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Eines Nachmittags, um die Zeit, da Wu Ta vom Bohnenpufferverkauf heimzukehren pflegte – wenn er das überhaupt tat – Goldlotos war schon gewohnt, nach der Tür zu gehen und den Vorhang mit der gabelartigen Spitze eines Holzstocks hochzuheben, es sollte eben geschehen –, kam gerade ein Herr auf der Gasse am Bambusvorhang vorbei. Sie hatte den Stock nicht fest genug gefaßt, er fiel ihr aus der Hand. Der Stock traf den Hut, der Mann blieb sofort stehen und wollte zanken. Er drehte sich um, sah, daß es eine hübsche Frau war, beruhigte sich, seine Wut war sofort abgeflaut: Er verzog sein schimpf bereites Gesicht zu einem Lächeln. Und als sie sah, daß er nicht schalt, schlug sie ihre Hände zusammen, verneigte sich und bat um Entschuldigung: »Eben war ich nicht sorgfältig genug, darum fiel mir die Stockgabel runter, vielleicht hat sie dem Herrn weh getan?«
Der Mann strich mit seiner Hand den Hut zurecht, verbeugte sich gleichfalls zum Gruß: »Das tut nichts, aber hat sich die Dame nicht weh getan?«
Als die beiden sich so über ihr Weh unterhielten, kam Frau Wang, die den kleinen Vorfall mit angesehen hatte, aus ihrem Teehaus hervor, lachte: »Wer hat den großen Herrn geheißen, unter anderer Leute Dach zu gehen? Er hat mit Recht eins aufs Dach bekommen.«
Der Mann verstand Scherz, lachte auch: »Es ist meine Schuld. Mein plötzliches Kommen hat die gnädige Frau überrascht, bitte, nehmen Sie es nicht übel.«
Goldlotos hörte mit Vergnügen so höfliche Sprache, lächelte gleichfalls: »Bitte, verzeihen Sie auch mir.«
Er grinste wieder, verbeugte sich tief: »Bitte, bitte.«
Aber seine beiden Augen waren nur auf ihren Körper und ihr Gesicht geheftet. Er ging weiter, doch alle paar Schritte drehte er sich um, bis er sie nicht mehr sehen konnte, dann ging er langsam weiter, seinen Hut streichelnd.
Die alten Leser wissen nicht, wer der Mann war. Er stammte aus einer verarmten Familie, betrieb vor dem Amt ein Drogengeschäft, gehörte zu den Lebemännern der Stadt, focht auch ein wenig mit Stock und Lanze. In den letzten Jahren zeigte er sich viel auf der Straße, neben der Apotheke war seine einträglichste Hauptbeschäftigung: im Amt die Beamten zu bestechen. Von den Leuten, Klägern und Beklagten, denen er behilflich war, recht zu bekommen, wurde er gut bezahlt. Seine Mitbürger haßten ihn; aber niemand konnte etwas gegen ihn tun. Sein Familienname war Si Mên, er selbst hieß Ch'ing. Er war der erstgeborene Sohn, und die Leute nannten ihn Si Mên, den ersten Herrn; später, als sie sahen, daß er viel Geld erwarb, hieß es: Si Mên, der erste große Herr.
Kurze Zeit nach dem Zusammenstoß zwischen Stockgabel und Hut kehrte Si Mên wieder zurück in die Lilasteinstraße, sah bei Goldlotos niemand in der Tür stehen und ging gleich ins Teehaus der Frau Wang. Er setzte sich unter das Regenschutzdach, Frau Wang kam sofort und lachte: »Der große Herr kann sehr schöne Verbeugungen machen!«
Si Mên Ch'ing freundlich: »Mütterchen, machen Sie keine Witze! Ich möchte eine ernste Frage an Sie richten. Die Frau, die in der nächsten Tür wohnt – wem gehört sie?«
Frau Wang: »Sie ist die Schwester des Höllenfürsten und die Tochter des Fünfweggenerals. Warum fragen Sie?«
»Warum fragt man nach einer Frau? Sie sehen, ich spreche mit Ihnen ganz ernst, also dürfen Sie mich nicht verulken!«
»Wieso kennt der große Herr sie nicht? Ihr Mann verkauft täglich frische Eßwaren vor dem Amt.«
Si Mên Ch'ing riet: »Vielleicht ist sie die Frau des Kuchenbäckers Dritter Sü?«
Frau Wang streckte ihre Hände von sich: »Nein! Wenn sie dessen Frau war, gäbe das ein gutes Paar. Bitte, raten Sie weiter!«
»Ist sie die Frau des Goldschmuckhändlers Zweiter Li?«
Frau Wang schüttelte ihren Kopf: »Wenn sie dessen Frau wäre, war es noch besser.«
»Mütterchen, ich kann wirklich nicht mehr raten.«
Sie lachte laut: »Wenn ich Ihnen sage, wer sie hat, wird der große Herr sich ausschütten vor Lachen. Ihr lieber Mann ist der Bohnenpufferverkäufer Erster Wu.«
Si Mên Ch'ing schlug beide Hände zusammen, verschluckte sich vor Lachen: »Das ist doch der, den die Leute immer ›Kleiner Nagel, verschrumpftes Korn‹ nennen?« Sie: »Das ist er!«
Si Mên tat mitleidig: »So ein Stück gutes Hammelfleisch! Wie kann es gerade in diesen Hundemund fallen?«
Frau Wang: »Das ist eine schmerzvolle Sache! Seit alter Zeit ist es doch immer so: Ein gutes Pferd muß einen schlechten Reiter tragen, eine schlaue Frau muß oft mit einem dummen Mann schlafen. Der Ehegott, der Alte unter dem Mond, hat stets solche Ehen zusammengebracht.«
»Mütterchen, wieviel Teerechnungen hab' ich nicht bezahlt?«
Sie wehrte ab: »Nicht viel! Lassen Sie die Teerechnungen nur ruhig weiter stehen.«
Si Mên fand schnell einen besseren Weg, mit der Frau weiterzukommen, fragte: »Mit wem ist denn Ihr Sohn fortgelaufen?«
Sie stöhnte: »Der ist mit einem reichen Kaufmann fortgegangen und noch immer nicht zurück, wer weiß, ob er noch lebt!«
»Warum geben Sie ihn nicht in mein Geschäft?«
Sie freute sich: »Wenn der große Herr ihn emporheben wollte – das wäre sehr gut!«
Si Mên vorsichtig: »Warten wir, bis er zurückkommt, dann können wir noch darüber reden.«
Er unterhielt sich noch ein Weilchen mit ihr, nahm dann Abschied und ging, nicht ohne Goldlotos vergebens bei Tür und Fenster gesucht zu haben, fort. Tags darauf kam er wieder in Frau Wangs Teestube und suchte sich einen Platz aus – gegenüber der Tür des Ersten Wu. Diesmal ließ Frau Wang ihn eine Weile lang allein sitzen, endlich kam sie langsam herbei: »Großer Herr, wollen Sie Erdbeersaft trinken?«
»Ja, aber geben Sie viel Saures hinein.«
Sie bereitete für ihn Erdbeersaft, füllte das Getränk in eine Schale und stellte sie mit beiden Händen vor ihn hin. Er trank nach und nach alles aus.
»Mütterchen, der Erdbeersaft hat sehr gut geschmeckt, wieviel haben Sie noch davon? Wahrscheinlich trinken Sie ihn auch selbst sehr oft?«
Sie lachte: »Nein, ich habe nichts für mich, es ist gerade so wie beim Heiratsvermittler, der kann nur andern Leuten eine Ehe bescheren, aber nicht sich.«
»Ich fragte nur nach Ihrem Erdbeersaft, warum erzählen Sie mir da was von Zwischenhändlern und Ehevermittlern?«
Frau Wang: »Das kam mir nur so in den Mund, weil ich früher auch oft solche Sachen gemacht hab'.«
Si Mên: »Das ist etwas anderes! Mütterchen, wenn Sie das können – warum wollen Sie nicht eine Frau für mich besorgen, später werd' ich Sie reich belohnen.«
»Großer Herr, in Ihrem Haus gibt es schon eine gnädige Frau, wenn die was ahnt, werd' ich eine Menge Ohrfeigen bekommen!«
»Meine Frau ist ein sehr guter Mensch, darüber wird sie sich nicht empören. Ich habe schon oft versucht, eine zweite zu bekommen, aber keine hat mir bis jetzt auf die Dauer gut gefallen. Wenn Sie für mich eine schöne Frau finden, können Sie ganz frei darüber sprechen, ich nehme nichts übel. Eine Witwe geht auch – nur: sie muß mir gefallen!«
»Ja, vor einigen Tagen war eine da, die war sehr gut, nur fürchte ich, der große Herr wird sie nicht haben wollen.«
»Wenn Sie etwas kann, bringen Sie es für mich fertig, ich werde Sie belohnen.«
»Sie sieht sehr hübsch aus, ist nur etwas älter.«
»Einige Jahre mehr oder weniger schadet nichts, wie alt ist sie?«
»Die Frau ist im Tigerjahr geboren, das süße Kind geht jetzt ins dreiundachtzigste Jahr!«
Si Mên ließ lachend die Hand auf den Arm der Alten niederklatschen: »Sie sind eine so lustige Frau! Nur mit ihrem ernsten Gesicht halten Sie alle Leute zum Narren.«
Dann ging er fort. Es wurde dunkel, Frau Wang zündete ihre Öllampe an. Sie wollte schon zusperren, weil es in ihrer Teestube keinen Gast mehr gab, da kam Si Mên Ch'ing vorbei, trat ein und setzte sich wieder an seinen alten Tisch, von wo aus er Wu Tas Tür sehen konnte.
Frau Wang: »Will der große Herr eine Schüssel Pfefferminzsaft trinken?«
»Sehr gut, aber geben Sie viel Zucker hinein.«
Sie bereitete ihm das Getränk zu und brachte es ihm an den Tisch. Er trank langsam, hielt sich wie wartend etwas länger auf, aber endlich mußte er aufstehen und gehen: »Mütterchen, schreiben Sie alles an, morgen werd' ich es Ihnen zusammen bezahlen.«
»Das macht nichts, aber kommen Sie morgen, bitte, etwas früher zu uns.«
Si Mên Ch'ing lachte und ging in ein Weinhaus.
In der Frühe des nächsten Morgens, um die Zeit, da alle Leute aufstanden – aber es war noch zu früh, sich draußen zu beschäftigen –, öffnete Frau Wang ihre Teestube, säuberte sie, guckte dann auf die Straße und sah, daß Si Mên Ch'ing schon seine Wache in der Gegend bezogen hatte und tat, als suche er jemand. Sie bemerkte das und lächelte: Na, der hat aber Eile! Ich werde eine süße Sache unter seine Nase halten. Er darf sehen und riechen, aber nicht mit der Zunge lecken! Der Kerl hat es zu leicht, er kann in der ganzen Stadt umherlaufen, und alle Leute beeilen sich, ihn mit Geld vollzustopfen. Jetzt aber werde ich seine Rolle übernehmen, soll er einmal auch etwas bei mir lassen!
Sie wusch ihre Stube, machte in der Küche Feuer und trug das Teegeschirr nach vorn. Si Mên kam in die Teestube und setzte sich auf den alten Platz, wo er Wu Tas ganze Wohnung übersehen konnte. Frau Wang sah ihn, tat aber, als hätte sie ihn nicht bemerkt. Im Herd schürte sie das Feuer an und ging nicht hinaus, ihn zu bedienen. Si Mên wartete einige Zeit, dann rief er: »Mütterchen, bringen Sie doch etwas Tee für mich!«
Frau Wang kam mit erstauntem Gesicht: »Ist der große Herr schon lange hier? In den letzten Tagen habe ich Sie nicht gesehen, bitte, gedulden Sie sich ein bißchen, ich komme sofort.«
Sie brachte ihm zwei Gläser starken Tee.
Er: »Mütterchen, wollen Sie nicht mit mir zusammen starken Tee trinken?«
Sie lachte: »Ich werde solange der Stellvertreter sein!«
Er lachte auch und fragte unschuldig: »Mütterchen, was verkauft Ihr Nachbar?«
»Er verkauft nur heitere Sachen!«
»Sie sind zu lustig! Ich spreche mit Ihnen doch ganz ernst. Wenn der Mann wirklich gute Bohnenpuffer bäckt, werde ich ihm welche abkaufen. Ich weiß nur nicht, ob er zu Hause ist.«
Frau Wang: »Wenn Sie das kaufen möchten, können Sie es doch von ihm auf der Straße kaufen und brauchen doch nicht deshalb in seine Wohnung zu gehen!«
»Sie haben recht!«
Er trank den Tee aus und legte ihr einen Tael Silber hin: »Mütterchen, nehmen Sie das für die Rechnung.«
»Soviel ist es doch nicht!«
»Nehmen Sie nur!« drängte er.
Sie dachte bei sich: Jetzt ist es Zeit, daß die Sache beginnt – nahm das Geld: »Vielleicht haben Sie noch großen Durst?«
Er: »Mütterchen, wie können Sie das schon wissen?«
Sie: »Das ist doch nicht schwer; ein altes Sprichwort sagt: Wenn man alles wissen will, braucht man nur das Gesicht anzusehen! Alte kann alles vorher erraten.«
»Ich habe etwas auf meinem Herzen, wenn Mütterchen das errät, geb' ich ihr gleich fünf Tael Silber.«
Sie lachte: »Da brauch' ich nicht erst zu überlegen oder zu raten, das ist ganz sicher! Großer Herr, kommen Sie, geben Sie Ihr Ohr her. Während der letzten zwei Tage laufen Sie immer in dieser Wüste herum, sicher sind Sie in meine Nachbarin verliebt!«
»Mütterchen, Sie haben recht! Ich weiß nicht, seit dem Tag, wo ich von ihr einen Stock auf den Kopf bekommen hab', ist es so, als wenn sie meine Seele und meine Sinne genommen hätte. Ich weiß nicht, wie ich ihr mit meinem Fuß näher treten kann. Können Sie vielleicht etwas für mich tun?«
Sie lachte hell und lustig: »Ich brauche kein Geheimnis daraus zu machen. Meine Teestube heißt: ›Der Teufel wacht!‹ Vor drei Jahren hat es im Sommer einmal geschneit – da hab' ich ein gutes Geschäft gemacht. Seither ist es nie wieder gut gewesen. Um leben zu können, treib' ich mancherlei Geschäft.«
»Was haben Sie für Geschäfte?«
»Ich bin eine alte Ehevermittlerin; ich kann für andere Leute eine Frau kaufen oder eine Geliebte suchen, ich kann machen, daß zwei wildfremde Menschen einander plötzlich lieben.«
»Mütterchen, wenn Sie das für mich tun, schenk' ich Ihnen zehn Tael Silber, damit Sie sich endlich einen Sarg kaufen können.«
»Großer Herr, hören Sie! Liebesanschluß ist nicht so leicht. Der Mann muß fünf verschiedene Sachen besitzen, dann kann der Plan gelingen. Erstens muß er ein Gesicht haben, so hübsch wie ein Gott. Zweitens muß er sehr stark sein. Drittens muß er so reich sein wie der Kaiser. Viertens muß er viel Geduld und sichtbar viel Gefühl haben. Und fünftens muß er viel Zeit opfern.«
»Mütterchen, das kann ich alles.«
»Großer Herr, Sie besitzen alle fünf Eigenschaften; aber ich weiß, eine Sache kommt vor, wo keine Einigung möglich ist. Das ist – man darf nicht so geizig sein!«
Si Mên versprach Himmel und Erde und bat sie, die Angelegenheit so schnell wie möglich für ihn zu erledigen.
Frau Wang: »Heut ist es wohl zu früh, warten Sie noch ein halbes Jahr, dann können wir die Sache vorbringen.«
Er kniete nieder: »Mütterchen, Sie dürfen nicht immer mit mir Spaß machen, erledigen Sie es, bitte, sehr bald, es ist dringend!«
Sie grinste, hob ihn hoch: »Großer Herr, Sie dürfen nicht so ungeduldig sein. Ich habe einen Plan! Die Frau war früher ein Dienstmädchen und kann sehr gut schneidern und nähen. Großer Herr, kaufen Sie dünne weiße Seide, blaue Seide und starke weiße Seide, einige Pfund Watte und bringen Sie alles zu mir. Dann geh' ich zu ihr und sag' ihr: Es gibt einen großen Herrn, einen Gönner, einen Wohltäter, einen Retter, der hat mir ganz feinen Stoff gekauft für mein Totenkleid. Vielleicht können Sie für mich einen Glückstag aussuchen, ich werde dann ausgehen und einen Schneider kommen lassen! Wenn sie still anhört, was ich sage, und mir keinen Rat gibt, ist das soviel wie: es interessiert sie nicht. Wenn sie sagt: ›Ich kann es vielleicht für Sie zusammenschneidern‹ und läßt nicht zu, daß ich mir einen Schneider hole, haben wir schon eine Gelegenheit. Wenn ich sie bitte, zu mir zu kommen, und sie antwortet, sie wolle nur in ihrer Wohnung die Sachen machen und nicht hier für mich nähen, gibt es keine Hoffnung. Wenn sie sich freut und sagt: ›Ich komme, Ihnen behilflich zu sein‹, haben wir mehr Hoffnung. Wenn sie wirklich zu mir kommt, bereite ich viel Wein und gutes Essen, um sie zu bewirten. Am ersten Tage dürfen Sie, großer Herr, nicht kommen; wenn sie sich dann am zweiten Tage bei mir nicht bequem fühlt und alles zu Haus arbeiten will, haben wir auch keine Gelegenheit mehr. Wenn sie zwei Tage zu mir gekommen ist – erst am dritten, nachmittags, dürfen Sie sich melden. Sie machen sich ordentlich zurecht, hüsteln draußen zum Zeichen, stellen sich vor die Tür und sagen: ›Oh, viele Tage lang hab' ich Mütterchen nicht gesehen!‹ Dann komm' ich raus und bitte Sie, ins Zimmer zu treten. Wenn sie Sie sieht und gleich fortgehen möchte, kann ich sie natürlich nicht festhalten. Dann ist wieder nichts. Aber wenn sie Sie sieht und sich nicht darum kümmert, können Sie sich gleich setzen, und ich werde mit ihr reden, daß Sie den ganzen Stoff für mich gekauft haben, und ich werde viel Gutes über Sie sprechen, und Sie müssen gleichzeitig ihre Arbeit loben. Wenn sie darauf keine Antwort gibt, ist nicht viel Hoffnung. Ich sage dann: ›Ach, es ist sehr schwer! Was die gnädige Frau für mich alles mit der Hand arbeitet! Sie beide sind meine Retter, einer gibt Stoff, die andere arbeitet für mich, ich kann so viel Güte nie vergelten. Sie, großer Herr, könnten für mich Wirt sein, dann kann ich der gnädigen Frau meinen Dank abtragen.‹ Sie müssen mir dann Geld geben, etwas zu kaufen; wenn sie nicht aufsteht, um fortzugehen, haben wir gute Gelegenheit. Wenn alles zubereitet ist, wird sie wohl auch mit Ihnen an einem Tisch essen und trinken. Sie sprechen über alles, dann sage ich: ›Ich habe zuwenig Wein gekauft, ich muß noch holen gehen‹ – dann schließe ich mit Absicht die Tür. Wenn sie keine Lust hat und fortgehen möchte, kann ich nicht helfen. Angenommen, sie läßt es zu, heißt das: wir haben schon zu neunundneunzig Prozent gewonnenes Spiel, noch ein Prozent, und wir haben alles! Aber das ist sehr schwer. Kommen Sie her, ich werde es Ihnen sagen.«
Sie meckerte ihm etwas ins Ohr, und als sie zu Ende war, lachten beide zusammen laut, und Frau Wang sagte: »Lachen Sie! Aber vergessen Sie nicht, mir meine zehn Tael Silber zu geben.«
Si Mên Ch'ing: »Selbstverständlich! Man kann Orangen essen, aber man darf den Spender nicht vergessen! Wann können wir den Plan ausführen?«
»Bald werd' ich Ihnen Bescheid geben. Ich geh' einmal, eh ihr Mann nach Haus kommt, zu ihr, sie auszuforschen. Sie können gleich alles kaufen und herbringen.«
Er freute sich, sagte ein über das andere Mal: »Herrlich! Herrlich!« und lief fort. Schon eine halbe Stunde später brachte er alles und gab ihr fünf Tael Silber.
Si Mên Ch'ing war ein kluger und vorsichtiger Wüstling. Er liebte es nicht, von den Ehemännern oder anderen Liebhabern überrascht zu werden, und – von dem Gatten ganz abgesehen – es schien ihm unwahrscheinlich, bei einer so schönen (und von einem so unansehnlichen Mann wie Wu Ta schlecht behüteten) Frau keinen Mitbewerber zu haben. Er war ein schweigsamer Mörder, tötete gern Nebenbuhler, wenn sie schwächer waren und es unbemerkt geschehen konnte. Da es ihn stutzig machte, daß sich Goldlotos fast nie auf der Straße zeigte, war er bei Tag und Nacht auf der Lauer – was ihm nicht schwerfiel, da er in der Nähe wohnte und nur so viel oder so wenig arbeiten mußte, wie ihm beliebte. Manchmal erwachte er aus dem Schlaf und sah oder hörte einen Bettelmönch in die kleine Gasse hinter der Lilasteinstraße gehen, einen Holzfisch schlagen und laut Fo anrufen. Si Mên Ch'ing war ein schlauer Mann, und wenn er nicht gerade bei einer Frau schlief, dachte er scharf.
Er sprach zu sich: Hier ist eine tote Straße, wie kann der Wandermönch fast täglich herkommen und in der Sackgasse zu Fo rufen? Die Sache kommt mir sehr zweifelhaft vor.
Es war um die Mitte des Monats, als Si Mên Ch'ing wieder einmal den Holzfisch schreien hörte, als ob er am Spieße stäke. Si Mên spitzte die Ohren und beobachtete, wie der Bettelmönch in die kleine Sackgasse ging und erbarmenswürdig brüllte: »Allen Volkes Elend und Bitternis hilft Fo über den Himmeln!«
Si Mên Ch'ing hörte das, sprang auf, eilte an den Ausgang der Sackgasse und verbarg sich hinter einem Tor, durch das Türloch lugend. Zu seinem Gram sah er aus der Hintertür des Wu Ta gehörenden Hauses einen Mann treten, in dem sein Grimm widerwillig einen häufigen Nebenbuhler: den Mönch P'ei, genannt »Der Zahn Fos«, erkannte. P'ei ging mit dem Bettelmönch zufriedenen Antlitzes fort. Gleich darauf kam die edle Wang und verschloß die Tür. Si Mên Ch'ing dachte: Wu Ta ist ein armer Mann, er hat ein männerschmausendes, aber frommes Weib zur Frau genommen. Sie erfreut sich geistlichen Zuspruchs und betrügt den kleinen Wu Ta mit Hilfe dieser Kupplerin Wang und eines wachsamen Bettelmönchs, der als Warner, Horcher und Liebesstundenausrufer Posten steht. Da kann ich lange warten, soll Sarg und Seide kaufen, Silbertaels spenden und komm erst recht nicht dran! Dieser Mönch ist noch lange nicht genug aus dem Leben ausgeschieden, ich muß diesem schlechten Taoisten in die Hölle helfen. So ein Gottsfopper! Er hat während dieser Geburt zu oft mit seinem Zahn meinen Liebesweg gekreuzt, jetzt werd' ich ihn beißen! Wenn der Bettelmönch wieder im Dienst ist, dann steh' ich auf, und es wird etwas geschehen!
Si Mên Ch'ing ließ sich bei Frau Wang nicht mehr blicken. Als er aber eines Abends Wu Ta mit T'ang Niu und einem Birnenverkäufer in einer Kneipe sitzen sah, hielt er seine Zeit für gekommen, spendete den dreien viel starken Wein, damit Wu Ta nicht zu früh heimkehre, ging aber selber zeitig nach Haus und absichtlich so lärmvoll zu Bett, daß sich Frau und Mägde vor dem scheinbar Betrunkenen versteckten. Aber als der Gong zum vierten Male dröhnte, eilte er auf, nahm ein Beil zur Hand, verließ unbemerkt sein Haus. Neben Wu Tas Hintertür versteckte er sich und wartete. Bald kam der Wanderbonze in das Gäßchen, unter dem Arm trug er seinen Holzfisch. Als der Bonze sich auf ein Geräusch hin umdrehte, stand Si Mên Ch'ing schon hinter ihm, packte fest des erschrockenen Bettelbruders Arm, mit der anderen Hand schwang er das Beil gegen des Zitternden Hals. Leise drohte er ihm: »Wehren Sie sich nicht! Wenn Sie schreien oder den Holzfisch schlagen, bring' ich Ihr Leben zu Ende! Sagen Sie die Wahrheit, was suchen Sie hier?«
Der Mönch fürchtete für sein Leben und bettelte: »Guter Held! Begnadige mich, und ich sage alles!«
Si Mên Ch'ing schnell: »Sprechen Sie, ich werde Sie nicht töten!«
Der Taoist verriet alles. Zur Sicherheit fragte Si Mên Ch'ing: »Wo mag P'ei jetzt sein?«
Taoist: »Er steckt noch bei ihr. Wenn ich den Holzfisch klopfe, kommt er heraus.«
Si Mên Ch'ing: »Leihen Sie mir Ihre Kleidung und den Holzfisch.« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er ihm den Holzfisch fort und zwang ihn, sich auszuziehen. Als der Mönch nackt war, tötete Si Mên ihn auf der Stelle. Das Beil nahm er unter den Arm, ging vor die Hintertür und tat, wie der Taoist verraten. Bald erschien der Mönch P'ei, aber Si Mên schlug den Holzfisch immer weiter. P'ei rief:
»Komm doch! Was schlagen Sie den Holzfisch noch?«
Si Mên hörte, wie die Tür geschlossen wurde, und folgte dem Mönch. Einige Schritte weiter schlug er ihn nieder, mit einer Hand hielt er ihn fest, drohte: »Schlagen Sie keinen Lärm, sonst bring' ich Sie um! Warten Sie stumm wie ein Holzfisch, bis ich Ihre Kleider hab'.«
Der Mönch hörte diese Sprache eines Räubers, erschrak, daß er keinen Ton hervorbringen konnte. Hilflos ließ er es ohne jede Gegenwehr geschehen, daß er entkleidet wurde, bis kein Faden mehr an seinem Körper hing. Dann schlug Si Mên Ch'ing, keuchend: »Das – ist – für – den – Zahn – Fos«, mit dem Beil auf des schreckensstarren P'eis Leib los, bis der keinen Atem mehr von sich gab. Das Beil legte Si Mên Ch'ing neben den Taoisten, wickelte die Kleider der beiden zusammen, warf sie ungesehen in den nahen Fluß, schlich, abermals unbemerkt, nach Haus und schlief ruhig weiter.
In der Nähe der Lilasteinstraße wohnte ein kleiner Händler namens Chiang, der jeden Morgen Reissuppe und kleine Brötchen verkaufte; an diesem – wie jedem – Tage stand er um die Zeit des fünften Gongs auf, kochte die Reissuppe, schüttete sie in Krüge und nahm seinen kleinen Jungen mit, alles auf den Frühmarkt zu tragen und dort zu verkaufen. Bald kam er, mit einer tranig brennenden Lampe in der Hand, vor das Haus, wo die Toten lagen. Er sah sie nicht und fiel über die Leiche des Mönchs. Sein Brot rollte umher, und die Suppe lief aus. Der Junge lachte: »Zum Teufel, da hat sich schon wieder ein Bonze betrunken und liegt hier!«
Als der Alte sich wieder aufrichtete, sah er im trüben Lampenlicht, daß seine Hände von Blut besudelt waren. Laut schrie er um Hilfe. Die Nachbarn rissen die Türen auf, leuchteten, sahen auf der Erde überall Blut und Reissuppe, und zwei Leichen lagen darin. Sie nahmen den alten Händler Chiang fest und schleppten ihn zum Gouverneur, Mordio rufend. Dort auf dem Amt erzählten sie, der Alte habe einen Träger voll Brot und Suppe gehabt, stolpernd sei ihm alles entfallen. Als er sich bückte, um seine Sachen aufzuheben, hätte er bemerkt, daß in der Reissuppe zwei frische Leichen lagen. Der eine sei ein Mönch, der andere ein Bettelbruder. Beide seien splitternackt gewesen, neben dem Bettelmönch hätte es ein Beil gegeben.
Der alte Chiang sagte aus: »Alter Mann verkauft Suppe. Jeden Morgen zur Zeit des fünften Gongs schlepp' ich mich auf die Straße, mein Brot zu verdienen. Heute standen wir etwas früher auf, ich bin sehr kurzsichtig, mein Junge hat mich nicht aufmerksam gemacht, so daß ich über etwas stolperte, meine Suppe ausgoß, Teller und Schüsseln hinfielen und entzweigingen. Ich hoffe, daß der Herr Gouverneur mit mir Mitleid hat. Ich erschrak sehr vor den zwei Leichen, die ich vorher nie gesehen hatte. Jetzt bringen die Nachbarn mich hierher – ich bitte den Herrn Gouverneur, meine Unschuld zu finden.«
Der Gouverneur nahm die Aussage entgegen und schickte seine Beamten mit den Angebern und dem alten Chiang aus, die Leichen zu beschlagnahmen und eine klare Darstellung des Sachverhalts zu liefern. Nach kurzer Zeit meldete der Untersuchungsbeamte, daß der eine Ermordete der Mönch P'ei aus dem Vergeltungstempel sei, der andere wäre der Taoist Hu. Der Mönch trage keinen Faden am Körper, wahrscheinlich sei er durch Beilhiebe getötet worden. Neben dem Taoisten Hu liege ein Beil, es sei wahrscheinlich, daß ihm damit der Hals durchschnitten wurde. Der Taoist Hu dürfte zuerst den Mönch P'ei getötet, hernach Strafe befürchtet und seinem Leben ein Ende gemacht haben. Der Gouverneur hörte alles an, ließ die Mönche aus dem Tempel holen, um der Wahrheit näherzukommen. Alle sagten, daß sie nichts wüßten; darum konnte der Gouverneur kein Urteil fällen.
Der Untersuchungsbeamte stellte fest: »Der Mönch P'ei war ganz nackt, es ist zweifellos, daß er an dem Reisemönch ein Verbrechen begehen wollte, aber sie erschlugen einander gegenseitig. Den alten Chiang geht die ganze Sache nichts an. Die Nachbarn haben allesamt eine Bürgschaft zu stellen und auf fernerweitigen Bescheid zu warten. Die Leichen sollen auf Kosten des Vergeltungstempels einen Sarg bekommen und bestattet werden. In die Akten schreiben wir, daß die Mönche einander gegenseitig getötet haben.«
Es gab keinerlei Spur, die zu einem Mörder hätte führen können, es war auch niemand da, der für die zwei Mönche als Kläger auftrat. Der Gouverneur nahm das Urteil des Beamten ohne weiteres an, und amtlicherseits war damit die Angelegenheit erledigt. Aber in einigen Straßen in der Nähe des Marktplatzes gab es viel Taugenichtse, und die verfertigten Spöttereien um die Wette:
Lachet über den Mönch aus dem Vergeltungstempel – er hat einen Feind aus seinem früheren Leben getroffen. Er hat den Gläubigen geblendet und die Ergebene zu sich gerufen und verlangte von ihr die Spende ihres Fleischkörpers, um glücklich zu werden, Freude und Schmerz mit ihr zu teilen: Er ist nur aus Mitleid zur Welt gekommen. Die sehr glückliche Göttin Goan In hat ihn empfangen. Aber dafür erschien der Blutbecher und die Hölle vor ihm. Nichts ist Schönheit, Schönheit ist nichts – glaubet, daß er aus den vielen Gebetbüchern der Seele alles vergessen hat! Jetzt ist der Schüler schon zurück zum heiligsten Nirwana gekehrt, und sein Lehrvater liegt entseelt auf der Straße. Wenn er den Bettelmönch leiden konnte, konnte ihn der auch leiden. Viele fromme Mönche hausen zusammen und ruhen in einem einzigen Zimmer, und der Höllengeist konnte sie bisher nicht holen. Wir wußten, daß der fromme Pilgermönch Mu Lien, um einer Frau: seiner Mutter, zu helfen – die in der Hölle sott, weil sie Hundefleisch aß und andere damit bewirtete –, nach dem Westhimmel aufbrach. Aber wir hätten nie geahnt, daß ein Glatzkopf sein Leben verlieren würde wegen einer Frau, die nicht seine Mutter war.
Viele Leute lachten über die Inschrift, wetteifernd schrieben in einer Nebengasse wohnende Witzbolde dies an die Mauer:
Lustverbot ist gebrochen, des Sünders Leben ist gefallen. Man merkt, daß die Taten und das Resultat sich nicht voneinander unterscheiden. Das Gesicht des toten Mönchs war sehr komisch, kein Faden hing an seinem asketischen Leib, nur – wie es sich bei fleischlos lebenden Mönchen geziemt – ein Schlächterbeil lag auf der Erde: Wer hatte Mitleid mit dem Vieh? Großer Mönch ist heute aus der bösen Welt geschieden; aber kleiner Mönch war gestern abend noch sehr lustig und vergnügt. Dieser Bettelmönch, treu bis in den Tod, schnitt sich den Hals ab, um seine ewig währende Freundschaft zu beweisen – eines Lochs: eines Grabes wegen, um sich später hineinzugraben. Ach, sie hatten geschworen, einander nie zu verlassen!
Derlei wurde von Gassenjungen und Gassenalten verbreitet. Goldlotos hörte es, ihre Augen standen still, der Mund schreckensoffen, ihren Schmerz mußte sie verbeißen, nur ihr Herz grämte sich – über den unbefriedigt wütenden Frühlingsgefühlen. Alle Freude war ermordet. Goldlotos wußte, daß Wu Ta mit T'ang Niu die Mordnacht und den darauffolgenden Tag in einer Kneipe betrunken gelegen hatte, also unschuldig sein mußte. Und Wu Sung war fern. Einzig und allein Frau Wang ahnte, wer in Wahrheit der Mörder war – begann sich zu fürchten und ihm aus Angst und Geldgier zu helfen.
Es war an einem schönen Nachmittag, als Frau Wang sich ein altes dunkelblaues Seidenjackett und einen schwarzen Rock anzog. Auf dem Kopf trug sie Silberschmuck. So festlich gekleidet ging sie die Hintertreppe hinauf zu ihrer Nachbarin Frau Wu Ta, Goldlotos fühlte sich schon lange sehr einsam, und als sie Frau Wang hörte, nahm sie die freundlich auf und bat sie, den Ehrenplatz einzunehmen. Als sie einander förmlich begrüßt hatten, fragte Frau Wang mit höflichen Redensarten, warum sich Goldlotos seit einigen Tagen nicht mehr bei ihr habe blicken lassen.
Frau Wu: »Ich fühlte mich nicht recht wohl und war zu träge, eine Bewegung zu machen.«
Frau Wang: »Haben Sie vielleicht einen Kalender? Bitte, suchen Sie einen guten Tag für mich aus, damit ich einen Schneider kommen lassen kann.«
Frau Wu wurde neugierig: »Was für eine Kleidung wollen Sie sich denn machen lassen?«
Die Alte stöhnte: »In der letzten Zeit bin ich nicht so gesund wie früher und fürchte, daß mir eines Tages etwas geschehen wird. Deshalb muß ich mein Totenkleid vorbereiten. Ich fand einen Reichen, der schenkte mir einen Stoff. Der liegt nun schon einige Jahre bei mir, und ich habe noch nie Gelegenheit gefunden, ihn verarbeiten zu lassen. Dieses Jahr ging ich zum Schneider, aber er kam nicht zu mir, er wollte nicht für die arme Frau nähen. Es ist für mich ein so großer Schmerz – ich kann es gar nicht schildern!«
Frau Wu lächelte teilnahmsvoll: »Ich fürchte, Mütterchen wird meine Arbeit nicht gefallen, aber wenn Sie wollen, werde ich für Sie schneidern, was denken Sie?«
Frau Wangs Gesicht erhellte sich: »Wenn die gnädige Frau mit ihren feinen Händen für mich alles nähen will, werde ich, wenn ich tot bin, sehr zufrieden sein! Ich habe gehört, daß Sie sehr gut nähen können, aber ich hatte Angst, Sie hätten nicht genug Zeit!«
Goldlotos: »Aber! Fürchten Sie nichts! Wenn ich es Ihnen verspreche, tu ich es auch! Doch Sie müssen einen gelben Glückstag aussuchen, dann können wir damit beginnen.«
Frau Wang: »Wenn Sie so freundlich sind, für mich zu nähen, sind Sie mein guter Glücksstern, was brauch' ich da noch einen Glückstag zu suchen? Alte hat vor einigen Tagen gehört, daß morgen ein gelber, guter Wegtag ist; ich dachte nur, wenn man schneidert, braucht man dazu doch keinen Glückstag auszusuchen.«
Goldlotos: »Das Kleid für das lange Leben, das Totenkleid, muß an einem Glückstag genäht werden.«
Frau Wang: »Wenn Sie so lieb sind, darf ich Sie bitten, morgen zu mir in mein kaltes Haus zu kommen?«
Frau Wu: »Mütterchen, vielleicht kann ich hier bei mir arbeiten?«
Frau Wang: »Ich möchte gern sehen, wie Sie das Kleid machen; aber wenn ich bei Ihnen bin, fürchte ich, achtet niemand auf meine Teestube. Es macht Ihnen auch zu Haus zuviel Umstände.«
Frau Wu: »Gut, ich komme morgen nach Tisch zu Ihnen.«
Frau Wang dankte ihr vielmals und ging nach Haus. Am selben Abend noch verständigte sie Si Mên Ch'ing. Frau Wang säuberte am nächsten Tag ihre Zimmer, bereitete ein paar Leckerbissen vor und erwartete Frau Wu.
Nach dem Frühstück legte Wu Ta, der seit dem Tod des Mönchs wieder mehr zu Haus war, seine Siebensachen zurecht und ging fort, auf der Straße seine Bohnenpuffer zu verkaufen. Seine Frau zog sittsam vorn den Bambusvorhang vor, kleidete sich gut und ging bei der Hintertür hinaus zu Frau Wang. Die freute sich sehr und führte sie in ihr Zimmer, ließ sie dort auf einem guten Platz sitzen, brachte weiße Pinienkerne und Walnüsse, sie zu bewirten. Dann reinigte sie den Tisch und legte die Seide darauf. Frau Wu nahm ihr Maß, schnitt gleich alles zu und nähte darauf los. Frau Wang lobte sie rastlos, ohne Pause, rief immer wieder: »Gute Kunst! Ich bin schon über sechzig Jahre alt, aber meine Augen haben noch nie eine so ausgezeichnete Näherin gesehen.«
Frau Wu arbeitete bis zum Nachmittag, Frau Wang gab ihr Wein zu trinken und feine Nudeln zu essen. Irgendwann schätzte Frau Wu, daß ihr Mann bald nach Haus kommen müsse, nahm Abschied und ging heim. Wu Ta stolperte gerade mit seinen Trägern herein. Als er ins Zimmer trat und auf dem Gesicht seiner Frau Röte wahrnahm, fragte er: »Wo hast du Wein getrunken?«
Goldlotos: »Unsere alte Nachbarin, Frau Wang, hat mich gebeten, ihr Totenkleid zu nähen, darum hat sie mich bei sich gut bewirtet.«
Er: »Ach! Wir brauchen doch nicht ihre Sachen zu essen, wir haben sie doch auch sehr oft nötig. Wenn sie ein paar Kleider von dir nähen lassen will, kannst du sie doch auch bei dir zu Haus nähen und brauchst sie nicht zu zwingen, Geld für dich auszugeben. Wenn du morgen wieder hingehen mußt, nimm Geld zu dir und kauf auch etwas Wein und Essen als Revanche. Man sagt immer: Entfernte Verwandte sind lange nicht so wichtig wie nahe Nachbarn! Deswegen müssen wir uns mit ihr gutstellen. Wenn sie nicht von dir bewirtet sein will, bringst du alles nach Haus und arbeitest hier.«
Goldlotos tat, als wollte sie so handeln, wie er es wünschte.
Frau Wang verfolgte ruhig weiter ihren Plan. Am nächsten Tag, als sie sah, daß Wu Ta wieder mit seinem Zeug fortgegangen war, huschte sie sofort zu Goldlotos, sie zu sich zu bitten. Frau Wu ging sofort mit und nähte ihre halbfertige Arbeit weiter. Frau Wang bereitete Tee für sie wie immer. Es war fast Nachmittag, da gab Frau Wu ihr Geld und sagte: »Mütterchen, ich möchte einige Becher Wein kaufen, um sie mit Ihnen zu trinken.«
Frau Wang: »Nein, das geht nicht! Ich habe Sie gebeten, mir zu helfen, wie kann ich Sie noch obendrein Geld ausgeben lassen?!«
Frau Wu: »Mein Mann will es so, wenn Mütterchen das nicht nimmt, werde ich die Sachen zusammenpacken und bei mir zu Hause weiternähen.«
Frau Wang: »Ach! Herr Wu Ta ist so vornehm! Da bleibt mir nichts übrig! Wenn es so ist, muß ich das Geld nehmen.«
Frau Wang witterte Gefahr, fürchtete einen verderblichen Umschwung, legte selbst Geld dazu und kaufte Wein, Leckerbissen und erlesenes Frühobst. Alter Leser – das ist immer so: die schlauen Frauen der Welt bedenken alles; aber sowie man ihnen eine Kleinigkeit zeigt oder ein wenig freundlich ist, fallen neun von zehn immer herein. Als Frau Wang alles zurechtgemacht hatte, bewirtete sie Frau Wu, die nähte wieder bis gegen Abend.
Am dritten Tag war alles genau wie vorher. Es war so schönes Wetter, daß Frau Wu Lust bekam, ein neues Kleid anzuziehen. Als sie darin von oben nach unten ging, erschien Frau Wang, die gerade bei Si Mên gewesen war, um ihm das vollkommene Reifen seiner Hoffnungen zu melden. Frau Wang holte Goldlotos ab, beide gingen zusammen zur Teestube und arbeiteten dort im Hinterzimmer weiter. Der ungeduldige Si Mên hatte diese zwei Tage lang sehr innig gewartet, diese Spanne Zeit war ihm länger geworden als drei Jahre.
Als dieser dritte Tag nun endlich herankam, kaufte er sich einen neuen, schwarzseidenen Hut, einen grünen, blumenbestickten Überzieher, weiße Seidenstrümpfe, schwarze Schuhe und zog all diese Herrlichkeit an. Er nahm einige Tael Silber, ging in die Lilasteinstraße vor Frau Wangs Teestube. Vor der Tür hüstelte er wie verabredet: »Mütterchen Wang, ich habe Sie schon so lange nicht gesehen!«
Frau Wang war im Zimmer, hörte ihn wohl, tat aber, als ob sie nicht wisse, wer es sei: »Wer ruft Mütterchen?«
Si Mên: »Ich bin es!«
Sie lief schnell hinaus, sah ihn, ihr Gesicht strahlte: »Ich dachte: wer kann es wohl sein? Es ist der Retter, der große Herr! Sie kommen gerade sehr gelegen, darf ich Sie bitten, näher zu treten.«
Si Mên verbeugte sich und folgte ihr. Frau Wang stellte ihn vor, rühmte ihn Goldlotos: »Das ist der Wohltäter, der mir den herrlichen Stoff geschenkt hat.« Si Mên verneigte sich respektvoll, und Frau Wu beeilte sich, ihre Arbeit auf den Tisch zu legen und den Gruß freundlich zu erwidern.
Frau Wang: »Ich bin Ihnen für viele Leben dankbar, daß Sie mir solchen Stoff geschenkt haben. Er hat über ein Jahr lang gelegen und konnte nicht verarbeitet werden. Jetzt habe ich das himmlische Glück, daß die gnädige Frau mir armem Weib hilft. Sie hat es genäht – es sieht aus wie gewebt! Elegant und haltbar – es ist sehr schwer, eine so gute Näherin für ein dauerhaftes Totenkleid zu finden! Großer Herr, schauen Sie einmal!«
Si Mên guckte die Arbeit umständlich an, verstand nichts und lobte alles einmal über das andere: »Die gnädige Frau hat eine sehr leichte Hand, es ist, als wenn ein Engel das Totenkleid genäht hätte!«
Frau Wu: »Mein Herr, Sie dürfen über meine höchst kümmerliche Arbeit nicht spotten!«
Si Mên fragte Frau Wang angelegentlich: »Mütterchen, darf ich fragen: Aus welcher feinen Familie stammt die gnädige Frau?«
Frau Wang: »Großer Herr, raten Sie einmal!«
Si Mên zog seine Stirn in Falten: »Wie kann der kleine Mensch das wissen?«
Frau Wang: »Das ist doch unseres nächsten Nachbarn, des Herrn Wu Ta Gattin! Vor einigen Tagen hat Ihnen der Stock wohl nicht richtig weh getan? Wahrscheinlich hat es der große Herr schon vergessen!«
Frau Wus Gesicht färbte sich rot wie Schminke: »Ich war damals sehr sorglos, hoffentlich nimmt es der Herr nicht mehr übel.«
Si Mên: »Ach, das war gar nicht der Rede wert!«
Frau Wang von der andern Seite her: »Der große Herr ist sehr höflich, der kann einem andern Menschen nicht weh tun, er ist der beste Mensch, den es gibt!«
Si Mên: »Vor einigen Tagen kannte ich Sie noch nicht, aber jetzt! Sie sind die Frau Gemahlin des Herrn Wu Ta. Kleiner Mensch kennt den ersten Herrn wohl, das ist ein tüchtiger Mann, sehr fähig, seine Familie gut zu ernähren. Er verkauft täglich seine Ware und muß viel Geld verdienen. Es wäre sehr schwer, noch einen so guten Mann zu finden.«
Frau Wang: »Das ist wahr! Seit Frau Wu mit ihrem Mann verheiratet ist, leben sie fromm in Freude und Frieden.«
Goldlotos: »Ach, er ist ein schwacher Mensch, der große Herr darf ihn nicht verspotten.«
Si Mên: »Gnädige Frau, Sie haben nicht recht! Ein altes Sprichwort sagt: Ein weicher Mensch kann immer bestehen, der Heftige rudert ins Unglück.«
Frau Wang: »Ja, damit hat der große Herr recht!«
Si Mên lobte Ersten Wu – und setzte sich währenddem näher an Frau Wu heran. Frau Wang fragte Goldlotos: »Gnädige Frau, kennen Sie den großen Herrn?«
Frau Wu: »Ich kannte ihn nicht.«
Frau Wang: »Was?! Der große Herr ist doch der Reichste unserer Stadt. Selbst der Gouverneur ist mit ihm befreundet. Wir nennen ihn Si Mên, den großen Herrn! Vor dem Amt hat er ein großes Drogengeschäft. Zu Hause seine Münzen sind unzählbar. Wenn man hingeht und Rotes sieht, ist es Gold, und Weißes ist Silber, rund sind die Perlen, und das Blitzende sind die Schätze. Er hat das Horn des Wasserochsen und auch des weißen Elefanten Zahn!«
Während Frau Wang so viel über Si Mên Ch'ings Reichtum erzählte, senkte Frau Wu ihren Kopf tief und arbeitete rastlos weiter. Er sah, wie hübsch Goldlotos aussah und was für ein nettes Benehmen sie hatte, und wollte sie gleich lieben. Frau Wang bemerkte das wohl und brachte zwei Tassen Tee für beide. Als sie tranken, sah Frau Wang ihn einige Male starr an; aber er haftete mit seinen Augen nur an der Jungen Gesicht und Körper. Als Frau Wang sah, daß er ihr Augenzwinkern nicht bemerkte, fuhr sie – zum Zeichen guten Wetters – mit der Hand über sein Gesicht. Si Mên wußte nun, daß die Hälfte bereits gut überstanden war.
Frau Wang: »Es ist eine Schicksalsfügung, daß der große Herr heute gekommen ist. Die gnädige Frau hat für mich umsonst das Kleid des langen Weges genäht, und ich kann es ihr nicht vergelten. Vielleicht kann der große Herr an meiner Statt Wirt sein?«
Si Mên: »Daran habe ich noch nicht zu denken gewagt, hier ist ein wenig Geld.«
Er griff in seine Tasche und gab ihr großartig ein Päckchen, ohne zu zählen. Frau Wu: »Wie kann ich schon wieder umsonst Essen und Trinken bekommen!«
Sie sprach zwar so ablehnend, machte aber keinerlei Anstalten, fortzugehen, sondern blieb ruhig sitzen. Frau Wang ging zur Tür, drehte sich aber noch um und bat höflich: »Frau Wu, bitte, wollen Sie so freundlich sein, dem großen Herrn Gesellschaft zu leisten!«
Es sollte alles so sein, und eines verstand das andere, wie es gemeint war. Goldlotos sah, daß Si Mên sehr vornehm gekleidet war, und mochte ihn gern unter ihre näheren Bekannten zählen, zeigte das aber durchaus nicht, sondern hielt ihr Haupt züchtig gesenkt und arbeitete drauflos. Nach einiger Zeit kehrte Frau Wang vom Einkauf zurück, legte fein säuberlich alles auf Teller und Schüsseln und brachte es ins Zimmer.
Goldlotos: »Mütterchen, speisen Sie, bitte, mit dem großen Herrn allein, ich habe nichts geleistet, das zu verdienen.«
Sie sprach so, ging aber noch lange nicht fort.
Frau Wang: »Ich mach' es doch nur, um Ihre Mühe ein bißchen zu vergelten.«
Sie goß drei Becher Wein ein, und alle saßen vergnügt beisammen. Si Mên Ch'ing hob den Becher: »Gnädige Frau, trinken Sie doch einen kleinen Becher Wein.«
Goldlotos lachte ihn freundlich an: »Ich danke dem großen Herrn für seine gute Absicht!«
Frau Wang: »Alte weiß, daß die gnädige Frau sehr gern trinkt, bitte, tun Sie wie zu Hause.«
Si Mên nahm die Stäbchen zur Hand: »Mütterchen, bieten Sie doch der gnädigen Frau einen Bissen an.«
Frau Wang suchte die besten Speisen aus und reichte sie Frau Wu. Nach einigen Runden Wein ging Frau Wang hinaus, noch ein wenig Wein zu wärmen, und Si Mên fragte Frau Wu: »Darf ich fragen, wieviel grüne Frühlinge die gnädige Frau schon erlebt hat?«
Goldlotos: »Sklavin hat umsonst dreiundzwanzig Jahre verpaßt.«
Si Mên: »Kleiner Mensch ist fünf Jahre dümmer als Sie.«
Goldlotos: »Der große Herr hat den Himmel mit der Erde verglichen.«
Da trat Frau Wang mit dem gewärmten Wein wieder ins Zimmer und lobte Goldlotos: »Was für eine feine Dame, was für eine gebildete Dame ist doch Frau Wu! Nicht nur eine gute Näherin, nein – sie kennt auch verschiedene berühmte Dichter und noch hundert philosophische Richtungen.«
Si Mên: »Wie weit müßte man gehen, eine so gute Frau zu finden? Herr Wu hat sehr viel Glück!«
Frau Wang nahm die Gelegenheit wahr und trug noch dicker auf. »Es ist nicht, daß die Alte viel spricht. Großer Herr, Sie haben sehr viel gesucht; aber nirgends gibt es eine so gute Frau.« Und dann weinte sie.
Si Mên tat sehr traurig und rief aus: »Es ist schwer, alles in wenige Worte zu fassen! Mein Leben ist zu dünn, ich habe kein Glück, ich habe bis jetzt nichts Gutes bekommen.«
Frau Wang: »Großer Herr, Sie haben früher doch eine gute Frau gehabt?!«
Si Mên seufzte und log: »Sie sollen mich nicht daran erinnern; wenn meine erste Frau noch am Leben wäre, würde meiner Familie jetzt nicht die Herrin fehlen! Es essen in meinem Hause noch fünf bis sieben Leute, aber niemand kümmert sich um etwas!«
Frau Wu: »Großer Herr, wie lang ist Ihre Frau schon tot?«
Si Mên: »Kleinen Mannes erste Frau ist tief geboren; aber sie war sehr schlau und konnte alles für mich sorgfältig erledigen. Leider hatte ich das nicht zu überlebende Unglück, daß sie endlich gestorben ist. Jetzt ist bei mir schon über drei Jahre lang alles in Unordnung. Ich kann es nicht mehr mit ansehen, ich kann nicht zu Haus bleiben. Warum würd' ich sonst immer fortgehen? Wenn ich zu Haus bin, muß ich mich stets ärgern.«
Frau Wang: »Sie dürfen der Alten gerade Sprache nicht übelnehmen, aber Ihre erste Frau Gemahlin konnte lange nicht so gut nähen wie Frau Wu.«
Er: »Ach was! Meine erste Frau konnte nicht nur nicht so gut nähen, sie besaß auch nicht halb soviel Schönheit wie Frau Wu.«
Die Wang stichelte: »Großer Herr, Sie haben doch außer Haus noch etwas Weibliches zu ernähren, warum laden Sie mich dort nie zum Tee ein?!«
Si Mên: »Das ist die Liedersängerin Dünn-dünn, sie ist kein besserer Mensch als ich – darum gefällt sie mir gar nicht.«
Die Alte: »Aber, aber! Großer Herr, Sie haben doch mit Dünn-dünn sehr lange verkehrt.«
Er: »Ja, ich habe sie sogar zu mir nach Hause genommen; wenn sie so wertvoll wäre wie Frau Wu, hätte ich sie schon längst zu meiner rechtmäßigen Frau ernannt.«
Frau Wang: »Wenn Sie zu Haus noch eine Frau haben, die Ihnen Spaß macht, wie kann man dann zu Ihnen kommen, ohne Saueres zu erleben?«
Si Mên: »Meine Eltern sind schon lange tot, ich bin der Herr; wer kann sagen: ›Ich will nicht!‹?«
Frau Wang: »Ich spreche Unsinn, aber so schnell kann man auch gar keine finden, die dem großen Herrn gut gefiele.«
Si Mên: »Warum gibt es so eine nicht? Man kann nicht Frau und Mann gleichzeitig sein! Leider ist das Schicksal zu dünn, darum habe ich bis jetzt nie die Richtige gehabt.«
Si Mên und Frau Wu kamen darüber auch in ein engeres Gespräch, und nach einer kleinen Weile sagte Frau Wang: »Jetzt möchten wir Wein trinken, und es gibt keinen mehr! Großer Herr, nehmen Sie es nicht übel, wenn ich noch eine Flasche zum Trinken hole.«
Er: »Ich gab Ihnen Geld, Sie können alles aufbrauchen; was übrig ist, mag Mütterchen behalten.«
Die Alte stand auf, dankte ihm und beobachtete Frau Wu, die viel Wein getrunken hatte und der man ansah, daß in ihr Herz wieder einmal die Frühlingsgefühle eingezogen waren. Frau Wu hatte die zwei reden gehört, aber sie neigte ihren Kopf tief, als ahnte sie nichts.
Frau Wang schmunzelte: »Ich kaufe nur rasch noch eine Flasche Wein, hoffentlich leistet die gnädige Frau dem großen Herrn während der Zeit Gesellschaft. Ich geh' in das Geschäft vor dem Amt, dort gibt es guten Wein; also wird es wohl noch ein kleines Weilchen dauern, bis ich zurück bin.«
Frau Wu: »Ich trinke nicht mehr, Sie brauchen sich nicht unnötig zu bemühen« – aber sie rührte keinen Fuß zum Weggehen.
Frau Wang, kaum aus der Tür, zog den Riegel vor; dann setzte sie sich ruhig in ihre Teestube, statt fortzugehen oder gar Wein einzukaufen.
Si Mên Ch'ing saß am Tisch und bat Frau Wu, weiterzuessen und zu trinken; aber mit absichtlich ungeschicktem Arm stieß er unversehens die beiden Stäbchen vom Tisch. Es war Schicksal, daß die beiden Stäbchen gerade zu Füßen der Frau Wu fielen. Er bückte sich, die Eßstäbchen aufzuheben, und sah, daß die Frau einen kleinen, spitzen Fuß hatte, mit seidenen, blumenbestickten Schuhen bekleidet – daneben lagen die Stäbchen. Er umfaßte natürlich, statt die dummen Stäbchen hochzuheben, die zarten Fußgelenke. Goldlotos lachte, zog die Beine hoch:
»Großer Herr, Sie dürfen mit mir nicht solchen Scherz treiben! Wollen Sie mich am Ende gar verführen?«
Si Mên kniete nieder: »Bitte, gnädige Frau, seien Sie ein wenig lieb zu mir.«
Sie hob ihn hoch, zog ihn an sich, und in Frau Wangs Zimmer tauschten sie ihre Drogen. Alte Leserin, nachdem sie etwas getan hatten, was du nie erfahren wirst, und sich auf mehr Arten vergnügt hatten, als dir je bekannt wurden, und eben dabei waren, ihre Kleider wieder auf eine sittliche Weise in Ordnung zu bringen, öffnete plötzlich Frau Wang die Tür:
»Sie beide haben hier eine schöne Sache gemacht!«
Si Mên und Frau Wu bekamen einen Schreck. Die Alte schalt weiter: »Gut! Gut! Ich bat Sie, mein Totenkleid zu nähen, aber nicht, hier im geheimen einen lebenden Mann zu stehlen. Wenn das Wu Ta oder gar Wu Sung erfährt, werde auch ich darunter schwer leiden, am besten, ich gehe jetzt gleich, Ta holen.«
Sie drehte sich um, schien fortlaufen zu wollen, da kam ihr rasch Frau Wu nach, hielt sie am Rock fest: »Mütterchen, entschuldigen Sie bitte!«
Si Mên warnte zur gleichen Zeit: »Mütterchen, Sie dürfen nicht so laut schreien!«
Frau Wang hatte gewonnenes Spiel: »Wenn ihr wollt, daß ich entschuldigen soll, müßt ihr mir etwas versprechen.«
Goldlotos: »Nicht nur ein Versprechen, zehn kann ich geben!«
Frau Wang: »Von heute an darf Wu Ta keineswegs erfahren, daß Sie hier den großen Herrn getroffen haben; dann sage auch ich keinen Ton. Wenn Sie einen Tag fortbleiben und nicht kommen, werd' ich es sofort ihrem Mann erzählen.«
Goldlotos nickte mit dem Kopf zum Zeichen ihrer Zustimmung. Frau Wang guckte auf Si Mên: »Großer Herr, Sie brauchen mir nicht viel zu erzählen, die Sache ist aalglatt erledigt! Was Sie mir versprochen haben, dürfen Sie nicht vergessen, sonst werd' ich alles Wu Ta verraten.«
Sie setzten sich alle drei wieder an den Tisch, tranken einige Becher Wein, dann stand Frau Goldlotos auf: »Wu Ta wird bald kommen, ich muß heim.«
Durchs Hintertürchen ging die besorgte Gattin leis in ihre Wohnung. Kaum sie den Bambusvorhang heruntergezogen hatte, trat Wu Ta ein.
Frau Wang fragte Si Mên: »Wie sind Sie mit mir zufrieden?«
Er: »Alles war ausgezeichnet. Ich bin sehr zufrieden. Ihr Weiber könnt eure Sache. Jetzt geh' ich nach Haus und sende wen mit dem Versprochenen her.«
Frau Wang: »Ich verlasse mich auf Sie; aber lassen Sie mich nicht warten noch betteln. Wenn der Sargträger erst nach der Beerdigung ums Geld kommt, kommt er oft um sein Geld.«
Si Mên lachte und ging vergnügt fort. Frau Wu hielt ihr Wort und traf sich jeden Nachmittag mit ihrem neuen Geliebten. Ihre Liebe war abermals so tief wie schwarzer Lack und so fest wie Klebstoff. Aber man sagt mit Recht: »Ein fetter Verdienst bleibt im Geschäft – eine schlechte Tat läuft tausend Li weit.«
Es war kaum ein halber Monat verstrichen, als schon alle in der Stadt wußten, daß Goldlotos und Si Mên Ch'ing sich aneinander erquickten. Nur Wu Ta ahnte nichts.
In der Stadt Yang Gu gab es einen kleinen jungen Händler namens Yüng Kê, sein Familienname war Chau. Er war ungefähr sechzehn Jahre alt und hatte zu Haus einen alten Vater zu erhalten. Yüng Kê war von klein auf ein schlauer Bursche, er verkaufte Früchte, die andere um die betreffende Jahreszeit noch nicht hatten, in verschiedenen Weinstuben. Seinen Verdienst verwendete er für seinen Vater und sich. Si Mên gehörte auch zu seinen Kunden. Eines Tages hatte der Junge auf dem Markt versehentlich überreife Schneebirnen gekauft und sah erst zu spät, daß sie sich nicht lange hielten, sondern flink verkauft werden mußten. Er dachte: Sehr lang hab' ich Si Mên nicht gesehen, vielleicht kann ich die Birnen diesem Feinschmecker verkaufen. Darum suchte er ihn überall. Einige Leute hatte er bereits vergebens gefragt, wo der Apotheker wohl zu finden sei, bis ihm der – wie der alte Leser weiß – von Frau Wang geohrfeigte und also rachsüchtige T'ang Niu sagte: »Yüng Kê, wenn du ihn wirklich finden willst, kann ich dir einen Ort nennen, wo du ihn bestimmt triffst.«
Yüng Kê: »Danke, Onkel! Wenn ich ihn finden kann, kann ich vielleicht so viel verdienen, meinem alten Vater für einige Zeit Essen zu verschaffen.«
T'ang Niu: »Si Mên Ch'ing hat jetzt ein ganz kleines Verhältnis mit der Witwe des Mönches P'ei: der wohlschmeckenden Frau des Bohnenpufferverkäufers Wu Ta. Er sitzt oder liegt täglich seine paar Stunden hinten in Frau Wangs Teestube in der Lilasteinstraße, jetzt muß er gerade dort bei Goldlotos sein. Du bist ein armer kleiner Junge und darfst sicher hineingehen.«
Der Junge dankte T'ang Niu für den guten Rat, nahm seinen Korb voll Birnen und ging dorthin. Als er in die Teestube trat, saß Frau Wang in einem Stuhl und stopfte etwas. Der Junge stellte den Korb auf die Erde: »Mütterchen, ich begrüße Sie!«
Die Alte: »Yüng Kê, was willst du hier?«
Der Junge: »Ich will den großen Herrn finden, um dreißig oder fünfzig Münzen zu verdienen, damit ich meinen alten Vater ernähren kann.«
Frau Wang: »Was für einen großen Herrn suchst du?«
Der Junge: »Ach, Mütterchen, Sie wissen doch, er hat einen hier sehr bekannten Familiennamen.«
Frau Wang tat so, als ob sie überhaupt keinen Mann kenne.
Yüng Kê: »Mütterchen, Sie brauchen mit mir nicht Verstecken zu spielen, ich suche Si Mên Ch'ing, den großen Herrn, und will mit ihm sprechen!«
Und damit wollte er ohne weiteres ins Hinterzimmer gehen. Die Alte hielt ihn bei der Hand fest, schimpfte: »Kleiner Affe! Wohin willst du gehen? Ein Fremder kann doch nicht einfach ins Familienzimmer eindringen!«
Der Junge: »Ich gehe nur auf einen Augenblick hinein und komme sofort wieder heraus.«
»Du dummer Affe! Wie kannst du in mein Zimmer gehen, um dort Si Mên zu finden?!«
»Sie dürfen nicht alles allein essen! Sie müssen mir auch ein wenig Suppe übriglassen! Ich weiß viel. Was habe ich noch nicht gewußt?!«
Sie fluchte: »Was kann schon so ein kleiner schmutziger Affe wissen!«
»Wenn ich nur ein Wort sag', werden Sie vor dem Bruder, der Bohnenpuffer verkauft, und vor dem Bruder, der Tiger tötet, rasch Angst bekommen!«
Es war Frau Wangs Schicksalsfehler, daß sie zornig werdend schrie: »Du Tölpel! Kommst in deiner alten Großmutter Zimmer, um hier deinen Wind abzublasen?!«
Der Junge: »Ich bin kein Tölpel, Sie aber eine neidische Koberin, eine alte Kupplerin, Sie fette Hurenmutter!«
Sie riß den Jungen bei den Haaren, gab ihm Ohrfeigen. Er schrie: »Warum schlagen Sie mich?«
Sie ärgerte sich: »Mißgeborener Affe, wenn du noch einmal so laut sprichst, werd' ich dich in ein anderes Leben prügeln.«
Er zeterte: »Altes Beißtier! Stinkende Wanze! Wegen nichts haben Sie mich geschlagen!«
Aber schon packte sie ihn und warf ihn aus der Teestube, ihn zum Abschied noch mörderisch knuffend. Dann warf sie den Korb auf die Straße, daß die überreifen Birnen im Straßenkot umherkollerten – er konnte sie nun nicht mehr verkaufen. Der Junge hatte zuviel von ihr abbekommen, weinte und suchte schimpfend aus dem Schmutz seine verdorbenen Birnen zusammen. Mit einem Finger zeigte er auf Frau Wangs Teestube und brüllte: »Dreckiges Beißtier! Sie werden mich noch kennenlernen. Ich werde hingehen, wo für Sie die Prügel wachsen. Sie werden schon spüren, daß ein kleiner Junge Ihnen schaden kann!«
Er nahm seinen Korb und ging zu jemand.