Alexander Dumas d. Ä
Zehn Jahre später
Alexander Dumas d. Ä

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4. Kapitel.
Maria von Mancini

Als der König den Offizier eintreten sah, entließ er den Kammerherrn und Kammerdiener, schritt einige Male im Zimmer auf und ab, wie jemand, der gern reden möchte, aber den rechten Anfang nicht findet, und blieb schließlich vor dem Haudegen stehen, der in kerzengerader Haltung vor ihm stand und ihn fest ansah. Nach einer Pause drehte sich der König wieder um und begann von neuem hin und her zu schreiten. – »Er hat nicht für einen Heller Courage,« murmelte der Leutnant in seinen Schnauzbart. »Er ist nicht nur hochmütig und geizig, sondern auch furchtsam. Der Teufel hole solch einen Dienst.« – Endlich blieb Ludwig abermals stehen, und jetzt öffnete er zögernd die Lippen und sprach: »Leutnant, hören Sie mich an.« – »Ob nun doch einmal eine Probe von persönlichem Willen und Mut kommen soll?« dachte der mit dem Schnauzbart bei sich, warf die grauen Locken in den Nacken und schnarrte: »Zu Befehl, Majestät.«

»Morgen früh um 4 Uhr,« sagte Ludwig, »setzen Sie sich aufs Pferd und halten ein zweites für mich in Bereitschaft, aber keins aus meinem Marstall, sondern eins von Ihren Leuten. Sie werden mich begleiten.« – »Zu Befehl. Habe ich Eure Majestät abzuholen oder zu erwarten?« – »Sie erwarten mich an der kleinen Pforte des Parks.« – Der Leutnant verneigte sich stumm, und da er wußte, daß der König nun alles gesagt hatte, was zu sagen war, verließ er das Gemach und kehrte in seine Wachtstube zurück. »Das ist doch wenigstens was,« sprach er zu sich selbst. »Der König in ihm bleibt doch eine Null, aber der Mensch in ihm rafft sich nun doch einmal auf. Mazarin hat heute abend ganz laut und deutlich gesagt, so daß der König es hören mußte: ›Meine Nichten reisen auf dem linken Ufer und kommen morgen früh über die Loire-Brücke.‹ Damit hängt das zusammen. Es ist sonnenklar. Er soll ja ganz vernarrt sein in die italienische Zierpuppe. Er soll schon einmal seine Mutter fußfällig gebeten haben, sie ihm zur Frau zu geben.« – Wenige Minuten später schlief der Leutnant schon fest in seinem Stuhle.

Die ersten Sonnenstrahlen fielen kaum in die Baumwipfel des Parks, als der junge König aufstand, sich selbst ankleidete, indem er den Diener ruhig schlafen ließ, und, ans Fenster tretend, auf den Schloßhof hinabsah. Die große Uhr unten zeigte schon ein Viertel auf fünf. Durch das Geräusch geweckt, trat der Diener herein, aber der König schickte ihn zurück und befahl ihm strenges Schweigen. Dann ging er die Treppe hinunter und verließ das Schloß durch eine Seitentür. An der Mauer wartete der Offizier mit den Pferden. Der König schwang sich in den Sattel, und beide trabten der Brücke zu.

Am jenseitigen Ufer angelangt, hielt der König an. »Herr Leutnant,« befahl er, »reiten Sie voraus, und wenn Sie eine Kutsche bemerken, kommen Sie zurück und melden es mir; ich warte hier.« – »Was für eine Kutsche soll es sein?« – »Ein Reisewagen mit zwei Damen und wahrscheinlich auch ein paar Zofen.« – »Sonst kein Kennzeichen?« – »Allenfalls noch das Wappen des Kardinals.« – »Sehr wohl, Majestät,« antwortete der Offizier und ritt davon. Kaum war er fünfhundert Schritt weit, so erblickte er eine mit vier Maultieren bespannte Kutsche, der eine zweite folgte. Er kehrte sofort zum König zurück.

»Gut,« sagte der König, als er die Meldung vernahm, »tun Sie den Damen kund, ein Kavalier wünsche mit ihnen ohne Zeugen zu sprechen.« – »Potzblitz,« brummte der Offizier vor sich hin, indem er fortritt, »ich beklage mich über meine unbedeutende Stellung, und jetzt bin ich mit einem Schlage zum Vertrauten des Königs avanciert.« – Er ritt an den Wagen heran und entledigte sich seines Auftrags.

Es saßen zwei Damen im Wagen, die eine von ihnen war außergewöhnlich schön, wenngleich ein wenig hager, die andere weniger hübsch, aber doch auch anmutig, und nach der charakteristisch geformten Stirn zu schließen, auch von sehr energischem, herrschsüchtigem Temperament.

Ohne zu zögern, wendete der Leutnant sich an die letztere, obwohl die erstere durch ihre große Schönheit vielleicht den Vorzug verdient hätte. – »Meine Damen,« sprach er, »ich bin ein Leutnant im Dienste eines Kavaliers, der dort hinten auf der Landstraße auf Sie wartet und darum bitten läßt, Ihnen seine Reverenz machen zu dürfen.« – Die jüngere Dame mit den kohlschwarzen Augen stieß einen Schrei aus, der freudige Ueberraschung verriet; sie neigte sich zum Wagen heraus und sah nun auch schon den Kavalier, von dem die Rede war, heransprengen. Sie streckte die Arme aus und rief: »Ach, meine liebe Majestät!« Dabei rannen ihr die Tränen über die Wangen.

Der Kutscher hielt an, die Zofen standen verlegen auf, und die zweite Dame machte eine spöttische Verbeugung und verbarg unter einem diskreten Lächeln nur schlecht ihre Eifersucht. – »Marie, liebe Marie!« rief der König und streckte die Hand aus. Die Dame, aus dem Wagen gleitend, sank ihm in die Arme. Ludwig hielt sie fest umschlungen und gab dem Kutscher einen Wink weiterzufahren. Er überließ sein Pferd dem Offizier, der stumm, doch aufmerksam an seiner Seite geblieben war. Maria von Mancini brach zuerst das Schweigen. »Majestät verlassen mich also doch nicht?« rief sie. »Man hat mir gesagt, Sie würden bald nicht mehr an mich denken.« – »O, Marie, wir sind von Menschen umgeben, die uns entzweien wollen.« – »Aber weshalb geschieht diese Reise nach Spanien, Sire?« versetzte Maria, »doch nur, um Sie zu verheiraten!« Bei diesen Worten blitzten ihre Augen wie ein aus der Scheide gezogener Dolch. – »Marie, fußfällig habe ich meine Mutter gebeten, mich nicht von dir zu trennen, ja, ich habe ihr sogar gedroht, und als dies alles fruchtlos blieb, verlangte ich wenigstens Aufschub meiner Vermählung mit der Infantin. Auf alle meine Tränen hat man mit Staatsgründen geantwortet, und was kann ich tun, wenn so viele sich gegen mich verbünden?« – »Dann muß ich Ihnen also auf ewig Lebewohl sagen, Sire, denn Sie wissen recht wohl,« antwortete die Italienerin, »man verbannt mich, man begräbt mich lebendig, man will auch mich vermählen. Sie sprechen von Staatsgründen, Sire. O, ich weiß recht wohl, der Kardinal hätte schließlich nachgegeben, wäre er doch durch mich der Oheim des Königs geworden! Ja er hätte sicherlich jeden fremden Widerstand überwunden, selbst einen Krieg nicht gefürchtet, um dieses Ziel zu erreichen. Als Oheim des Königs hätte er für immer die Gewißheit gehabt, daß ihm niemand das Staatsruder entreißen könne. O, jawohl, Sire, mit den Staatsgründen hätte Mazarin schon fertig zu werden verstanden.« –

Ludwig erblaßte und biß sich auf die Lippen. Es schien fast, als wenn diese Worte seine Leidenschaft dämpften, statt sie zu steigern. – »Ich sehe trotzdem keinen Ausweg mehr,« sagte er achselzuckend, »nichts kann uns noch helfen.« – »Außer Ihrem eigenen Willen, Majestät,« erwiderte Maria. – »Habe ich denn einen Willen?« versetzte der König. »Mein Wille wird von der Politik, von Staatsrücksichten diktiert.« – »Sie lieben mich eben nicht mehr,« sprach die Mancini, »wo Liebe ist, da ist auch ein Wille.«

Ludwig sah zu Boden, wie ein Verurteilter. Ein langes Schweigen folgte. – »So soll ich Sie morgen schon nicht mehr sehen!« fuhr die Schöne fort. »Soll fern von Paris leben, freudenlos, an der Seite eines mir fremden, alten Mannes. Es ist undenkbar!« Und sie brach in Tränen aus. Auch den König ergriff aufrichtige Rührung, er preßte das Schnupftuch vor den Mund und schluchzte. – »Die Kutschen haben haltgemacht, meine Schwester wartet auf mich,« sagte Maria. »Wir stehen beide am Wendepunkt. Entscheiden Sie, Sire. Soll ich einem andern angehören, als meinem König, meinem Herrn, meinem Geliebten? O, es kostet Sie nur ein Wort, Sire – nur das Wort: Ich will es so! so gehöre ich Ihnen fürs ganze Leben!«

Der König gab keine Antwort. – »Dann ade!« sprach sie. »Ade, Leben, Liebe und Himmel!« – Sie tat einen Schritt, der König hielt sie noch einmal zurück, ergriff ihre Hand und küßte sie. Und auf die schlanken Finger fiel eine Träne aus den Augen des Königs. Maria zuckte zusammen, als ob diese Zähre sie verbrenne.

»Was nützt es, daß sie weinen, Sire,« stieß Maria hervor, »entlassen bin ich dennoch.« – Der König antwortete nicht, er drückte wieder das Taschentuch vors Gesicht und schluchzte laut. Der Musketier-Leutnant gab einen so heftigen Laut des Unwillens von sich, daß die Pferde erschraken. Dann riß Maria von Mancini sich los und eilte zum Wagen. Sie stieg rasch ein, und die Kalesche fuhr davon.

Als sie entschwunden war, wendete der König sich zu dem Offizier. – »Aus!« murmelte er. »Aufgesessen!« – Und sie trabten beide von dannen. Jenseits der Brücke schlugen sie wieder die zum Schlosse führende Straße ein, und um sieben Uhr waren sie zurück. Der Graukopf, dessen scharfem Blick nichts entging, bemerkte, daß an einem Fenster, das zur Wohnung des Kardinals gehörte, die Ecke eines Vorhangs ein wenig gelüftet wurde. Der König hielt an und sprang vom Pferde. – »Unverbrüchliches Schweigen, Leutnant!« rief er seinem Begleiter zu. »Ich weiß, ich kann mich auf Ihre Verschwiegenheit verlassen.« – Der Haudegen verneigte sich. »Würden Majestät mir noch ein paar Minuten Gehör schenken?« antwortete er, und Ludwig, ins Schloß tretend, hieß ihn folgen.

Als sie im Zimmer allein waren, fragte der König: »Was haben Sie mir zu sagen, Leutnant?« – »Majestät,« antwortete jener, »ich muß Sie um eine Gefälligkeit bitten. Mit einem Worte, Sire, gewähren Sie mir huldvollst den Abschied.« – »Wie? Sie wollen Ihren Dienst quittieren?« rief der König erstaunt. – »Ich werde alt, Sire. Seit 35 Jahren trage ich den Panzer, und meine Schultern werden lahm. Ich muß jüngeren Leuten Platz machen. Wer weiß, ob ich nicht in sechs Wochen vor Podagra dienstunfähig bin.« – »Leutnant,« versetzte der König, »Sie sind ja rüstiger und kräftiger als ich. Bisher haben Sie Ihren Posten trefflich versehen und keine Spur von Ermüdung gezeigt. Sie geben mir nicht den wahren Grund an. Weshalb verhehlen Sie ihn mir? Wie soll ich dem besten Soldaten Frankreichs glauben, daß er der Ruhe bedürfe?«

»Sire!« rief der Leutnant in bitterm Tone, »Sie beschämen mich! Sie rechnen mein geringes Verdienst zu hoch an! Inwiefern bin ich denn ein unentbehrlicher, unersetzlicher Mensch? Majestät übertreiben.« – »So sprechen Sie doch aufrichtig, Mann!« entgegnete der König. »Behagt Ihnen der Dienst bei mir nicht mehr? Nur keine Umschweife! das mag ich nicht.« – Der Offizier sah auf und blickte dem König ruhig ins Auge. – »Eine offene Frage erfordert eine offene Antwort,« sprach er. »Ja, Sire, ich will den Dienst meines Königs verlassen, weil ich unzufrieden bin. Wie ich schon sagte, diene ich bereits 35 Jahre meinem Vaterlande und habe für Ihr Haus, Majestät schon manches gute Schwert schartig gemacht. Ihr Vater erkannte meine Fähigkeiten, meinen Mut, meine kriegerischen Eigenschaften, aber Richelieu witterte einen Feind in mir und ließ mich nicht aufkommen. Fünf Jahre lang war ich jeden Tag ein Held – und das ist keine Kleinigkeit. Ich lobe mich nicht selbst, ich führe nur unumstößliche Tatsachen an und berufe mich dabei auf das Urteil von Männern wie Richelieu selbst, der, obwohl mir nie gewogen, dennoch meine Tüchtigkeit anerkannte, Buckingham, Beaufort und Kardinal Retz. Ja selbst König Ludwig XIII. wußte mich zu schätzen, und die Königin hatte eines Tages die Güte, zu mir zu sagen: Ich danke Ihnen. In den Tagen der Fronde war ich der Günstling Mazarins, und man schickte mich nach England zu Cromwell. Das war auch kein sehr erfreulicher Auftrag, aber ich tat mein Bestes und wurde daraufhin zum Kapitän ernannt.«

»Darin irren Sie wohl,« unterbrach ihn der König.

»Nein, Majestät, ich irre nie,« fuhr der Offizier fort, »Mazarin selbst hat mir das Patent ausgestellt, aber Sie wissen ja auch schon, Mazarin gibt selten, und wenn er mal gegeben hat, nimmt er oftmals das Gegebene wieder zurück. So geschah es auch mir, er hat mir das Patent wieder abgenommen. Man hatte mir einmal versprochen, mich an Herrn Trévilles Stelle zu setzen, und wenn ich dessen vielleicht auch nicht würdig war, was man versprochen hatte, mußte man auch halten.« – »Ich bin ein Freund der Gerechtigkeit,« antwortete Ludwig, »Ihre Reklamation gefällt mir. Ich werde mich erkundigen, und man wird Ihnen Rechenschaft geben.« – »Majestät mißverstehen mich,« antwortete der Recke, »jetzt will ich nicht mehr reklamieren.« – »Das ist übertriebene Empfindlichkeit, Mann!« rief der König. »Ich werde mich Ihrer Sache annehmen, und später –«

»O, Majestät!« versetzte der Graukopf bitter, »von diesem Worte »später« lebe ich nun schon 30 Jahre lang, und manche hohe Person hat mich bereits damit vertröstet. Später! Mit diesem Troste bin ich alt und grau geworden, ohne je einen Beschützer zu finden – und doch habe ich so viele Menschen beschützt. Nein, Majestät, ich sehne mich nach Ruhe. Die wird man mir doch gewähren können.« – »Diese Sprache hätte ich von Ihnen nicht erwartet,« unterbrach ihn der König. »Wenn ich sage: ›später‹, so heißt das soviel wie: »Ganz gewiß.« – »Majestät haben mir selbst befohlen, ohne Umschweife zu sprechen,« versetzte der Haudegen. »Ich bin kein Freund vom vielen Reden, aber wenn ich mal rede, dann sage ich auch alles, was ich auf dem Herzen habe. Majestät, die Zeit, in der ich lebe, gefällt mir nicht. Die Jugend ist zaghaft und arm, während sie reich und mächtig sein sollte. Gestern abend ließ ich den König von England hier ein, dessen Vater ich beinahe das Leben gerettet hätte, wenn nicht Cromwell mir in den Weg getreten wäre. Ich ließ ihn zu seinem königlichen Bruder, dem König von Frankreich, und – ach, Sire, das Herz blutet mir! – der König von Frankreich läßt es geschehen, daß sein Minister den Geächteten verstößt. Ach, und mein junger, kühner Monarch, dem ein so feuriges, mutiges Herz im Busen wohnt, demütigt sich vor diesem Pfaffen, der das Gold Frankreichs in seinen Truhen aufhäuft. Ja, ich verstehe den Blick, den Eure Majestät auf mich werfen. Ich treibe meine Kühnheit bis zur Vermessenheit; ich sage Ihnen Dinge ins Gesicht, die vor mir noch kein Mensch einem König ungestraft sagen durfte. Aber ich bin ein alter Krieger und schütte hier vor Ihnen die seit dreißig Jahren angehäufte Galle aus, so wie ich mein Blut bis auf den letzten Tropfen für Sie vergießen würde.« Er schwieg und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Nach kurzem Schweigen antwortete der König: »Leutnant, andere mögen vergeßlich gewesen sein, ich bin es nicht. Ich will es Ihnen beweisen. Ich erinnere mich eines Tages, an dem eine empörte Menschenmenge gleich einem brandenden Meer in den königlichen Palast eindrang. Ich tat, als schliefe ich, und ein einzelner Mann stand mit gezücktem Degen vor meinem Bett und beschützte mich, indem er sein eigenes Leben für mich aufs Spiel setzte, wie er es schon manches Mal für mein Haus getan hatte. Damals fragte ich diesen Edelmann nach seinen Namen. Er hieß d'Artagnan.« – »Majestät haben ein gutes Gedächtnis,« antwortete der Offizier kalt. – »Sie sehen also, ich erinnere mich dieser Begebenheiten aus meiner Kindheit,« fuhr der König fort, »Meinen Sie auch nun noch nichts von der Zukunft hoffen zu sollen? Wollen Sie nicht in einem Punkte meinem Beispiel folgen?« – »In welchem, Majestät?« – »Indem Sie warten, wie ich warten muß.« – »Sire, Sie können warten, Sie sind jung, aber ich habe keine Zeit mehr dazu. Das Greisenalter steht vor meiner Tür, der Tod guckt schon in mein Haus hinein.«

»Sie halten also Ihr Abschiedsgesuch aufrecht?« fragte Ludwig, erregt auf und nieder schreitend. – »Ich lege es Eurer Majestät untertänigst zu Füßen.« – »Gut. Sie sind verabschiedet. Ich werde Ihnen das Ruhegehalt anweisen lassen.« – »Ich bin Eurer Majestät dankbar dafür.« – »Herr Leutnant,« sagte der König, »ich glaube, Sie verlieren einen guten Herrn. Ob Sie je wieder einen solchen finden werden?« – »Gewiß nicht, Majestät. Auch werde ich bei keinem König der Erde mehr Dienst nehmen.« – »Ist das Ihr Ernst? Ich werde Sie beim Wort halten, und Sie wissen, ich habe ein gutes Gedächtnis.« – »Ich weiß, Sire, und dennoch wünschte ich, das Gedächtnis ließe Eure Majestät in dieser Stunde im Stich; denn ich habe vor Ihnen Erbärmlichkeiten auskramen müssen, die des Erinnerns nicht wert sind. Doch Eure Majestät sind ja über alles Armselige und Geringe weit erhaben und werden es bald vergessen haben.«

»Meine Majestät,« antwortete der junge König mit Würde, »wird es machen wie die Sonne: Groß und klein sehen, und den einen Glanz, den andern Wärme, allen aber Leben spenden. Leben Sie wohl, d'Artagnan!« – Ludwig XIV. wendete sich rasch ab und trat ins Nebenzimmer. D'Artagnan stülpte den Hut auf den Kopf und stampfte hinaus.

Wenige Minuten später trat ein Bote des Königs beim Kardinal Mazarin ein und überreichte diesem einen Brief Seiner Majestät. Die Eminenz öffnete das Schreiben mit einem hoffnungsvollen Lächeln. Mazarin wußte um den Morgenausflug Ludwigs und glaubte nun nichts anderes, als daß sein erhabener Zögling in ihn dringen würde, ihm trotz allem noch die Hand Marias zu gewähren. Beim Lesen aber verfärbte sich Mazarins Gesicht; er sah sich in seiner Rechnung getäuscht.

»Eminenz!« lautete das Schreiben, »ich danke es Ihrem Rat und Ihrer Konsequenz, daß ich nun glücklich eine Schwäche überwunden habe, die mich fast verleitet hätte, etwas zu tun, was eines Königs unwürdig gewesen wäre. Sie haben meinen Herrscherweg so fürsorglich geebnet, daß ich nicht daran denken darf, Ihr Werk durch eine voreilige Handlung zu zerstören. Das würde undankbar sein. Ein Mißverständnis zwischen mir und meinem Minister würde überdies für Frankreich nachteilige Folgen haben und auch meiner Familie Schaden bringen. Und zu einem solchen Mißverständnis wäre es gekommen, wenn ich Ihre Nichte geheiratet hätte. Ich werde mich daher nicht länger gegen die Verbindung sträuben, die man für mich plant, und bin bereit, die Infantin Maria-Theresia zu nehmen. Tun Sie die nötigen Schritte. Ihr wohlgeneigter Ludwig.«

Ebenfalls wenige Minuten später wurde der Befehl zur Abreise von Blois gegeben, und Prinz von Condé setzte als nächsten Ruheplatz die Stadt Poitiers an. Auf diese Weise spielte sich binnen einer kurzen Stunde eine Intrige ab, mit der sich fast alle Diplomaten Europas beschäftigt hatten. Ihre einzige greifbare Folge war jedoch, daß ein armer Musketier-Leutnant um seine Stelle und um seinen Verdienst gekommen war. Aber er gewann dafür wenigstens die Freiheit.



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