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XVII. Nachforschungen.

Kaum waren sie in ihrem Hotel angelangt, als Valentine nach ihrem Zimmer eilte und sich vor dem Bilde der Jungfrau niederwarf, einem prachtvollen Gemälde Raphaels, das an der Hauptwand des Gemaches hing. Währenddessen hatte Max sich entfernt, um seinen Leuten einige Befehle zu erteilen. Valentine, die noch immer durch die unbestimmte Furcht erregt war, welche der Traum, den sie ihrem Manne soeben erzählte, in ihr erweckt hatte, betete, ergriffen von jenem erhabenen Glauben, den eine betrübte und gläubige Seele dem Bilde der Mutter Gottes weiht. Ihre Augen waren mit den milden Tränen derer erfüllt, welche ihre Hoffnung auf die göttliche Barmherzigkeit setzen und von derselben alles erwarten, indem sie sich den unerklärlichen Bestimmungen der Vorsehung fügen.

Max öffnete die Tür des Zimmers und wagte nicht, Valentine in ihrem inbrünstigen Gebets zu unterbrechen; er wartete, bis sie aufstand, ging dann zu ihr, umarmte sie voll Zärtlichkeit und trocknete durch zwei Küsse die Tränen, die noch in ihren schönen Augen zitterten.

»Mein Herzchen,« sagte er, »sollte etwa die Erinnerung an Deinen Traum diese Aufregung in Dir hervorgerufen haben? Weise die trügerischen Bilder von Dir zurück, die auf keinen Fall Dich bedrohen können. Dich, das Lieblingskind des Himmels, Dich, die Du durch Deine Tugenden seinen beständigen Schutz zu verdienen wußtest!«

»Du nennst die Gebilde meines Traumes trügerisch? Eines Traumes, der sich so oft wiederholte?« erwiderte Valentine, indem sie diese Worte mit dem Lächeln eines Engels begleitete. »Wenn ich Dir nun sage, daß ich außer dem, was Du bereits hörtest, mein Max, auch den Mann sah, jenen eigentümlichen Menschen, der die Verhungernden und die Elenden zu unserer Grotte Monte Christo zu leiten schien?«

»Was sagst Du? Bist Du wahnsinnig?« rief Max, indem er plötzlich über den Ausdruck des Entsetzens erbleichte, der sich über das Gesicht seiner Frau verbreitet hatte.

Sie stieß ein krampfhaftes Lachen aus und fuhr dann fort:

»Nein, ich bin nicht wahnsinnig: nein. Ich sagte Dir, daß ich den Menschen sah, der sich mir in meinen Träumen zeigte. Ja, ich habe ihn gesehen; der Feuerblick, mit dem er unsere überflüssigen Reichtümer zu verschlingen schien, hatte seine ganze Gewalt beibehalten. Er sah mich starr an, und ich hatte ein Gefühl, als ob ein glühender Stahl meine Brust durchdränge und sich in mein Herz bohrte, wie wenn er in demselben die geheimsten Gedanken erforschen wollte. Dieser Mensch, hörst Du wohl, mein Max? Dieser Mensch ist keine Einbildung; er ist kein Phantom, welches der Schrecken erschuf, den ich über meinen Traum empfand! Nein, dieser Mensch – scheint mich seit drei aufeinanderfolgenden Abenden mit der größten Aufmerksamkeit zu beobachten, wenn ich mit Dir über die Piazza gehe. Er macht, daß ich erbebe,« fuhr Valentine mit erstickter Stimme fort, »und beständig scheint er mir mit seinem begeisterten Blicke zuzurufen: »Valentine, erfüllst Du denn nicht den Willen Gottes? Willst Du denn etwa, daß so viele Familien von Proletariern, deren Erbteil der Hunger ist, das herzlose Weib verfluchen, welches in den Eingeweiden eines öden Felsens Schätze verbirgt, deren Hälfte hinreichen würde, um ihr Glück zu begründen? Valentine, die größte Pracht, mit der Du Dich umringen kannst, sind die Segenswünsche aller dieser elenden Familien, die Du von den Greueln des Hungers zu befreien vermagst, indem Du mit ihnen Deine Reichtümer teilst, welche jetzt nutzlos im Schoße der Erde ruhen.«

Valentine schwieg; ihr ruhiges Auge, klar und offen, befragte das Gesicht Maximilians, auf welchem sich Zweifel, Furcht und Entsetzen malten.

Zuweilen zweifelte er an dem Verstande Valentines, indem er sie sprechen hörte; aber ihre ruhige Rede, ihr gemessenes Wesen, Verbannten bald wieder einen solchen Gedanken. Nein, keine Wolke trübte den Geist seiner Gattin. Indes konnte er, Max, der Mann von höherer Erziehung und einigermaßen genährt mit den Doktrinen der Freidenkerei unseres ungläubigen Jahrhunderts, nicht begreifen, wie es möglich sei, daß Valentins sich in ihrem normalen Zustande so durch ein überspanntes Gefühl hinreißen lassen konnte, welches durch einen einfachen Traum erweckt worden war!

Er erkannte, daß etwas Erhabenes, über die Dinge dieser Erde Gehendes, sich in dem reinen Ausdrucke Valentines offenbarte, und da er es nicht vermochte, den Einfluß dieses unerklärlichen Gefühls zu bekämpfen oder zu vermeiden, beugte er seinen eigenen Verstand vor der furchtbaren Gewalt, die denselben niederdrückte.

Valentine trug den Sieg davon.

Er beschloß, mit dem ganzen Prunk zu brechen, den der Reichtum notwendigerweise mit sich führt, und sich auf die Mittelmäßigkeit zu beschränken, indem er sein Vermögen mit den Armen teilte. Aber während Max die großmütigen Gesinnungen Valentines annahm, wollte er doch nicht so, wie sie es zu wünschen schien, die außerordentlichen Reichtümer vernichten, welche der Graf von Monte Christo ihnen geschenkt hatte, indem er ihnen das Eigentum der Grotte Monte Christo übertrug.

»Valentine,« sagte er eines Tages zu seiner Frau, »laß uns annehmen, morgen sei unser Reichtum für immer verschwunden; welches Erbteil wird in diesem Falle unser Kind erhalten, wenn Gott uns die Gnade gewährt, uns eines zu schenken?«

»Und welches bessere Erbteil könnte es bekommen, als einen Namen, der auf Erden von zahlreichen Familien gesegnet wird, einen Namen, den die Väter voll Liebe gegen ihre Kinder aussprechen?« fragte Valentine mit einem unaussprechlichen Ausdrucke der Milde und beeilte sich dann hinzuzufügen: »Glaube mir mein Freund, wenn ich die Gewißheit hätte, daß das großartige Geschenk, das wir aus den Händen des Grafen empfingen, nicht aus einer Quelle stammte, welche die Rechte des Volkes verletzt, so würde ich nicht einen Augenblick zögern, es zu bewahren und es selbst zu vergrößern, um es unsern Kindern einst zu hinterlassen; aber –«

»Was soll das heißen, Valentine? Vergißt Du denn, mit welcher Uneigennützigkeit, mit welchem Eifer, der Graf dahin gewirkt hat, uns zu retten? Geben ihm denn seine Güte, seine Großmut, der Adel seines Charakters, gar kein Recht auf Deine Dankbarkeit?«

»Wie dem auch sein mag,« entgegnete Valentine, »das Gefühl der Dankbarkeit, welches ich für den Schutz empfinde, den er uns gewährte, hat nichts gemein mit meinem Verlangen, die Pracht mit der er uns umgab, von mir zu entfernen.

»Mein guter Max, diese Pracht erschreckt mich; ich verdiene sie nicht und ich will sie nicht; laß uns daher mit der Armut teilen, und so die heiligste Vorschrift unserer Religion: die Barmherzigkeit erfüllen.«

Maximilian beharrte nicht mehr auf seinem Willen und Valentine nährte die Hoffnung, die erhabene Leidenschaft, von der sie beherrscht wurde, befriedigen zu können. So wartete sie mit ängstlicher Sorge auf den Augenblick, wo die wunderbaren Reichtümer der Grotte Monte Christo dazu verwendet werden sollten, die Leiden der Armut zu verringern.

Beschäftigen wir uns indessen ein wenig damit, zu erfahren, wer der Mann war, der Valentine und Max in dem Augenblicke zu belauern schien, als sie die Gondel betraten.

Wir sahen ihn mit seinem Gehilfen verschwinden, nachdem sie einige Worte miteinander gewechselt hatten, deren letzte waren:

»Ist die Schaluppe bereit? – Ja! – Dann schnell an Bord und fort in der Richtung nach der Giudecca.«

Kaum waren Max und Valentine gelandet und hatten die Stufen der Treppe erstiegen, die zu ihrem Hotel führten, kaum hatte die Gondel sich von dem Portale des Gebäudes entfernt, als ein Boot, lang und schmal wie ein Kanot, von zwei Rudern getrieben, sich schnell der Gondel näherte, sie erreichte und zwei Männer in dieselbe hineinsprangen.

Der venetianische Gondolier, welcher durch diese Enterung erschreckt war, stieß einen leisen Schrei der Ueberraschung aus, aber noch ehe er Zeit hatte, einen Entschluß zu fassen, fühlte er die kalte Klinge eines Dolches an seiner Kehle.

»Still, oder Du bist des Todes!« rief der Angreifende.

»Was wollen Sie von mir?« fragte der Gondolier, indem er wieder einigen Mut gewann.

»Dein Glück machen.«

»Das ist eine sonderbare Art, es anzubieten,« erwiderte der Gondolier, indem er mit verdutztem Wesen den Menschen betrachtete, der ihm das Glück auf der Spitze eines Dolches bringen wollte. »Wenn es, um glücklich zu sein, genügte, das Schweigen zu bewahren, so schwöre ich bei St. Marcus, daß acht wohlgezählte Tage lang dieser Mund sich nicht öffnen solle, nicht einmal, um zu sagen: Gott beschütze Dich!«

»Bist Du verschwiegen?« fragte der Fremde.

»Wie der Kanal von Orfano, der nach der Sage der alten Legenden niemals das Geheimnis der in ihn versenkten Leichen an die Oberfläche gelangen ließ,« antwortete der Venetianer.

»Sehr gut!« fuhr der Fremde fort, indem er zwar die Spitze seines Dolches nicht zurückzog, indessen einige Silberstücke auf die Kissen der Gondel fallen ließ. Dann wendete er sich zu seinem Gefährten, der das Kanot befestigte, und sagte zu demselben in römischem Dialekt:

»Rocca, dieser Mensch ist unser; befestige die Gondel an dem Kanot und rudere zur Jacht!«

Dieser Befehl wurde vollzogen, und bald darauf durchschnitt die Gondel, von dem Kanot in das Schlepptau genommen, die Wogen des Kanals, indem sie sich jenem Viereck näherte, wo die Handelsfahrzeuge vor Anker lagen. Eine halbe Stunde darauf legten die beiden Fahrzeuge an einem jener leichten Zweimaster an, welche in dem Mittelmeere so zahlreich sind.

Der venetianische Gondolier fühlte zwar, die Wahrheit zu gestehen, einige Besorgnis wegen dieses nächtlichen Abenteuers, das eben nicht unter sehr beruhigenden Anzeichen begann, aber er stieg dennoch entschlossen die Strickleiter hinauf, die an der Seite der Jacht herabhing, und sprang auf das Deck, gefolgt von den beiden Männern, die sich seiner bemächtigt hatten. Nachdem die Schildwache einen dieser beiden Männer mit allen Zeichen der größten Ehrfurcht begrüßt hatte, kehrte sie auf ihren Posten zurück und wartete auf fernere Befehle, ohne nur einen Blick auf den Gondolier zu richten.

»Kamerad,« sagte der, welcher der Kapitän der Yacht zu sein schien, »ich werde Dich verhören und mache Dich im voraus darauf aufmerksam, daß Du Deine Lügen teuer bezahlen wirst, wenn Du in Deinen Antworten die Wahrheit verletzest. – Wer bist Du?«

»Giacomo vom Lido, durch die Gnade des heil. Marcus und seit einigen Tagen der Privatgondolier des Herrn Morel.«

»Was für eine Art von Mensch ist das? – Als sein Privatgondolier mußt Du es wissen.«

»Ich weiß, daß er ein Franzose ist,« erwiderte der Gondolier, »und, wenn man dem glauben darf, was auf der Piazza alle Welt versichert, ein Franzose, der mehrere Millionen reich ist.«

»Und hast Du Gründe, das zu glauben?« fragte der Kapitän.

»Ich?« entgegnete der Gondolier. »Meiner Treu, nein! – Ich hörte nur, daß er große Reichtümer besitzt? aber an welchem Orte der Welt sie sich befinden, das weiß ich nicht.«

»Wie wäre es möglich, dem Glauben zu schenken, was Du mir sagst?« unterbrach ihn der Kapitän. »Was wir von einer Unterredung am meisten behalten, sind in der Regel die Orte, die darin erwähnt werden.«

»Aber wenn nun eben keine Orte bei den Worten genannt wurden, die ich hörte, was haben Sie dann darauf zu sagen, Signor?« entgegnete der Gondolier.

»Ganz gut! Und was sind das für Worte, die Du gehörst hast? Wiederhole sie mir!«

»Diesen Abend,« sagte der Gondolier, »habe ich Herrn Morel und seine Frau aus dem Lido hinausgefahren, und dabei hörte ich, was ich Ihnen erzählen will, ohne daß ich deshalb den Zorn des heiligen Marcus fürchte, denn es wurde mir nicht als ein Geheimnis anvertraut.«

Der Gondolier begann hierauf die Erzählung alles dessen, was er Valentine über ihren Traum in der Grotte Monte Christo hatte sagen hören.

Der Kapitän der Yacht verlor nicht ein einziges seiner Worte.

Als Giacomo seinen Bericht beendigt hatte, lachte der Kapitän laut auf und sagte:

»Das ist eine Geschichte aus Tausend und eine Nacht, die Du mir da erzählt hast! – Gleichviel! – Weißt Du, ob wirklich in dem Mittelländischen Meere die sogenannte Insel Monte Christo existiert?«

»Ich bin nur sehr selten aus dem Adriatischen Meere fortgekommen und kenne bloß die vorzüglichsten Produkte des Mittelländischen Meeres,« erwiderte der Gondolier. »Alles was ich zu sagen vermag, ist, daß die Insel Monte Christo in den Handelsberichten nicht genannt wird.«

Nachdem der Kapitän der Nacht einige Augenblicke nachgedacht hatte, gab er Befehl, die Lampe in der Kajüte anzuzünden, deutete mit der Hand gegen den Gondolier auf die Treppe und folgte demselben langsam.

Man braucht eine Nacht nur ein einziges Mal gesehen zu haben, um sich einen deutlichen Begriff davon machen zu können, wie ihre Kajüte beschaffen ist, welche kaum genug Raum bietet, um einem Menschen freie Bewegung zu gestatten, und um zweien soviel Platz zu gewähren, daß sie miteinander sprechen können.

Der Kapitän richtete auf den venetianischen Gondolier einen langen forschenden Blick, als wollte er in diesem durch den Wind der Lagunen verwitterten Gesichte lesen. Ohne Zweifel befriedigt durch seine Prüfung, setzte er sich dann, lehnte das Gesicht in die Hände und ließ darauf langsam und einzeln nacheinander, ohne auch nur einen Blick auf den Venetianer zu richten, die folgenden Worte fallen:

»Ja! – Es ist wahr! – Es gibt auf der Insel Monte Christo einen ungeheuren Schatz, der dort durch die Barbaren verborgen wurde! – Dieser Schatz, der gegenwärtig unmittelbar niemand gehört, ist gleichwohl die Beute des ersten besten, der sich seiner bemächtigt. Ich kenne das Mittelländische Meer nur sehr wenig – aber wenn mir jemand die Richtung der Insel genau bezeichnen könnte, so schwöre ich bei dem Himmel, daß ich das Glück dieses Menschen machen würde.«

»Ei, wie wäre es aber möglich, über die dort vorhandenen Reichtümer zu verfügen,« erwiderte der Gondolier, »wenn sie meinem Herrn gehören?«

»Wer hat sie ihm gegeben?« fragte der Kapitän der Yacht. »Ich sagte Dir schon, daß sie ihm nicht mehr und nicht weniger gehören, als Dir, als mir, als jedem andern, der das Geheimnis entdecken würde, sie in dem Schöße der Erde aufzufinden. Wenn es einen wirklichen Herrn, einen wahren Eigentümer dieser Reichtümer gibt, – so sind es die Armen, das darfst Du mir glauben. Denn, woraus sind diese Schätze entsprungen, als aus dem Schweiße der Armen, verwandelt in Gold und Edelsteine in den Händen irgend eines hohen und mächtigen Herren der guten alten Zeiten, eines Herrn, der ebenso grausam und ebenso barbarisch wie geizig war! – Wenn Du ein Mann bist, wenn Du einen Geist besitzest, würdig der Seele, die Dich belebt, dann mußt Du glauben, daß der Schweiß der Armen zum Nutzen der Armen gereichen muß, eher als in die Kisten der Reichen zu fallen! Aber es sei davon nicht mehr die Rede. – Ich werde Dir ein Glas Lacrymä Christi vorsetzen lassen, um Dich für die Störung zu entschädigen, die ich Dir verursachte,« fügte der Kapitän mit dem Tone der Gleichgiltigkeit hinzu und schlug mit der Hand auf den Tisch, um jemand herbeizurufen.

Einige Augenblicke darauf zündete der Gondolier, nachdem er mit Entzücken und dem Wesen eines Kenners ein Glas von dem köstlichen Tranke hinuntergeschlürft hatte, seine Pfeife an, fuhr sich mit den Fingern durch seinen langen, dichten Bart und warf auf seinen Gesellschafter einen gewissen Blick des Einverständnisses, den dieser nicht zu bemerken schien.

»Ich kenne einige Burschen von dem Bando,« sagte er dann.

»Von welchem Bando?«

»Nun, von dem Bando,« wiederholte der Gondolier, indem er auf verschmitzte Weise lächelte. »Wissen Sie denn nicht, was der Bando ist? Hörten Sie denn nie von dem Contrebando sprechen?« sagte er, indem er dieses Wort besonders betonte und den Körper ausdehnte wie eine Schildkröte, die ihren Kopf aus ihrem Panzer hervorstreckt.

»Aha! – Ich fange an, Dich zu verstehen.«

»Nun, meiner Treu, das wundert mich nicht! Die Sache ist klar genug. Man braucht kein Prophet zu sein, um sie zu erraten. Ich kenne einige Individuen, die ebensogut imstande sind, Ihnen die Höhe irgend eines geheimen Ankerplatzes im Mittelländischen Meere zu bezeichnen, wie ich Ihnen die verwickeltsten Punkte der Kanäle Venedigs angeben könnte.«

»Was weiter?«

»Weiter? – Diese Burschen kennen ohne Zweifel auch die Insel Monte Christo.«

»Und dann?«

»Nun, ich könnte mit ihnen reden.«

»Sehr gut!«

»Noch diese Nacht! – Aber – sie könnten gewisse Skrupel hegen – und dann werden Sie auch wohl wissen, daß das Menschen sind, die das Gold ebenso sehr lieben wie ein alter Abbé den vortrefflichen Wein.«

»Daran soll es nicht liegen! Das ist das geringste.«

»Nach einer solchen Antwort gibt es keine Schwierigkeit weiter,« entgegnete der Gondolier. »Was mich betrifft, so bin ich bereit, mich mit jenen zu verständigen und dann sogleich zu Ihnen zurückzukehren, um Ihnen mitzuteilen, was sie mir gesagt haben.«

»Gut – eile, diesen Auftrag zu vollziehen und wenn Du nicht ganz wahnsinnig bist, so erinnere Dich daran, daß ich nicht nötig habe, Dir das Stillschweigen zu empfehlen.«

Indem der Kapitän diese Worte sprach, machte er eine sehr bedeutungsvolle Bewegung, auf welche der Gondolier durch eine nicht minder bedeutungsvolle Bewegung antwortete, die sich so übersetzen ließ:

»Ich verstehe Sie vollkommen.«

Dann stand er auf, um sich zu entfernen.

»Wie heißt Ihr Fahrzeug?«

»Der Sturm,« erwiderte der Kapitän.

»Beim heiligen Marcus, Sie haben da einen Namen von sehr schlechter Vorbedeutung für Ihr Schiff gewählt,« bemerkte der Gondolier, indem er grüßte und die Kajütentreppe hinaufstieg.

Kaum war er in seine Gondel gesprungen und hatte das Weite erreicht, als der Kapitän der Yacht seinen Leutnant rief, ihm den Venetianer zeigte, der schon weit entfernt war, und ihm sagte:

»Rocca Priori, daß morgen alles zur Abfahrt bei dem ersten Signal bereit ist! Dieser Mensch hat mir alles gesagt, was ich zu wissen wünschte.

*


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