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II. Die Komödie.

Der Leser wird sich leicht denken, daß Benedetto sich nicht nach den Katakomben des heiligen Sebastian begab, wie Luigi Vampa es ihm empfohlen hatte. Vampa, dieser berüchtigte Bandit, der seit vielen Jahren die Umgegend Roms verheerte, Vampa, der berüchtigte Bandit, welcher geheimnisvoll durch die Zivilbehörden selbst beschützt wurde, dieser Mensch von einem ebenso umfassenden wie verderblichen Verstande, glaubte blindlings, daß seine Pläne auf eine solche Art entworfen wären, um ungestraft seine Begierden befriedigen zu können, während Benedetto von der Hand der Banditen an dem Eingange der Katakomben fallen würde, sobald das falsche Erkennungswort, das er ihm gegeben, über seine Lippen kam.

Vampa war buchstäblich einer Hallucination durch das Fieber unterworfen, welches ihn beherrschte; sein Blut, zu einer übermäßigen Temperatur gesteigert, erdrückte seinen Verstand; sein flammendes, irres Auge sah schon nicht mehr durch die Menschen und durchdrang alles mit jenem höheren Scharfsinn, der ihn früher charakterisiert hatte. Dieses Delirium des Banditen glich dem verhängnisvollen Wahnsinn, der dem Tode voran zu gehen pflegt, der dann allmählich verschwindet und den Menschen in einer schmerzlosen Betäubung zurückläßt, die ohne Leiden, ohne Besinnung ist und während welcher die ewige Trennung der Seele von dem Körper stattfindet!

Benedetto dagegen war frei von jedem Gefühl, das ihn verblendete, entwarf mit vollkommener Kaltblütigkeit seine Pläne, berechnete mit großem Verstande, bis zu welchem Punkte er gehen konnte, ohne sich der Gefahr auszusetzen, aus der Charybdis in die Scylla zu fallen, das heißt, in die Hände Vampas zu geraten oder sich in den Augen der Justiz eine Blöße zu geben.

Vor einer dieser Gefahren bewahrte ihn der Umstand, daß Vampa darauf rechnete, seine Genossen würden ihn in dem Augenblicke ermorden, wo er an dem Eingange der Katakomben erschien, und deshalb nicht mehr an Benedetto dachte, und dieser, der schon früher den Intendanten der Polizei besucht hatte, dürfte daher von dieser Seite nichts mehr fürchten.

Vampa verließ also das Kolosseum ungefähr eine halbe Stunde nach den beiden Sängerinnen, hüllte sich dicht in seinen Mantel und begab sich nach dem Hotel von London oder der Weltkugel – denn so wurde das Hotel wechselweise genannt – auf der Via del Corso.

Er suchte Maestro Pastrini auf, der ihn geheimnisvoll in seinem kleinen Kabinett empfing.

»Ah, Signor Luigi!« rief er: »es ist lange her, seitdem ich das Vergnügen und die Ehre hatte, Sie bei mir zu sehen! Che cosa!«

»Einen Wagen mit allem Nötigen versehen, um mich gut zu bedienen,« erwiderte Vampa.

»O, ich glaube, daß der letzte, dessen Sie sich bedienten, alle Ihre Anforderungen erfüllen wird!«

Vampa gab ein Zeichen der Zustimmung. Maestro Pastrini fuhr fort: »Es ist seitdem schon lange her, Signor Luigi, und gleichwohl habe ich noch nichts vergessen. Der Wagen fuhr von hier mit einem Franzosen fort, der in seiner Brieftasche eine ungeheure Summe bei sich trug, die er von dem Hause Thomson und French eine halbe Stunde zuvor empfangen hatte; der Wagen fuhr in gestrecktem Trabe bis nach Aquapendente, wo die Pferde gefüttert wurden; er kehrte dann in einer anderen Richtung nach Rom zurück und machte Halt auf der Straße von –«

»Auf der Straße von –?« unterbrach ihn barsch Vampa, der dieser Erzählung mit sichtlicher Unruhe zugehört hatte.

»Ja, das ist Ihr Geheimnis, und der Kutscher erklärte, daß er es mir, bei der Gefahr, sein Leben zu verlieren, nicht enthüllen könnte,« erwiderte Maestro Pastrini.

»Ganz gut, Maestro Pastrini; und Sie werden sich wohl nicht einfallen lassen, die Neugier so weit zu treiben, daß Sie sich um Dinge bekümmern, die Sie nichts angehen?«

» Sangue di Christo!« rief Pastrini; »glauben Sie so etwas nicht von mir, Signor Luigi. Ich suche gar nichts zu erkunden, das schwöre ich Ihnen: das ist die reine Wahrheit.«

»Nun, ich glaube Ihnen. Halten Sie mir also einen Wagen bereit, wie der, von dem Sie sprachen, mit einem ebenso verständigen Kutscher, wie der, welcher den Franzosen nach seinem Palaste fuhr.«

»Können Wagen und Kutscher dieselben sein?«

»Es wäre das um so besser.«

»Wann bedürfen Sie derselben?«

»Augenblicklich.«

»Der Teufel, Sie haben es ja sehr eilig, Signor Luigi.«

»Schnell, schnell!« wiederholte Vampa mit gebieterischem Tone.

»Indessen werden Sie mir doch wohl zwei bis drei Minuten gewähren, um Ihnen einige Worte über eine gewisse Angelegenheit zu sagen, denn ich glaube, daß sie von der dringendsten Wichtigkeit ist.«

»Sprechen Sie!«

»Zuerst,« sagte Pastrini, »müssen Sie wissen, daß Ihr Leutnant sich nicht bei mir gezeigt hat.«

»Hätte er nur einen einzigen Augenblick unser Hauptquartier verlassen, so würde er gegen meine Befehle und seine Pflichten gefehlt haben,« erwiderte Vampa mit dem Tone übler Laune.

»Da nun aber Peppino nicht erschienen ist, habe ich von dem Agenten des Hauses Thomson und French, das, wie Sie wissen, sich sehr für Sie interessiert, eine wichtige, vertrauliche Mitteilung erhalten.«

»Darin liegt nichts Unmögliches,« rief Vampa. »Oft genug habe ich in die Kasse dieses Hauses gegen einen geringen Gewinn Kapitale zurückfließen lassen, welche seine Gläubiger ihr entzogen hatten! Das Haus Thomson und French verliert bei der Verbindung mit mir nichts.«

»Das ist richtig,« erwiderte Pastrini. »Es ist daher auch stets in alledem besorgt, was Sie betrifft. Der erwähnte Agent kam gestern zu mir, um Peppino aufzusuchen und denselben zu benachrichtigen, daß ein Unbekannter, ein Franzose, bei dem Intendanten der Polizei war, um die ungeheure Prämie zu beanspruchen, die auf Ihren Kopf gesetzt ist.«

»Ah! Also ist dieser Mensch schon Besitzer meines Kopfes?« fragte Vampa, ohne die geringste Unruhe zu verraten.

»Vielleicht hofft er sich zum Herrn desselben zu machen, denn er forderte den Beistand der bewaffneten Macht, indem er versprochen hat, Sie in deren Hände zu liefern.«

»Wo das?« fragte Vampa.

»Das ist das Geheimnis des Verräters.«

»Sein Name?«

»Das ist auch ein Geheimnis zwischen ihm und der Polizei.«

»Und wann soll dieser Ueberfall stattfinden?«

»In der kürzesten Frist, Signor Luigi; Sie müssen daher auch auf Ihrer Hut sein. Bedenken Sie, daß der Kopf nicht ein Ding ist, welches sich so leicht entbehren läßt wie eine Handvoll Taler!«

Vampa stieß ein schneidendes Gelächter aus, dessen Sinn Maestro Pastrini nicht recht begriff.

»So!« rief Vampa, »der Verräter hat also die Prämie jetzt schon erhalten? Nun, Maestro Pastrini, ich habe Ihnen gesagt, daß ich einen guten Wagen und einen verständigen Kutscher verlange.«

»Aber was ich Ihnen soeben sagte?« fragte Pastrini ganz verwundert.

»Ist keinen Deut wert.«

»Wie so das?«

»Pastrini! Pastrini!« rief Vampa, »Sie sind neugierig; das ist sehr schlimm, denn es mißfällt mir.«

Pastrini murmelte eine Entschuldigung, drehte sich auf dem Absatz herum und verließ augenblicklich sein Kabinett, in welchem der Bandit die Bereitschaft des Wagens erwartete.

Eine halbe Stunde darauf verließ Vampa das Hotel zur Weltkugel, sprang in einen Wagen, der mit guten Pferden bespannt war, und Pastrini näherte sich dem Kutscher und sagte ihm mit leiser Stimme: »Zum Tor hinaus; nicht langsam; Seine Exzellenz wird Dir das übrige sagen.«

Er entfernte sich.

Der Kutscher peitschte auf die Pferde und der Wagen fuhr im raschen Trabe über den Korso.

Es war ungefähr halb zehn Uhr abends.

Um zehn Uhr war der Wagen außerhalb der Mauern Roms, die er sogar schon weit hinter sich gelassen hatte; der Kutscher befand sich an einem Punkte, wo sich drei Wege kreuzten, die nach verschiedenen Richtungen führten. Er hielt die Pferde an und wartete auf die Befehle des Reisenden.

Vampa steckte den Kopf zum Wagenfenster hinaus und sagte: »Die Straße nach Aquapendente!«

Nach diesen Worten setzte der Wagen sich wieder in Bewegung, aber mit der doppelten Schnelligkeit wie bisher.

Und jetzt wollen wir uns anderwärts hinbegeben.

Während Luigi Vampa der kleinen Festung zufuhr, folgte der Baron Danglars einem Bedienten, der einen Leuchter mit brennender Kerze trug, und besichtigte so seine neue Besitzung vom Erdgeschoß bis zum Boden. Er hatte das ganze Gebäude vollständig säubern lassen, um mit allem Anstand am nächsten Tage Fräulein Eugenie und ihre Freundin d'Armilly zu empfangen. Er kontrollierte daher sorgfältig die Arbeit seiner beiden Diener, indem er von Zeit zu Zeit seine geringe Zufriedenheit aussprach.

Endlich sagte er, indem er in den Saal mit den Tapisserien trat und sich mit vornehmer Nachlässigkeit in einen gewaltigen Armsessel von geschnitzter Vergoldung und mit einem violetten Samtüberzug warf, ein Stück, welches durch seinen Geschmack und seinen Zustand verriet, daß es einer weit zurückliegenden Zeit angehörte. »Ich muß Euch sagen, daß meine Befehle zwar vollzogen worden sind, aber auf eine sehr ungenügende Weise.«

»Wir haben getan, was wir vermochten, Exzellenz,« erwiderte der Bediente. »Aber so geräumig diese Säle auch sein mögen, müssen sie doch beständig staubig erscheinen, weil diese Möbel ziemlich verfallen aussehen und die Mauern mit Albernheiten behangen sind. Wäre das alles ebenso verändert worden wie die Vorhänge der Fenster, so sollten Sie sehen, wie diese Zimmer funkelten.«

»Sie sind ein Unwissender, ein Dummkopf, ohne alle Kenntnis!« rief der Baron, »sonst würden Sie mehr Gewicht auf diese altertümlichen Möbel legen, welche die einzigen Ueberbleibsel von dem Glanze irgend einer berühmten Familie Roms sind. Was die Mauern betrifft, Dummkopf, so müssen Sie wissen, daß sie ein herrliches Bild der ganzen Mythologie bieten. Wissen Sie, was Mythologie ist? Nein! Nun so erfahren Sie denn, daß die Mythologie eine große Sache ist!«

»O, ohne Zweifel besitzen Eure Exzellenz tiefe Kenntnisse,« erwiderte der Diener. »Ich wundere mich deshalb auch nicht, daß Sie diesen Ueberbleibseln des Altertums so hohen Wert beilegen.«

»Man würde sich gewiß nicht große Mühe zu geben brauchen, um zu beweisen, daß sie vielleicht bis zu der Zeit Alexanders VI. zurückgehen. Daraus können Sie aber sehen, daß diese Möbel, diese Stühle, auf denen vielleicht ehedem ein – Spada z. B. – saß, ein Abkömmling jener fürstlichen Familie, deren Reichtum lange Zeit in Rom sprichwörtlich war – daß diese Stühle, sage ich, nicht zu verachten sind. – Ihre Vergoldungen sind geschwärzt? – Der Samt ist verblichen? – Das alles vermehrt ihren Wert. Nun gut also; ich habe Sie nur noch zu fragen, ob Sie das befolgt haben, was ich Ihnen in Beziehung auf eine alte Frau sagte, die imstande ist, meiner Tochter während einiger Tage, die sie hier zubringen wird, als Kammerfrau zu dienen?«

»Sie ist bereits eingetroffen, Exzellenz. Es ist eine redliche Frau aus der benachbarten Stadt, und ich stehe für sie, wie für mich selbst.«

»Gut; wenigstens haben Sie nicht den Fehler, vergeßlich zu sein.«

»Ich tue alles, was ich vermag, um Ihre Zufriedenheit zu erlangen.«

»Leuchten Sie mir: das Essen muß auf dem Tisch stehen.«

»Ich wollte Sie eben davon benachrichtigen.«

»Gehen Sie voraus!«

Der Baron, dem der Bediente vorleuchtete, verließ das Gemach, ging über einen kleinen Gang und trat in das Speisezimmer, wo ein anderer Diener seiner am Buffet wartete.

Das Abendessen stand auf dem Tische.

Der Baron nahm dem einzigen Kuvert gegenüber Platz und ließ einen Blick der Befriedigung, begleitet von einem Seufzer, umherschweifen.

»Nun, Danglars!« sagte er zu sich selbst, »Du bist allein; aber Du befindest Dich wohl, und binnen hier und kurzer Zeit wirst Du Deine Lage noch verbessern können! Ganz gewiß gibt es in dieser Welt ein unbestimmtes Etwas, dessen Einfluß mich beschützt und das mir große Dienste geleistet hat. Ich glaubte einen Augenblick, dieses gewisse Etwas sei meine Frau, welche mich für die bösen Augenblicke, die sie mir bereitet hat, entschädigen wollte; jetzt ist aber dieser Glaube verschwunden – und ich fange an, zu vermuten, daß –«

Der gellende Schall der Glocke am Eingangstore des Gartens unterbrach plötzlich das Selbstgespräch des Barons Danglars. Die Bedienten machten eine Bewegung, aber sie blieben stehen, indem sie unentschlossen auf den berühmten, sich von den Geschäften zurückgezogen habenden Bankier blickten.

Ehe er die Zeit gehabt hatte, den Mund zu öffnen, wurde das Signal mit einer solchen Heftigkeit wiederholt, daß alle drei glaubten, die Glocke müßte an den Eisenstäben des Gitters zerschellt sein.

»Was ist das?« rief der Baron, indem er aufstand und sich dann mit einer heftigen Bewegung wieder niedersetzte.

»Man klingelt –«

»Man klingelt,« wiederholte der Baron, »aber man klingelt auf eine solche Weise, daß man die Schatten des Lethe in die Flucht jagen könnte. Nun, die Klingel ist nicht zerbrochen, denn da ertönt sie zum dritten Male mit ebenso wenig Umständen. Lauft doch schnell, Ihr Dummköpfe!« fuhr der Baron fort, als wäre er von einem plötzlichen Gedanken ergriffen. »Ich sehe wohl ein, daß ich Euch morgen werde fortjagen müssen, um das Haus rein zu bekommen. Man klingelt und da steht Ihr ganz verdutzt und regungslos, wie Termen! Es ist ohne Zweifel Fräulein Danglars, meine Tochter, welche die schöne Nacht benutzte, um morgen schon in meinem Hause zu erwachen. Ja, sie wird es sein. Nun, das ist wahrlich eine angenehme Ueberraschung. Rasch! Zwei Kuverts mehr auf den Tisch; zündet alle Kerzen auf diesen Leuchtern an; setzt Armsessel heran; oh, ich werde ihr zeigen, daß das Herz eines Vaters stets zu Gunsten einer einzigen Tochter eingenommen ist!«

Der Baron ging mit großen Schritten und in einer heftigen Aufregung im Zimmer auf und ab und wachte über die Befolgung seiner Befehle durch den Diener.

Inzwischen hörte er das Gartentor kreischen und den Wagen hereinfahren, der an der Treppe halten blieb, welche zu dem Saale mit den Tapisserien führte. Danglars tat einige Schritte nach jener Richtung, aber er begegnete dabei dem Diener, der zurückkehrte.

»Nun?« fragte er.

»Exzellenz,« erwiderte der Bediente, »es ist ein Kavalier, der mir die Versicherung gegeben hat, einer Ihrer vertrauten Freunde zu sein und der mir, sobald ich die Tür geöffnet hatte, befahl, den Wagen augenblicklich in den Garten hineinfahren zu lassen.«

»Ein Kavalier!« sagte der Baron. »Ich hoffe, er wird Ihnen wenigstens seinen Namen gesagt haben.«

»Nein, Exzellenz!«

»Elender! Sie werden doch stets nichts bleiben, als ein Bauerntölpel! – Das ist wirklich unverzeihlich! – Wie – ein Kavalier, der sich einer meiner vertrauten Freunde nennt – und kein Name! Schnell! Man bringe mir einen bessern Schlafrock als diesen – rasch! rasch! Man lasse ihn heraufkommen – man zünde die Kerzen an! Einfältige Tiere, Dummköpfe, ich werde Euch zeigen, was der Dienst ist!«

Indem Herr von Danglars sich so aussprach, hatte er schon einen Aermel seines Schlafrockes ausgezogen und stand im Begriff, auch den andern auszuziehen, als der erwähnte Kavalier, der ihn zu besuchen kam, plötzlich in der Tür des Speisezimmers erschien, indem er mit sehr ironischem Tone sagte: »Sachte, sachte, Herr Baron: die Kutte macht nicht den Mönch.«

»Ha!« rief der Baron, indem er einen Schritt zurückwich und plötzlich die Farbe wechselte, den einen Arm bloß, den andern noch immer in dem Aermel des Schlafrockes steckend, den er mit einem glänzenderen hatte vertauschen wollen.

Der Angekommene lächelte, trat mit festem Schritte näher und setzte sich vor einem der Kuverts an den Tisch. Der Baron konnte sich kaum auf den Füßen halten; seine Beine bebten und er wich zurück, um an der Mauer eine Stütze zu suchen.

»Herr von Danglars,« sagte der Kavalier, »fassen Sie doch einen Entschluß, das heißt, ziehen Sie doch den Schlafrock wieder an, den Sie vergessen zu haben scheinen. Sie haben gewiß Ihren Bedienten einige Befehle zu geben, und ich hoffe, Sie werden damit nicht zögern, denn sonst hätten wir die Unannehmlichkeit, ein ganz kaltes Abendessen verzehren zu müssen.«

»Es ist wahr – wir würden diese Unannehmlichkeit haben,« stotterte der Baron mit erstickter Stimme.

»Herr Baron, geben Sie also entsprechende Befehle. – Wahrlich, man sollte glauben, Sie wären von einer Verstandeslähmung betroffen worden.«

»Sie haben recht, mein Herr – Sie glauben also, daß ich einige Befehle zu geben habe? – Ich weiß nicht recht –«

»Nun gut, ich will mich erklären. Haben Sie die Güte, meinen Wagen unterbringen zu lassen; an den Garten stößt ein kleiner Stall – ich möchte nicht, daß sich meine Pferde erkälteten.«

»Also – Sie kennen – wie es scheint, ganz genau dieses Haus? Nicht wahr?« fragte der Baron, indem er das Auge weit aufgerissen auf das Gesicht seines Gastes richtete.

»Sie haben recht, Herr Baron; aber Sie verlieren ganz nutzlos eine kostbare Zeit. Das Abendessen wird kalt und wenn Sie keine Befehle erteilen wollen, so werde ich selbst gehen –«

»Man bringe den Wagen und die Pferde des –«

»So, endlich! – Aber das genügt nicht! Hören Sie,« fuhr der Kavalier fort, indem er sich an den Bedienten wendete, der eben hinausgehen wollte, »der Kutscher möge mit Ihnen zu Abend essen; dann geben Sie ihm eine Laterne, und einen Mantel, um sich damit zu bedecken, während er schläft. Gehen Sie!«

Darauf sich an den andern Bedienten wendend, sagte er:

»Sie können sich entfernen; der Herr Baron erlaubt es Ihnen.«

Der Bediente, welcher sah, daß der Baron diesem Befehle nicht widersprach, verbeugte sich und ging.

Die beiden Männer blieben allein.

»Ich bin überzeugt, mein Herr,« sagte Danglars mit einer gewaltigen Anstrengung, »daß wir uns einander nicht verstehen; Sie schweben ohne Zweifel im Irrtum?«

»Vielleicht! Aber worin?«

»In allem, wie mir scheint.«

»Nun, dann bin ich es, der Sie nicht versteht, mein Lieber. Indes lassen Sie uns essen, denn ich habe dieses unerläßliche Geschäft heute noch nicht vollbracht.«

Der Baron hätte sich sehr gern davon freigemacht, zu Abend zu essen, ohne darüber das geringste Bedauern zu empfinden. Er mußte indes zum bösen Spiele gute Miene machen, näherte sich daher, indem er sich an der Wand forttastete und setzte sich an den Tisch, zwischen sich und seinem improvisierten Gaste ein Kuvert und einen Platz freilassend.

»Wie ich sehe, rechneten Sie nicht bloß auf mich? Haben Sie zufällig etwa geglaubt, ich käme in Gesellschaft?«

»Die Wahrheit zu sagen, erwartete ich weder die eine noch die andere dieser beiden Hypothesen, was so viel sagen will, daß ich daran dachte, diesen Abend ohne Gesellschaft zu speisen.«

»Nun sehen Sie einmal an! Ich habe das Gegenteil beschlossen. Ich liebe es sehr, während der Nacht zu reisen.«

»Und diese ist in der Tat sehr schön! Es ist ein wenig heiß – finden Sie nicht auch?« fragte der Baron, indem er sich die Stirn und das Gesicht mit seinem Taschentuche trocknete.

»Ei, Baron, was machen Sie denn? Sie haben Ihr Taschentuch auf den Teller gelegt, statt es in die Tasche zu stecken!«

Der Baron errötete und beeilte sich, seine Zerstreutheit wieder gut zu machen.

»Es ist lange her, seitdem wir uns nicht sahen, Herr von Danglars; seit jenem Abende, an welchem ich das Vergnügen hatte, Sie in meinem kleinen Palaste gastfreundlich aufzunehmen!«

»Ein schöner Palast, bei meiner Seele!« murmelte der Baron. »Diese verfluchten römischen Banditen haben die Sucht, die Löcher, in denen sie sich Verstecken, Paläste zu nennen!«

»Sie haben freilich dort einen kleinen Streich erfahren, den Ihnen der Graf von Monte Christo gespielt hat. Aber Sie müssen dennoch gestehen, daß ich Ihnen ein gutes Abendessen vorsetzen ließ, Herr Baron. Allein was nutzt es, von der Vergangenheit zu sprechen, da sie sich jetzt nicht mehr ändern läßt.«

»Die Zukunft gehört uns nicht an – beschäftigen wir uns daher mit der Gegenwart, die unser ist. – Ich wünsche, daß mein Bett für diese Nacht in Ihrem Zimmer aufgeschlagen wird.«

»Der Baron fühlte, wie sich die Haare auf seinem Kopfe sträubten, und Todeskälte rieselte ihm den Rücken entlang.

»Ihr Bett!« rief er, »Ihr Bett?«

»Was bedeutet denn dieses Erstaunen, mein Lieber? ist es in Ihrem Hause etwa nicht Gewohnheit, des Nachts zu schlafen?«

»Verzeihung, mein Herr, aber was nicht Gewohnheit ist – das ist –«

»Das ist –?«

»Alles, was von den üblichen Gebräuchen abweicht,« erwiderte endlich der Baron, indem er mit gänzlicher Entmutigung sein Messer und seine Gabel auf den Teller sinken ließ.

»Einverstanden,« sagte Vampa; »indessen mußten Sie doch erwarten, daß ich die Nacht in Ihrem Hause zubringen würde, Herr Baron.«

»Ich? –Durchaus nicht!« erwiderte er mit einem erzwungenen Lächeln.

»Nun, mein lieber Herr von Danglars, ich verstehe Sie vollkommen!«

»Sie?«

»Auf Ehre!« fuhr Vampa fort, »ich verstehe Sie und ich werde alle Ihre Zweifel verbannen. Es würde jetzt nicht übel sein, wenn wir uns zur Ruhe begäben – was meinen Sie dazu? Ich bedarf recht sehr des Schlafes.«

»Ach, ermorden Sie mich auf der Stelle!« rief Danglars, indem er zitternd aufsprang: »töten Sie mich – aber seien Sie überzeugt, daß Sie in meinem Hause nicht wieder eine Summe finden werden wie die, welche Sie mir in Ihrer Höhle raubten.«

»Sie töten, Herr Baron?« entgegnete Vampa, indem er nun auch aufstand, »Sie töten? Mein Gott, weshalb sollte ich das? Aber was bedeutet denn das alles? Sie sind wahnsinnig, glaube ich. Vergessen Sie denn schon, was man Ihnen gesagt hat?«

»Was denn? Welcher neue Gedanke fährt Ihnen denn durch den Kopf?«

»Sie haben wahrhaftig ein sehr kurzes Gedächtnis, Herr Baron. Es scheint, man muß bei Ihnen den Punkt auf das i setzen. Nun meinethalben denn eine nähere Erklärung: ich willige ein, denn ich bin heute ein guter Mensch. Es ist gestern ein Mann hier gewesen, Ihr Landsmann, Namens Benedetto. Dieser Mann hat nach einer Unterredung von einigen Augenblicken die Ehre gehabt, Ihnen etwas von großem Werte zu übergeben, ich weiß nicht, ob es Papier oder bares Geld war, vielleicht eins und das andere.«

»Und was weiter?« fragte der Baron, indem er die Farbe mehrmals wechselte.

»Was weiter? Zum Teufel, Sie sind sehr vergeßlich, Herr von Danglars. Der Mann, von dem ich spreche, dieser liebenswürdige Herr Benedetto hat Ihnen von mir gesagt, und hier bin ich.«

»Aber,« sagte der Baron, »was ist denn endlich zwischen Ihnen und Benedetto gemein?«

»Die Frage ist wirklich lustig,« erwiderte Vampa kalt.

Der Baron riß die Augen groß auf, und als der Bandit sah, daß er stumm blieb, fuhr er fort: »Für den Augenblick nichts!«

»Nun, was verlangen denn Sie von mir?«

»Die Erfüllung dessen, worin Sie mit ihm übereingekommen sind.«

»Ich bin also übereingekommen, etwas zu tun?«

»Ha, wahrhaftig, das ist zu stark! Kommen wir zu Ende, Herr Baron,« sagte Vampa, der ungeduldig zu werden anfing.

»Kommen wir zu Ende, mein Herr,« entgegnete Danglars seinerseits: »ich für meinen Teil verlange nichts sehnlicher!«

»Sie finden das Geld, welches Sie empfangen haben, gering, und Sie dachten ohne Zweifel, daß mein Besuch Ihnen mehr bringen könnte. Ich kümmere mich nicht um eine solche Kleinigkeit, denn ich war nie gleich Ihnen Bankier! Hier ist meine Börse, Herr von Danglars, nehmen Sie sie – aber seien Sie verschwiegen!«

Bei diesen Worten warf Vampa seine Börse auf den Tisch, dem Baron gerade gegenüber, dessen Verlegenheit dadurch nur noch zunahm.

»O,« fuhr der Bandit fort, da er sah, daß der Baron zögerte, »ich gebe Ihnen die Versicherung, sie enthält beinahe das Doppelte dessen, was Sie bereits empfingen. Es ist die Börse eines römischen Banditen,« fügte er mit wildem Stolze hinzu, indem er schnell die Börse öffnete und das Gold vor den Augen Danglars funkeln ließ.

»Nun! Sind wir jetzt einig?«

»Was verlangen Sie denn von mir, Herr Vampa?«

»Etwas sehr Einfaches: Gastfreundschaft für heute und morgen.«

Der Baron erbebte. Aber schon waren seine Hände in Berührung mit dem Golde des Banditen, und der Einfluß dieses Metalles beruhigte vollkommen den aufgeregten Geist des edlen Danglars.

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich das Geringste von der ganzen Sache verstehe,« dachte der Baron, indem er das Geld nahm. »Gleichviel, aber ich muß tun, als ob ich diesen Abend in der Komödie wäre und hätte nur den zweiten Akt mit angesehen. Ich falle mitten in die Intrige hinein und weiß folglich gar nichts von dem Anfang der Geschichte.«

»Ich stehe Ihnen zu Befehl, Herr Vampa,« fügte er dann mit lauter Stimme hinzu, indem er diese Worte mit einem so liebenswürdigen Lächeln wie möglich begleitete.

»Ich erwarte die Ihrigen, Herr Baron,« entgegnete Luigi Vampa.

»Ich werde das Vergnügen haben, Ihnen mein Bett zu bieten und mich mit einem alten Sofa begnügen, das in meinem Zimmer steht, und auf dem ich gewöhnlich während des Tages zu ruhen pflege.«

»O, Sie würden aber da schlecht liegen.«

»Nicht im geringsten, mein lieber Herr! ich werde mich erst später schlafen legen – ich habe noch einige Briefe nach Frankreich zu schreiben.«

»Wie es Ihnen beliebt.«

Der Baron rief die Diener, befahl das Schlafzimmer zu beleuchten und das Bett in stand zu setzen. Einige Augenblicke darauf verließen Vampa und er das Speisezimmer, um sich an den bezeichneten Ort zu begeben.

Vampa entkleidete sich nicht; er hüllte sich in die Betttücher und blieb wach, alle Bewegungen des Barons erspähend, der vor einer Art von Schreibtisch saß, in verschiedenen Papieren kramte und sehr beschäftigt mit einem Briefe zu sein schien, den er schrieb.

Als er zu schreiben aufgehört hatte, legte er sich in seinen Armsessel und schien nachzudenken.

»Dieser Besuch des Freundes Vampa verdirbt mir das ganze Vergnügen, das ich morgen zu genießen gedachte. Indes – viertausend Piaster sind wohl ein Opfer wert – und Eugenie, welche ich durch diesen Brief benachrichtigte, daß eine kleine Geschäftsangelegenheit mich von hier fortgerufen habe, wird ihren Besuch auf einen andern Tag verschieben.«

Vampa, der seine Gedanken zu erraten schien, machte eine Bewegung; der Baron erbebte. Da er aber sah, daß sein Gast ruhig auf dem Bett ausgestreckt liegen blieb, fuhr er in seinen stummen Betrachtungen fort.

»O, ich glaube, jetzt den ersten Akt der Komödie zu kennen. Die römischen Behörden, welche es müde waren, die Kraftäußerungen des Herrn Vampa zu dulden, sind ihm auf der Fährte und der berüchtigte Bandit hat sich gezwungen gesehen, eine Zufluchtsstätte aufzusuchen. – Das ist es ohne Zweifel, was mir seinen Besuch verschafft, – er ist gekommen, um in meinem Hause von mir ein Asyl zu verlangen! – Nun, ich habe mir diese Gastfreundschaft nicht allzuteuer bezahlen lassen – ein furchtbarer Bandit – ein Bandit, auf dessen Kopf ein bedeutender Preis gesetzt ist. – Wahrlich, Danglars, das Glück beschützt Dich.«

*


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