Georg Ebers
Die Nilbraut
Georg Ebers

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Zwanzigstes Kapitel.

In den sauberen Zimmern, welche die Gattin des Rufinus für ihre kranken Gäste eingerichtet, herrschte um Mittag die friedlichste Ruhe. Durch die dichten grünen Vorhänge drang sanfte Dämmerung, welche das Sonnenlicht dämpfte, und die Pflegerinnen hatten vor kurzem das Frühmahl eingenommen.

Paula goß auf den Verband des Masdakiten neue Tropfen, und Pul war in der Nebenstube mit Mandane beschäftigt, die sich still, verständig und ohne jede Spur von Irrsinn den Vorschriften des Arztes unterwarf.

Paula stand noch immer im Banne der vergangenen Nacht. Es hatte sich ihrer eine solche Unruhe bemächtigt, daß sie ganz gegen ihre Gewohnheit nicht lange still sitzen konnte, und wenn Pul zu ihr kam, um ihr dies und das zu erzählen, hörte sie so zerstreut und teilnahmlos zu, daß das bescheidene Kind sich aus Furcht, sie zu stören, zu ihren Kranken zurückzog und dort geduldig wartete, bis ihr neuer Abgott sie rief.

In der That war des Thomas Tochter wohl berechtigt, sich einer gewissen Bangigkeit hinzugeben; denn heute mußte, wenn sie nicht alles täuschte, Orion als Ueberbringer ihres Vermögens bei ihr erscheinen, und wenn sie sich schon gestern auf dem Heimweg vom Friedhof gesagt hatte, daß sie ihn abweisen müsse und wolle, so hatte die tiefe Erregung, in welche sie durch Katharinas Erzählung und den Traum versetzt worden war, sie in diesem Entschluß nur bestärkt.

Ihre Amme wartete unten auf Orion und zwar mit dem Auftrag, ihn nicht zu ihr, sondern zu Rufinus zu führen, der es gern übernommen hatte, das Geld, das sie erwartete, als ihr Bevollmächtigter in Empfang zu nehmen; denn der Arzt hatte Paula nicht verhehlt, daß er seinen Freund mit den Umständen, um derentwillen sie die Statthalterei verlassen, im allgemeinen bekannt gemacht und ihm Orion als einen Mann bezeichnet habe, dem sie nicht ohne Grund aus dem Wege gehe.

In der zweiten Stunde nach Mittag steigerte sich Paulas Unruhe so sehr, daß sie dann und wann die Krankenzimmer, welche in den Garten schauten, verließ, um aus den Fenstern des Vorsaales die Nilstraße zu überblicken; denn er konnte ebensowohl von dort wie von der andern Seite her kommen.

An die Sicherung ihres Eigentums dachte sie nicht, aber es erhob sich in ihr die Frage, ob es nicht geradezu eine Pflicht verletzen heiße, wenn sie sich den Erregungen entzog, die der persönliche Empfang des Sohnes ihres Oheims mit sich brachte.

Niemand war im stande, ihr in diesem Falle zu raten, auch nicht Perpetua; denn kaum eine Mutter konnte sie in dieser Angelegenheit ganz verstehen.

Sie erkannte sich selbst nicht wieder; denn bisher hatte sie auch in den schwierigsten Lagen ohne langes Besinnen, nur belehrt von einer nie trügenden inneren Stimme, im Augenblick gewußt, was sie zu thun und zu lassen habe, was in dem gegebenen Fall recht, was unrecht sei; doch heute kam sie sich vor wie ein schwankendes Rohr, wie ein hin und her gewehtes Blatt, und so oft sie auch die Zähne zusammenbiß und die Hände ballte, um ruhig nachzudenken, und sich besonnen die »Für« und »Wider« vorzuführen, schweiften ihre Gedanken doch wieder und wieder ab, und die Erinnerung an ihren Traum, Orions Bild, wie sie es am Grabe des Vaters gesehen, Katharinas Erzählung von »der Andern« und der furchtbaren Strafe, die er erlitten haben wollte und gewiß auch wirklich erlitten, das alles kreuzte ihr Nachsinnen wie Vogelschwärme auf dem Nil, deren Schweben und Fliegen sich oft wie ein flatternder Vorhang zwischen ihrem Auge und seinem Ziel auf dem jenseitigen Ufer bewegt hatte.

In der dritten Nachmittagsstunde – sie war wieder zu den Kranken zurückgekehrt – meinte sie Hufschlag im Garten zu hören und eilte von neuem ans Fenster. Ihr Herz hatte nicht lauter geschlagen, wie der Hund von Hermonthis in jener verhängnisvollen Nacht auf sie und Hiram losgestürzt war, als jetzt, da sie das Nahen eines Reiters vernahm, dessen Gestalt die Sträucher des Gartens verbargen. Das mußte Orion sein; aber warum schwang er sich nicht aus dem Sattel? Nein, er war es nicht; denn seine stattliche Größe hätte das nicht allzu hohe Laubwerk gewiß überragt.

Die Freunde ihres Wirtes kannte sie noch nicht; vielleicht war es einer von ihnen. Jetzt wurde das Roß gewandt, jetzt betrat es den zum Eingangsthor führenden Weg, jetzt ging ihr Gastfreund dem Ankömmling entgegen, und nun erkannte sie nicht Orion, sondern seinen klein gewachsenen Schreiber, der sich von einem ihr wohlbekannten Maultier aus dem Sattel gleiten ließ, die Zügel einem Burschen zuwarf, dem Alten etwas überreichte, sich auf eine Ruhebank niederwarf und dort gähnend die Beine von sich streckte.

Gleich daraus sah sie Rufinus auf das Haus zuschreiten.

Hatte Orion den Boten beauftragt, ihr das Ihre zukommen zu lassen? Sie fand etwas Beleidigendes in diesem Verfahren, und ihr Blut wallte auf. Aber es konnte sich hier kaum um die Uebergabe des Vermögens handeln; denn ihr Gastfreund trug nichts Schweres, sondern ein kleines Etwas in der Hand, vielleicht, ja gewiß eine Rolle.

Da kam er schon die schmale Stiege herauf, und nun eilte sie ihm in das Treppenhaus entgegen, und errötete dabei vor sich selbst wie vor einem Unrecht. Der Alte bemerkte es und sagte, indem er ihr die Briefrolle reichte:

»Brauchst Dich nicht zu fürchten, Du Heldentochter. Der junge Herr ist nicht selbst gekommen, er scheint es vorzuziehen, auf schriftlichem Wege mit Dir zu verhandeln; und so ist's wohl für beide Teile am besten.«

Paula nickte ihm beistimmend zu, nahm die Rolle in Empfang und drehte ihm, während sie den Faden aus dem Wachssiegel riß, den Rücken; denn sie fühlte, daß ihr das Blut aus den Wangen wich und daß die Finger ihr bebten.

»Der Bote wartet auf Antwort,« bemerkte der Alte, bevor sie zu lesen begonnen. »Unten steh' ich Dir jederzeit zur Verfügung.«

Damit verließ er sie; Paula aber trat in das Krankenzimmer zurück, lehnte sich dort an die Verkleidung der Fensteröffnung und begann in höchster Spannung zu lesen:

»Orion, der Sohn des in Gott entschlafenen Mukaukas Georg, bietet seiner Muhme, der Tochter des edlen Thomas von Damaskus, seinen Gruß zuvor.

»Manchen Brief an Dich, der diesem vorangegangen, hab' ich vernichtet.« Paula zuckte ungläubig die Achseln und fuhr dann fort: »Möge es mir in diesem Schreiben besser gelingen, Dir zu sagen, was mir für Dein Heil und meines unerläßlich erscheint. Ich will bitten und raten zugleich.«

»Raten, er!« machte das Mädchen, warf die Lippen abweisend auf und las weiter: »Mögest Du im Andenken an den Mann, der Dich wie eine Tochter geliebt und auf seinem Sterbebette nichts heißer gewünscht hat, als Dich – wie sehr er Deinem Glauben auch abgeneigt war – als Tochter, als Gattin seines Sohnes segnen zu dürfen, – möge die Erinnerung an diesen Gerechten Dein aufgebrachtes, Dein empörtes Herz beschwichtigen, damit diese Worte des Aermsten der Armen, denn das bin ich jetzt, Paula, nicht ungelesen von Dir bleiben; ja gewähre mir das letzte, was ich von Dir erbitte und um meines Vaters willen fordere.«

»Fordere?« wiederholte die Jungfrau, und ihre Wangen erglühten, ihr Auge leuchtete unwillig auf, und ihre Hände faßten beide Enden des Blattes, als wollten sie es zerreißen; doch die folgenden Worte: »Fürchte nicht,« hielten sie von dieser raschen That zurück, und so strich sie über den Papyrus und las mit wachsender Erregung weiter:

»Fürchte nicht, daß ich mich Dir als Liebender, als der Mann nahen werde, für den es nur Eine auf Erden gibt und keine andere. Und daß diese Eine diejenige sein muß, die ich so unsagbar schwer beleidigt, gegen die ich wütender, rücksichtsloser und mit böseren Waffen gekämpft als je gegen einen Feind unter dem eigenen Geschlecht!«

»Keine andere,« murmelte die Jungfrau vor sich hin, fuhr sich wieder mit der Hand über die Stirn, und ein Zug befriedigten Stolzes flog um ihre Lippen, während sie fortfuhr:

»Ich werde Dich lieben, so lange ein Atemzug diese arme, unselige Brust bewegt.«

Wiederum geriet das Blatt in Gefahr, aber es blieb auch diesmal unangetastet, und Paulas Züge gewannen ein stilles, freundliches Ansehen, während sie Orions deutliche Schrift weiter verfolgte: »Aber ich bin mir bewußt, durch eigene Schuld Deine Achtung, ja Deine gütige Gesinnung eingebüßt und, übt die ewige Liebe kein Wunder in Deinem Herzen, das höchste irdische Glück auf immer verscherzt zu haben. Du bist an mir gerächt; denn um Deinet- – hörst Du es? – um Deinetwillen hat der heißgeliebte sterbende Vater in nur zu gerechtem Zorn über den Verworfenen, der den Richterstuhl seiner Väter geschändet, den Segen, den er schon in ganzer Fülle auf mein reuiges Haupt niedergelassen, in Fluch verwandelt.«

Bei diesen Worten erblaßte Paula. Das also war es, wovon er zu Katharina gesprochen, was sein Aussehen, vielleicht auch seinen ganzen inneren Menschen so wunderbar verändert hatte. Und das, das trug den Stempel der Wahrheit, das konnte nicht erlogen sein: Um ihretwillen hatte des Vaters Fluch das Haupt des eigenen Sohnes getroffen. Wie war dies gekommen? Hatte der Arzt es nicht bemerkt oder es ihr nur aus Achtung vor dem Geheimnis anderer verschwiegen? Armer, armer junger Mann. Ja sie mußte, mußte ihn sprechen. Keine ruhige Stunde konnte sie haben, bevor sie wußte, wie der Oheim, der zärtliche Vater . . . Aber weiter, schnell weiter:

»Nur als der, der ich bin, als ein gebrochener Mann, zu jung, um sich selbst verloren zu geben, und darum fest entschlossen, alles, was ihm an Willenskraft, an Geist und Selbstachtung von seinen Ahnen geblieben ist, aufzuwenden, um sich ihrer würdig zu machen, trete ich vor Dich hin, bitte ich Dich, mir kurzes Gehör zu schenken. Kein Wort, kein Blick soll Dir verraten, was in mir wütet und mich zu vernichten droht.

»Was nun folgt, darfst Du nicht ungelesen lassen; denn es ist von sachlicher, auch für Dich nicht geringer Bedeutung: Zunächst soll Dir das zurückerstattet werden, was der Verstorbene von Deinem Erbe gerettet und durch väterliche Fürsorge vermehrt hat. Es wird in diesen bewegten Zeiten schwer fallen, dies Kapital sicher und gut anzulegen. Bedenke: wie die Araber den Byzantinern gefolgt sind, können jenen wieder diese, können diesen die zu Boden geschlagenen Perser, können Avaren oder andere Völker, von denen die Geschichte bisher nicht einmal den Namen gekannt hat, unseren jetzigen Gebietern folgen, die noch vor zehn Jahren für eine Handvoll unruhiger Kamelreiter, Karawanenbegleiter und armseliger Wüstenbewohner galten. Die Anlegung Deines Vermögens würde so schwer nicht sein, wenn wir es, wie es hier früher gewöhnlich geschah, alexandrinischen Großhändlern anvertrauen könnten. Aber in dieser Stadt fällt ein großes Haus nach dem andern, und alle Sicherheit ging dort völlig verloren. Deinen Besitz, wie es die meisten Aegypter in dieser schweren Zeit thun, zu verstecken oder zu vergraben, geht für Dich aus demselben Grunde nicht an, der uns verhindert, es zinstragend auf Ackerland in das Grundbuch eintragen zu lassen; denn es muß Dir zu jeder Zeit zur Verfügung stehen; kann es doch kommen, daß Du mit dem Deinen Aegypten schnell zu verlassen begehrst. Das alles sind Dinge, mit denen ein Weib nicht vertraut ist. Ich schlage also vor, daß Du ihre Erledigung uns Männern überläßt; dem Arzt Philippus, Deinem Gastfreund Rufinus, der mir als redlicher Greis gerühmt wird, und unserem erfahrenen und redlichen Rechnungsführer Nilus, der Dir als unbestechlicher Richter bekannt ist.

»Morgen soll, so schlage ich vor, die Verhandlung im Hause des Rufinus' geführt werden. Wohne ihr bei oder nicht. Sind wir Männer einig, dann bitte ich Dich, flehe ich Dich an, mir ohne Zeugen Gehör zu schenken. In wenigen Minuten soll unsere Unterredung beendet sein, und es wird sich dabei nur um eine Angelegenheit handeln, einen Tausch, der Dir etwas Verlorenes, Liebes zurückerstatten und mir hoffentlich, wenn auch nicht Deine volle Achtung, so doch ein versöhnliches Wort eintragen wird. Ich bedarf eines solchen, glaube mir, Paula; ich hab' es wie die Lebensluft nötig, wenn es mir gelingen soll, das Werk durchzuführen, das ich an mir selber begonnen. Sage dem Boten, wenn Du Dich überwunden hast, diesen Brief zu lesen, ein einfaches ›Ja‹, um mich aus quälender Ungewißheit zu reißen. Erfolgt dies nicht, was Gott für uns beide verhüte, so überbringt Dir Nilus heute noch, was Dir gehört. Hast Du Kenntnis von diesen Zeilen genommen, so erscheine ich morgen, zwei Stunden vor Mittag, um mit dem Rechnungsführer an der Versammlung teilzunehmen, von der ich sprach. Gott behüte Dich und flöße Milde in Deine stolze, edle Seele!«

Tief aufatmend ließ Paula die Hand mit diesem bedeutungsvollen Schreiben sinken und blieb lange ernst und nachdenklich an der Fensterbrüstung stehen. Dann rief sie Pulcheria, bat sie, auf kurze Zeit auch auf ihren Kranken Obacht zu geben, und als diese sie dabei mit den klaren Augen schwärmerisch anschaute und sie teilnahmvoll fragte, warum sie so blaß sei, küßte sie ihr Mund und Augen und rief ihr liebreich zu: »Gutes, glückliches Kind!« Dann begab sie sich in ihre auf der andern Seite der Treppe gelegene Wohnung. Dort las sie den Brief zum andernmale.

Ja, das war er, war wieder der alte Orion, wie sie ihn von seiner Heimkehr an bis zu jener unvergeßlichen Wasserfahrt gefunden. Aber er war ja ein Dichter, und die Natur selbst hatte es ihm so leicht gemacht, ungewarnte Seelen zum Glauben an ihn zu verleiten!

Aber nein! Diese Sätze waren redlich gemeint. Philippus kannte die Menschen, und Orion, ja er hatte ein Herz, ein warmes Herz! Mit dem Fluche, den ein geliebter Vater ihm brechenden Auges ins Antlitz geschleudert, konnte selbst der ruchloseste Verbrecher nicht spielen! Und wie sie den Abschnitt des Briefes neu überlas, in dem er aussprach, daß das, was er als ungerechter Richter gegen sie verbrochen, es gewesen sei, was den Segen des Sterbenden in Fluch verwandelt, überlief es sie kalt und sie sagte sich, ihr Verhältnis zu einander habe sich umgekehrt, und es sei ihm durch sie Schwereres und Unerträglicheres widerfahren, als ihr durch ihn. Sein bleiches Antlitz, wie sie es auf dem Friedhof gesehen, trat ihr wieder mit aller Lebendigkeit vor die Seele, und hätte er ihr jetzt gegenüber gestanden, würde sie auf ihn zugeeilt sein, ihm teilnahmvoll die Hand entgegengestreckt und ihn versichert haben, daß das Schreckliche, was durch sie über ihn gekommen, das tiefste, schmerzlichste Mitleid in ihr erwecke.

Heute früh hatte der Masdakit auf ihre Frage, ob er den Himmel schon angefleht habe, ihn bald genesen zu lassen, erwidert, die Perser beteten nie um ein einzelnes Gut, sondern nur um »das Gute«; denn niemand außer den Himmlischen wisse, was den Sterblichen frommt. Wie weise das war! Konnte hier nicht das Furchtbarste, das einen Sohn zu treffen vermag, der Fluch des Vaters, ihm zum Segen geraten? Gewiß war es dieser Fluch, was ihn zur Einkehr in sich selbst und auf den neuen Weg geführt hatte, den er betreten. Sie sah ihn auf einem solchen, sie wollte an seine Umkehr glauben und that es. In seinem Briefe erklärte er ihr seine Liebe, warb er sogar um ihre Hand. Das würde gestern ihren Zorn entflammt haben, heute vergab sie es ihm gern; denn dem Unglücklichen, dem Manne, der durch sie das tiefste Leid erfahren, konnte sie auch das Unerhörte verzeihen. Ihr Herz schlug jetzt freudig in der Hoffnung, ihn wieder zu sehen, ja es kam ihr vor, als sei der gefeierte, heimkehrende Jüngling, zu dem es sie so mächtig hingezogen, durch das, was er seitdem gesündigt, gebüßt und erduldet, gewachsen und nun erst zu voller, ernster Männlichkeit herangereift.

Und welche Aufgabe, diesem Sucher nach dem rechten Wege beizustehen, das zu werden, was er sich selbst vorgenommen!

Die besonnene Weise, in der er sich ihrer äußern Wohlfahrt annahm, verdiente gewiß ihren Dank. Was wohl unter dem Tausche gemeint war, den er ihr vorschlug? Die »große Liebe«, von der er zu Katharina gesprochen, sie leuchtete ihr aus jeder Zeile seines Briefes entgegen, und jedes Weib verzeiht jedem Manne, und wär' er ein Sünder und ein Scheusal zugleich, das Unterfangen, sie zu lieben. Mochte er doch sein Herz an sie hängen! Das ihre, ja, da half kein Leugnen, zog sie gewaltig zu ihm hin. Aber Liebe wollte sie nicht nennen, was es bewegte: es sollte nur der heilige Drang sein, ihm das höchste Lebensziel zu weisen und ihm die Wege dahin freudig zu bahnen.

Der bleiche schwarze Reiter, der sie im Traum umfangen, sollte sie nicht mit sich hinabziehen, nein, sie wollte ihn freudig hinauftragen zu der höchsten, einem starken und edlen Mann erreichbaren Höhe.

So dachte sie, und ihre Wangen röteten sich dabei, und mit einem raschen Entschluß öffnete sie ihre Truhe, holte sie Papyrusblätter, Schreibzeug und Siegel heraus, setzte sie sich an das kleine Pult, welches Rufinus für sie an das Fenster gestellt hatte, um ihm zu schreiben.

Da ergriff sie heiße, gewaltige Sehnsucht nach ihm, doch sie bot alles auf, um sich von ihr zu erlösen, und sie fühlte dabei, daß es ihr unmöglich sein würde, die rechten Worte zu finden, wenn sie ihm schreibe, und wie sie die Blätter in die Truhe zurücklegte und auf das Siegel schaute, begegnete ihr etwas Besonderes; denn auf dem alten, ihr so wohlbekannten Ring ihres Vaters fiel ihr der zwischen zwei gekreuzten Schwertern schwebende Stern, vielleicht das Oriongestirn, auf, den die griechische Umschrift umgab: »Vor die Tugend haben die unsterblichen Götter den Schweiß gesetzt,« das heißt: Wer ein tugendhafter Mensch werden will, darf Schweiß und Mühe nicht sparen.

Mit einem freudigen Lächeln schloß sie den Deckel der Truhe; denn eine gute Vorbedeutung lag doch sicher in dem Spruch bei dem Sterne. Dabei nahm sie sich vor, Orion von dieser Devise, welche einer ihrer Ahnen dem alten Hesiod entlehnt hatte, zu reden. Dann eilte sie die Stiege hinunter, ging an Rufinus, seiner Gattin und dem Arzt vorüber in den Garten, weckte den schon lange fest eingeschlafenen Schreiber und trug ihm auf, seinem Herrn das »Ja« zu überbringen, worauf er warte. Doch bevor der Bote noch sein Maultier bestiegen, bat sie ihn, noch etwas zu warten, und ging zu den Männern zurück; denn es war ihr eingefallen, daß sie im Eifer vergessen, über Orions Vorschlag mit ihnen zu reden. Beiden war die für die Beratung angesetzte Stunde genehm, und während Philippus dem Schreiber mitteilte, daß man seinen Herrn erwarten werde, blickte der Alte der Jungfrau mit unverhohlenem Vergnügen ins Antlitz und sagte:

»Wir hatten gefürchtet, die Nachrichten aus der Statthalterei würden Dir die gute Stimmung verderben, aber, gottlob, Du siehst aus, als kämest Du eben aus einem erfrischenden Bade. – Was meinst Du, Johanna? Vor zwanzig Jahren hätte solche Hausgenossin Dich eifersüchtig gemacht! Oder gibt es in Deiner Taubenseele keinen Raum für diese gräßliche Regung?«

»Geh,« versetzte die Matrone lächelnd. »Hab' ich etwa all die Schönen gesehen, denen Du Landstreicher in der weiten Welt, fern von uns, nachgeschaut hast?«

»Nein, Altchen, doch so wahr der Mensch das Maß aller Dinge, wie weit ich den Stab auch setzte, einer Göttin wie dieser bin ich nirgends begegnet!«

»Und ich bei meinem Schneckenhausleben gewiß nicht,« stimmte Frau Johanna ein und heftete die hellen Augen mit innigem Wohlgefallen auf Paula.


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