Georg Ebers
Die Nilbraut
Georg Ebers

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Orion und Paula hatten manches besprochen, seitdem jener das Haus des Rufinus betreten.

Die Verhandlungen wegen der Anlegung des Vermögens der Damascenerin waren langwierig gewesen. Zuletzt hatten ihre Ratgeber beschlossen, die eine Hälfte desselben dem Juwelier Gamaliel und seinem Bruder, welcher in Konstantinopel einem großen Geschäfte vorstand, zu übergeben. Dieser befand sich zufällig in Memphis, und beide hatten sich bereit erklärt, das ihnen dargebotene Kapital, jeder zu einer Hälfte, an sich zu nehmen und zu verzinsen. Die Sicherstellung wollten beide gemeinsam übernehmen, so daß jeder für das ganze ihnen anvertraute Gut bürgte, wenn der andere, wodurch auch immer, seine Zahlungen einstelle. Für die gerichtliche Sanktionirung dieses Vertrages und die nötigen sechzehn Zeugen zu sorgen, übernahm Nilus.

Den anderen Teil des Vermögens sollte auf Vorschlag des Arztes Philippus der Bruder des arabischen Kaufherrn Haschim erhalten, welcher in der neuerstehenden Stadt Fostat am östlichen Ufer des Nil einem bedeutenden Wechselgeschäft vorstand, an dem auch der Teppichhändler selbst beteiligt war. Diese Anlegung empfahl sich, weil sie unantastbar sicher blieb, so lange die Araber in Aegypten geboten.

Nach diesen Verhandlungen entfernte sich Nilus mit derjenigen Hälfte des Vermögens, welche dem muslimischen Wechsler morgen durch Orion anvertraut werden sollte.

Paula war, ohne sich an den Verhandlungen der Männer zu beteiligen, Zeugin derselben gewesen und hatte ihrem Beschluß dankbar Zustimmung erteilt. Es war ihr nicht entgangen, wie klar, ernst und entschieden sich Orion bei dieser Beratung gezeigt hatte, und wenn auch die klugen, kurz und anspruchslos hingeworfenen Bemerkungen des Rentmeisters überall ausschlaggebend gewesen waren, hatten ihr doch am besten seine Gründe und Darlegungen gefallen; denn ihr kam es vor, als wären sie immer von größeren, mehr staatsmännischen, weitergehenden Erwägungen getragen, als die der anderen.

Nach Schluß der Sitzung war sie mit Orion allein gelassen worden, und da hatten denn weder dem Jüngling noch ihr Herzklopfen und bange Minuten erspart bleiben können.

Erst als der Sohn des Mukaukas kühner geworden und ihr, um Vergebung flehend, zu Füßen gesunken war, hatte sie einige Festigkeit zurückerlangt, und ihn an seinen beruhigenden Brief erinnert. Doch das Herz trieb sie mit aller Macht ihm entgegen, und um seinem gewaltigen Drang nicht zu unterliegen, fragte sie schnell, was er mit dem Tausch gemeint, von dem er geschrieben.

Da war er ihr mit niedergeschlagenen Augen entgegen getreten, hatte aus den Brustfalten seines Gewandes ein Kästchen und daraus den Smaragd samt der verbogenen Fassung genommen, ihr beides bittend entgegengehalten und dabei mit dem ganzen seiner tiefen Stimme eigenen Wohllaut gerufen:

»Dein Eigentum! Nimm es, und schenke mir dafür Dein Zutrauen, Deine Vergebung!«

Da war sie von ihm zurück getreten, hatte erst ihn und dann den Stein und die Fassung überrascht, erfreut, bewegt, mit dem vollen Glanz ihrer Augen angeschaut, und dem Jüngling war es bei alledem unmöglich gewesen, auch nur ein Wort zu reden, und er hatte ihr das Juwel und das ärmliche Goldblech nur näher und näher hingehalten, hingereicht wie ein Armer, der es wagt, einem stolzen, reichen Großen sein Bestes, das für solchen Empfänger doch nur gering ist, als Geschenk darzubieten.

Und Paula war nicht lange unentschlossen geblieben, sondern hatte nach seiner Gabe gegriffen und dankbar und freudig die glänzenden Augen an dem verlorenen Kleinod geweidet.

Vorgestern war es ihr wie besudelt und entheiligt erschienen, ihrem Stolz hatte es wohlgethan, diesen wertvollen Schatz Frau Neforis und ihrem Sohne auf Nimmerwiedersehen gleichsam vor die Füße zu werfen. So schwer gibt man ja das Recht auf, diejenigen zu hassen, welche uns das Dasein freventlich verkümmert und unserer Seele Schaden zugefügt haben; aber auf dies Recht, von dem Paula noch vor kurzem um keinen Preis gelassen hätte, verzichtete sie jetzt freiwillig, ja sie wies es von sich wie einen beängstigenden Alp, der den freien Herzschlag und das frische, frohe Atemholen hemmt. In dem Juwel sah sie nun wieder das liebe Andenken an ihre verstorbene Mutter, die ehrende Zier, welche ein großer Monarch ihren Ahnen geschenkt, und es freute sie, daß es ihr wieder gehörte. Aber diese Empfindung hatte das warme, sonnige Glücksgefühl, welches sie jetzt durchdrang, weder wachgerufen, noch veranlaßte es sein schnelles, wonniges Wachstum; denn ihre Augen achteten kaum des schönen, blitzenden Steines, sondern hingen wie gebannt an dem elenden Goldbleche, welches ihn früher umgeben und das ihr so entsetzliche Stunden bereitet. – Wohl wohnte diesem verbogenen, ärmlichen Ding die Macht inne, sie vor Richtern und Feinden zu rechtfertigen, wohl war es ihr ein Leichtes, mit ihm in der Hand ihre Ankläger zu Grunde zu richten; doch auch dies war es nicht, was ihr so unaussprechlich wohl that! Des Arztes Wort, daß es keine größere Freude gebe als die Wahrnehmung, sich in einem Menschen zu seinem Nachteil getäuscht zu haben, war ihr in den Sinn gekommen, und der Mensch da vor ihr, sie hatte ihn einmal geliebt, und nun stand er wieder zu allem Guten bereit, tief innerlich bewegt vor ihr, und das Urteil, das sie sich über ihn gebildet, hundert-, tausendmal zu hart war es gewesen! Nur ein Edler erwartet vertrauensvoll Edelmut von dem Feinde, und er, er gab sich waffenlos in die Hand derjenigen, welche die verhängnisvollste, vielleicht einzige schimpfliche That seines Lebens tödlich getroffen.

Mit diesem Goldblech lieferte Orion sich ihr aus, als Besitzerin dieses Talismans stand sie ihm gegenüber wie das übermächtige Schicksal! Und wie sie nun den Blick zu ihm aufhob und seinen großen, Geist und Leben ausstrahlenden und von gewaltiger Erregung feuchten Augen begegnete, schien es ihr gewiß und sicher, daß dieser Liebling der Schickung zwar schwer und verhängnisvoll gefehlt habe, daß er aber befähigt sei, das Größte und Höchste zu erreichen, wenn ein Freund ihm zeige, was das Leben von ihm fordere, und er sich bereit finden lasse, seinem Winke zu folgen. Und dieser Freund, sie wollte es sein!

Wie Orion, so hatte auch sie lange kein Wort gefunden; doch endlich war er, seiner selbst nicht mehr mächtig, auf sie zugeeilt, hatte die Lippen inbrünstig dankend auf ihre Rechte geheftet, und sie, sie hatte es dulden müssen und wäre auch nicht fähig gewesen, ihm zu wehren, hätt' er sie schnell, wie damals im Traume, in die Arme genommen und an sein Herz gezogen. Inbrünstig war sein heißer Mund auf ihrer Rechten ruhen geblieben, doch nur kurze Augenblicke hatte sie sich der mächtigen Regung, die sie erfaßt, überlassen; dann war sie mit dem Aufgebot des starken Willens zum Guten, der sie beseelte, ihrer Herr geworden, hatte ihn bestimmt und doch nicht ohne Freundlichkeit von sich gewiesen und ihm bewegt und mit einer lieblichen Schalkhaftigkeit, die ihm bis dahin fremd an ihr gewesen und die ihn noch mehr entzückte als ihre Größe und ihr edler Stolz, mit erhobenem Finger gedroht:

»Sieh Dich vor, Orion! Ich behalte Stein und Fassung; ja, auch die Fassung! Warte die Folgen nur ab, Du unvorsichtiger Mann!«

»Nicht so! Sage lieber: Du Thor, der endlich einmal eine verständige Handlung begeht,« hatte er glückselig erwidert. »Was ich Dir hier ausliefere, ist kein Geschenk, sondern stets Dein eigen gewesen. Dir kann es jetzt nicht mehr oder weniger gelten als früher, doch für mich hat es nun den neuen, unschätzbaren Wert, daß es mich, meine Ehre, vielleicht gar mein Leben in Deine Hand legt, daß Du nun über mich schalten kannst wie der Kaiser über den ärmsten Knecht im Palaste. Behalte und brauche den Stein und dies verhängnisvolle goldene Nichts, bis der Tag kommt, an dem mein Wohl und Wehe das Deine sein wird.«

»Um des Verstorbenen willen,« hatte sie ihm tief errötend entgegnet, »liegt dies Wohl mir jetzt schon am Herzen. Wer über den andern den Fluch des Vaters verhängte, ist es dessen Schuldigkeit nicht, dem schwer Belasteten zu helfen, sich von ihm zu befreien? Und vielleicht liegt dies in meiner Macht, Orion, wenn Du es nicht verschmähst, den Rat eines unwissenden Mädchens zu hören.«

»Rede!« hatte er eifrig gebeten, doch sie war ihm nicht gleich gefolgt, sondern hatte ihn ersucht, mit ihr in den Garten zu treten; denn ihm wie ihr war die dumpfe Stubenluft unerträglich geworden, und wie sie das Haus verlassen hatten, da war das Paar zuerst den Blicken der lauschenden Katharina begegnet, und es hatte ihr nicht entgehen können, wie heiß ihnen beiden die Wangen glühten.

Draußen durchwehte ein kaum merkliches Lüftchen vom Nil her die Glut des Mittags, und hier hatte Paula den Mut gefunden, ihm darzulegen, was Philippus die Auffassung seines Lebens nannte. – Diese war ihm nicht neu, ja sie entsprach den Vorsätzen, die er für sein künftiges Leben gefaßt. Dankbar ergriff er sie, und »das Leben ein Amt, ein Dienst, eine Verpflichtung«, das war wie ein Stichwort, wie ein Mahnruf, der ihm bei der Durchführung seiner hohen Zukunftspläne behilflich sein sollte.

»Und dies Wort,« rief er Paula zu, »wird mir außerdem lieb sein, weil es aus Deinem Munde stammt; aber nötig für mich ist es nicht mehr. Auch die weisesten und nützlichsten Lebensregeln haben noch keinen Menschen besser gemacht. Wer nähme sie nicht aus der Schule mit in die Welt? Worte helfen nichts, wenn sich nicht bei der Fahrt durchs Leben der männliche Wille ans Steuer stellt. Ich habe ihn ausgerufen, und er führt mich zum Ziele; denn dem Piloten schwebt ein heller Leitstern vor Augen. Du, Mädchen, kennst ihn: es ist . . .«

»Es ist das, was Du Deine Liebe nennst,« fiel sie ihm, neu errötend, ins Wort, »Deine Liebe zu mir, und ich will an sie glauben.«

»Du willst!« rief er feurig. »Du erlaubst mir, zu hoffen . . .«

»Hoffe, hoffe!« unterbrach sie ihn wieder, »indessen . . .«

»Indessen,« fuhr er fort, »›dränge mich jetzt nicht,‹ sollte nun folgen. O, ich versteh' Dich, und bevor ich nicht fühle, daß Du wieder Grund hast, aufzusehen zu dem Unsinnigen, der Dich durch eigene Schuld verloren, spreche ich, der Dich einmal wie einen Todfeind bekämpft hat, selbst das letzte Wort nicht aus, verdamm' ich meine Sehnsucht, zu schweigen, will ich versuchen . . .«

»Wirst Du mir zu zeigen versuchen, mir zeigen,« rief Paula, »daß ich in Dir aus einem Feind und Verfolger den liebsten der Freunde gewonnen. Wir wissen nun, wie wir zu einander stehen, wollen fest und froh auf einander bauen und dem Höchsten danken, daß er uns ein neues, schöneres Leben eröffnet. Dieser Tag, wir wollen ihn beide . . .«

»Segnen und zu den besten schreiben,« fiel Orion freudig ein, und nun begann das Gespräch über die kleine Maria, das von Katharina belauscht ward.

Als sie sich wieder aus ihrem Gehörkreise entfernt hatten, erklärte Orion, daß die Angelegenheit des Kindes bis morgen ruhen müsse, weil er heute jenseits des Stromes mit dem Feldherrn Amr zu verhandeln habe.

Ihrer Befürchtung, er könne sich von den Muslimen für ihren Glauben gewinnen lassen, trat er entschieden entgegen; denn so sehr es ihn auch gelüste, den Patriarchen fühlen zu lassen, daß er nicht gewillt sei, die seinem Vater angethane Schmach geduldig hinzunehmen, hänge er doch zu fest an seinem Glauben, wisse er zu gut, was er dem Andenken des Verstorbenen und auch ihr schuldig sei, um zu diesem Aeußersten zu schreiten.

Dann schilderte er ihr feurig, wie er in Zukunft seine beste Kraft seinem armen, geknechteten Vaterlande, sei es im Dienste des Chalifen, sei es in anderer Weise, zu widmen gedenke, und sie ging froh und mit fortgerissen von seiner schönen Begeisterung auf seine Pläne ein und fühlte wieder mit stiller Wonne die Ueberlegenheit seines Geistes und die hohe Schwungkraft seiner Seele.

Als das Gespräch sie darauf in die Vergangenheit zurückführte, fragte sie ihn leise, unvermittelt und ohne ihn anzuschauen, wohin der Smaragd aus dem persischen Teppich gekommen.

Da entfärbte er sich, blickte zu Boden und erwiderte zögernd, er habe ihn nach Konstantinopel geschickt, um ihn fassen zu lassen, fassen zu lassen in einen Schmuck – würdig für sie, die er . . .

Doch plötzlich unterbrach er sich selbst, stampfte ingrimmig mit dem Fuß auf den Weg und rief, indem er der Jungfrau gerade ins Auge schaute:

»Lüge, verdammte, unwürdige Lüge! Wahrhaftig bin ich von Kind an gewesen, aber ist es nicht, als verlangte dieser verruchteste aller Tage etwas Unwürdiges von mir, wo ich ihn auch nur berühre? Ja, Paula, ja, der Stein ist auf dem Wege nach Byzanz, aber das gestohlene Gut war nicht für Dich bestimmt, sondern für ein schönes, sanftes, gewiß nicht verdammenswertes Weib, das mir sein Herz geschenkt hatte. Es ist mir nie mehr gewesen als ein reizendes Spielzeug, doch hat es Stunden gegeben, in denen ich glaubte . . . Armes Geschöpf! . . . Erst durch Dich hab' ich die Liebe kennen gelernt, wie groß sie ist und wie heilig! Das ist, da hast Du die Wahrheit!«

Damit schritten sie vorwärts, und Katharina, welche den Zusammenhang dieser Erklärung nicht aufzufassen vermocht hatte, verstand nun wieder, wie Paula ihm warm und freudig zurief:

»Ja, das ist die Wahrheit, ich fühl' es; und von nun an ist auch jener verruchteste aller Tage durchgestrichen, ausgemerzt aus Deinem und meinem Leben, und was Du mir auch künftig sagen magst, ich werde es glauben!«

Und weiter hörte die Horcherin, wie der Jüngling mit bebender Stimme versetzte:

»Und Du sollst Dich nicht in mir täuschen! Ich geh' jetzt, ich gehe, und bei all meinem Elend als ein froher, zu neuem Glück berechtigter Mann. O Mädchen, was dank' ich Dir alles! Und, nicht wahr, wenn wir uns wiedersehen, wirst Du mir nicht anders begegnen als damals auf der Wasserfahrt nach meiner Heimkehr?«

»So, und mit noch froherem Zutrauen,« versetzte Paula und reichte ihm mit einer schönen Bewegung, die das Herz ihr eingab, die Hand; er aber preßte sie einen Augenblick fest an die Lippen und schwang sich dann auf das Roß, um in raschem Trabe den Garten zu verlassen. Sein Sklave folgte ihm nach.

»Katharina, Kind, Katharina!« erscholl vom Hause der Witwe Susanna her eine kreischende Frauenstimme. Da schrak das Bachstelzchen zusammen und warf, während es sich noch einmal über das Haar strich, einen bösen Blick auf die Damascenerin, »die andere«, die Gleißnerin, die sie unter der Sykomore schmählich betrogen, und sie ballte die kleine Faust, als sie beim Abschluß ihres Lauschens diese dem verschwindenden Orion mit strahlenden Augen nachblicken sah.

Glückselig und wie beflügelt schritt Paula auf das Haus zu, während die arme, tief gekränkte Kleine bei dem ersten scheltenden Wort der Mutter, die sich mit ihrem zerzausten Putz keineswegs einverstanden erklärte, in heiße Thränen ausbrach und dann trotzig und auffahrend versicherte, sie werde dem Patriarchen den Strauß nicht überreichen und auf ihrem Zimmer bleiben; denn sie sterbe vor Kopfweh. Und so geschah es.


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