Georg Ebers
Die Nilbraut
Georg Ebers

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Sechsunddreißigstes Kapitel.

In der Statthalterei gab es eine entsetzliche Nacht.

Frau Martina fragte sich, welche Sünden sie begangen, daß gerade sie auserlesen sei, Zeugin eines solchen Unglücks zu werden.

Und was ward nun aus ihren Heiratsplänen?

Ein Umzug bei dieser Hitze war gewiß schwer erträglich; aber sie hätte ein dutzendmal aus einem Quartier in das andere ziehen und sich wie einen Ball hin und her werfen lassen wollen, wenn es dadurch zu ermöglichen gewesen wäre, ihren lieben »großen Sesostris« aus so schrecklicher Gefahr zu erretten.

An alle dem war gewiß die verruchte, tolle Geschichte mit den Nonnen schuld!

Und diese Araber!

Sie nahmen eben, was ihnen behagte, und waren wahrhaftig im stande, den Sohn des großen Mukaukas auszuplündern und zum Bettler zu machen.

Eine schöne Geschichte!

Heliodora hatte am Ende für beide genug, und sie und ihr Mann brauchten sie in ihrem Testament nicht zu übergehen; aber es handelte sich hier vielleicht um ganz andere Dinge: um Leben und Tod.

Es überlief sie kalt bei diesem Gedanken, und ihre Befürchtung schwebte nicht in der Luft: der schwarze Araber, der zu ihr gekommen war, um mit ihr zu verhandeln und ihr schließlich zu gestatten, bis morgen in der Statthalterei zu bleiben, hatte ihr das durch den Dolmetscher geradezu sagen lassen. Ein unerhörtes, gräßliches, namenloses Unglück! Und sie mitten darin, gezwungen, das alles mit zu erleben!

Und ihr Mann, ihr armer Justinus! Wie nahe mußte ihm das alles gehen! Die Augen wurden ihr nicht trocken, und bevor sie einschlief, betete sie recht innig, ihre Heilige und die gute Mutter Gottes möchten das alles zu einem freundlichen Ende führen. Mit dem Gedanken: »Welch ein Unglück!« schloß sie die Augen, und am frühen Morgen wachte sie wieder mit ihm auf.

Dennoch war das Entsetzlichste noch nicht zu ihr gedrungen, was sich in dieser verhängnisvollen Nacht begeben.

Eine Schar von arabischen Kriegern war bei Anbruch der Nacht zu Fuß, zu Roß und im Nachen über den Nil gekommen und hatte, geführt von dem Wekil Obada, die Statthalterei umzingelt.

Nachdem es fest stand, daß Orion sich in der That auf Reisen befand, wurde der Rentmeister Nilus gefangen gesetzt. Darauf lag es dem Schwarzen ob, die Witwe des Mukaukas von dem Geschehenen zu unterrichten, und sie zu veranlassen, schon morgen das Haus zu verlassen. Dies mußte geschehen, weil er mit der ehrwürdigen Wohnstätte des ältesten Geschlechts im Lande etwas ganz Besonderes vorzunehmen gedachte.

Frau Neforis war noch wach und hielt sich, wie der Dolmetscher als Vorläufer Obadas sich bei ihr melden ließ, im Brunnenzimmer auf. Er fand sie in einiger Erregung; denn obwohl sie nicht mehr fähig war, folgerichtig zu denken, und ihr, wenn ihr Geist in Anspruch genommen wurde, die Einfälle nur wie blitzartige Erleuchtungen durch das Gehirn schossen, hatte sie doch bemerkt, daß etwas Besonderes in der Statthalterei vorgehe; aber sowohl der Hausmeister Sebek als ihre Zofen waren ihren Fragen ausgewichen und hatten sie nur dahin beantwortet, daß der Stellvertreter des Amr gekommen sei, um mit dem jungen Herrn zu reden. Es scheine sich um etwas Bedeutendes, vielleicht um eine falsche Anklage zu handeln.

Orion, berichtete nun der Hermeneut, sei angeklagt, ein Unternehmen ins Werk gesetzt zu haben, welches zwölf arabischen Kriegern das Leben gekostet, und schon der Angriff eines einzigen Muslim von seiten eines Aegypters wurde, sie wußt' es, mit dem Tod und der Konfiskation des Vermögens bestraft. Ferner war ihr Sohn eines Raubes beschuldigt worden.

Am Schluß seiner Mitteilung, der Frau Neforis mit stieren Augen, entsetzt und endlich wie vernichtet zugehört hatte, bat der Dolmetscher für den Wekil um Gehör.

»Noch nicht gleich, noch einige Minuten,« lautete die mühsam hervorgestoßene Antwort der Witwe; denn sie mußte sich erst durch den Genuß ihres Arkanums stärken. Sobald dies geschehen war, zeigte sie sich bereit, Obada zu empfangen.

Der schwarze Feind ihres Sohnes wünschte ihr als milder, großmütiger Mann zu erscheinen und eröffnete ihr mit schmeichlerischer Unterwürfigkeit und häufigem Zähnefletschen, daß sie im Lauf des morgenden Tages das Haus, in dem sie die längste und glücklichste Zeit ihres Lebens verbracht hatte, verlassen müsse.

Auf seine Erklärung, daß ihr eigenes Vermögen unangetastet bleiben werde und es ihr freistehe, in Memphis zu bleiben oder ihr Haus in Alexandria zu beziehen, entgegnete sie gelassen, es werde sich ja finden! Dann fragte sie, ob sich die Araber bereits ihres Sohnes bemächtigt?

»Nicht eigentlich,« versetzte der Wekil; »doch wir wissen, wo er steckt, und morgen oder übermorgen haben wir den beklagenswerten Jüngling.«

Bei den letzten Worten bemerkte die Witwe einen schadenfrohen Glanz in den Augen des Schwarzen, die bis dahin mitleidsvoll zu blicken versucht hatten, und mit leisem Kopfnicken fuhr sie fort: »Es handelt sich also für ihn um Leben und Tod?«

»Fasse Dich, edle Frau,« lautete die Antwort. »Nur um den Tod.«

Da schlug sie den Blick gen Himmel, ließ ihn dort lange verweilen und fragte dann weiter: »Und wer hat ihn des Raubes geziehen?«

»Das Haupt seiner eigenen Kirche . . .«

»Benjamin,« murmelte sie vor sich hin, und ihr Mund verzog sich zu einem eigentümlichen Lächeln. Sie hatte gestern ihr Testament zu Gunsten des Patriarchen und der Kirche aufgesetzt. »Wenn Benjamin es gelesen,« sagte sie sich, »ändert er wohl die Gesinnung gegen Dich und die Deinen und läßt fleißig für uns beten.«

Da sie nichts weiter sagte, schaute der Wekil sie fragend und mit einiger Verlegenheit an, bis sie sich endlich erhob und ihn nicht ohne Würde und mit der Bemerkung verabschiedete, das Geschäftliche sei nun erledigt, und weiter habe sie nichts mit ihm zu teilen.

Damit war diese Unterredung zu Ende, und als das Brunnenzimmer hinter dem Wekil lag, murmelte er vor sich hin: »Dies Weib! Entweder ist es von Dämonen besessen und irre da oben oder eine seltene Heldin!«

Frau Neforis ließ sich in ihr Schlafzimmer führen, und nachdem sie zu Bett gegangen, befahl sie der Zofe, ein Kästchen aus ihrer Truhe zu nehmen, und es auf das Arzneitischchen am Hauptende ihres Lagers zu stellen.

Als sie allein war, zog sie die beiden Briefe, welche der Mukaukas Georg ihr als Bräutigam geschrieben, und ein Gedicht, das Orion einst an sie gerichtet, daraus hervor und versuchte zu lesen; doch es flimmerte ihr so vor den Augen, daß sie die Blätter wieder fortlegen mußte. Dafür nahm sie ein Päckchen zur Hand, das die Locken enthielt, welche sie von den erkalteten Häuptern ihrer verstorbenen Söhne und ihres Gatten geschnitten. Mit schwärmerischer Zärtlichkeit blickte sie auf diese teuren Andenken, und nun übte der Mohnsaft seine Wirkung. Mit greifbarer Deutlichkeit stellten sich ihr die Bilder der Verstorbenen vor die Seele, und sie verkehrte mit ihnen, als stünden sie voll blühender Lebenskraft an ihrem Lager. Mit den Locken in der Hand, schaute sie dann aufwärts und versuchte sich zu vergegenwärtigen, was sich heute ereignet und was ihr bevorstand. – Es galt, diesen Raum, dies breite Lager, dies Haus, das hieß alles verlassen, woran sich die teuersten Erinnerungen an diejenigen knüpften, welche sie liebte. Man wollte sie dazu zwingen, – aber stand es ihr auch an, sich dem Willen dieses Schwarzen, dieses Fremden hier, wo sie gebot, zu unterwerfen? Mit einem verächtlichen Lächeln schüttelte sie das Haupt und öffnete einen Glascylinder, welcher noch zur Hälfte mit Opiumkügelchen gefüllt war. Dann nahm sie einige auf die Zunge und wandte den Blick wieder nach oben. Da trat bald ein neues Gesicht vor ihr inneres Auge, und sie erblickte denjenigen, von dem auch der Tod sie nicht zu scheiden vermochte, und ihre verstorbenen Söhne zu seinen Füßen. Und nun stieg, wie ein Taucher aus den Wogen des Stroms, Orion aus Wolken hervor und schwang sich an das Ufer der Insel, an dem ihr Gatte und die Jünglinge standen. Sein Vater öffnete ihm die Arme und zog ihn ans Herz, und sie selbst, oder war es doch nur ihr Bild? trat zu den anderen, und jeder eilte ihr zärtlich entgegen, und zuletzt auch ihr Gemahl, und an seiner Brust blieb sie ruhen; und wenn sie sich seit Stunden und längst vor dem Ueberfall der Araber halb betäubt und wie benebelt gefühlt hatte, so empfand sie jetzt eine süße, die Glieder lähmende Schläfrigkeit, der ihr ganzes Wesen sich hinzugeben verlangte. Aber wie sie schon die Augenlider gesenkt, schoß ihr wieder durch den Sinn, was bevorstand, und mit dem Aufgebot aller Willenskraft richtete sie sich auf und nahm das Wasser, welches stets auf dem Tischchen neben ihr stand, um den Rest der Kügelchen, die der Cylinder enthielt, hineinzuschütten und den Becher auszutrinken bis auf den Grund.

Bei alledem war ihre Hand ruhig geblieben, und aus dem zufriedenen Lächeln ihres Mundes und dem verlangenden Blick ihres Auges hätte man schließen können, daß sie dürste und sich einen wohlschmeckenden Trank bereite. Einer Verzweifelten, welche die Hand an sich selbst legt, sah sie am wenigsten ähnlich, und sie empfand auch weder Bedenken noch Todesfurcht, noch die Last der Schuld, welche sie auf sich nahm, sondern nur eine süße Müdigkeit und Hoffnung, beseligende Hoffnung auf ein Dasein ohne Ende, vereint mit ihren Teuren.

Aber kaum hatte sie den tödlichen Trank genossen, als sie ein kalter Frost durchschauerte. Halb aufgerichtet rief sie die Zofe, welche im Nebenzimmer wachte, und da diese ihr ängstlich in die stieren Augen schaute, stammelte sie ihr zu: »Einen Priester, rasch – ich will sterben!«

Da lief die Dienerin hinaus und rief im Viridarium dem Hausmeister Sebek zu, welcher mit dem Wekil vor dem Tablinum stand, was sich ereignet, und der Schwarze gestattete ihm, seiner sterbenden Herrin den Willen zu thun, und führte ihn selbst bis ans Thor. Dicht vor demselben traf der Hausmeister einen Diakonus, welcher soeben einem von der Seuche Dahingerafften den Segen der Kirche gebracht hatte, und wenige Minuten später standen sie an dem Lager der Witwe.

Neben ihr ruhten die Locken ihrer Söhne, ihre Hände waren um ein Kruzifix gefaltet; doch ihre Augen, welche lange in das Antlitz des Erlösers geschaut hatten, blickten jetzt wieder mit schwärmerischem Glanz nach oben.

Der Priester rief sie bei Namen; doch sie mißkannte ihn, hielt ihn für ihren Sohn und lallte ihm liebreich zu.

»Orion, armes, armes Kind! Und Du, Maria, mein Herzchen, mein süßer kleiner Schatz! Der Vater – ja, lieber Junge – der Vater, komm nur; er ist wieder gut und verzeiht Dir . . . Alle, die ich geliebt, sind wieder beisammen, und keiner – wer kann uns noch trennen? Weißt Du, Mann? Höre, Georg! –«

Da that der Priester, was seines Amtes war, sie aber schaute, ohne es zu bemerken, in die Höhe, und ihre lächelnden Lippen bewegten sich dabei immer fort; doch gelang es ihnen nicht mehr, deutliche Laute zu bilden. Endlich kamen sie zur Ruhe, die Augensterne verschwanden unter den Lidern, die Hände lösten sich von dem Kruzifix, die Glieder erbebten ihr leise, um sich dann allmälich zu strecken, und ihr Mund öffnete sich, als ob er tief Atem schöpfen wolle. Aber er schloß sich nicht wieder, und als der treue Hausmeister ihre Lippen einander näherte, war ihr Antlitz schon regungslos, und ihr Herz hatte aufgehört zu schlagen.

Der treue Mann schluchzte laut auf, und als er dem Wekil die Trauerpost überbrachte, stieß dieser einen Fluch aus und rief dem Unterbefehlshaber an seiner Seite, welcher die Beladung einiger Kamele mit den Schätzen des Tablinums überwachte, ingrimmig zu: »Ich wollte die verrückte Alte großmütig schonen, und nun spielt sie mir diesen Streich, und die in Medina schieben mir auch ihren Tod noch in die Schuhe, wenn nicht . . .«

Hier unterbrach er sich plötzlich, und während er sich wieder den Kamelen und ihrer Beladung zuwandte, dachte er: »Bei so hohem Spiel kommt es auf ein paar Goldstücke mehr oder weniger nicht an. Einige Köpfe müssen noch vom Rumpfe – der des schönen Aegypters den übrigen voran. – Wenn nur die Verschworenen in Medina ihre Schuldigkeit thun! Des Omar Sturz bringt auch den Amr zu Fall, und damit kommt dies alles ins Gleiche!


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