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XI. Die Schlange.

»Im Jahre 1838 gab es in Frankreich eine nicht sehr zahlreiche Familie, deren Oberhaupt der Graf von Morcerf, mein Vater, war. Diese Familie bestand bloß aus dem Grafen, meiner Mutter und mir. In eben jenem Jahre faßte ich, der ich damals, ebenso wie meine ganze Familie zu der ersten Gesellschaft von Paris gehörte, den Entschluß, mit einem meiner Freunde, Franz von Epinée, den Karneval in Rom zuzubringen, und ich reiste nach Florenz, wo wir uns treffen wollten. In Rom lernte ich den Grafen von Monte Christo kennen, der Franz und mich aus der Verlegenheit zog, indem er uns zu dem ersten Tage des Karnevals, den 23. Februar, seinen Wagen anbot.«

»Dieser Mann, den Franz bereits kannte, weil er mit ihm in der berühmten Grotte Monte Christo gewesen war –«

Bei diesen Worten runzelte Benedetto die Stirn und fragte mit etwas mißtrauischem Ton:

»Und Sie haben an die Existenz dieser berühmten Grotte glauben können?«

»Franz hat mir geschworen, daß sie wirklich existiert,« erwiderte Albert, »wie er mir ebenfalls schwur, daß er dort durch den Grafen bewirtet worden sei.«

»Gut! – Fahren Sie fort!«

Albert tat dies:

»Also am 22. Februar 1838 begann meine Bekanntschaft mit dem Grafen von Monte Christo! Denken Sie sich eine aufrichtige Freundschaft, wie sie in dem vollkommensten Sinne dieses Wortes bestehen kann: eine solche schien ich diesem verhängnisvollen Menschen eingeflößt zu haben! – Da ich wußte, daß er, wenn ich Rom verlassen würde, die Absicht hatte, sich nach Paris zu begeben, beeilte ich mich, ihm das Haus meines Vaters anzubieten, indem ich mir vornahm, ihm nicht nur in dieser Hauptstadt als Cicerone zu dienen, sondern ihn auch in die beste Gesellschaft einzuführen, der ich angehorte, wie ich Ihnen sagte.

»Der Graf nahm mein Anerbieten an.

»Einige Zeit darauf, an dem Tage und zu der Stunde, welche er bestimmt hatte, um sich bei mir einzufinden, empfing ich den Beweis von der Art und Weise seiner Pünktlichkeit, denn als die Uhr auf die festgesetzte Stunde deutete und die Freunde, die ich in meinem Zimmer versammelt hatte, schon anfingen, über die Verzögerung des Frühstücks ungeduldig zu werden, das ich dem Grafen bieten wollte, trat dieser Mann in mein Kabinett.

»Nach dem Frühstück stellte ich ihn meinen Eltern vor, und er bewies mir unablässig bei allem, überall und in allen Dingen die Freundschaft, die ich ihm eingeflößt zu haben schien.

»Ach, wie oft fragte mich meine arme Mutter, welche die Verbindung bemerkte, in der ich mich befand, mit Tränen in den Augen und einem trüben Lächeln auf den Lippen, ob ich auch überzeugt sei, daß dieser Mensch wirklich mein Freund wäre? – Wie oft versicherte ich – der arme junge Mensch ohne Erfahrung, ohne Kenntnis der Welt und der Menschen, – daß der Graf von Monte Christo mein Freund, mein wahrer Freund sei, denn der Verfluchte hatte die Arglist der Schlange und die magnetische Kraft, welche der bezaubernde Blick dieses giftigen Gewürms besitzt, welches zu unseren Füßen kriecht, um sich später gegen uns zu erheben und uns in das Herz zu stechen.

»Während einiger Monate war ich der unzertrennliche Gefährte des Grafen von Monte Christo. Es schien mir, als habe dieser Mann keine Geheimnisse vor mir und als schütte er in den Stunden des Trübsinns sein ganzes Herz, sein Herz voll Güte und Gerechtigkeit, gegen mich aus.

»Ach, der Schleier sollte bald zerrissen sein. Das Ziel meiner Illusion kam schnell, sehr schnell, furchtbar und verhängnisvoll heran!

»Eine entsetzliche Anklage, öffentlich in einer Zeitung gegen meinen Vater ausgesprochen, stürzte meine Familie in Trauer. Schon hatte Paris keinen Zauber, keine Anziehungskraft mehr für mich, der ich den Namen, welchen ich trug und auf den ich bisher stolz gewesen war, mit Kot beworfen sah!

»In dem Zustande der Verzweiflung, in welchen ich versunken war, kam der Mann mir zu Hilfe, den ich für meinen Freund hielt, obgleich meine Mutter mir beständig mit geheimnisvollem Tone wiederholte, daß der Graf von Monte Christo gegen mich nicht so aufrichtig sein könnte, wie ich es dächte.

»Er drang darauf und zwang mich beinahe dazu, in seiner Gesellschaft eine kleine Vergnügungsreise zu machen. Ich umarmte meine Mutter und reiste mit ihm ab.

»Es gab nichts, was der Graf nicht ersann, um mich zu zerstreuen. Jagd, Fischfang, Spazierritte, alles bot er auf, und stets mit demselben heuchlerischen, verräterischen Lächeln auf den Lippen zwang er mich, diese Vergnügungen zu teilen.

»Einige Tage darauf empfing ich einen Brief von einem Freunde, welcher mir mitteilte, daß der Urheber der Beschuldigung gegen die Ehre meines Vaters entdeckt sei.

»Ich nahm Abschied von dem Grafen von Monte Christo und eilte nach Paris.

»Es war in der Tat alles aufgeklärt! – Ich las die Papiere, welche ein früheres Verbrechen meines Vaters bewiesen! Ich sah den Glanz seines Namens und des meinigen erlöschen, für immer vernichtet zur großen Freude und zum spöttischen Gelächter unserer Feinde! Ich sah die Türen der besten Salons von Paris sich vor mir und meiner Mutter schließen! Ich – ich – der ich einen glorreichen Namen zu besitzen glaubte, einen Namen, berühmt gemacht durch die Taten eines Kriegers – ich, der ich wähnte, mich denen gegenüber stellen zu können, welche sich die Abkömmlinge der edelsten und achtungswertesten Geschlechter nannten. ach – ich mußte mich darein ergeben, ein Mensch ohne Namen zu sein, ohne den geringsten Anspruch auf die Achtung der Welt!

»Wahnsinnig, zerschmettert durch das furchtbare Gewicht der Schande, hörte ich das schmerzhafte Schluchzen meiner Mutter und die beinahe erloschene Stimme meines Vaters, der mich zur Rache aufforderte!

»Ich erhob mich von Wut und Zorn erfaßt, um den Todfeind zu, treffen, der ohne Reue, ohne Mitleid einen Irrtum meines Vaters vor die Schranken der Oeffentlichkeit gezogen hatte, ohne zu bedenken, daß mein Vater jetzt mit einer Frau verbunden war, die sein Los teilen mußte, und daß er einen Sohn besaß, welcher in jeder Beziehung unschuldig an seinem Vergehen war! – Diesen Mann ohne Gewissen, der, um einen Menschen zu treffen, mit demselben Schlage auch dessen Frau und Sohn niederschmetterte.

»Ich fragte jetzt, wer der Urheber meiner Schmach sei – ach, wissen Sie, erraten Sie, welcher Name mir genannt wurde? Der Graf von Monte Christo!« rief Albert, indem er sich mit drohendem Wesen erhob, als erblickte er in diesem Augenblicke vor sich den Mann, dessen Name soeben über seine Lippen gekommen war.

»Anfangs wollte ich es nicht glauben,« fuhr er fort, nachdem er eine kurze Pause gemacht hatte, »aber der furchtbare Name war in den Papieren enthalten, die ich prüfte.

»Ha, so hatte also der Verräter mit mir gespielt! Das War also das Gefühl, welches er mir seit so langer Zeit bezeugte, so also erwiderte er die aufrichtige Freundschaft, die ich ihm gewidmet hatte! Verräter – tausendfacher Verräter! – Wenn es im Himmel einen Gott gibt, der ebenso gut, ebenso gerecht ist, wie ich dies glaube, dann wird das abscheuliche Verbrechen, welches Du begangen hast, Dir nie verziehen werden! – Seit dem ersten Tage, an welchem Deine Hand sich in die meinige legte, an welchem Du mich einludest, Dein Brot mit Dir zu teilen oder das meinige mit mir teiltest, an welchem Du so zu mir sprachst und mich auf eine solche Weise aufnahmst, daß Du über alle meine Zweifel siegen mußtest – an eben diesem Tage sannst Du bereits auf den Verrat, den Du ausgeübt hast.

»Mein Herr,« fuhr Albert nach einem kurzen Augenblick des Schweigens fort und indem er sich mit zitternder Hand über die Stirn fuhr, »ich konnte die Ehre meines Vaters nicht wiederherstellen, aber ich konnte mich rächen!

»Ich trat dem Grafen entgegen.

»Er befand sich in seiner Loge in der Oper. Ich ging hinein zu ihm, um ihn zu beschimpfen, denn es gab kein anderes Mittel, ihn zu zwingen, sich mit mir zu schlagen.

»Der Verfluchte empfing mich noch mit derselben Freundlichkeit und mit demselben Wesen der Freundschaft wie früher. Das schürte nur die Flamme, die mich verzehrte. Ich setzte ihm auseinander, was mich zu ihm führte, und statt aller Antwort lächelte er! Er und ich wurden bald der Zielpunkt aller Augen des ganzen Hauses! Da das Aergernis öffentlich gewesen, wollte ich auch, daß die Genugtuung soviel wie möglich es sein sollte.

»Mein Handschuh streifte die Wangen des Grafen von Monte Christo. Nach wenigen Tagen sollte das Duell stattfinden.«

»Und Ihr Arm war nicht stark genug, um einen solchen Kampf zu bestehen?« fragte Benedetto voll Teilnahme.

»Nein, mein Herr,« erwiderte Albert ruhig. »Ich wurde an dem Orte des Kampfes entwaffnet, und in Gegenwart der Zeugen gewährte ich dem Grafen von Monte Christo Genugtuung und drückte ihm die Hand.«

»Elender!« rief Benedetto, indem er sich in seiner ganzen Höhe emporrichtete und einen Blick der Verachtung auf Albert heftete, der regungslos stehen blieb.

Dann schien Benedetto das harte Wort, das ihm entschlüpft war, zu bereuen. Er setzte sich und fragte sanft und mit gerührter Stimme:

»Sie waren wahnsinnig geworden?«

»Nein!« flüsterte Albert.

»Wie ging denn das zu?«

»Es trat an dem Tage vor dem Duell jemand in mein Zimmer und verlangte mir den Eid ab, nicht gegen den Grafen von Monte Christo zu kämpfen.«

»Und wer konnte die Macht haben, einen solchen Eid von Ihnen zu verlangen?«

»Eine Frau, die ich auf eine solche Weise liebte, daß vielleicht kein Mensch es begreifen könnte, wenn ich es zu erklären versuchte. – Eine Frau, für welche ich eine Stunde des Glückes mit einem Jahre der Qualen meines Lebens bezahlen würde! – Eine Frau, deren Tränen mir das Herz brachen – meine Mutter!«

*


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