Georg Ebers
Die Nilbraut
Georg Ebers

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Siebenunddreißigstes Kapitel.

Katharina hatte wenig geschlafen und war ihrer Gewohnheit gemäß sehr früh aufgestanden, während Heliodora die Morgenstunden gern verschlief. Diese waren in solcher Glutzeit gewiß die schönsten des Tages, und das Bachstelzchen hatte sie sonst froh genossen, aber obgleich eine große indische Blume in der letzten Nacht zum erstenmal aufgeblüht war, und der Obergärtner sie ihr mit gerechtem Stolz zeigte, konnte sie sich doch nicht freuen. Mochte sie verdorren, und mit ihr die ganze Welt!

In dem Nachbargarten regte sich noch nichts; doch da kam der lange Arzt Philippus auf der Straße daher, um die Frauen drüben zu besuchen.

Mit wenigen hurtigen Schritten eilte sie an das Thor und rief ihn an.

Sie mußte ihn bitten, von der gestrigen Begegnung zu schweigen, und er blieb sogleich stehen und teilte ihr mit, bevor sie noch Zeit gefunden, ihm ihren Wunsch zu eröffnen, daß die Witwe des Mukaukas in dieser Nacht, von Schreck und Entsetzen übermannt, ihrem Gatten gefolgt sei.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der das Bachstelzchen Frau Neforis wie einer zweiten Mutter zugethan gewesen, in der ihr die Statthalterei wie der Inbegriff alles Großen, Ehrwürdigen und Vornehmen erschienen war und in der sie stolz und glücklich gewesen, dort ein und aus gehen zu dürfen, dort wie ein Kind des Hauses geliebt zu werden, und so waren die Thränen, mit denen sich ihre Augen bei dieser Nachricht füllten, ungemacht, und es that ihr wohl, die frohe, herausfordernd glückselige Miene abzulegen, welche sie wie eine Maske trug, seitdem es in ihrer Seele so finster, wild und elend aussah.

Der Arzt begriff ihre Trauer, versprach ihr gern, gegen jedermann reinen Mund zu halten, tadelte sie nicht, hielt ihr aber nochmals die Gefahr vor, der sie sich ausgesetzt hatte, und erinnerte sie dringend daran, jedes Kleidungsstück, das sie und Heliodora gestern getragen, beiseite zu schaffen; denn die feinen Ansteckungsstoffe hingen sich an alles, und jedes Stück Zeug, das einen Kranken berührt habe, sei ganz besonders geeignet, das Seuchengift auf andere zu übertragen und weiter zu verbreiten. Sie hörte ihm ängstlich zu und konnte ihn dann beruhigen; denn alles, was sie und die junge Frau gestern getragen, war in den Badeofen gewandert.

Der Arzt eilte weiter, sie aber achtete nicht der wachsenden Hitze und wandelte ruhelos in den Gängen des Gartens umher. Das Herz schlug ihr in kleinen, raschen, peinigenden Schlägen, eine unsichtbare Last bedrückte sie und hinderte sie, frei zu atmen. Dabei stieg eine Reihe von quälenden Gedanken ungerufen in ihr auf, ließ sich nicht zurückdrängen und steigerte ihre innere Beklemmung.

Frau Neforis tot, die Statthalterei von den Arabern genommen, Orion seiner Güter beraubt und angeklagt auf Tod und Leben.

Und das friedliche Haus dort hinter der Hecke. Was stand ihm, seinem silberhaarigen Herrn und dessen unschuldiger Frau und Tochter bevor? Ein Unwetter zog sich auch über ihnen zusammen, sie sah es herannahen, und hinter ihm her wie neues, braunes, todbringendes Gewölk die Seuche, die furchtbare Seuche.

Und sie, sie, das kleine, schwache Mädchen, das flüchtige Bachstelzchen, hatte all dies Furchtbare heraufbeschworen, sie war es gewesen, die die Schleusen geöffnet, aus denen sich jetzt das Verderben rings um sie her zu ergießen begann. Sie sah die Flut wachsen und steigen, sah sie schon das eigene Haus, den eigenen Fuß gierig umspülen, und sie fürchtete sie so, daß ihr im Gedanken an sie der Angstschweiß Stirn und Hände befeuchtete; aber dennoch, dennoch! Hätte sie wirklich die Macht besessen, das Unheil in seine Wolken, die Fluten in ihr Bett zurückzutreiben, sie hätt' es doch unterlassen! Das letzte, was sie wünschte, was sie als Frucht ihrer Saat aufgehen und sich entfalten zu sehen begehrte, das war noch nicht gekommen, und das zu erleben, dafür war es wert, viel zu erdulden, ja mußte es sein, aus dieser falschen, heißen, reizlosen Welt zu scheiden.

Der Tod hing über Orions Haupt, und bevor er ihn ereilte, sollt' er wissen, wer das Schwert gegen ihn geschliffen. Vielleicht kam er mit dem Leben davon, doch der Araber gab nicht heraus, was er einmal besaß, und sollte wirklich der junge, glänzende Krösus als Bettler aus dem Gefängnis ins Leben zurücktreten, dann, dann . . . Was Paula! Was Heliodora! Ihre kleine Hand hatte dem Adler des Zeus nun einmal das Blitzbündel entwunden, dann fand sich auch für diese ein Strahl!

Das Gefühl ihrer furchtbaren Macht, der schon Opfer auf Opfer gefallen, berauschte sie. Sie wollte, wollte Orion, wollte ihn, der sie betrogen, ins Verderben, ins Elend gestoßen, als Bettler zu ihren Füßen sehen, und das war es, was ihr den Mut stärkte, auch das Aeußerste zu unternehmen; das, nur das! Und was ihr dann zu thun gefallen würde, das wollte sie selbst noch nicht wissen, das lag noch im Schoße der Zukunft, das konnte vielleicht weich und barmherzig und liebreich ausfallen.

Als sie sich in das Halle zurückbegab, waren Angst und Beklemmung von ihr gewichen, frische Thatenlust hatte sich ihrer Seele bemächtigt, und aus der kleinen Lauscherin und Hinterträgerin war in dieser Stunde ein zu jedem Verbrechen bereites, zielbewußtes, furchtbares Weib geworden.

»Armes Schäfchen!« dachte der Arzt Philippus, wie er den Garten des Rufinus betrat; »auch ihrem kleinen Herzchen mag der Unselige weh genug gethan haben!«

Der Garten seines alten Freundes war leer. Nur unter der Sykomore saßen zwei Menschen: die Riesengestalt eines jungen Mannes und ein schönes, zartes, etwas bleiches, blondhaariges Weib. Der große Gesell hielt eine breite Wollensträhne mit den mächtigen Händen auseinander, und das Mädchen neben ihm wickelte den Faden auf ein Knäuel. Es war der Masdakit Rustem und die schöne Mandane, beide hergestellt von ihren Wunden, und die Perserin zu neuem, ruhigem, verständigem geistigem Leben erwacht.

Philippus war dieser wunderbaren Herstellung mit großer Teilnahme und Sorgfalt gefolgt. Er schrieb sie zunächst der starken Blutung an ihrem Kopfe, dann aber auch der guten Luft und Pflege zu, die sie genossen. Es galt nur, sie auch weiter vor Unruhe und heftiger Gemütsbewegung zu schützen. In dem Masdakiten hatte sie einen Freund und gehorsamen Verehrer gefunden, und Philipp freute sich an dem Anblick dieser beiden, an denen seine Kunst einmal nicht zu schanden geworden.

Der Gruß, den er ihnen zurief, klang auch gar froh und herzlich, und auf Philippus': »Wie geht es?« antwortete der Masdakit mit einem heiteren: »Wie dem Fisch im Wasser!« und indem er auf Mandane wies: »Der Landsmännin gleichfalls.«

»Einverstanden?« fragte Philipp, und sie bejahte es mit einem lebhaften Nicken.

Da drohte Philipp dem Perser mit dem Finger und rief: »Wickle Dich hier nur nicht fest, Freund! Wer weiß, wie bald Herr Haschim Dich fortruft!«

Während er dem genesenden Paar dann den Rücken wandte, murmelte er vor sich hin: »Doch einmal etwas Erquickliches bei all dem Elend; sie und die kleine Maria!«

Vor seiner Abreise hatte Rufinus die verkrüppelten Kinder, welche er bei sich aufgenommen, zu ihren Eltern zurückgeschickt, und so fand der Arzt niemand im Vorsaal.

Wahrscheinlich waren die Frauen beim Morgenimbiß im Speisezimmer! Doch er irrte; denn der sollte erst später beginnen, und Pulcheria war noch mit der Herrichtung des Tisches beschäftigt.

Sie bemerkte den Eintretenden nicht, während sie Trauben und Granatäpfel, Feigen und die an Geschmack der Maulbeere gleichenden Früchte, welche büschelweise aus dem Stamm der Sykomore hervorschießen, sorgfältig zwischen Blättern, die von der Glut der letzten Wochen halb vergilbt waren, zusammenlas. Das hübsche Gebäu rundete sich schon zu einem zierlichen, vielgliedrigen Kegel, doch ihre Gedanken waren nicht ganz bei der Arbeit; denn Thräne auf Thräne rann ihr über die Wangen.

»Die gelten dem Vater,« dachte Philippus, während er ihr von der Thür aus zuschaute.

»Armes Kind!« Wie oft hatte er den Freund sie so nennen hören! Und ein Kind war sie bis jetzt auch für ihn gewesen; doch heute mußte er sie mit anderen Augen ansehen, da es ja ihr eigener Vater so bestimmt; auch stand er vor ihr wirklich wie vor einem Wunder.

Was war aus der kleinen Pul nur geworden?

Wie konnte er das erst heute bemerken?

Eine herrlich erwachsene Jungfrau regte da vor ihm die runden schneeweißen Arme, und er hätte vorhin noch schwören mögen, daß sie niemals andere als die dünnen Kinderärmchen besessen, die sie ihm so oft um den Hals geschlungen hatte, wenn sie auf ihm, ihrem »edlen Renner«, im Garten auf und nieder geritten.

Wie lange war das her?

Zehn Jahre!

Sie zählte jetzt siebenzehn!

Und wie zart, schlank und weiß waren ihre Hände geworden, um deretwillen die Mutter sie oft gescholten, wenn sie Sandhäuser gebaut und sich gleich darauf zu Tisch gesetzt hatte.

Nun legte sie eine Traube in schöner Rundung um einige Granatäpfel her, und dabei kam ihm die Anerkennung in den Sinn, welche sein alter Freund gestern ihrer Geschicklichkeit gezollt hatte.

Die Fenster waren verhängt; doch einzelne Sonnenstrahlen fanden trotzdem den Weg in das Zimmer und fielen auf ihr rotblondes Goldhaar. Einen so köstlich gefärbten Haarschmuck hatten selbst die blonden Böotierinnen nicht gehabt, die er als Student von Athen aus in ihrer Heimat bewundert.

Daß ihr Gesicht hübsch und lieb war, das hatte er immer gewußt; doch wie sie die Augen aufschlug und sie ihn bemerkte, und ihr Blick ihn so jungfräulich verlegen, so lieblich überrascht und doch so freundlich traf, da fühlte er, daß er erröte, und er mußte sich erst einige Augenblicke sammeln, um ihren Gruß mit etwas Besserem als dem bloßen Gegengruß zu erwidern. Und mit welchem bedeutenden Satze begann die Anrede, auf die er sich in dieser Pause besonnen.

»Ja, da bin ich,« lautete er wörtlich und verdiente wahrhaftig nicht die herzliche Antwort: »Gottlob, daß Du kommst!« und die mit so reizender Befangenheit hinzugefügte Erklärung: »Schon wegen der Mutter!«

Da errötete er, der Mann, der von jugendlicher Befangenheit längst nichts mehr wußte, zum zweitenmale und erkundigte sich nach dem Befinden Frau Johannas und wie sie ihr Leid ertrage, und endlich sagte er ernst:

»Wie Schlimmes brachte ich gestern, und heute flattere ich euch wieder als Unglücksrabe ins Haus.«

»Du?« fragte sie lächelnd, und in diesem kleinen Wort lag ein so holder Zweifel an seiner Fähigkeit, Böses zu bringen, daß er sich sagen mußte, der Freund habe ihm in diesem Kinde, in dieser Jungfrau das Beste hinterlassen, was ein Sterblicher dem andern nur immer zu bescheren vermag: eine teure, vertrauensvolle, unschuldige Tochter, nein, ein Schwesterchen, so rein, so anmutig und liebenswert, wie es nur das Kind solcher Eltern sein konnte.

Und während er ihr dann erzählte, was sich in der Statthalterei zugetragen, und merkte, wie sehr ihr um Paulas und der kleinen Maria willen der Tod der ihr selbst fern stehenden Witwe zu Herzen ging, beschloß er, Pulcherias Mutter gleich nachher mit dem Wunsche ihres verstorbenen Gatten bekannt zu machen.

Doch dies alles drängte die alten Empfindungen für Paula keineswegs in den Schatten, nein, sie quälten ihn heute so heiß und brennend wie je; aber er fühlte dabei, daß sie ihm zum Unheil gereichten, daß er sich mit ihnen selbst schädige und, da sie nicht erwidert wurden, beleidige. Er wußte, daß er in der Nähe der Damascenerin, daß er, verurteilt, mit ihr zusammenzuleben, nie zur Ruhe kommen und Leid auf Leid zu erdulden haben werde. Nur fern von ihr und unter einem Dache mit Johanna und ihrer Tochter konnte es ihm wieder beschieden sein, ein zufriedener, glücklicher Mensch zu werden, und doch wagte er noch nicht, diesem Gedanken Ausdruck zu geben.

Pulcheria merkte, daß er ihr etwas vorenthielt, und fürchtete, es sei ihm etwas Neues bekannt geworden, das sie bedrohe, doch dieser Besorgnis konnte er entgegentreten und versichern, er habe vielmehr etwas im Sinne, das wenigstens ihm erfreulich scheine; aber daran konnte ihr bekümmertes und viel geängstigtes Herz kaum glauben, und nun bat er sie, die Hoffnung auf bessere Tage nicht zu verlieren, und fragte sie, ob sie recht festes, gutes Zutrauen zu ihm habe.

Da antwortete sie freudig, das müsse er doch fühlen, und während Frau Johanna und die anderen das Zimmer betraten und sie der Mutter, die sie schon in der Frühe begrüßt hatte, zunickte, hielt sie ihm die Hand hin und ergriff sie und schüttelte sie herzlich.

Das waren erquickliche Augenblicke für ihn gewesen, doch Paulas Anblick und das, was er ihr mitzuteilen hatte, führte ihn in die alte, bedrückte, unglückselige Stimmung zurück.

Die kleine Maria, welche wieder rote Wangen bekommen hatte und wie eine Gesunde aussah, warf sich bei den schlimmen Nachrichten, die er überbrachte, schluchzend um Paulas Hals; diese aber zeigte sich ruhiger und gefaßter, als er erwartet. Zwar war sie anfänglich tief erblaßt; bald aber hatte sie ruhig und gesammelt zugehört und endlich die freie, aufrechte Haltung wiedergewonnen.

Philippus mußte sich bei ihrem Anblick ans Herz greifen, und sobald es anging, brach er auf.

Es war, als sollte ihm noch einmal recht deutlich und schmerzlich vorgeführt werden, was er in ihr hätte besitzen können; denn wie getragen von einer hohen Empfindung schritt sie dahin, und ein träumerischer Schimmer verlieh ihrem edlen Gesicht einen Anmutszauber, der ihm ebenso weh that, wie er ihn entzückte.

Orion ein seiner Güter beraubter Gefangener!

Nur kurze Zeit hatte sie dieser Gedanke erschreckt; dann aber war es ihr gewesen, als sei es so eben recht, und das, was auf den ersten Blick wie ein furchtbares Unglück erschien, über sie verhängt worden, um ihre Liebe gleichsam von der Schale zu befreien, sie in ihrer ganzen Größe und Reinheit bloßzulegen und ihr, half der Allgütige, die rechte Weihe zu geben.

Für sein Leben fürchtete sie nicht; denn er hatte ihr gesagt und geschrieben, wie väterlich freundlich sich der Feldherr Amr gegen ihn erwiesen, und alles, was geschehen, war gewiß nur ein Streich des Wekils, von dessen bösem, gehässigem Wesen er ihr, während Rufinus die Aebtissin gewarnt, ein abschreckendes Bild entworfen.

Als des Freundes Haus hinter Philipp lag, atmete er auf.

Wie hatte er diese Frauen so ganz anders gefunden, als er erwartet!

Sein alter Freund kannte die Menschen!

Aus kleinen Anzeichen war es dem Greise gelungen, sich ein richtigeres Bild von Pulcheria zu bilden, als er es in jahrelangem vertrautem Umgang gewonnen. Auch das hatte der Alte vorausgesehen, daß die Gefahren, welche den Statthalterssohn bedrohten, Paulas Gefühle für Orion wie ein frischer Windhauch anfachen würden, und Johanna, die zarte, schwächliche Johanna, wie heldenhaft trug sie den Verlust dessen, für den sie so viele Jahre in treuer Liebe gelebt! Er mußte sie mit der unglücklichen Neforis vergleichen, und was war es denn, was jene den schwersten Verlust so viel würdiger tragen ließ als diese? Doch nur ihrer Pulcheria zärtliches Herz, das ihr Leid so schön und still mit ihr trug, es so gern und verständnisvoll teilte. Dergleichen hatte der Witwe des Mukaukas gefehlt, und glücklich, wer ein solches Herz sein nennen durfte.

Gesenkten Hauptes durchmaß er, diesmal ohne nach rechts und links zu schauen, den Garten.

Der Masdakit, welcher noch immer mit Mandane unter der Sykomore saß und so wenig wie sie von der steigenden Glut des Tages gestört ward, blickte ihm nach, wies auf ihn hin und seufzte:

»Da geht er! 's ist wohl das erstemal, daß er Dir oder mir ein garstiges Wort sagte; oder hast Du es gar nicht verstanden?«

»Doch, doch,« sagte sie leise und schaute auf ihre Stickerei.

Sie redeten persisch miteinander; denn sie hatte diese Sprache nicht vergessen, welche die Mutter bis an ihr Ende mit ihr geredet.

Das Leben ist bisweilen das seltsamste Märchen, und wunderbar durfte man das Ungefähr nennen, welches gerade diese beiden in der Krankenstube zusammengeführt hatte; denn seine ferne Heimat war auch die ihre, und er kannte sogar ihren Oheim, den Bruder ihres Vaters, und des letzteren traurige Geschichte.

Als sich das griechische Heer seiner Gegend bemächtigt hatte, waren die Männer mit den Herden in die Wälder geflohen, die Frauen und Kinder in das Festungswerk, welches die Landstraße verteidigte. Dies hatte den Byzantinern nur kurze Zeit widerstanden, und die Weiber, und unter ihnen auch Mandane und ihre Mutter, waren an die Soldaten als wertvolle Kriegsbeute verteilt worden. Ihr Vater hatte dann eine bewaffnete Bande um sich geschart, um die Frauen zu befreien, war aber dabei mit seinen Genossen ums Leben gekommen. Man sprach heute noch in der Gegend von dem traurigen Untergang des mutigen Mannes, und seinem jüngeren Bruder gehörten nunmehr das Gut und die schönen Roßweiden, die jener besessen.

So hatten die beiden Genesenden von vornherein sich viel zu erzählen, und es war merkwürdig, wie fest viele frühe Kindheitserinnerungen sich Mandanes Gedächtnis eingeprägt hatten.

Mit umdüstertem Gehirn war ihr wundes Haupt auf die Kissen des Krankenbettes gelegt worden, und wie ein Gewitter, das die erstickende Luft eines drückenden Sommertages säubert, hatte das neue Leid den Schleier von ihrem verfinsterten Geiste gezogen. In der Kindheit, der Zeit, da sie noch die Mutter besessen, und in der Gegenwart weilte er gern, was dazwischen lag, erschien ihm wie der nächtliche Himmel: finster, aber erhellt von einem furchtbaren Kometen und leuchtenden Sternen. Der Komet war Orion. Was sie mit ihm genossen und durch ihn gelitten, verwies sie in die Zeit ihres Irrsinns, das hatte sie sich gewöhnt, zu den Wahnvorstellungen zu zählen, von denen sie befangen gewesen. Ihre Seele war nicht zum Haß geschaffen, und sie wollte und konnte dem Statthaltersohne nicht feindlich gesinnt sein. So stellte sie sich ihn vor wie einen, der ihr ohne üblen Willen großes Unrecht zugefügt, und dessen sie sich nicht einmal erinnern durfte, ohne sich in Gefahr zu begeben.

»Das heißt doch,« hob der Masdakit nun wiederum an, »daß es auch Dir nicht gleichgiltig sein wird, wenn mich Haschim zurückruft?«

»Nein, Rustem; das würde mir sogar sehr leid thun.«

»O!« machte der andere und fuhr sich über den großen Kopf, auf dem die starke Haarmähne, welche man abgeschnitten, wieder zu wachsen begann. »Ja, dann, Mandane, dann . . . Ich habe schon gestern reden wollen, doch es kam noch nicht heraus; aber nun: warum thut es Dir eigentlich leid, daß ich gehen muß?«

»Weil – ja, wer findet denn gleich die Gründe – weil Du immer gut gegen mich warst, und weil Du mein Landsmann bist und ich persisch mit Dir reden kann, wie mit der Mutter.«

»So, also nur darum?« fragte der andere gedehnt und rieb sich die Stirn.

»Nein, nein! Auch weil . . . Hast Du uns einmal verlassen, so bist Du doch nicht mehr da . . .«

»Ja, das ist es eben, das ist's! Und wenn Dir das leid thut, so muß es Dir doch gefallen haben hier – so mit mir zusammen.«

»Warum denn auch nicht? Gewiß war es hübsch,« entgegnete sie und suchte errötend seinem Blick auszuweichen.

»Das war's auch und ist's immer noch!« rief er und schlug mit der breiten Faust in die Linke, »und eben darum muß es einmal heraus, darum dürfen wir uns, wenn wir vernünftig sind, gar nicht mehr trennen.«

»Aber Dein Herr wird Dich brauchen!« rief sie mit wachsender Befangenheit aus, »und immer können wir den guten Menschen hier doch nicht zur Last sein. Weben soll ich noch nicht, aber bald muß ich mich, da ich doch frei bin und die Schrift habe, die mich losgibt, nach Arbeit umschauen, und ein kräftiger, gesunder Mann wie Du kann sich auch nicht immer pflegen.«

»Was pflegen!« lachte er behaglich auf. »Geschafft soll werden, geschafft und für Drei!«

»Bei Deinen Kamelen; immer auf Reisen?«

»Damit hat's dann ein Ende,« versetzte er schmunzelnd. »Wir gehen in die Heimat zurück, ich kaufe mir dort ein gutes Stück Weideland; denn mein ältester Bruder hat unser Gütchen, und ob ich mich auf Kamelzucht verstehe, das frage den Haschim.«

»Aber, Rustem, bedenke doch!«

»Bedenken! Denken hin, denken her. Wollen und haben, darauf kommt's an. Und wenn Du meinst, zum Kaufen braucht's Geld, und an dem Besten wird's hapern, so kann ich Dir sagen . . . Verstehst Du zu lesen? Nein, ich auch nicht; aber da in dem Täschchen hab' ich meine Abrechnung von des Herrn eigener Hand. Elftausenddreihundertundsechzig Drachmen sind's am letzten Termine gewesen für Lohn, weißt Du, und als den Gewinn, an dem der Herr mich teilnehmen läßt, seitdem ich die Karawane führe. So ziemlich alles hat er behalten; denn Verpflegung gab es, ein Stück Zeug für den Leib fiel immer ab von den Waren, und ein Schlemmer bin ich niemals gewesen. Elftausenddreihundertundsechzig Drachmen! He, Täubchen, so steht es; und was sagst Du nun? Läßt sich dafür etwas kaufen? Ja oder nein?«

Triumphirend schaute er sie an, sie aber entgegnen eifrig: »Doch, doch, und bei uns zu Lande, glaub' ich, etwas recht Hübsches.«

»Und wir – Du und ich – wir – es soll jetzt ein ganz neues Leben beginnen. Siebenzehn Jahre war ich alt, wie ich dem Herrn gefolgt bin, und bei der Sonnenwende bin ich sechsundzwanzig geworden. Wie viel Jahre war ich also auf Reisen?«

Beide dachten eine Zeit lang nach, dann sagte Mandane schüchtern: »Wenn ich nicht irre, sind's acht.«

»Neun sind es schon, glaub' ich,« versetzte er eifrig. »Laß einmal sehen; her mit dem Pätschchen! Siehst Du, mit der Siebenzehn fang' ich an – so alt war ich wie ich in den Dienst trat. Der kleine Finger zuerst – so ein niedliches Dingel! – und nun der andere!«

Dabei faßt' er ihre Rechte und zählte an ihren Fingern weiter, bis er auch zum letzten der linken Hand gelangt war.

Das Resultat versetzte ihn in Erstaunen, und kopfschüttelnd rief er:

»Man hat doch an beiden Händen zehn Finger, und zehn Jahre können's noch nicht sein, neun sind es höchstens!«

Und jetzt begann er das Zählen, welches ihm sehr behagte, von neuem, doch das Ergebnis blieb das gleiche; sie aber versicherte, es seien nur neun, sie hab' es berechnet, und er stimmte ihr bei und meinte, ihre Fingerchen müßten verhext sein. Ja, das Spiel hätte noch lange fortgedauert, wenn ihr nicht eingefallen wäre, daß man die Siebenzehn nicht mitzählen dürfe und gleich mit der Achtzehn beginnen müsse. Rustem konnte das indessen nicht recht begreifen, und wenn er trotzdem nachgab, ließ er doch ihre Hand nicht frei und fuhr heiter fort: »Und, mein Mädchen, siehst Du, diese kleine Hand – zieh sie jetzt meinetwegen zurück – diese Hand will ich behalten, und mit ihr das hübsche Mädele, und was daran hängt. Und ich nehme Dich und die beiden Hände samt den verhexten Fingern mit mir nach Hause. Da können sie fleißig weben und sticken, und als Mann und Weib trennen wir uns nicht wieder, und ein Leben wollen wir führen – ein Leben – die Paradiesesfreuden sollen dagegen sein wie lauter Hiebe mit dem Oelbaumscheit auf den Schädel; ich hab' sie gespürt!«

Dabei griff er wieder nach ihrer Hand, doch sie entzog sie ihm und sagte verwirrt und mit niedergeschlagenen Augen: »Nein, Rustem; ich habe ja schon gestern dergleichen gefürchtet, doch nie und nimmermehr darf das geschehen. Ich bin so dankbar, so dankbar; aber nein, nein, es kann nicht sein, und dabei muß es bleiben. Dein Weib, Rustem, darf ich nicht werden.«

»Nicht?« fragte er dumpf, und auf der schmalen Stirn schwoll ihm die Ader. »So hast Du mich vorhin zum Narren gehalten? Und was Du da von Dankbarkeit faselst . . .«

Heftig erregt stand er auf, sie aber faßte seinen Arm, zog ihn auf die Bank zurück, wagte es, ihm mit zärtlicher Bitte in die Augen zu schauen, welche nie lange zornig zu glühen vermochten, und sagte: »Wie Du gleich wieder auffährst! Es wird mir ganz gewiß weh thun, mich von Dir zu trennen; und siehst Du mir denn nicht an, daß ich Dir gut bin? Aber es geht und geht doch nicht! Ich, ich . . . ach, dürfte ich doch wieder in die Heimat zurück, mit Dir, gerade mit Dir! Und Dein Weib! Was für ein stolzer, schöner Gedanke das ist, und wie rührte ich so gern für uns beide die Hände, die ja geschickt und fleißig sind, aber . . .«

»Aber?« fragte er und streckte ihr das große, gerötete Gesicht mit einem Ausdruck entgegen, als hab' er im Sinn, sie zu zermalmen.

»Aber um Deinetwillen geht es nicht, darf es nichts sein, nein, ganz gewiß nicht; denn so, so schlecht will ich Dir all Deine Güte nicht lohnen. Hast Du denn ganz vergessen, was ich war, was ich bin? Und Du? Als freier Mann kommst Du bald mit einem schönen Vermögen nach Hause und darfst von jedermann Achtung und Ehrerbietung verlangen; doch das wird anders, ganz anders, wenn Du ein Weib wie mich mit Dir schleppst, eine – und wär' es auch nur eine frühere Sklavin!«

»Darauf also kommt es hinaus?« unterbrach er sie, und sein Blick erhellte sich wieder. »Das ist's, was Dich ängstigt, Du armes Seelchen? Aber weißt Du denn nicht, wer ich bin, hab' ich Dir nicht neulich erklärt, was ein Masdakit ist? Wir Masdakiten glauben und wissen, daß alle Menschen ursprünglich gleich sind, daß es besser stünde um diese pudelnärrische Welt, wenn es weder Herren gäbe noch Knechte; doch wie es zugeht auf Erden, so geht es eben zu. Der reine Himmelsherr duldet es wohl noch eine Weile; aber später, vielleicht schon bald, wird es ganz anders, und unsere Aufgabe ist es, den Tag der Gleichheit vorzubereiten. Mit ihm kommt das Paradies auf die Erde, und es wird für den Menschen kein Ueber und Unter, sondern nur noch ein Handinhand und Nebeneinanderstehen und Wandeln geben. Dann hört Krieg und Elend auf; denn was es Schönes und Gutes auf Erden gibt, das gehört allen gemeinsam, und jeder gibt und hilft dem andern so gern, wie er ihm jetzt nimmt und ihn schädigt und drückt. Wir schließen auch keine Ehen wie die anderen Menschen, sondern der Mann, der einem Weibe gut ist, sagt: ›Willst Du mein sein?‹ Und wenn das Herz es ihr rät, so folgt sie ihm in sein Haus, doch eins darf das andere verlassen, wenn es mit der Liebe vorbei ist, aber fester aneinander gehangen wie meine Eltern und Großeltern haben keine anderen Ehepaare unter Parsen und Christen, und so, ebenso wollen wir's halten bis ans Ende; denn unsere Liebe, die soll uns stark zusammenbinden mit guten Seilen, die länger dauern als unser Leben. – Nun kennst Du die Lehre unseres Meisters Masdak, der schon mein Vater und Großvater gefolgt sind und die mir meine Mutter gepredigt, als ich noch klein war. Unser ganzes Dorf hängt ihr an, und es gibt da auch keine Sklaven, nein, das Land, das dem Dorfe gehört, das bearbeiten alle gemeinsam, und die Ernte teilen sie unter einander. Aber freilich, Fremde lassen sie nicht mehr zu, und ich muß mir das Meine schon anderwärts suchen. Doch MasdakitDie kommunistische Lehre Masdak's charakterisirt der alexandrinische Bischof Eutychius, geb. 876 n. Chr., also. »Es hat Gott den Menschen das Ihre zugeteilt, damit du es gleichmäßig unter ihnen verteilest und keinem mehr zufalle als dem andern. Wenn aber einem mehr als billig an Vermögen, Weibern, Sklaven und beweglichem Besitz gehörte, dem wollen wir es entreißen, damit wir ihn und die anderen unter sich gleich machen.« bleib' ich darum doch, und wähl' ich mir eine frühere Sklavin zum Weibe, so handle ich nur nach der Lehre des Meisters und leist' ihr Vorschub. Aber Du – eigentlich ginge Dich das gar nichts an; denn Du bist eines freien, braven Mannes Kind, den das ganze Land achtet, und eine Gefangene bist Du für die dort im Osten und keine Sklavin! Mich werden sie ehren als Deinen Befreier. Aber hätt' ich Dich so, wie Du da bist, als letzte Sklavin eines Schweinehirten gefunden, ganz gewiß, auch dann wär' ich gleich in den Beutel gefahren und hätte Dich losgekauft und Dich als mein Weib mit nach Hause genommen, und keiner von den Unseren, der Dich gesehen, hätt' mir's verdacht. Jetzt weißt Du's, und nun ist's hoffentlich aus mit dem Sperren und Zieren.«

Aber Mandane gab ihm noch immer nicht nach, sondern schaute ihn mit einem um Mitleid flehenden Blick traurig an und wies auf die Stelle ihrer verstümmelten Ohren.

Da zuckte er mit den Achseln und lachte: »Das, nun natürlich auch das noch. Du willst mir eben nichts schenken. Ja, hätt' es die Augen betroffen, dann wär' es aus mit dem Sehen gewesen, und ein blindes Weib kann kein Landmann brauchen, dann ließ' ich Dich auch, wo Du bist. Aber so, sage selbst, Täubchen, hörst Du nicht scharf wie ein Vogel? Und die Vögel – so hübsche Tierchen – hast Du je einen mit Ohren gesehen, außer den garstigen Fledermäusen und Eulen? Dummes Zeug ist das alles. Und wer sieht denn überhaupt, was Dir fehlt, seit die Jungfrau Pul Dir die Haare so schön nach vorne gekämmt hat? Und nun gar zu Hause! Hast Du den Kopfschmuck unserer Frauen vergessen? Wenn da eine Löffel hat wie ein Hase; nur zu! Man sieht es ja doch nicht. Wie Du bist, Du cypressenwüchsige Lilie, siehst Du noch zehnmal schöner aus als die Hübscheste dort, und wenn sie statt zwei gleich drei oder vier Ohren hätte. Ein Mädchen mit drei Ohren! Denk einmal, Mandane: wohin kommt das dritte zu stehen?«

Wie lachte er dabei so herzlich, wie war er so froh, diesen Spaß gefunden, und was ihr leicht hätte weh thun können, so scherzhaft beiseite geschoben zu haben.

Doch seine laute Heiterkeit verfehlte die Wirkung und erweckte nur ein stummes Lächeln auf ihren Lippen, und auch dies verschwand schnell, und an seine Stelle trat, während ihr schönes Haupt tief auf die Brust sank, ein so schwer besorgter, bekümmerter Ausdruck, daß er weder mit dem Scherz fortfahren noch sie wieder hart anlassen konnte, sondern mitleidsvoll und mit leisem Kopfschütteln sagte: »So mußt Du mich nicht ansehen, Taube, ich kann's nicht ertragen. Was liegt Dir wohl noch auf dem Seelchen? Mut, Mut, Schatz, und frei weg von der Leber geredet! Aber warte! Die Hand vor den Mund! Das, das kann ich Dir wohl ersparen. 's ist – mein armes, liebes Mädele! – es ist die alte Geschichte mit dem Sohn des Mukaukas.«

Da nickte sie ihm mit feuchten Augen bejahend zu, er aber stieß einen stechenden Seufzer aus und sagte: »Ich hab' mir's gedacht, richtig gedacht, armes Herzchen!«

Dann faßt' er ihre Hand und fuhr treuherzig fort: »Das hat auch mir böse Stunden bereitet, hat nur da drinnen arg zu schaffen gemacht, und beinahe wär's so weit gekommen, daß ich Dich darum sitzen gelassen und uns beide um Glück und Freude betrogen hätte. Aber ich bin zu rechter Zeit zur Vernunft gekommen. Nicht weil Frau Johanna – und was die spricht, das muß wohl wahr sein – mir vorgestern sagte, das mit dem – nun, Du weißt ja – das sei alles hin und vorüber; nein, diesmal ist die Vernunft aus mir selber gekommen; denn ich hab' mir gedacht: so ein engelschönes, mutterloses, schutzloses Sklavending, das der junge Sohn des eigenen Herrn festhält, wie soll es sich wehren? Und das arme, liebe Herz, wie grausig bös es bestraft ward! Ach, Mädelchen, Mädelchen, heul nur! Mir steigt es ja auch schon ins Auge! 's hat so sein sollen, es ist so über Dich gekommen. Du und ich und der Großkönig und alle himmlischen Heerscharen, wer kann wohl noch etwas dagegen? Aber, siehst Du, ich armer Narr, ich versteh', wie das gekommen, und verklage Dich darum nicht und hab' Dir auch nichts zu verzeihen. Ein schweres Unglück ist's eben gewesen. Aber es hat, gottlob, beizeiten sein Ende gefunden, und ich kann es ganz und gar vergessen, wenn Du mir nur sagst: ›Das alles ist aus und vorbei und liegt im Grab wie was Totes.‹«

Da zog sie, bevor er es wehren konnte, seine Hand mit ungestümer Zärtlichkeit an die Lippen und schluchzte: »So gut, so himmlisch gut, wie Du bist, Rustem, so gut gibt es keinen zweiten Menschen auf Erden, und dafür soll die Mutter Dich segnen! Mach mit mir, was Du willst. Und daß Du's weißt, ja, vorbei ist alles, hin und vorbei, und muß ich doch noch einmal daran denken, so graut mir davor. Und so, gerade so, wie Du sagtest, ist's wirklich gewesen. Die Mutter tot, und niemand da, um mich zu warnen und zu beschützen! Ich war kaum sechzehn Jahre alt, ein einfältiges, unerfahrenes Ding, und da rief er mich zu sich, und über mich ist es gekommen wie ein Traum, wenn man schläft, und als ich wieder erwachte . . .«

»Da sind wir,« unterbrach er sie und wischte sich die Augen und versuchte dabei zu lachen, »da haben wir mit Löchern im Kopfe neben einander gelegen, und wie es bei mir zu Hause immer am schönsten ist, wenn der harte Winterfrost vorbei und der Schnee zerschmolzen und alle Blumen im Thale auf einmal aufblühen, so geht es auch uns jetzt am Ende, mein Mädele. Gut, wunderherrlich soll es jetzt werden! Vorgestern, siehst Du, da war ich mit mir noch nicht im reinen; denn Dein Unglück, es ließ mir keine Ruhe und ging mir gegen den Strich; nun, Du kannst Dir's schon denken. Aber dann, als ich später in meiner Kammer lag, und der Mond schien mir aufs Bett, da,« und nun fuhr er mit einem träumerischen Ausdruck, der sein derbes Antlitz eigentümlich verschönte, sinnend fort: »da mußt' ich mich fragen: hat denn der Mond da oben nicht heut Abend wieder gute Erfrischung und schönes Licht gebracht, obgleich er doch in der Frühe versunken war im Meer? Und so ein Menschenherz, das einmal untergegangen war, kann es nicht auch wieder aufgehen blink und blank, wenn es sich recht abgebadet und ausgeruht hat? Und so ein Herz! Man möchte wohl seine Liebe für sich ganz allein, aber es kann sich doch mehr als einmal verschenken; denn, dacht' ich mir, meine Mutter, wie ist sie so zärtlich gegen mich gewesen, und als noch ein Kind kam und noch eins, hat sie ihnen auch ihr Bestes gegeben, und ich bin darum nicht zu kurz gekommen, wenn sie mein jüngstes Schwesterchen an der Brust hielt, und auch dieses nicht, wenn sie mich hätschelte und küßte. So muß es auch sein! Und sie, dacht' ich, hat sie auch schon einmal einen andern lieb gehabt, es bleibt darum doch für mich noch ein gutes Teilchen übrig an Liebe!«

»Ja, ja, Rustem, gewiß!« rief sie und schaute ihm mit dankbarem, thränenfeuchtem Blick in die Augen. »Was in mir ist von Liebe und Zärtlichkeit, Du allein, nur Du sollst es haben!«

Da rief er freudig:

»Na, das war ein Wort! Daran kann man sich halten! Das nenn' ich mir einen Morgen! Als ein losgebundener Landfahrer hab' ich mich unter die Sykomore gesetzt, und als künftiger Grundherr, den das schönste Weibchen auf Erden festhält am Hause, steh' ich nun auf.«

Noch lange blieben sie unter dem schattenspendenden Laubdache sitzen, und er verlangte nichts als sie anzusehen und auf die alte Frage der Liebenden mit Lippen, Augen oder einem stummen Nicken Antwort zu erhalten. Ihre Hände rührten die Nadel nicht mehr; doch beide hätten diejenigen mitleidig belächelt, welche diesen Vormittag mit seiner sengenden, dörrenden Hitze unerträglich gescholten. Ein Turteltaubenpaar zu ihren Häupten war weniger unempfindlich gegen die Sonnenglut als sie; denn es hatte die Augen geschlossen, und des Weibchens Kopf ruhte schlaff auf dem dunklen Ringe am Halse des Männchens.


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