Alexander Dumas d. Ä
Zehn Jahre später
Alexander Dumas d. Ä

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8. Kapitel.
Aramis

Nach einer Viertelstunde, während welcher Porthos und d'Artagnan lange Gesichter machten und die Daumen umeinander drehten, öffnete sich endlich eine Tür, und Seine Herrlichkeit erschien im Prälatenkleid. Er trug das Haupt hoch, wie jemand, der gewohnt war zu befehlen. Das weite, violette Gewand war an der Seite zurückgeschlagen, und er stemmte eine Hand auf die Hüfte. Er trug noch den zierlichen Schnurrbart und den langen Knebelbart à la Louis XIII. Ohne Umstände ging er auf den Musketier zu und schloß ihn in die Arme. Dann reichte er Porthos die Hand, die der Herkules mit seinen riesigen Fäusten ungestüm ergriff. D'Artagnan wunderte sich nicht, daß es die linke Hand war: die mit Ringen geschmückte rechte hatte ihm Porthos wohl schon mal zu arg gequetscht. Darauf bot Aramis dem Musketier einen Stuhl, den er so stellte, daß das Licht seinem Freunde ins Gesicht fiel, während er selbst sich in den Schatten setzte.

D'Artagnan entging dieser Kniff nicht, er ließ sich aber nichts merken. Er dachte: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Aramis begann das Gespräch. »Lieber alter Freund, welch glücklicher Zufall!« rief er. – »Allerdings ist es ein Zufall, hochwürdiger Freund,« antwortete der Gaskogner. »Meine Freundschaft zu Ihnen bewog mich, Sie zu suchen, wie ich dies stets getan habe, wenn ich ein paar Stunden frei war.« – »Wahrlich, er hat Sie gesucht, Aramis,« bestätigte Porthos, »und dabei mich in Belle-Ile gefunden.« – »Da haben wir's,« dachte der Chevalier, »Porthos muß doch immer mit der Tür ins Haus fallen.« – »In Belle-Ile? Soweit ist er gekommen. Sehr liebenswürdig von ihm!« sagte Aramis. – »Und da habe ich ihm erzählt, Sie seien in Vannes,« setzte Porthos hinzu. – »Das wußte ich so schon,« sagte d'Artagnan. »Und nun sagen Sie mal, lieber Aramis, wollen Sie sich hier zeitlebens begraben? So weit von Paris?« – »Lieber Freund,« antwortete d'Herblay, »Vannes ist ein Bistum, das 20 000 Livres im Jahre einbringt. Das ist für einen armen Prälaten ganz hübsch. Und dann: ich werde alt; das großstädtische Treiben fällt mir auf die Nerven. Mit meinen 57 Jahren sehne ich mich nach Ruhe. Und die habe ich in dieser alten ehrwürdigen Stadt gefunden. Einkehr halten und Gott näherkommen, das ist's, was mir jetzt nottut.«

»Ein vollkommener Mann der Kirche!« rief der Gaskogner, »beredsam, weise, bescheiden!« – »Lieber Freund, Sie sind doch aber gewiß nicht hergekommen, um mir ein paar Schmeicheleien zu sagen. Also, was führt Sie zu mir? Kann ich Ihnen irgendwie von Nutzen sein?« – »Gott sei Dank, lieber Freund,« erwiderte der Chevalier, »ich bin vermögend und unabhängig. Das heißt, nicht im Vergleich zu Ihnen. 15 000 Livres Rente habe ich jetzt im Jahre.« – Aramis sah ihn mißtrauisch an. Er mochte nicht glauben, daß d'Artagnan mit einem Male so viel Geld haben solle, zumal er ihn in ziemlich schäbigem Anzug vor sich sah. Daraufhin erzählte nun der Chevalier sein englisches Abenteuer. Der Prälat hörte mit großem Interesse, und seine Augen blitzten manchmal recht weltlich auf. Porthos brach ab und zu in seiner urwüchsigen Weise in laute Rufe des Beifalls aus. – »Sie sehen also,« schloß d'Artagnan, »ich habe mächtige Freunde in England gewonnen und besitze dort ein Landgut und in Frankreich einen Schatz. Und das wollte ich Sie wissen lassen.« – So fest sein Blick auch war, er konnte dem des Prälaten doch nicht standhalten, wich zur Seite und fiel auf Porthos.

»Hm,« versetzte Aramis, »Sie haben einen recht seltsamen Reiseanzug gewählt.« – »Jenun, ich wollte weder als ehemaliger Offizier noch als vornehmer Herr reisen,« erwiderte der Chevalier, »seit ich reich bin, bin ich geizig.«

»Und Sie sind also nach Belle-Ile gefahren?« fragte Aramis. – »Ja, ich wußte, daß ich Sie und Porthos dort finden würde,« antwortete d'Artagnan. – »Mich? Ei, ich bin nicht ein einziges Mal auf See gewesen.« – »Jenun, ich wußte nicht, daß Sie solch ein Stubenhocker geworden seien.« – »Ich bin nicht mehr der Alte, Freund, ich bin ein armer, kränkelnder Priester, dem nur noch zu tun ist um seine Aussöhnung mit dem Himmel.« – »Auch gut! Wir werden wahrscheinlich Nachbarn werden, denn ich habe vor, ein paar Salinen zwischen Pirrac und Croissic zu kaufen. Man soll 12 Prozent dabei verdienen.«

Aramis sah Portos an, wie um ihn zu fragen, ob dies alles wahr sei oder ob irgendeine Falle dahinter stecke. »Ich hörte,« sagte er, »Sie hätten sich mit dem Hof ein wenig überworfen, aber es scheint ja noch glücklich abgelaufen zu sein.« – »Jenun,« antwortete der Gaskogner, »ich habe meinen Abschied genommen.« – »Aha, und dann haben Sie Ihre alten Freunde gesucht und nicht gefunden, worauf Sie ganz allein, Sie wunderbarer Mann, ausführten, was Sie mit uns zusammen vollbringen wollten. Ich dachte mir gleich, daß Sie bei der Rückkehr Karls II. die Hand im Spiele hätten. Was macht denn Athos? – »Es geht ihm sehr gut.« – »Und Rudolf?« – »Er scheint die Gewandtheit seines Vaters und die Kraft seines Vormunds Porthos geerbt zu haben. Erst am Tage meiner Abreise konnte ich mich noch davon überzeugen. Lassen Sie sich erzählen! Auf dem Grèveplatz brach anläßlich einer Hinrichtung ein Aufruhr aus. Da mußten wir vom Leder ziehen, und er hat seine Sache ausgezeichnet gemacht.« – »Ein Aufruhr? und weshalb?« fragte Aramis. – »Zwei Finanzpächter wurden gehenkt – zwei Freunde Fouquets,« bemerkte der Gaskogner, indem er Aramis fixierte. »D'Eymeris und Lyodot hießen sie – waren sie Ihnen bekannt?«

»Nein,« antwortete der Prälat in geringschätzigem Tone. – »Fouquet hat es geschehen lassen, daß seine Freunde hingerichtet wurden?« rief Porthos. »Wäre ich an seiner Stelle gewesen –« – »Es geschah auf Befehl des Königs,« sagte d'Herblay, und aus Furcht, Porthos würde eine Dummheit sagen, brach er das Gespräch ab. »Genug von fremden Leuten!« rief er aus. »Reden wir von Ihnen, lieber d'Artagnan!«

»Ich habe Ihnen ja alles erzählt,« antwortete dieser. »Reden wir also vielmehr von Ihnen, lieber d'Herblay!« – »Ich bin nicht mehr der alte, wie ich Ihnen schon sagte. Gott hat mich hierher gesetzt, in eine Stelle, die all meine Hoffnungen übertrifft.« – »Gott? Ach!« versetzte der Gaskogner. »Ich dachte, Fouquet wäre es gewesen. Bazin sagte mir's wenigstens.« – »Der Esel! Ich habe Fouquet nie gesehen,« entgegnete Aramis. – »Nun, was wäre auch dabei?« erwiderte der Chevalier. »Fouquet ist ein netter Mensch und ein großer Staatsmann – mächtiger als der König. Und hier gehört ja alles Fouquet, Dörfer, Schiffe, Soldaten, Inseln mit Festungswerken – was weiß ich alles!« – »Ich bin, Gott sei Dank, von keinem Menschen abhängig, außer dem Papst und dem König. Ich bin mein eigener Herr,« antwortete der Prälat.

Das für alle drei nicht eben angenehme Gespräch wurde durch die Meldung, das Abendessen sei aufgetragen, beendet. Bei Tisch sprach man von nebensächlichen Dingen, denn ein jeder mochte wohl erkennen, daß jetzt nichts weiter herauszukriegen sei. Der Gaskogner plauderte von Kriegs- und Finanzsachen, von schönen Frauen und ließ erst ganz zuletzt, wie einen lange aufgesparten Trumpf, den Namen Colbert fallen. – »Wer ist denn das?« fragte d'Herblay. – Aber nun wußte d'Artagnan ganz genau, daß er wirklich auf der Hut sein müsse, denn Aramis hatte sich während des ganzen Gesprächs unwissend gestellt. Daß er jedoch noch nichts von Colbert wissen wollte, das war dem Chevalier denn doch zu bunt. Indessen sagte er, als wenn er gar nichts merkte, von Colbert alles, was er selbst wußte. Das Abendessen währte bis ein Uhr. Punkt zehn Uhr war Porthos eingeschlafen und schnarchte wie eine Orgel. Man weckte ihn und schickte ihn zu Bett. – »Ich glaube, ich bin eingenickt,« sagte er. »Das Gespräch war übrigens sehr interessant.« – Aramis geleitete d'Artagnan in das für ihn bestimmte Schlafzimmer und schied mit einem herzlichen Kuß von ihm.

Kaum war in d'Artagnans Zimmer das Licht erloschen, so trat Aramis in das Zimmer des wackern Porthos, der schon im festen Schlafe lag. Der Prälat, der allen Lärm vermeiden wollte, rüttelte ihn an der Schulter, und der Herkules fuhr in die Höhe und brüllte mit Donnerstimme: »Was ist los?« – »Still! still!« beschwichtigte ihn Aramis. »Ich bin's. Sie müssen sogleich fort, Porthos.« – »Fort? Wohin denn?« – »Nach Paris!« – »O, pfui Teufel! das sind ja hundert Meilen.« – »Hundertundvier,« verbesserte der Bischof. »Morgen vormittag können Sie dort sein. Auf, auf! es ist keine Zeit zu verlieren.« – »Zum Kuckuck!« brummte Porthos, der sich schon wieder auf die Seite gelegt hatte. »Ist es denn durchaus notwendig?« – »Durchaus! durchaus! Machen Sie sich fertig!« sagte Aramis in jenem Tone, der keine Wahl läßt. »Und verhalten Sie sich mäuschenstill dabei, daß niemand wach wird!«

Das erste war, daß Porthos Schwert, Gürtel und Börse fallen ließ und ein lautes Gelächter anschlug. – »Leise, Porthos, leise!« flüsterte der Bischof aufgebracht.

»Richtig! Ich hatte es schon wieder vergessen,« antwortete Porthos. »Es ist sonderbar, gerade wenn man sich recht beeilen will, geht alles besonders langsam, und man macht nie mehr Lärm, als wenn man recht ruhig sein will. Aber die Sache scheint wirklich Eile zu haben.«

»Allerdings, wenn nicht ein großes Unglück geschehen soll. D'Artagnan hat Sie ausgefragt, nicht wahr?« – »Nicht daß ich wüßte.« – »Denken Sie nur mal recht nach. Hat er am Ende gar unsern Befestigungsplan zu sehen bekommen?« – »Gewiß, aber Ihre Schrift hatte ich ausradiert. Er kann nicht ahnen, daß Sie daran beteiligt sind.« – »Unser Freund kann aber sehr gut sehen,« sagte d'Herblay. »Es ist damit zu rechnen, daß alles entdeckt ist, und da gilt es, ein großes Unglück zu verhüten. Ich habe dafür gesorgt, daß d'Artagnan vor Tagesanbruch nicht fort kann. Aber Sie müssen auf der Stelle reiten. Wenn er um fünf Uhr auf den Beinen ist, können Sie schon 15 Meilen weit sein. Die ganze Strecke können Sie in 30 Stunden hinter sich haben.«

Wie der geschickteste Kammerdiener half er ihm beim Ankleiden, trieb ihn wieder und wieder zur Eile an und führte ihn in den Hof hinab, wo ein Pferd reisefertig dastand. Er sorgte dafür, daß kein Geräusch gemacht wurde, und hielt selbst dem Tier die Nüstern zu, damit es nicht wieherte. »Und nun, Porthos,« sagte er dann, »in einem Atem bis Paris! Keine Rast! Zu Pferde essen und trinken, keine Minute verlieren, und sollten Sie ein halb Dutzend Pferde totreiten! Dieses Schreiben geben Sie an Fouquet ab, und koste es, was es wolle, morgen mittag muß er es haben.« – »Er soll es haben.« – »Dann werden Sie Herzog und Pair werden.« – »Oho!« rief Porthos, und seine Augen funkelten. »Dann soll die Reise nur 24 Stunden dauern. Vorwärts!« – Er drückte dem Pferde die Sporen in den Leib und jagte davon.

D'Artagnan glaubte wunders wie schlau er wäre, als er um fünf Uhr aufstand. »Aramis hat gesagt, ich sollte um acht Uhr bereit sein,« dachte er bei sich. »Ich weiß, was das bedeutet. Ich werde ihn in aller Frühe überraschen.« Er trat ans Fenster. Der Morgen graute eben; allem Anschein nach schlief noch alles. D'Artagnan, der in Aramis' Schlafgemach getreten war, merkte jedoch, daß dieser sich nur schlafend stellte, denn er mußte Aramis zweimal an der Schulter rütteln. Er wußte aber von früher her, daß der Prälat einen sehr leisen Schlaf hatte und beim geringsten Geräusch, bei der leisesten Berührung zu erwachen pflegte. – »Ah, Sie sind's!« rief der Mann der Kirche. »Ich hatte über Nacht ganz vergessen, daß Sie bei mir sind. Es ist wohl noch sehr früh. Hatten wir uns nicht auf acht Uhr verabredet?« – »Das ist möglich, aber ich dachte, je früher desto besser,« antwortete der Gaskogner. »Ich bin nun einmal ans Frühaufstehen gewöhnt.« – »Dann lassen Sie mich wenigstens meine Morgenandacht halten.« – »Gut, ich gehe inzwischen zu Porthos. – »Ja, tun Sie das,« antwortete Aramis, ohne eine Miene zu verziehen.

Der Gaskogner entfernte sich, kam aber schon nach zwei Minuten wieder. – »Porthos ist nicht mehr auf seinem Zimmer,« sagte er, den Prälaten ansehend, den er jetzt in Gesellschaft zweier Ordensbrüder traf. – »Was Sie sagen?« rief er, mit meisterlich gespielter Verwunderung. »Wo mag er wohl sein? Haben Sie sich schon erkundigt?« – »Man hat mir gesagt, er sei ausgegangen.« – »Ah, er wird fortgeritten sein, um uns eine Ueberraschung zu machen. Am Kanal von Vannes gibt es viele Wildenten, da wird er ein paar zum Frühstück schießen. Reiten Sie ihm nach!« – »Das will ich tun,« sagte d'Artagnan. – Er ließ sich ein Pferd satteln und trieb sich zwei Stunden lang am Kanal herum, in der Hoffnung, die kolossale Gestalt seines Freundes zu entdecken; aber er fand keine Spur von ihm. Als er zurückkehrte, erwartete ihn Aramis. – »Es tut mir leid,« Freund,« rief er ihm zu, »daß Sie sich einen vergeblichen Weg gemacht haben. Ein Pfarrer war eben bei mir, der Porthos begegnet ist. Er hat ihn ersucht, uns mitzuteilen, daß er nach Belle-Ile hinübergefahren sei, weil er die Aufsicht doch nicht dem Architekten Gétard allein überlassen will.«

D'Artagnan nahm am Frühstück teil, aber eine fieberhafte Ungeduld ließ keinen rechten Appetit bei ihm aufkommen. Er entfernte sich mit dem Vorgeben, nun doch noch ein wenig auf die Jagd zu gehen, da er auf seinem Morgenritt wirklich schönes Federwild getroffen habe. In Wahrheit aber ritt er zum Hafen, mietete eine Barke und fuhr schleunigst nach Belle-Ile. Vom Turm seines Hauses aus ließ Aramis vermittels eines Fernrohrs den Hafen beobachten, so daß d'Artagnans Abfahrt ihm nicht verborgen blieb. Der Gaskogner suchte nun auch in Belle-Ile vergebens nach dem Baron, und nun begann ihm ein Licht aufzugehen. Sofort fuhr er nach dem Festlande zurück und eilte nach Vannes, um seinem Freunde Aramis wegen des falschen Spiels heftige Vorwürfe zu machen. Als er im Hause des Prälaten ankam, übergab man ihm einen Brief, der folgendermaßen lautete:

»Lieber Freund! Dringende Geschäfte rufen mich in meine Diözese. Ich hoffte, Sie vor meiner Abreise noch einmal zu sehen. Aber Sie werden vermutlich ein paar Tage bei unserm Freunde Porthos in Belle-Ile bleiben wollen. Leben Sie also wohl. Es tut mir unendlich leid, daß ich das schöne Vergnügen Ihrer Gesellschaft nicht länger haben kann.«

»Alle Wetter!« rief d'Artagnan, »ich bin hinters Licht geführt worden. Ich Esel! Genarrt – genarrt wie ein Affe, der eine hohle Nuß bekommt!« – Er gab in seiner Wut dem süßlich grinsenden Kammerdiener eine Ohrfeige und stürmte von dannen. Auf der Postanstalt wählte er das beste Pferd aus.



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