Alexander Dumas d. Ä
Zehn Jahre später
Alexander Dumas d. Ä

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7. Kapitel.
Feindseligkeit

Am Abend desselben Tages, an welchem Lord Buckingham diese Unterredung mit der Königin-Witwe hatte, trafen die Grafen de la Fère und von Bragelonne in Paris ein. Rudolf ließ sofort für seinen Vater um eine Audienz beim König bitten. Majestät hatte eben die Spielpartie aufgehoben, um noch mit Fouquet und Colbert zu arbeiten. – »Ich habe noch eine Stunde für mich,« sagte der König. »Man lasse den Grafen de la Fère vor.«

Athos wurde mit jenem Wohlwollen empfangen, das Ludwig XIV. mit einem für seine Jugend überraschenden Takt zu äußern verstand. »Graf,« sagte er, »gestatten Sie mir zu hoffen, daß Sie etwas von mir zu erbitten haben.« – »Ich komme wirklich mit einer Bitte, Majestät,« antwortete Athos. »Doch nicht für mich, Sire, sondern für den Grafen von Bragelonne.« – »Das ist für mich dasselbe, als wenn es sich um Ihre eigene Person handelte,« sagte der König. »Sprechen Sie Herr Graf.« – »Mein Sohn wünscht sich zu vermählen. Er bittet um die Einwilligung Eurer Majestät.«

»Hat er ein reiches, standesgemäßes Fräulein ausgesucht?« fragte Ludwig XIV. – Athos zögerte. »Die Braut ist adelig,« antwortete er dann. »Doch nicht reich.« – »Das ist ein Uebel, dem wir abhelfen werden,« erwiderte der junge Monarch. – »Darum ist es mir nicht zu tun mit meiner Herkunft,« antwortete Athos fest. – »Nun, kein falsches Zartgefühl, Graf,« sagte der König. »Wie heißt die Braut?« – »Fräulein von Labaume-Leblanc und von Lavallière.« – »Den Namen kenne ich,« sagte Ludwig XIV. nachsinnend. »Ein Marquis von Lavallière – doch er ist tot, wie? Ganz recht, und die Witwe heiratete noch einmal – einen Herrn von Saint-Rémy. Nun, der verdirbt die Familie ein bißchen, aber Lavallière ist gut. Das Fräulein ist jetzt Ehrendame bei Madame, nicht wahr? Mich dünkt, Graf, die Dame ist nicht sehr hübsch.« – »Mein Sohn liebt sie,« antwortete Athos. – »Ich habe nichts Besonderes an ihr gefunden,« sagte der König. »Hübsches blondes Haar allerdings und schöne blaue Augen – aber sonst –«

Athos zuckte die Achseln. – »Sie setzen mich in Erstaunen, Graf,« fuhr die Majestät fort. »Sie bitten um die Einwilligung zu dieser Heirat, aber Ihnen selbst scheint nicht viel daran gelegen zu sein. Doch, doch! Ich täusche mich selten, so jung ich auch bin. Sie tun es mit offenbarem Widerstreben.« – »Ich will ganz offen reden, Sire,« antwortete Athos, sich verneigend. »Bragelonne erträumt sich von dieser Ehe ein Paradies, und sein Glück liegt auch mir am Herzen. Doch gestehe ich aufrichtig, ich glaube nicht recht an die Liebe des Fräuleins. Sie ist fast noch ein Kind. Sie ist nun am Hofe einer jungen schönen Prinzessin, da wird sie in ihrer Freude an dem Hofleben nicht viel Sinn für einen zärtlichen Liebhaber übrig haben. Kurz, ich fürchte, es wird eine Ehe, wie wir deren viele bei Hofe haben. Doch Bragelonne will es so, also möge es geschehen.«

»Nun, auch mir liegt das Glück des Grafen von Bragelonne am Herzen,« antwortete der König entschlossen, »und deshalb verweigere ich meine Einwilligung.« – »O, Sire! welch ein Schlag für Bragelonne!« – »Den Schlag werde ich ihm selbst geben. Uebrigens sage ich ja auch gar nicht, daß er das Fräulein von Lavallière nicht heiraten solle. Ich verlange nur, daß er warte. Ich gedenke ihn besonders auszuzeichnen, er soll sich dieser Gunst erst würdig zeigen. Und auch dem Fräulein muß man Zeit lassen, ihr Glück bei Hofe zu machen. Die beiden sind noch jung. Kurz und gut, ich will, daß sie warten. Hatten Sie mir sonst noch etwas zu sagen?«

»Nichts weiter, Sire – ich nehme meinen Urlaub, um meinem Sohne diesen Bescheid zu bringen.« – »Ersparen Sie sich diese unangenehme Botschaft. Sagen Sie ihm nur, ich würde morgen vormittag selbst mit ihm sprechen. Herr Graf, Sie werden heute abend an meiner Spielpartie teilnehmen.« – Athos ging mit einer Verneigung hinaus. Draußen erwartete ihn Bragelonne. – »O, Sie bringen mir keine gute Nachricht!« rief der junge Mann nach einem Blick auf das Gesicht seines Vaters. – »Majestät ist sehr gütig zu uns,« antwortete de la Fère. »Er will morgen selbst mit dir sprechen. Mehr kann ich dir vorerst nicht sagen.«

Rudolf schwieg bestürzt. Sie schritten nebeneinander die Treppe hinab. – »Da ich einmal hier bin,« sagte Athos, »so könnte ich meinem Freunde d'Artagnan guten Tag sagen. Führe mich nach seinem Zimmer, Rudolf.« – Sie wandten sich dem Flügel des Schlosses zu, wo der Kapitän der Musketiere wohnte, als ihnen ein Lakai in der Livree des Grafen von Guiche entgegentrat. Er reichte Rudolf einen Brief. – »Sie erlauben, lieber Vater,« sagte Bragelonne und öffnete das Schreiben. Von Guiche bat ihn, augenblicklich zu ihm zu kommen, es handle sich um eine sehr wichtige Angelegenheit. Kaum hatte er diesen Brief gelesen, so trat ein Diener in der Livree des Herzogs von Buckingham auf ihn zu und überreichte ihm ein Billet. – »Du bist ja beschäftigt wie ein kommandierender General, Rudolf,« rief Athos lachend. »Nun, ich verlasse dich. Ich werde den Weg zum Chevalier schon finden.« – »Ich sehe Sie morgen noch vor Ihrer Heimreise,« sagte Rudolf. Dann öffnete er das Schreiben des Engländers.

»Herr von Bragelonne,« schrieb der Herzog, »von allen Franzosen, die ich kennen gelernt habe, sind Sie mir der liebste. Ich werde Ihrer Freundschaft bedürfen. Ich erhalte eben eine in gutem Französisch geschriebene Nachricht, die ich als Engländer nicht recht zu verstehen fürchte. Der Schreiber ist ein Mann von gutem Namen. Kommen Sie, bitte, zu mir; Sie sind ja schon wieder von Blois zurück, wie ich höre. Ihr ergebener Villiers, Herzog von Buckingham.«

Rudolf ging zuerst zu Herrn von Guiche, den er in der Gesellschaft Manicamps und de Wardes' antraf. Er schüttelte seinem Freunde die Hand und warf einen Seitenblick auf die beiden jungen Männer, um zu erkunden, was in ihrem Geiste vorgehe. Manicamp betrachtete ein paar neue prächtige Möbel, und von Wardes stand regungslos da, kalt und undurchdringlich. Von Guiche ging mit Rudolf in ein Nebenzimmer. – »Wie geht es dir, Rudolf? Du siehst gut aus,« sagte er. – »Das wundert mich,« antwortete Bragelonne. »Denn ich bin nicht sehr lustig gestimmt.« – »Geht dir's wie mir? Unglück in der Liebe! Ach, Rudolf, mir geht es aber doch noch schlechter, denn ich bin nicht nur unglücklich, sondern muß auch noch lauter glückliche Menschen um mich her sehen. Rudolf,« rief der Graf, »vergebens habe ich gegen die Leidenschaft angekämpft, die du in mir entstehen sahest; umsonst habe ich mir den Abgrund vergegenwärtigt, in den ich zu stürzen bereit bin. Ich kann nicht zurück.« – »Und doch stehst du schon hart am Rande,« unterbrach Rudolf ihn. »Ein Schritt weiter – und es ist dein Tod.« – »Weiß ich – und dennoch!« – »Wie? Bildest du dir etwa ein, Madame liebe dich?« – »Ich bilde mir nichts ein – aber die Hoffnung! sie lebt doch einmal im Menschen; man fristet sein Dasein von ihr bis ins Grab hinein.« – »Aber, Freund, zugegeben, du erlangst dieses erhoffte Glück,« sagte Rudolf, »so bist du dann ja nur noch sicherer verloren, als wenn du es nicht erlangst.«

»Unterbrich mich nicht, Rudolf,« antwortete der junge Mann. »Du überzeugst mich doch nicht; ich sage dir im voraus, ich will mich nicht überzeugen lassen. Ich bin so weit gegangen, daß ich nicht mehr zurück kann. Ich habe so viel gelitten, daß ich den Tod als Wohltat begrüße. Ich liebe nicht nur bis zum Wahnsinn, ich bin auch eifersüchtig bis zur Raserei.« – »Sehr nett!« rief Rudolf mißvergnügt. – »Nett oder nicht nett, das ist einerlei,« fuhr von Guiche fort. »Madame vergnügt sich, eine Freude jagt die andere, und inmitten dieser Lustbarkeiten stellt sich der Schatten eines andern immer wieder zwischen sie und mich und verdunkelt mich mehr und mehr. In ihr Ohr dringt stets eine schmeichlerische Stimme die doch nicht die meine ist. Seit drei Tagen, Rudolf, schwindelt mir der Kopf, ich bin nicht mehr Herr meiner Sinne, mein Blut ist in Wallung, ich muß diesen Schatten verscheuchen, diese Stimme verstummen machen.«

»Du sprichst von Buckingham?« antwortete Rudolf. »So bist du es, der ihm geschrieben hat?« – »Woher weißt du das?« fragte Guiche erstaunt. – »Er ließ es mir sagen. Sieh her,« und Rudolf reichte seinem Freunde den Brief des Engländers. Der Graf las und sagte dann: »Daran erkennt man einen wackern Menschen.« – »Das ist der Herzog auch. Und ich hoffe nur, du hast ihm in ebenso höflicher Form geschrieben.« – »Ich habe ihn gebeten, mich morgen oder übermorgen – wann es ihm nun genehm ist – in Vincennes zu erwarten.« – »Bedenke, was du tust!« rief Rudolf warnend. – »Ich glaube, ich habe dir schon gesagt, daß ich alles überlegt habe,« versetzte Guiche ungeduldig. – »Der Herzog ist ein Fremder und in einer Mission hierher gekommen, die ihn unverletzlich macht. Und Vincennes liegt in der Nähe der Bastille.« – »Die Folgen nehme ich auf mich,« erwiderte der Graf. »Dem Herzog wird es ebenso erwünscht sein, wie mir, denn er muß mich nicht minder hassen als ich ihn.« – »Der Herzog hat mir geschrieben, er wolle mich sprechen,« antwortete Rudolf. »Er wird bei der Spielpartie des Königs zu finden sein. Wir wollen beide hingehen. Laß Herrn von Manicamp mitkommen.«

Sie gingen zu viert in den Hof hinab und fuhren im Wagen des Grafen zum Palais-Royal. Unterwegs sann Rudolf nach, auf welche Weise er eine Aussöhnung der beiden Feinde herbeiführen könnte. Bei dem Eintritt in den blendend erleuchteten Saal, der von erlauchten Herren und Damen erfüllt war, konnte Rudolf nicht umhin, einen Augenblick Herrn von Guiche zu verlassen, um Luise anzuschauen, die unter den andern Ehrenfräulein, einer scheuen Taube gleich, den von Diamanten und Gold erstrahlenden königlichen Cercle betrachtete. Die Umgebung stand, der König allein saß. Rudolf bemerkte Buckingham, der mit Fouquet sprach. Sie unterhielten sich ganz laut über Belle-Ile. – »Ich kann in diesem Moment nicht zu ihm,« flüsterte Bragelonne seinem Freunde zu. – »So passe den günstigsten Augenblick ab, doch mach' schnell, die Ungeduld verzehrt mich.« – »Siehe, der dort kann uns helfen,« sagte Rudolf und deutete auf den Chevalier d'Artagnan, der in seiner prächtigen Uniform als Generalkapitän der Musketiere in martialischer Haltung hereinkam. Rudolf trat sofort auf den Chevalier zu.

»Graf de la Fère hat Sie gesucht,« sagte er. – »Ich habe ihn eben verlassen,« antwortete der Chevalier. »Wir wissen, wo wir uns wiedertreffen können.« – Bei diesen Worten schweiften d'Artagnans Blicke rings im Saale umher; er schien jemand zu suchen. – »Sie können mir einen Dienst erweisen, Chevalier,« sagte Bragelonne. »Ich möchte ein paar Worte mit dem Herzog von Buckingham sprechen, der dort mit Herrn Fouquet spricht.« – »Ah, Fouquet ist da?« rief d'Artagnan. »Wir kennen uns – und er sieht eben auch nach mir. Gut, ich gehe gleich hin.«

D'Artagnan schritt geradeswegs auf die Gruppe zu und begrüßte die Herren mit kriegerischer Würde. – »Ah, guten Abend, Chevalier,« rief Fouquet. »Wir sprechen eben von Belle-Ile –« – »Herr Fouquet,« setzte Buckingham hinzu, »sagte mir, er habe diese schöne Besitzung dem König geschenkt. Kennen Sie Belle-Ile?« – »Ich bin ein einzigesmal dort gewesen,« antwortete d'Artagnan. – »Und wie lange hielten Sie sich auf?« fragte Fouquet. – »Einen einzigen Tag,« sagte der Kapitän. – »Und was haben Sie dort gesehen?« – »Was man bei so kurzem Aufenthalt eben sehen kann.« – »Ein Tag ist viel für einen Mann Ihres Scharfblicks,« antwortete Fouquet. – D'Artagnan verneigte sich. –

»Herr Minister,« sagte nun Lord Buckingham, »ich lasse Sie mit dem Chevalier allein – ein Freund winkt mir zu.« – Er verließ die Gruppe und ging zu Rudolf, der ihm entgegenkam, während von Guiche auf seinem Platze blieb. Die beiden jungen Männer befanden sich nun in dem freien Raume zwischen dem Spieltisch und der Galerie. In diesem Augenblick trat Monsieur zur Tür herein und geriet nun zwischen die beiden feindlichen Parteien. – »Mylord, sehr erwünscht,« sprach der Prinz ohne weiteres. »Was muß ich eben zu meiner Bestürzung hören?«

Buckingham erblaßte und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. – »Eine Nachricht, die den ganzen Hof in Trauer versetzen wird,« fuhr Monsieur fort. – »Zu gütig, königliche Hoheit, sofern Sie damit auf meine Abreise anspielen,« antwortete der Brite. »Das kann doch nur für mich ein trauriges Ergebnis sein.« – Von Guiche erschrak. »Er reist ab,« murmelte er bei sich selbst. – Rudolf wechselte einen raschen Blick mit seinem Freunde. Monsieur fuhr fort: »Ich begreife, der König von Großbritannien kann einen Edelmann von Ihrem Wert nicht lange entbehren; aber auch wir sehen Sie nur mit Bedauern scheiden.« – »Gnädigster Herr,« unterbrach der Lord den Prinzen, »seien Sie versichert, ich verlasse den französischen Hof nur, weil –« – »Weil Sie zurückgerufen werden,« fiel der Herzog von Orléans ihm ins Wort, »ich weiß. Aber wenn Sie meinen, daß mein Wunsch einiges Gewicht bei Seiner Majestät Karl II. haben könnte, so will ich ihn gern bitten, daß er Sie uns noch ein kleines Weilchen hier lasse.« – »Ich habe gemessenen Befehl, Hoheit,« versetzte Buckingham. »Nur allzu lange schon bin ich hier geblieben.« – »Und wann reisen Sie ab?« fragte Philipp mit gut gespielter Teilnahme. – »Morgen, Hoheit.« – Monsieur antwortete mit einer Handbewegung, die zu sagen schien: »Nun, gegen einen so festen Entschluß läßt sich wohl nichts tun,« und schritt mit einer leichten Verneigung weiter.

Von der entgegengesetzten Seite trat Graf Guiche heran. Rudolf befürchtete, sein ungestümer Freund wolle seine Forderung selbst vorbringen, und schritt rasch dazwischen. – »Nein, Rudolf, nun ist ja alles erledigt,« sagte von Guiche und streckte dem Herzog von Buckingham die Hand hin. »Verzeihen Sie mir, Mylord, was ich Ihnen geschrieben habe. Ich war ein Tor.« – »In der Tat,« antwortete der Herzog mit schwermütigem Lächeln, »Sie können mir nun nicht mehr böse sein. Wir werden uns nicht wiedersehen.«

Rudolf fühlte, daß er bei dem Gespräch der beiden überflüssig sei, und trat zurück. Dadurch kam er in die Nähe des Marquis von Wardes, der mit Chevalier von Lorraine sprach. – »Ein kluger Rückzug,« sagte der Marquis spöttisch. »Der Herzog erspart sich auf diese Weise ein paar Schwertstreiche.« Und er lachte dazu. – Rudolf fühlte abermals jenen Zorn aufsteigen, der ihn fast beim bloßen Anblick des Herrn von Wardes ergriff. – »Mein Herr,« sagte er, »Sie wollen es also nicht unterlassen, Abwesende zu verunglimpfen? Gestern war's Chevalier d'Artagnan, heute ist's Herzog von Buckingham.« – »Der Herr Vicomte weiß recht wohl,« versetzte Wardes höhnisch, »daß ich manchmal auch Anwesende verunglimpfe.« – Sie standen voreinander und maßen sich mit funkelnden Blicken; der eine war auf dem Höhepunkt seines Hasses, der andere hatte seine Geduld erschöpft.

Eine höfliche Stimme hinter ihnen sprach die Worte: »Mich dünkt, man nannte meinen Namen.« – Wardes sah sich um und erblickte d'Artagnan, der ihn lächelnd begrüßte. »Herr von Wardes, ich habe mit Ihnen zu reden. Du kannst bleiben, lieber Rudolf,« setzte er hinzu, als Bragelonne diskret zurücktreten wollte. »Jedermann kann mit anhören, was ich diesem Herrn zu sagen habe.« – Sein Lächeln verschwand, sein Blick wurde kalt und hart wie eine Degenspitze. – »Ich stehe zu Diensten,« antwortete Wardes.

»Der Ort hier eignet sich nicht dazu,« fuhr der Chevalier fort. »Folgen Sie mir in meine Wohnung. Sie sind wahrscheinlich mit mehreren Freunden hier, nicht wahr? Bringen Sie sie mit. Komm, Rudolf – ich erwarte Sie, Herr von Wardes!« – Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Saal zusammen mit Bragelonne. Sie traten beide in das Zimmer des Kapitäns und fanden dort den Grafen de la Fère. D'Artagnan hatte kaum Zeit, seinem Freunde zu sagen, daß Wardes zu ihm kommen werde, so öffnete sich die Tür, und der junge Mann trat ein, begleitet von den Herren von Guiche, von Buckingham, von Manicamp, und noch drei anderen Edelherren. Der Kapitän empfing seine Gäste mit allem Anstand, den er bei einem so unangenehmen Anlaß zu äußern vermochte. Er bat die Herren um Entschuldigung, daß er ihre Zeit in Anspruch nehme, und wandte sich dann sogleich an von Wardes. »Mein Herr,« begann er, »hier können wir ungehindert reden. Erfahren Sie denn, weshalb ich Sie um Ihren Besuch bat und die Herren hier mitkommen ließ. Ich habe von meinem Freunde, dem Grafen de la Fère erfahren, daß Sie in beleidigender Weise von mir gesprochen haben. Sie betrachten mich als Ihren Todfeind, weil ich der Todfeind Ihres Vaters gewesen. Ich fordere Sie hiermit auf, Ihre Beschuldigungen vorzubringen.«

»In Gegenwart dieser Herren?« versetzte von Wardes. – »Jawohl, vor diesen Zeugen! Sie sehen, ich habe solche gewählt, auf deren Urteil in Ehrensachen man sich verlassen kann.« – »Sie wissen mein Zartgefühl nicht zu schätzen,« antwortete Wardes. »Ich habe Sie beschuldigt, aber ich behielt die Dinge, deren ich Sie beschuldigte, für mich. Ich begnügte mich, meinen Haß in Gegenwart von Personen zur Schau zu tragen, für die es geradezu Pflicht war, es Ihnen wiederzusagen. Sie haben nun meine Diskretion außer acht gelassen, obwohl Ihnen daran gelegen sein mußte, daß alles in Ruhe abginge. Das spricht gegen Ihre gewohnte Klugheit, Herr Chevalier.«

»Mein Herr, ich habe Sie aufgefordert, Ihre Anklagen vorzubringen,« antwortete d'Artagnan. »Reden Sie, wir alle hören.« – »Nun, meinetwegen! Es handelt sich also,« begann von Wardes, »um ein Unrecht, nicht gegen mich, sondern gegen meinen Vater; aber gewisse Dinge bringt man nur mit Widerwillen zur Kenntnis anderer, zumal wenn es sich dabei um eine schmachvolle Tat eines sonst geachteten und achtbaren Mannes handelt.« – Die Zeugen dieser Szene sahen sich unruhig an; allein d'Artagnan verlor nicht im mindesten die Fassung. – »Hören Sie,« fuhr von Wardes fort, als der Chevalier ihn durch eine Handbewegung aufforderte weiterzusprechen. »Mein Vater liebte ein edelgeborenes Mädchen und wurde von ihr wiedergeliebt. Der Chevalier d'Artagnan fing Briefe ab, in denen sie sich mit ihrem Geliebten verabredete, traf dann in Verkleidung an dem bestimmten Ort ein und mißbrauchte die Dunkelheit, das Mädchen zu hintergehen.«

»Das ist wahr,« sagte der Kapitän. »Ich habe diese schlechte Tat begangen. Aber unparteiisch wie Sie sein wollen, Herr von Wardes, hätten Sie hinzufügen sollen, daß ich zu jener Zeit noch nicht 21 Jahre alt war. Es war ein Betrug, den ich mir zeitlebens zum Vorwurf gemacht habe. Ich bin älter und besonnener geworden, auch ehrenhafter, wie ich wohl sagen darf. Diese Jugendsünde ist durch lange Reue gebüßt worden. Es geschah im Jahre 1626, meine Herren, und damals, das werden Sie alle wissen, nahm es niemand mit der Liebe genau. Wir waren junge Soldaten, die fortwährend auf dem Kriegsfuß lebten, mit dem Tode Brüderschaft getrunken und im beständigen Kampfe alles Gefühl verloren hatten. Dennoch bereute ich die Tat und bereue sie noch heute.«

»Begreiflich,« versetzte Wardes. »War es doch auch ein Streich, der der Reue wert war. Sie haben die Dame ins Verderben gestürzt. Im Gefühl ihrer Schmach verließ sie Frankreich, und niemand hat erfahren, was aus ihr geworden ist.« – »O,« ließ Graf de la Fère sich vernehmen, indem er mit unheimlichem Lächeln den Arm gegen Wardes ausstreckte, »man hat es doch erfahren, ja, man hat sie gesehen und weiß, daß sie sich in England verheiratet hat. Das wußten Sie nicht, Herr von Wardes?« fragte Athos, als er den Ausruf des Erstaunens hörte, den der junge Mann laut werden ließ. »Sie sehen, wir sind besser unterrichtet. War Ihnen nicht bekannt, daß man sie Mylady nannte, ohne einen Namen beizufügen?« – »Das wußte ich,« sagte Wardes. – »Mein Gott!« murmelte Buckingham. – »Die Dame hat dreimal versucht, Herrn d'Artagnan zu ermorden. Das war ihr Recht, ja doch, er hatte sie beleidigt. Aber unrecht von ihr war es, daß sie in England einen jungen Mann namens Felton, der in Diensten des Lord Winter stand, durch ihre Reize gefangennahm. Sie erblassen, Lord Buckingham, Zorn und Schmerz malen sich in Ihren Zügen. Sie können die Erzählung selbst beenden und Herrn von Wardes sagen, wer jenes Weib war, das dem Mörder Ihres Vaters das Messer in die Hand gab.«

Ein Schrei entfuhr allen Anwesenden. Lord Buckingham wischte den Schweiß von der Stirn. Ein langes Schweigen folgte. – »Sie sehen, Herr von Wardes,« ergriff nun d'Artagnan das Wort, »meine Tat hat keinen so unseligen, vernichtenden Einfluß auf diese Seele gehabt. Sie war bereits verdorben, verloren, als ich an die Reihe kam. Und nun, Herr von Wardes, habe ich Sie um Verzeihung gebeten; ich würde diese Bitte auch an Ihren Vater gerichtet haben, wenn ich ihn noch am Leben getroffen hätte, als ich nach Karls I. Tode nach Frankreich zurückkehrte. Ich hoffe, daß damit zwischen uns beiden alles abgetan ist und Sie mich fortan nicht mehr schmähen werden.« – Von Wardes verneigte sich, ein paar Worte murmelnd. – »Ich hoffe auch, Sie werden überhaupt gegen niemand mehr Verunglimpfungen äußern, wie es leider Ihre Manier ist. Denn wenn Sie solche Gewissensreinheit zur Schau tragen, daß Sie einem alten Soldaten nach 35 Jahren eine Jugendeselei vorwerfen, so sollten Sie es auch in andern Dingen mit Ehre und Gewissen genauer nehmen. Wie kommt es, daß Sie, der Sie hier ein so strenges Gerechtigkeitsgefühl an den Tag legten, Herrn Vicomte von Bragelonne vorgeworfen haben, er kenne seine Mutter nicht?«

Von Wardes biß sich auf die Lippe und ballte die Fäuste. Rudolf trat flammenden Auges vor und rief: »Herr Chevalier, erlauben Sie, das ist eine Sache, die nur mich angeht.« – »Unterbrich mich nicht, junger Mann,« versetzte der Kapitän, ihn mit dem Arme zurückschiebend. »Ich verhandle hier eine Angelegenheit, die mit dem Schwerte nicht beizulegen ist. Ich habe deshalb diese Ehrenmänner herkommen lassen, die alle mehr als einmal das Schwert gezogen haben. Ich wiederhole daher meine Frage. In welcher Absicht haben Sie, Herr von Wardes, diesen jungen Mann beleidigt, indem Sie seine Eltern schmähten?« – »Mich dünkt,« versetzte von Wardes, »Worte sind jedem frei, der bereit ist, für sie einzustehen mit allen einem Ehrenmann zu Gebote stehenden Mitteln.«

»Ei, sagen Sie mir doch, welche Mittel stehen denn einem Ehrenmann zu Gebote, solche Gemeinheiten zu unterstützen?« antwortete der Chevalier. »Wissen Sie, ein Ehrenmann bringt solche Gemeinheiten gar nicht erst über die Lippen. Es fehlt Ihnen nicht nur an der Fähigkeit, folgerichtig zu denken, sondern auch an Religion und an Ehre. Sie setzen durch Ihr schändliches Geschwätz das Leben mehrerer Männer aufs Spiel, ganz zu schweigen von Ihrem eigenen Leben, das mir allerdings sehr abenteuerlich zu sein scheint. Den Zweikampf hat seine Majestät durch ein sehr strenges Gesetz verboten, das wissen Sie doch. Sie werden sich also bei Herrn von Bragelonne förmlich entschuldigen und mit dem Ausdruck des Bedauerns Ihre unbedachten Worte zurücknehmen. Sie werden um Verzeihung bitten, wie ich es eben vor Ihrem kaum erst keimenden Schnurrbart getan habe.«

»Und wenn ich es nicht tue?« versetzte Wardes. – »Dann,« erwiderte d'Artagnan ruhig, »gehe ich zum König, bei dem ich sehr gut angeschrieben stehe und bitte ihn, diesen Haftbefehl zu unterzeichnen, den ich nur mit Ihrem Namen auszufüllen brauche.« Mit diesen Worten zog er eine der berüchtigten, »Lettres de cachet« hervor. »Ich werde zum König sagen: Sire, dieser Mann hat Herrn Vicomte von Bragelonne in der Person seiner Mutter schändlich beschimpft. Geruhen, Majestät, da Sie den Zweikampf verboten haben, den Beleidiger auf drei Jahre in die Bastille zu stecken.« – Von Wardes erblaßte, denn der bloße Name der Bastille hatte damals etwas Schreckenerregendes. Er trat auf Bragelonne zu und sagte: »Herr Graf, ich bitte Sie in der von Herrn d'Artagnan formulierten Weise um Entschuldigung – ich sehe mich dazu gezwungen.«

»Nein!« rief d'Artagnan. »Das ist nicht die richtige Form. Sie haben nicht zu sagen: ich sehe mich dazu gezwungen, sondern: ich fühle mich vor meinem Gewissen dazu verpflichtet. Glauben Sie mir, so klingt es besser und drückt auch Ihre Empfindungen besser aus.« – »Ich willige ein,« antwortete von Wardes. »Aber Sie werden zugeben, meine Herren, ein Schwertstreich von ehedem war besser als solche Vergewaltigung.« Darauf wiederholte er d'Artagnans Worte, sah sich nun im Kreise um und rief: »Ist das nun alles?« – »Alles,« antwortete der Chevalier. »Und man ist mit Ihnen zufrieden.« – »Sie sind als Friedensstifter indessen nicht sehr glücklich,« sagte der junge Mann schon wieder mit seinem spöttischen Lächeln. »Herr von Bragelonne und ich werden nur noch erbitterter als zuvor auseinandergehen.« – »Von mir aus nicht,« sagte Rudolf. »Ich hege nicht den mindesten Groll gegen Sie.« – Das war ein neuer Schlag für Wardes. Er sah sich verlegen um, aber niemand würdigte ihn eines Blickes. Die Herren nahmen höflich von dem Chevalier Abschied und gingen. Keiner sprach ein Wort an Wardes, der trotzig den Kopf zurückwarf und allein seines Weges ging.



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