchen in dieser seiner Stunde geworden! Duft und Schimmer schienen aus dem in die blätterfeine Haut gespannten Körper hervorgelockt, das Gesicht behauchte sich von innen her, auch der dämmergraue Flor der Augen leuchtete jetzt von dem Licht, das dahinter geschlafen hatte, und die vom Licht des Raumes geliebte Stirn überwebte sich durchsichtig mit gekräuselten Haaren. Das weiße Töchterkleid aber war ohne Nadelzug zum Brautkleid geworden um den köstlich verwandelten Inhalt.

Das Geigenspiel regte sich jetzt silbern von hervorgebrochenen Quellen und führte unsere benachbarten … Hände in der Mitte zusammen, wie um dem Geriesel einen Weg zu geben. In meinen Leib lief ein Strom fremder Erquickung herüber. Die Wunderlust der nahe hergeneigten Jungfräulichkeit und der Wohlgeruch ihres mir geweckten Blutes. Ich erfuhr durch die Frische der Füllung, mein Gewebe habe schon jahrelang leer gelegen; der selige Jungbrunn mußte in mir erst mit einer leisen Angst fertig werden, ob das Gefäß meines Lebens solcher Gnade noch würdig sei.

Dann empfand ich immer nur die samtene warme kleine Hand in der meinen, und meine Wollust dachte immer nur: O süßer Quell, o süßer, süßer Quell!

Das Spiel stillte sich in weichen Vollgefühlen und zog dann seine bukolische Spur gleichsam auf eine freudige Anhöhe empor in eine schmeichelnde Tanzweise. Da wir immer noch verborgen Hand in Hand saßen, wurden wir zusammen in den Takt des hellen Menuettes verführt. Mich ergriff die berückend gegenwärtige Vorstellung, als ob ich, den glorienleichten Mädchenleib an mich geschlossen, wirklich tanze, still und selig wie auf einer Spieldose oder im Buchsrondell eines heiteren Gartens.

Zwischenhinein dachte ich unter dem plötzlichen Angriff eines Schmerzes wieder, ich sei auch schon neben Dir, Du Liebe, in Konzerten gesessen, aber, anders als jetzt, immer allein und von Dir fort in einsame Bilderfeste entlenkt worden. Wie ein dunkler Spalt schloß sich der schmerzhafte Vergleich unter der verzauberten Gegenwart.

 

Wir gingen, wie wenn uns der Zauber allein auf unseren Sitzen noch festhielte, als letzte, nachdem der Geiger sich aus der Woge des Beifalls weggespielt und die faszinierten Menschen sich verglüht hatten. Als wäre es nicht anders denkbar, hüllte ich am Kleiderstand das Mädchen in seinen Mantel und begleitete es in die Nacht hinaus. Nur ein paar Worte waren darum zwischen uns gewechselt worden.

Draußen ging das Mädchen neben mir her in eine erste lauliche Nacht des Vorfrühlings, als wäre auch diese für uns geworden und als wäre sie das verströmende Licht des tönenden Ereignisses, das in dem Haus hinter uns erlosch.

Über den sonderbaren Himmel hin war von dem Mond ein leichter farbiger Dunst gerieselt, und darum – viel weiter als sonst der Hof – zog sich ein Reif tieferer Färbung. Gleich einem gerundeten Regenbogen umschloß er die Erscheinung und entließ sie dann schleiernd hinaus ins Dunkel.

Und von dem Licht rieselte herunter. Die Häuser und Bäume standen weich in auch farbigen Schatten, wie wenn man sie mit der Hand wegheben könnte. Aus Wirtshäusern kamen Menschen, bunt in der Fasnacht geputzt und verschiedenartig trunken; sie purzelten lustig heraus, als wären sie von hinten angenehm gestoßen worden. Sie schrien wohl auch vor Lust einmal auf. Dann aber wurden sie still, standen und schauten ergriffen in das Nachtgewölbe hinauf und hin in die Gassen. Und die geputzten Menschen gingen still hinein in die Nacht, in Pärchen aneinandergedrängt, wie in den Weg einer Sage.

Auch wir waren etwas Märchenhaftes wie sie und fanden nicht den Mut, durch ein Wort unsere magisch waltende Gegenwart zu gefährden.

Da und dort kam ein Pärchen weg in die farbigen Schatten der Häuser. Das letzte Paar ging uns vor die Stadt hinaus voraus, mitten in der Platanenallee empor, deren Stämme durch das Netzwerk des kahlen Geästes das Rinnsal des Lichtes hellgefleckt an sich herunterholten.

Auf einmal fing das Paar vorn zu singen an, in zwei schönen Stimmen, einer Jünglingsstimme unten und einer Mädchenstimme oben. Ein merkwürdiges, lang nicht mehr gehörtes Volkslied sangen sie, dessen altmodische Weise wie in einer Schaukel sich auf- und abwiegt und sentimentale Schleifen ineinanderzieht. In der Stille dieser versetzten Nacht ging der Gesang aber auf mit seiner ganzen süßtraurigen Geschichte, Strophe um Strophe, und erfüllte die Allee, als wären die Reihen der Bäume und dahinter die Häuser horchende Gestalten. Die zwei Stimmen quollen golden ineinander. Sie tranken sich und tränkten sich, und merkwürdig war es, als tönte dahinter auch noch eine Saite der Geige mit, deren Nachklang in uns lag.

Wir hörten ein Liebeslied. Und wie die singenden Stimmen schwiegen, lief ihr aufgelöstes Wesen mit durch die Allee, bis auch das Paar plötzlich nach einer Seite hin wegkam und wir allein weitergingen; nahe aneinandergekommen und Arm in Arm verschränkt.

Zwischen uns gaben sich jetzt auch Worte. Zögernd und beschattet wie aus einer Geheimkammer kamen sie drüben her von einem stillbedenklichen Mädchenmund. Die milde Nachtluft streichelte sie hervor; und ohne Bekenntnisse schenkten sich mir, dem weit ins Leben Gerückten, die Erstlinge einer Mädchenseele.

Wir sprachen nicht einmal von uns, sondern von dem Geiger und seinem Spiel, von dem Lied des Paares, von der schönen Nacht.

Und sie wolle mir noch ihren Lieblingsplatz zeigen, ehe sie vollends heimgehe zur Mettenwaldstraße hinauf.

So saßen wir dann über der Stadt unter dem runden Dach eines Brunnens, den hinten ein Lustwäldchen umschirmte. Die Stadt lag drunten, ein bebender Lichtergrund, als wäre sie von dem inzwischen überträchtig gewordenen Sternhimmel heruntergefallen in die weite dunkle Mulde.

Wir aber saßen, auch zwei erhellte Zellen, nebeneinander, herausgehoben in unserer blauen Dämmerung; und hinter uns rauschte der Brunnen in die vertiefte Steinschale wie in die Gewölbe der Erde hinunter.

Ich hatte meinen Mantel nach der Seite hin aufgeschlagen und das Mädchen wie einen Vogel mit hineingenommen ins Warme. Der süßgesproßte Leib schmiegte sich an mich und richtete sich, vertraut werdend, wie in einem Nest ein. Daraus schimmerte mich nur das Gesicht des Köpfchens an und die Augen, die mich wie einen Fund in ihren zwei Lichtern hielten.

Wieder sprachen wir. Was ein mit ungrober reiner Nahrung und in vielen klaren Tagen genährtes Jungfernwesen an sauberem kleinen Prunk in sich hegen kann, entfaltete sich reizend vor mir.

In mir lösten sich davon die Siegel einer starken warmen Zärtlichkeit, wie sie wohl nur in einem reifen Mann anwachsen kann. Da barg sich das Mädchen unter einem leisen Schauer ganz hinein, und ich küßte ihre Lippen. Ich spürte selber in dem Kuß die wunderbare Empfängnis, die das hold erregte Blut davon erlitt. Es war das Einmalige, das Stigma eines Lebens, unverwischbar und nie wiederkehrend. Wie fühlte ich mich in diesem zitternden Augenblick voll ungemeiner Bedeutung, als sich meine schwere Seele in die leichte senkte.

Diese eine stille tiefe Liebkosung wurde auf einmal das, worauf meine Einbildung und alle meine Jahre von jeher gewartet zu haben schienen, oder nein, schon nicht mehr zu warten wagten. Der späte Anflug jenes Naturglücks, das mir ungeformt ersehnt in den Gefühlen gelegen war. Als wären meine Seele und meine Wünsche alle außer mir auf der Reise gewesen und jetzt in mich heimgekehrt, in mich heruntergefallen wie ein Taubenschwarm oder ein unverhofftes Licht, so saß ich und erkannte mich verschönt und verklärt wieder.

Wie wenn ich auch den Geruch verloren gehabt und wieder gefunden hätte, sog ich das leichte atmende Liebesgeschöpf in mich ein.

Dann durfte ich still die Hände auf die kleinen Brüste legen und deren Züge spüren.

Als sie nach der Zeit frug – es war eine Stunde entschwunden – und sich aus meinem Mantel schälte, mußte ich dessen teuer gewordenes Tuch um mich schlagen, um nichts Leeres neben mir zu haben. Das süße, an mich gewachsene Wesen aber stand jetzt wieder außer mir. Die milde Luft wehte von ihm zu mir her gleich wie von ihrer Quelle. Der leis bebende Mädchenkörper war rätselhaft Mitte und Ursprung geworden in dem Gewebe der Nacht und der nächtlichen Welt, etwas aus der dunkeln Erde und vom Sternhimmel zugleich Entstandenes. Und von seinen geheimnisvollen Wellen allein lebte auch ich und labte mich von dem inständigen Freudenschein, der aus ihm über mich hineinstrahlte.

Meine Worte werden mager und dürftig an dem unvermischten Schöpfungswunder, das mir und dem holden Kind so geschah. Die erregte Feder findet die Tinte nicht mehr.

Ehe wir gingen, tranken wir an dem Brunnen einen Becher silbernen Wassers. Das kühlte ruhig, und bald waren wir oben in den kahlen Gärten vor ihrem Haus. Dort vertraute sie sich noch einmal in meine Arme und glitt von mir langsam und schwer weg wie von einer Magnetplatte. Und ich gab den sich lösenden Leib ab wie ein Stück meiner selbst, oder wie eine Schale, in die noch meine Gedanken und Gefühle und mein Leben stürzen sollten, ehe sie entzogen würde.

Dann stand ich allein in dem Gittergang vor dem verschlossenen Haus und rührte mit den Händen an seinen Stein, als müßte auch dieser etwas anderes sein als Stein. Und wie von oben aus einem Fenster des dunkeln Hauses ein Lichtschein auf den Weg herunterfiel, stellte ich mich hinein, als müßte mich der schmale Gnadenstreifen vor der Finsternis hüten.

Die liebe Gestalt zeigte sich noch einmal im Fensterrahmen, dann zog sich der Vorhang darüber, von der Nachtluft leis bewegt und von dem Lichtschein durchschimmert. Schließlich wurde auch die Zelle des Zimmers vollends dunkel.

Von dem inzwischen ganz warm gewordenen Föhn umspült ließ ich mich auf einem Staffelpfad wieder in die Lichter der Stadt hinunter und schlief in farbig flutenden Träumen und im Glanz des inneren Weines, zu dem mein Blut sich verwandelt hatte.

In der anderen Frühe schmeichelte sich ein erster blauer Tag ins Land. Der hohe alljährliche Festtag, an dem man zum erstenmal den Mantel daheimläßt und in den lauen Wind hineinläuft wie in ein Bad.

Ich lief, als wäre ich noch einmal ein Knabe geworden, hinaus aus der Stadt, wieder auf die Höhe. Ihr Haus stand schon in der Sonne und war wie eine noch schlafende Schale, die bald aufgehen mußte; oder es mußte von einem darin schlummernden Wohlklang tönen; oder in seinen Räumen duften.

Ich ließ mich weiter verführen in eine verzauberte, frisch aufgeschlagene Welt. Die Erde lag noch stumpf mit den leeren Äckern, den grauen Wiesen und den entfärbten Wäldern. Die Bäume streckten noch ihre nackten Äste in den Raum, die Hecken saßen als arme Reisighaufen am Weg, und an einer Staude klirrte noch übriggebliebenes Laub.

Aber droben der Himmel war ein anderer – um ein Vierteljahr zu früh dran? Wie war das seltsam, diesen blauen, frohen Himmel über dem ungeweckten Land zu sehen!

Oh, auch in mir hatte sich eine neue leichte Seele über die alte, schwere Last meines noch von gestern träg liegenden Wesens geschoben. Kann ein Gott, dachte ich herrlich entzückt, seine ganze Welt und Tag und Nacht so wundersam verstellen für einen Menschen!

Der Horizont dunstete in dunkelm Goldrauch; den Kaminen entquollen weiße eifrige Rauchballen; über ein nahes Dorf war heller Nebel zerstreut, und die Sonne lockte emaillierte Farben und blinkende Funken aus seinen Häusernestern.

Und dann die Vögel! Von einer Birke rieb sich leicht und zaghaft ein Gezwitscher an. Ein süßer feiner Schrecken und war schon wieder verschwunden. Und von da und dorther perlte es von lustvollen Lauten, und graue, gelbe, rote Vogelbäuchlein schwangen sich in dem kahlen Gezweig. Seltsam lebendig und voreilig wie jener blaue Himmel über der toten Erde. Eine verwegene Sippe der Obdachlosen, Geschwister meines locker ausgeschwärmten Herzens.

Und plötzlich sah ich an dem mißfarbenen Wiesenrain hingeworfen einen glanzlos gelben Schein. Es waren Schlüsselblumen; weiterwandelnd entdeckte ich, wie schon die kleinen rotgeränderten Sterne der Gänsblumen aufgegangen waren. Ich pflückte von beiden in zärtlicher Geschäftigkeit, wie ein Mädchen kindhaft erhellt.

Noch kein Morgen meines Lebens verlief so ausgeklärt. Ich, derweil ich zum erstenmal ein wahrlich Liebender war, erlebte zum erstenmal den Frühling und bin seiner erquickenden Gegenwart teilhaftig geworden, und wurde selber Frühling und habe mich sprossend erneuert. Man sagt, es dauere sieben Jahre, bis sich der Körper stoffwechselnd umsetze. Mir geschah der wollustreiche Prozeß in ein paar Stunden.

Der ganze Morgen war eine Entdeckungsreise in mir voll Fünden fröhlicher Kräfte. Meine Sinne haben noch ihre Witterung, meine Gelenke noch ihre Sehnen, meine Lungen füllen sich noch mit Märzluft, meine Augen trinken noch Glanz, meine Füße marschieren ins Ungefähr, und mein Herz ist einem so töricht schönen Abenteuer offen. Denn ich lief ja immer noch neben dem Duft und Schein des Mädchens, das ungesehen mit mir lief und der Geheimbrunnen des ganzen Zaubers war.

Sieh, ich schwärme überströmend und weiß die Quellen solcher Wiedergeburt nicht anders mehr zu fassen, als daß ich sie Dir in dieses Geständnis leite.

Dein Herz schilt mich nicht darum, ich kenne seine klare Güte. Und glaube mir, ich habe oft unter dem auf mich gekommenen Ereignis an Dich gedacht. Ich sah Dich allein daheim in unseren Wänden, die Du mit der fraulichen Zier Deines Wesens so traulich wohltuend zu schmücken weißt. Ich sah alles um Dich plötzlich kalt und einsam werden und Dich selber frierend allein. Alle schönen Gefühle, die wir je einander zuwendeten, erweckten sich schmerzhaft, als ich da erfuhr, wie etwas grausam Unheilbares zwischen uns geschehen sei. Doch immer wieder drückte sich in harter Wahrhaftigkeit die Erkenntnis hindurch, wie unser jahrelanger Glaube, die Liebe zu haben, die Liebe zu geben und zu empfangen, zwischen uns beiden ja nur der Wille zur Liebe gewesen war, der Wunsch nach der Liebe, der sich mit einem Schein zufrieden gab. Ich sah mich und Dich jäh verarmt und die Rosen in der Hand unserer Einbildung zu Papierblumen geworden. Vor mir aber steht im schon hereinkommenden Frühlicht das von mir gepflückte Wiesensträußlein im Wasser und atmet leisen Duft.

Ich meine, du müßtest jetzt das Vergebliche und die zerrissenen Fäden unserer blind gepflegten Täuschung sehen gleich mir.

Und Du, gerade Du, meine Frau, wirst Dich nicht regen, was im Gefühl auseinander versetzt ist, zusammenzuhalten. Denn Dir wie mir ist das Gefühl die Luft, in der einzig wir leben können, und Dir wie mir ist die allein tötende Sünde die Sünde wider das Gefühl und die alleinige Treue die Treue des Blutes. Jetzt, da wir erfinden, dieses sei auseinandergeflossen, dürfen wir uns nicht mehr für ein Gefäß halten. Wir müssen uns einander zurückgeben, weil wir uns nicht geliebt haben, aber fortan uns lieb haben wollen.

Nimm Dich wieder, und schaue, es ist nichts verdorben und verbraucht an Dir. Du bliebst Du, und was von mir zu Dir überging, ist leicht und gut und schön. Nur jetzt in der Hand unwahrer Zärtlichkeiten würde es grau und arg werden.

Neulich schrieb einer, und schrieb damit nichts Neues, die Liebe sei ein Vorgang chemischer Stoffwahl. Unsere Sinne haben sich entmischt und waren einander wohl immer fremd. Ich habe auch keinen Geruch von Dir in mir und nur den des neuen jungen Wesens.

Es ist unser Schicksal. Du bist von mir weggefallen und schon Erinnerung geworden im Wandel eines Tages.

Ich habe zu dem Mädchen nicht von Dir gesprochen. Das Ereignis war etwas so für sich, so Unverbundenes und geschah so in seiner eigenen Luft, daß früher Geschehenes nicht daran rühren konnte. Auch hätte ich die mir aufgegangene Seele mit einem Wort wohl erdrückt und erschlagen.

Was werden soll, weiß ich nicht. Wenn ich Dich von mir fort in die Einsamkeit setze, darf ich am Ende doch nicht nach einem Glück für mich allein greifen? Ich darf mich nicht verjüngen, während Du Jugendliche noch an diesem Tag alt wirst?

Hinwiederum habe ich da schon ein anderes Leben aus seinem Boden gebrochen und zu mir herübergenommen. Muß ich es nicht auch bei mir einpflanzen? Muß es sonst nicht verdorren? Oh, es ist zart und einer Wurzelstätte bedürftig, und es bebt zu mir her.

Gütige, Kluge, hilf Du mir! Bedenke Du, Hellsichtige, wo in dieser Wirrnis der lichte Weg ist, unser Weg.

Soll ich Dir das Mädchen zuführen? Du würdest diese – Dorothea auch lieb gewinnen und den Wohllaut und Wohlgeruch einer feinen jungen Schwester spüren.

Sollen wir zusammen zu Dir kommen und eine neue andere Treue der Kindschaft Dir bringen?

Denke, ich säße jetzt vor Dir und Du hieltest meinen Kopf in Deinen Händen und beschiedest, was uns frommt.

Ich lege meine linke Hand auf mein Herz, indem ich Dir den Namen schreibe, mit dem Du mich so oft gerufen hast.

Stephan.

 

Lieber Stephan!

Gott segne die späte Blüte, in die Du geraten bist! Ich bin nur traurig, weil ich Dir so lang im Weg stand. Oder sage, hab' ich Dich aufgehoben für diese Stunde?

Es liegt mir auch etwas auf dem Herzen; nur weil ich Dir kein Leid antun wollte, weil ich Dich – lieb habe, schwieg ich. Und rätselhafte Heimsuchung, es geschah mir das … gleiche, wie Dir.

Du weißt, wie ich mit Deinem Freund Dr. Neuber am Klavier Beethoven spielte. Ich mußte ihn damals in einer schweren Stunde bitten, seine Besuche einzustellen. Er ging als Schiffsarzt. Du hast geweint, als die Nachricht kam, er sei in Indien an der Cholera gestorben. Ich schwieg.

Nun hat auch Dich die Musik von mir geführt. Muß ich mich schuldig heißen? Oder nein, es sind die Gesetze. Der Natur, der chemischen Wahlverwandtschaft, des Gleichklangs.

Du hast jetzt Deinen Wohllaut gefunden. Wie tönt Dein Brief davon! Denke darum nicht, ich sei ein Opfer … Eine schöne Klarheit, selbst des Verzichtes, in sich gefunden zu haben, ist auch ein Geschenk.

Margret.


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