Georg Ebers
Die Nilbraut
Georg Ebers

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Vierundvierzigstes Kapitel.

Für die stille, in sich zurückgezogene Witwe des Rufinus gab es wenig Unerträglicheres als eine Zusammenrottung des Pöbels.

Die entfesselte Leidenschaft, der Tumult und all das Gemeine, womit man dabei in Berührung kam, verletzte ihr zartes Wesen, und während der Rede des Greises hatte sie nur der eine Wunsch beseelt, dem Gedränge zu entrinnen, doch sobald es ihr zur Gewißheit geworden, daß Paula die Unglückliche sei, welche ihr furchtbarer Hausgenosse dem Aberglauben der Menge auszuliefern wünschte, dachte sie nicht mehr an Heimkehr, sondern harrte aus unter dem Volke und ließ sich endlich mit den beiden Mädchen von Rustem in das Gefängnis geleiten, obgleich der Weg dahin durch die belebtesten Straßen führte.

Hatte das unsagbar Schreckliche, das Paula drohte, schon durch die Mauern des Kerkers den Weg zu ihr gefunden, oder war es ihr, Johanna, noch vergönnt, sie vorzubereiten, und sie, die das über sie verhängte Todesurteil ohnehin an den Rand der Verzweiflung getrieben haben mußte, zu trösten?!

Gestern wäre der Kerkermeister ihrem Wunsche, Paula zu sehen, willig und ohne Widerspruch entgegengekommen; denn der Kadhi hatte ihm befohlen, ihr wie Orion jede Rücksicht angedeihen zu lassen, doch die Drohungen des Wekil veranlaßten ihn, Frau Johanna zurückzuweisen; aber während diese mit ihm verhandelte, streckte sein kleines Söhnchen, mit dem Pulcheria schon gestern in ihrer lieben Weise gespielt, ihr wieder die Aermchen entgegen, und sie hob es auf und küßte es, und erwies damit drei Herzen zugleich etwas Gutes, das Beste aber der jungen Mutter des Kindes, und diese nahm sich der Frauen wiederum an und veranlaßte ihren Mann, ihnen auch jetzt noch gefällig zu sein.

Die hübsche Emau hatte unter den Palmen bei der Herberge ihrer Eltern den fröhlichen Orion weit lieber als manchen andern Gast bedient, und ihr Mann, ein seiner Ehehälfte in echt ägyptischer Weise gehorsamer Gatte, der bis dahin nicht frei von Eifersucht gewesen war, zeigte sich noch freudiger gefällig gegen den Sohn seines Wohlthäters, seitdem er erfahren, daß die schöne Damascenerin dessen Braut sei.

In den großen Verbrechersälen ging es heute wie immer, wenn die Richter ein Todesurteil gefällt hatten, besonders stürmisch her, und die Frauen schauderten, wenn diese Unglücklichen laut aufjauchzten und brüllten. Von manchem schrillen Schrei konnte niemand sagen, ob er wildem Uebermut oder grausamem Schmerz den Ursprung verdanke, und eine passendere Begleitung für dies entsetzliche Getöse als Kettengerassel ließ sich nicht denken.

Wie die Frauen endlich zu Paulas Zelle gelangten, schlug ihnen das Herz gar bang; denn hinter der Thür, die der Wärter da öffnete, mußte Todesangst und Verzweiflung hausen.

Die Gefangene stand am Fenster, drückte die Stirn an das eiserne Gitter und lauschte in das Dunkel hinaus auf das Lautenspiel des Geliebten, welches in das Gebrüll der Verbrecher hineinklang wie Glockengeläut in Donnerwetter und Sturm.

Neben ihrer schlichten Bettstatt saß die Amme auf einem Schemel und schlief mit der Spindel im Schoß, und weder sie noch ihre Herrin wurde der Eintretenden gewahr. Ein elendes Lämpchen erleuchtete das enge Gemach.

Maria wollte auf die Freundin zustürzen, doch Frau Johanna hielt sie zurück und rief Paula zärtlich, aber leise bei Namen. Doch sie ward nicht vernommen, Schmerz und Todesangst hielten wohl die Seele der Verurteilten gefangen.

Nun erhob die Witwe die Stimme lauter, und diesmal wandte die Unglückliche sich um und stieß gleich darauf einen leisen, freudigen Schrei aus, eilte auf die treuen Menschen zu, die sie auch im Kerker zu finden wußten, und zog erst die Witwe, dann Pulcheria, dann das Kind mit lebhafter Zärtlichkeit an sich, und als Frau Johanna ihr Gesicht in die zarten Hände nahm, um sie zu küssen und zu sehen, wie Gram und Todesfurcht ihre schönen Züge verändert, drängte sich ihr ein leiser Ruf der Verwunderung auf die Lippen; denn sie hatte keineswegs in ein verhärmtes und geängstigtes, sondern in ein frohes, ruhiges Antlitz geschaut, und es blickten ihr daraus zwei große Augen hell und dankbar entgegen.

Hatte man ihr noch verschwiegen, was sie bedrohte?

Aber nein; begann sie doch gleich mit der Frage, ob sie schon von ihrer Verurteilung gehört? Und nun erzählte sie, wie es ihr vor den Richtern ergangen, und wie ihr der Freund und Pflegevater ihres guten Philipp plötzlich und unbegreiflicherweise als erbittertster Feind entgegengetreten.

Da konnten die anderen den Thränen nicht mehr gebieten, und nun tröstete und beruhigte sie Paula und teilte ihnen mit, daß sie in dem Kadhi einen väterlichen Freund gewonnen, der ihr verheißen, den Chalifen um Gnade für sie zu bitten.

Frau Johanna wußte sich bei alledem kaum zu fassen. Wie ein Wunder erschien ihr dies Mädchen und seine Heldengröße gegenüber dem Unglück.

Schönes Zutrauen! Doch wie leicht konnte es betrogen werden, wie unsicher war der Grund, in den sie den Anker der Hoffnung geworfen.

Selbst Maria erschien besorgter als die Freundin und warf sich ihr weinend an die Brust.

Und Paula erwiderte ihre Zärtlichkeit und suchte Pulcheria über die Schändlichkeit ihres alten neuen Hausgenossen zu beruhigen und lächelte die Witwe freundlich an, als sie fragte, woher sie die Fassung bei so schwerem Mißgeschick nehme, und sagte, ihr Beispiel habe sie gelehrt, das Schwerste ergeben zu tragen. Selbst in diesen dunklen Stunden finde sie weit mehr zu danken als zu klagen, ja, aus ihnen sei helles Glück für sie aufgegangen.

Jetzt erst erinnerten sich Johanna und die Mädchen, daß sie Braut sei, und nun wurde sie wieder von geliebten Armen umschlungen.

Da klopfte der Wärter, und nun richtete Paula sich sinnend auf und rief leise:

»Ich habe Orion etwas zuzustellen, das ich keinem Fremden anvertrauen darf, und jetzt, jetzt hab' ich Dich, Maria, und Du sollst es ihm überbringen.«

Dabei zog sie den Smaragd hervor, gab ihn der Kleinen und trug ihr auf, ihn ihrem Oheim zuzustellen, sobald sie mit ihm allein sei. In dem Briefchen, welches das Juwel umgab, bat sie den Verlobten, es als sein Eigentum zu betrachten und die Forderung der Kirche damit zu befriedigen.

Der Wärter war leicht zu bestimmen, das Kind zu seinem Oheim zu führen, und wie froh und glücklich flog Maria ihm voran, zu Orion hinauf, wie groß war dessen Freude, sie wiederzusehen, wie dankbar zog er den Smaragd an die Lippen; doch als sie dem Oheim zurief, daß ihre Voraussagung nun doch eintreffe und Paula die Seine werde, faltete sich ihm die Stirn, und voll schweren Ernstes klagte er dem Kinde, daß er sein Liebstes doch wohl nur gewonnen, um es zu verlieren.

»Doch der Kadhi ist euer Freund und erwirkt euch die Gnade des Chalifen!« rief die Kleine.

»Aber dafür tritt plötzlich ein neuer Feind gegen uns auf – Horus Apollon.«

»O, unser Alter!« knirschte das Kind. »Wenn Du wüßtest, Orion! Und dabei unter einem Dach mit ihm wohnen!«

»Du?« fuhr der Jüngling auf.

»Ja, ich und die Pul und Mutter Johanna!« Und nun erzählte Maria, wie der Alte in ihr Haus gekommen, und durch mancherlei Andeutungen erriet Orion, daß sie ihm etwas Wichtiges vorenthalte, und so drang er in sie, ihm nichts zu verschweigen, und das Kind konnte endlich nicht umhin, ihm alles zu eröffnen, was es gesehen und gehört.

Da verließen ihn Zuversicht und Ruhe. Außer sich rief er den Namen der Geliebten und sehnte dabei in leidenschaftlichen Worten den Feldherrn zurück, Amr, den einzigen Mann, der helfen konnte in dieser Not. Auf ihn setzte er seine ganze Hoffnung. Wie ein zweiter Vater habe er sich gegen ihn erwiesen und ihm eine schwierige, aber schöne Aufgabe gestellt.

»In die Du Dich kopfüber gestürzt hast!« rief das Kind.

»Erwogen hab' ich alles schon auf der Reise,« versetzte Orion. »Gestern versuchte ich auch, das Erste niederzuschreiben, doch mir fehlte dazu gerade das Beste: die Karten und Listen! Nilus hatte das alles zusammengethan, es sollte mich auf der Fahrt mit den Nonnen begleiten, und ich hatte den Befehl erteilt, es in das Haus des Rufinus . . .«

»Es zu uns zubringen?« unterbrach ihn das Kind mit leuchtenden Augen. »O, es ist da! Ich habe die Schriften selbst gesehen, wie die Truhe für den Alten ausgeräumt ward, und morgen, morgen in der Frühe hast Du sie alle!«

Da küßte Orion dem Kinde froh und hastig die Stirn, schlug dann mit der Faust an eine Wand seiner Zelle und rief, nachdem sich an der Rückseite derselben ein knarrendes Etwas verschoben:

»Gute Kunde, Nilus! Die Pläne und Listen sind wieder da; ich habe sie morgen!«

»Vortrefflich!« antwortete des Rentmeisters trockene Stimme aus dem Nebenraum. »Wir können Tröstliches brauchen! Vorhin bekam ich einen Genossen, der sich bei einem Aufstand auf dem Markt an einem arabischen Reiter vergriffen. Der erzählt entsetzliche Dinge.«

»Die meine Verlobte betreffen?«

»Leider, Herr!«

»So bin ich schon unterrichtet,« entgegnete der Jüngling, und nachdem er mit dem Rentmeister noch einige Worte über den verruchten Anschlag des Alten gewechselt, fuhr Nilus fort:

»Mein Zellengefährte erzählt auch, die Araber hätten, während er auf ihrer Wache zurückgehalten ward, von einem Boten des Feldherrn gesprochen, der dessen Ankunft in Medina melde, und außerdem, daß er dort nur kurze Zeit zu verweilen gedenke. Seine Rückkehr läßt also nicht lange mehr auf sich warten.«

»Und so ist er längst fort, bevor die Boten des Kadhi dahin gelangen und dem Chalifen sein Gnadengesuch überreichen. Auf Amr, nur auf ihn dürfen wir hoffen, und wenn er unterwegs zu benachrichtigen wäre . . .«

»So hält er sich gewiß nicht in Oberägypten auf, so beschleunigt er die Reise oder sendet einen Bevollmächtigten voraus,« ließ es sich durch die Wand vernehmen. »Hätten wir nur einen sichern Mann ihm entgegenzuschicken. Unsere Leute sind in alle Winde zerstreut, und jetzt nach ihnen suchen

Da fiel ihm Marias helle Kinderstimme ins Wort: »Ich schaffe den Boten.«

»Du? Bedenke doch, Mädchen!« unterbrach sie Orion.

Sie aber achtete seiner Einwände nicht, sondern fuhr, ihrer Sache gewiß, eifrig fort:

»Es soll ihm alles, alles berichtet werden! Darf man ihm auch anvertrauen, was ich von eurer Teilnahme an der Flucht der Nonnen erfahren?«

»Nein, in keinem Falle!« riefen der Rentmeister und der Jüngling zugleich, und Maria entnahm aus diesem Ausruf, daß ihr Vorschlag angenommen werde und schlug in die Hände und rief, ganz Eifer und mit glühenden Wangen:

»Morgen bricht der Bote auf, verlaßt euch auf mich. Ich mach' es so gut wie der Größte. Und nun gib mir den Weg genau an, den er nimmt. Zur Sicherheit ritze die Namen der Stationen hier in mein Täfelchen ein.. – Aber wart', ich muß es erst glätten!«

»Was steht denn da auf dem Wachse?« fragte Orion. »Ein großes Herz mit lauter Rechtecken darin. Das bedeutet?«

»Dummheiten!« machte das Kind, ein wenig beschämt. »Ich gab nur an, wie ich mein Herz unter denen, die ich liebe, verteile. Die eine ganze Hälfte gehört unserer Paula, dies Quadrat ist das Deine, aber da, da, da« – und damit stieß sie mit dem Stift ins Wachs – »hier hatte ich auch dem Alten ein Plätzchen gegönnt. Komm Du mir nur wieder!«

Dabei glätteten ihre geschickten Finger das Wachs, und Orion zeichnete über das vernichtete Herz, die Spielerei eines Kindes, Dinge auf, von denen Leben und Tod zweier Menschen abhing. Er that es in gutem Zutrauen auf das Geschick und die Gewissenhaftigkeit seiner kleinen Bundesgenossin. Morgen in aller Frühe sollte sie noch für den Boten einen Brief an den Feldherrn erhalten.

»Aber ein rascher Ritt – und Amr wählt immer den Weg über die Berge und Berenike – ist teuer,« bemerkte der Rentmeister, »und wenn wir auch unsere letzten Goldstücke zusammenthun, reichen sie schwerlich.«

»Behaltet sie, ihr habt sie hier nötig,« unterbrach ihn das Kind. »Aber nein . . . da wären zwar meine Perlen und der Schmuck meiner Mutter . . . indessen . . .«

»Von dergleichen soll man sich nicht trennen, Du goldenes Herzchen,« fügte Orion hinzu.

»O doch, doch. Was thu' ich damit? Aber das von der Mutter hat Frau Johanna in Verwahrung.«

»Und Du scheust Dich, sie darum zu bitten?« fragte der Jüngling.

Dann wandte er sich an den Rentmeister, und als der die erforderliche Summe überschlagen, zog er einen kostbaren Sapphir vom Finger, gab ihn Maria und trug ihr auf, ihn ihrer Pflegemutter zu übergeben. Der Jude Gamaliel werde ihr auf dies Pfand hin so viel anvertrauen, wie sie bedürfe.

Fröhlich steckte Maria das Kleinod zu sich, doch als der Wächter bald darauf erschien, schlug ihre Glückseligkeit plötzlich in ebenso lebhafte Kümmernis um, und sie nahm von Orion Abschied, als stehe ihnen eine Trennung fürs Leben bevor.

In dem zu Paulas Zelle führenden Gange blieb der Wärter plötzlich stehen; denn die Treppe herauf kamen Leute.

Wenn es der schwarze Wekil war und zu dieser Stunde noch Besuch im Gefängnis fand!

Aber nein!

Zwei Lampen wurden dem Gast vorangetragen, und in ihrem Schein erkannte ihr Begleiter den Presbyter Johannes, den neuen Bischof von Memphis, der schon früher oft hieher gekommen, um Gefangene zu trösten.

Heute führte ihn der Wunsch, die bedrohte Melchitin zu sehen, so spät in den Kerker. Marias Haltung und Kleidung verrieten ihm, daß sie keinem Beamten des Hauses angehöre, und sobald er erfahren, wer sie sei, raunte er seinem Begleiter, einem alten Diakonen, den er stets mit sich nahm, wenn er weibliche Gefangene besuchte, zu: »Hier findet man sie!« Nachdem er sich darauf unterrichtet, mit wem das Kind zu so später Stunde hieher gekommen, wandte er sich wiederum an seinen Amtsbruder und sagte leise: »Des Rufinus Gattin und Tochter. Also doch! Hab' die Griechen schon lange im Auge. Alljährlich ein- oder zweimal in der Kirche! Verkappte Melchiten! Eins mit der Damascenerin! Und in solcher Umgebung wächst die Enkelin des Mukaukas heran! Ein verruchtes Spiel! Benjamin hat wieder richtig gesehen, jetzt wie immer!« Dann dämpfte er die Stimme noch tiefer und fragte: »Ob wir sie gleich mit uns nehmen?« Und als der Diakonus Einwand dagegen erhob, versetzte er rasch: »Du hast recht; es genügt einstweilen, ihren Aufenthalt zu kennen.«

Inzwischen hatte der Wärter Paulas Zelle geöffnet, und bevor der Bischof sie betrat, richtete er einige freundliche Worte an das Kind und fragte es, ob es sich nicht nach seiner Mutter sehne, und auf Marias: »Recht oft!«, fuhr er ihr mit der knochigen Hand über die Locken und sagte:

»Das dacht' ich. Du trägst einen schönen Namen, Kind, und wie Deine Mutter, so weihst auch Du vielleicht bald Dein Leben der Frau der Frauen, nach der Du getauft bist.«

Darauf betrat er mit der Kleinen an der Hand die Zelle, und während Paula den Geistlichen, der sie zu so später Stunde besuchte, betroffen anschaute, erkannten Frau Johanna und Pulcheria in ihm den mutigen Priester, welcher dem Greise und dem irregeführten Volke so kräftig entgegengetreten war, und verneigten sich ehrerbietig und tief.

Der Bischof bemerke es und zog daraus den Schluß, daß diese Griechinnen vielleicht dennoch seiner Kirche angehörten. Jedenfalls konnte man ihnen das Kind unbedenklich noch auf einige Tage überlassen.

Nachdem er freundliche Worte mit den Frauen gewechselt, schickte sich die Witwe an, ihm das Feld zu räumen und Abschied zu nehmen. Da trat der Bischof ihr näher und kündigte ihr auf morgen oder übermorgen seinen Besuch an; es handle sich um das Glück eines ihnen beiden teuren Wesens, und Frau Johanna, welche glaubte, er habe Paula im Sinne, flüsterte ihm zu:

»Sie ahnt noch nichts von dem Gräßlichen, womit das Volk sie bedroht. Kann es sein, so verschone sie, bevor sie den Schlaf sucht, mit dieser schrecklichen Kunde.«

»Wenn es sein kann!« wiederholte der Geistliche, und als Maria ihm beim Abschied die Hand küßte, zog er sie zu sich heran und sagte: »Das Christuskind und jedes Christenkind gehört zu der Mutter. Vor Tausenden bist Du bevorzugt, Maria! Deinen Vater hat der Himmel als Märtyrer zu sich genommen, die Mutter weihte sich selbst dem Himmel. Dein Weg ist Dir vorgezeichnet, Kind; denke darüber nach. Morgen, nein, übermorgen, komm' ich und führe Dich dem neuen Pfade entgegen.«

Frau Johanna erblaßte bei diesen Worten; denn nun erst verstand sie, was der Bischof mit seinem Besuche bei ihr bezweckte, und am Fuß der Treppe schlang sie den Arm um das Kind und fragte es leise:

»Sehnst Du Dich nach dem Kloster, möchtest Du fern von uns wie Deine Mutter, nur auf das Heil Deiner Seele bedacht, als Nonne leben, in jener stillen Seligkeit, die Dir Pul wohl mehr als einmal beschrieben?«

Doch das Kind verneinte diese Frage entschieden, und als Frau Johanna dabei sorgenvoll und bekümmert den Kopf sinken ließ, zeigte Maria wieder ein heiteres Gesicht und rief ihr zu:

»Nur keine Furcht, liebe Mutter! Bis übermorgen ändert sich noch manches. Laß den Herrn Bischof nur kommen, ich werde schon mit ihm fertig. O, Du kennst mich noch gar nicht! Wie ein Lämmchen bin ich unter euch gewesen bei all dem Unglück und schweren Ernst, doch es steckt noch was ganz anderes in mir; Du wirst Dich wundern!«

»Bleibe lieber, wie Du bist!« bat die Witwe.

»Immer, immer voller Liebe für Dich und die Pul; aber ich bin eine große Vertrauensperson geworden: morgen früh hab' ich etwas Wichtiges für Orion zu thun. Etwas . . . Rustem wird mich begleiten. Wichtig, wichtig, Mütterchen! Aber was es ist, das darf ich keiner Seele verraten, nicht einmal Dir!«

Hier wurde sie unterbrochen; denn das schwere Thor des Gefängnisses ging knarrend vor ihnen auf.

Für den Bischof wurde es erst mehrere Stunden später wieder erschlossen, so lange hielt ihn das Gespräch mit Paula in ihrer Zelle zurück.

Auf die Frage, ob sie eine orthodoxe Griechin sei, wie das Volk sich ausdrücke, eine Melchitin, erteilte sie eine bejahende Antwort und fügte hinzu, daß wenn er sie aufgesucht habe, um sie von dem Glauben ihrer Eltern abwendig zu machen, sein Gang vergeblich gewesen sei; doch achte sie in ihm den Christen, den Priester, den Gelehrten, den Mann, welchen ihr verstorbener Oheim unter allen Geistlichen seiner Konfession am höchsten gehalten, und sie wolle ihm gern eröffnen, was ihr im Angesicht des nahenden Todes die Seele bewege.

Da schaute er ihr in die reinen, ruhigen Züge, und wenn er nach ihrer ersten Antwort willens gewesen war, ihr mit dem furchtbaren Schicksal zu drohen, das er auf dem Markte bemüht gewesen war von ihr abzuwenden, dachte er nun an die Bitte der freundlichen griechischen Frau und legte sich Stillschweigen auf.

Bis gegen Mitternacht ließ er sich berichten, was sie in ihrem jungen Leben an Glück und Unglück erfahren, erforschte sein scharfer Geist ihre Seele, erhob sich sein frommes Herz an der Kraft und dem Mut des ihren, und als er sie verlassen und er mit dem Diakonus heimwärts wandelte, war das erste Wort, womit er das Schweigen brach, das er lange Zeit inne gehalten:

»Wahrend Du schliefest, schenkte mir Gott durch dies ketzerische Weltkind eine erhebende Stunde.«


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