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XI. Ein unerwarteter Besuch.

Als Frau von Danglars Paris verließ, geschah es mit der entschiedenen Absicht, Frankreich zu meiden: denn für eine Frau, welche seit ihrer Kindheit an die Vergnügungen, den Luxus und die Eleganz einer Hauptstadt gewöhnt war, konnte die Provinz keine Anziehungskraft üben, noch irgend ein Sympathie erwecken, ausgenommen etwa während der kurzen Zeit der Sommerfrische. Frau von Danglars konnte für sich selbst die Möglichkeit nicht zugeben, eine untätige Existenz in einer Stadt zweiten Ranges hinzuschleppen. Nachdem sie sich nach Lyon begeben hatte, blieb sie daher auch nur so lange dort, als unbedingt nötig war, um durch Debray ihr prachtvolles Hotel in Paris verkaufen zu lassen, und auf die ihm zu diesem Zwecke überschickte Vollmacht den Preis von ihm zu empfangen. Dieses Geld wurde zu den Reisekosten bestimmt. Als alle Formalitäten erfüllt waren, beeilte sie sich, Frankreich zu verlassen und nach Italien zu reisen.

Endlich erschien die prachtvolle Kuppel der St. Peterskirche, voll Majestät sich an dem blauen Himmel Italiens abzeichnend, den bezauberten Blicken der Frau von Danglars, deren Herz sich voll Entzücken erweiterte, als sollte sie dort eine neue Existenz finden.

Am nächsten Tage hatte Frau von Danglars sich in dem Hotel des Maestro Pastrini auf eine ganz eigentümliche Weise eingerichtet, so daß sie das Doppelte der gewöhnlichen Gäste bezahlen mußte. Diese Einrichtung sagte ihr indes vollkommen zu, solange sie nicht mit Gewißheit wußte, ob ihre Tochter und ihr Mann nicht zufällig ebenfalls in dieser Stadt wären, und welche Rollen sie hier spielten. Ihr Paß war der eines jungen Mannes aus der Familie von Servières, der kränklich war und zu seiner Zerstreuung reiste. Unter diesem Namen war sie in dem bezeichneten Hotel bekannt, welches sie nur abends verließ, um anderwärts weibliche Kleidung anzulegen und in dieser das Theater zu besuchen.

Der Zufall führt zuweilen manches Zusammentreffen herbei, welches der unerbittlichste und verschlagenste Verfolger oft nicht zu bewirken vermöchte. Schon an dem zweiten Abend, an welchem sie das Theater Argentino besuchte, erblickte sich die Baronin ihrer einzigen Tochter gegenüber, die ihr Debüt hatte. – Das war, wie wir sahen, ein Blitzstrahl für sie; sie glaubte, das würde ihr Tod sein. Von dem Augenblick an faßte sie daher auch den Entschluß, nicht mehr in dem Theater zu erscheinen, in welchem ihr Stolz auf so empfindliche Weise verletzt worden war, und sie verließ ihr Zimmer nicht mehr. Sich den krampfhaften Regungen einer ohnmächtigen Wut überlassend, rief sie hier alle Hilfsquellen ihrer fruchtbaren Einbildungskraft auf, um ein Mittel ausfindig zu machen, Eugenie der von derselben gewählten Laufbahn zu entreißen.

Dieses Mittel flößte ihr Dünkel ihr endlich ein.

»Ich werde sie aufsuchen,« sagte sie; »ich werde zu ihr sprechen, und niedergeschmettert unter dem Gewicht der Schande, wird sie mir zu Füßen sinken, um meine Verzeihung zu erflehen.«

Die stolze, große Dame täuschte sich. – Indes an dem Tage, welcher die Vorstellung Semiramis folgte oder vielmehr dem Triumphe der beiden jungen Damen d'Armilly, begab sich die Baronin Danglars zu einem alten Weibe, in deren Hause sie für eine geringe Summe ein Zimmer gemietet hatte. Hier bewirkte sie ihre Metamorphose aus einem kranken Jüngling in eine kräftige und schöne Frau, hüllte sich dann in einen Schal und stieg in einen eleganten Wagen.

»Zu den Damen d'Armilly!« befahl sie dem Kutscher mit ihrem geringschätzigsten Tone.

Der Wagen fuhr im Galopp davon.

Die beiden Freundinnen hatten soeben das reiche Geschenk des Impressario empfangen und, einander voll Liebe mit den Armen umschlingend, weinten sie noch voll Glück und Enthusiasmus, als sie die Equipage vor ihrer Tür halten hörten, worauf auch sogleich die Glocke heftig gezogen und ein Besuch angemeldet wurde.

»Wenn ich mich nicht täusche,« rief Luise aus, »so macht das die Zahl vierundzwanzig voll. Wahrlich, das wird nachgerade lästig; scheint es Dir nicht auch, meine Liebe? Vierundzwanzig Equipagen an einem einzigen Tage vor derselben Tür! Sollte man nicht glauben, es wäre hier die Wohnung eines Staatsministers, eines vornehmen Diplomaten oder eines Grafen von Monte Christo? Indes wissen alle recht gut, daß Du, Du nur allein es bist, meine sanfte, zärtliche Freundin, welche diese Masse herbeizieht.«

Indem Luise so sprach, bedeckte sie ihre geliebte Eugenie mit Küssen.

»O,« rief sie, »der Arsaces von gestern wird so bald nicht aus dem Andenken der Römer verschwinden, denn sie sind vollendete Kenner. Mehr als irgend jemand sonst haben sie Deine vortreffliche Methode und Dein verständiges Spiel sowie den Adel und den Ausdruck Deiner Bewegungen zu beurteilen vermocht.«

»Halt, Eugenie! – Bildest Du Dir etwa ein, ich hätte mehr Eindruck gemacht als Du?«

»Nein, das nicht; aber ich bin fest überzeugt, daß ich ohne Dich die so schwierige Rolle der Semiramis nicht mit derselben Wahrheit dargestellt haben würde.«

»Ach Eugenie, Du machst Dir von mir eine Vorstellung, die alle Grenzen überschreitet. Deine blinde, oder wenn Du lieber willst, Deine törichte Großmut läßt Dich Dein eigenes Verdienst vergessen. Dort sind Deine Kränze; sie sind weder reicher noch zahlreicher als die meinigen, das ist wahr, aber was will das sagen? Was anders, als daß Dein Verdienst dem meinigen gleich ist, als daß das italienische Volk keinen Unterschied zwischen uns macht, daß es in seiner Unparteilichkeit unser Talent in gleicher Wagschale wiegt und uns den gleichen Lohn zuerkennt.«

Eugenie antwortete nichts, aber sie schlang die Arme mit dem Ausdruck der Achtung und der Liebe um den Hals ihrer ehemaligen Lehrerin, ihrer Freundin, ihrer Gefährtin.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine Frau von mittlerem Alter, welche das Hauswesen der Damen d'Armilly leitete, trat ein.

Kaum hatte die Haushälterin den Fuß in den Salon gesetzt, in welchem Luise und Eugenie sich befanden, als die letztere, ohne ihr Zeit zu lassen, das Wort zu nehmen, mit dem Ausdrucke der Ungeduld und einem gewissen Anfluge des Zornes rief:

»Was gibt es denn, Aspasia? Ich dächte, ich hätte Ihnen empfohlen, uns niemals zu unterbrechen, wenn wir studieren wollen!«

»Entschuldigen Sie mich,« entgegnete Aspasia, »aber wenn ich Sie unterbreche, so ist das nicht meine Schuld. Ich weiß wohl, daß Sie um diese Stunde nicht gestört sein wollen, doch es ist da unten eine französische Dame, welche ungeachtet aller meiner Versicherungen, daß es unmöglich sei, von Ihnen angenommen zu werden, darauf besteht, mit Ihnen zu sprechen.«

»Sie besteht darauf!« wiederholte Eugenie, sehr verwundert über die Zudringlichkeit der unbekannten französischen Dame. »Nun gut, aber ich will nicht!«

»Verzeih, Eugenie,« sagte Luise. Dann sich zu Aspasia wendend, fuhr sie fort:

»Sie sagten, daß es eine französische Dame sei?«

»Ja, Fräulein.«

»Ei,« sagte Eugenie, »bildet sie sich etwa ein, diese Eigenschaft diene ihr als Paß, um zu Leuten einzudringen, die sie nicht sehen wollen, so irrt sie sich. Sie möge ihre Karte schicken, wenn sie durchaus will; das genügt. Aspasia, gehen Sie, und kommen Sie nicht wieder. Gibt sie Ihnen eine Karte, so fügen Sie dieselbe denen hinzu, welche Ihnen heute schon übergeben worden sind, und legen Sie alle auf meine Toilette. – Gehen Sie!«

Eugenie sprach diesen letzteren Befehl mit einem Tone aus, welcher keine Widerrede gestattete. Die gute Aspasia wußte daher auch nichts Besseres zu tun, als unmittelbar ihren Rückzug anzutreten. Die beiden Freundinnen gingen zum Piano und begannen nach einem kurzen Vorspiel ihr berühmtes Duett aus der Semiramis zu singen. Kaum aber waren die ersten Noten von ihren Lippen gekommen, als sie zu ihrer großen Ueberraschung von neuem die Tür sich öffnen und ihre Haushälterin eintreten sahen.

»O,« rief Eugenie ungeduldig aus, »auf diese Weise wird es unmöglich sein, zu studieren! Meine liebe Frau Aspasia, sollte man nicht meinen, ein böser Geist hätte Sie angehaucht, daß Sie das Gedächtnis vollkommen verloren haben? Vergaßen Sie etwa bereits den Befehl, den ich Ihnen vor einem Augenblick gab?«

»Ich bitte tausendmal um Verzeihung, mein Fräulein,« antwortete Aspasia, »aber die Dame, von der ich sprach, verlangte durchaus, daß ich Ihnen ihre Karte überbringen sollte.«

»Ei, das wird ja immer besser,« rief Eugenie. »Vor nicht einer halben Stunde sagte diese Dame, sie bestehe darauf, und jetzt sagt sie, daß sie durchaus verlangt. Ohne Zweifel wird sie bald mit Gewalt hier einzudringen versuchen. Ich finde die Sache ziemlich komisch!«

»Zeigen Sie uns die Karte, Aspasia,« sagte Luise, indem sie die Hand ausstreckte.

Aspasia trat einen Schritt vor und übergab eine elegante Karte, auf welcher in goldenen Buchstaben ein aristokratischer Damenname zu lesen war.

»Wäre es möglich?« murmelte Luise, indem sie schnell die Karte Eugenie unter die Augen hielt.

»Die Baronin Danglars,« sagte diese kalt. »Sie möge eintreten,« fügte sie hinzu, und zwar mit dem Tone der größten Gleichgültigkeit, indem sie der Haushälterin, welche forteilte, mit der Hand ein Zeichen gab.

»Du wirst blaß?« sagte sie zu Luise. »Beruhige Dich, meine Liebe. Ich bin stark und fürchte keineswegs die Vorwürfe noch die Heftigkeit meiner Mutter. Unabhängig und frei, werde ich niemals einwilligen, die Kette, die ich zerriß, mir wieder anlegen zu lassen.«

Während sie so sprach, liefen ihre Finger, wie von einer krampfhaften Regung getrieben, über die Tasten ihres Instrumentes, denen sie schnelle und gellende Töne entlockte, durch welche sie die Seufzer zu ersticken versuchte, die gegen ihren Willen ihrer Brust sich entrangen. Luise saß mit niederhängendem Kopfe da, träumerisch und nachdenklich, den Blick fest auf die verhängnisvolle Karte geheftet, die so mitten in dem Taumel des Triumphes den Frieden ihrer Seele störte. Ihr Herz klopfte mit dem ihrer Freundin um die Wette, und ein Seufzer, der einem Schluchzen glich, mischte sich von Zeit zu Zeit in die betäubenden Akkorde des Piano.

Die Baronin Danglars trat ein. Sie war einfach in ein schwarzes Samtkleid gehüllt; eine mit Spitzen besetzte Pelerine bedeckte ihre Schultern.

Von Natur war sie blaß, aber in diesem Augenblicke schwebte ein leichtes Rot auf ihren Wangen und ihren Lippen, welche verächtlich zusammengezogen waren, so das bittere Gefühl verkündend, welches ihr Herz erfüllte.

Eugenie ging ihr langsam entgegen und verneigte sich ehrerbietig vor ihr, als wollte sie ihr die Hand küssen; aber Frau von Danglars blieb regungslos stehen, und Eugenie errötete bis in das Weiße der Augen.

»Um Sie in Rom zu treffen, mein Fräulein,« sagte endlich die Baronin, »mußte ich Ihnen den Namen Eugenie d'Armilly geben. Ich habe also in diesem Augenblick Eugenie d'Armilly vor mir und Fräulein Eugenie d'Armilly wird durch keine Pflicht dazu genötigt, das von Ihnen beabsichtigte Zeichen der Achtung zu gewähren.«

Indem Frau von Danglars sich so ausdrückte, schoß sie einen Seitenblick auf die Freundin ihrer Tochter, welche alles, was diese Worte für sie Verletzendes hatten, vollkommen verstanden zu haben schien und zitternd einem Opfer glich, das seinem Henker gegenübersteht. Als wollte sie dann das Schauspiel dadurch beginnen, daß sie ihrer Tochter eine Lehre gab, blickte die Baronin rings umher, wie jemand, der nach einem Stuhle sucht.

»O, setzen Sie sich, gnädige Frau,« sagte lebhaft Eugenie, aber nicht rasch genug, um nicht der Baronin Zeit zu der Aeußerung zu lassen: »Ich weiß nicht, ob man bei den Künstlerinnen eben die Gewohnheiten hat wie sonst überall; aber ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich durchaus nicht daran gewöhnt bin, stehend zu sprechen.«

Bei diesen Worten, welche mit einem Tone ausgesprochen wurden, der hinlänglich bewies, daß die beiden Mädchen Gegenstände der größten Verachtung waren, wurde Eugenie leichenblaß und Luise dunkelrot.

»Gnädige Frau,« entgegnete Eugenie, welcher die Geduld beinahe ausging, und die eine gewaltige Anstrengung machte, um ihren Worten einen festen Klang zu geben, »es herrschen bei den Künstlerinnen dieselben Gewohnheiten wie sonst überall und ganz besonders in Italien, wo, wie Sie wohl wissen werden, die Aristokratie der Kunst beinahe auf gleicher Stufe mit der Aristokratie der Geburt steht.«

»Ei,« erwiderte die stolze Baronin mit einem gewaltig ironischen Lächeln, »ich bin vollkommen überzeugt, daß sie nicht nur auf gleicher Stufe steht, wie Sie sagten, sondern daß sie dieselbe sogar noch weit übertrifft. Ohne alle Widerrede hätte Ihre Aristokratie der Geburt Ihnen nicht eine so große, eine so allgemeine, eine so öffentliche Sympathie gewonnen. – Indessen weiß Gott allein, wie das alles gekommen ist! – O, oft, sehr oft, üben böse Ratschläge auf unerfahrene Personen einen solchen Einfluß aus, daß sie dadurch zu den ausschweifendsten Torheiten verlockt werden.«

Die Baronin schleuderte aufs neue einen Seitenblick auf Luise, als wollte sie die Wirkung ihrer Worte beobachten.

Eugenie zitterte vor Zorn und gekränktem Stolz; sie wollte etwas antworten, aber die Stimme ihrer Mutter schnitt ihr das Wort ab.

»Eugenie,« sagte sie, »wahrscheinlich hatten Sie die Absicht, mich nach dem Zweck meines Besuches zu fragen? Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß er nicht schwer zu erraten ist. Wenn wir durch unsere Geburt einer jener Klassen der höheren Gesellschaft angehören, vor der die Menge sich neigt, können wir allen unseren Launen nicht mit derselben Leichtigkeit und derselben Sorglosigkeit folgen, wie jene Kinder niederer Familien welche in dieser Welt nichts zu verlieren und alles zu gewinnen haben. Das ist so wahr, Eugenie, daß Sie, indem Sie die künstlerische Laufbahn wählten, es für notwendig hielten, Ihren Familiennamen unter einem anderen zu verbergen, der weniger Rücksichten erfordert. Du warst nicht stark genug, meine Tochter,« fuhr sie in einem beinahe herzlichen Tone fort, »den alten Menschen ganz abzulegen; in den Augen derer aber, welche Dich kannten, bist Du dieselbe geblieben: Eugenie von Servières und Danglars. Diese Namen aber können durchaus nicht einer Sängerin angehören, wie erhaben auch der Rang sein mag, den sie auf der Bühne einnimmt: besonders wenn ich, Deine Mutter, das Recht zu haben glaube, zu verlangen –«

»Verlangen, gnädige Frau?« fragte Eugenie mit unterwürfiger und zitternder Stimme und den Blick demütig zu Boden richtend.

»Was soll das heißen, Eugenie?«

»Ich verstehe Sie nicht, meine Mutter.«

»O, das ist doch in der Tat sehr leicht. – Wenn ich den Ausdruck verlangen gebrauche, so wollte ich damit sagen: durch meine Ratschläge die törichte Verirrung meiner Tochter zu durchkreuzen. Das ist meine Pflicht, Eugenie, und wenn Du vergessen hast, was Du mir schuldig bist, so ist mir in Beziehung auf Dich nicht dasselbe begegnet.«

»Meine Mutter,« flüsterte Eugenie, unter deren Augenlidern zwei große Tränen zitterten, »Sie sind gut und großmütig, deshalb habe ich stets auf Ihre Nachsicht gehofft. Glauben Sie indes nicht, daß ich jemals die edle Laufbahn aufgeben werde, die ich frei und mit vollem Bewußtsein ergriff, und, wie ich Ihnen versichern kann, ohne alle Nebengedanken gegen die glänzende Erbärmlichkeit der Etikette und die abgeschmackte Monotonie des gewöhnlichen Lebens vertauschte. Nein, als ich meinen Fluchtplan entwarf, als ich ihn mit Mut und Entschlossenheit ausführte, indem ich tausend Widerwärtigkeiten trotzte und über viele Gefahren triumphierte, geschah es nicht mit der Absicht, eines Tages in das väterliche Haus wie ein kleines Mädchen zurückzukehren, das einen begangenen Fehler bereut. Ich ehre Sie, – ich liebe Sie sehr – aber – dies freie und glorreiche Leben ist mein ganzer Ehrgeiz.«

»Das genügt, Eugenie,« rief die Baronin, indem sie aufstand. »Ich weiß, wem ich Deine Verirrung zuzuschreiben habe, wem ich den Schmerz verdanke, den ich an jenem verwünschten Abend empfand! – Hätte ich beizeiten etwas so Fürchterliches ahnen können, so würde ich jetzt nicht die Schande erleben, die Mutter einer Komödiantin zu sein.«

»Gnädige Frau!«

»Aber ich werde es nicht lange bleiben, Eugenie,« fuhr die Baronin fort. »Du wirst mich nicht durch diesen Kummer töten wollen, nicht wahr?«

»O, meine Mutter, haben Sie Mitleid! Sie wissen nicht, was es heißt, einer Künstlerin, die ihren Beruf aus natürlichem Instinkt ergriff, zu sagen: Höre auf, Künstlerin zu sein, und kehre zu den Verhältnissen eines gewöhnlichen Weibes zurück!«

»Das ist stark!« rief die Baronin mit spöttischem Lachen. »Du machst Dir einen sehr hohen Begriff von Dir selbst, Eugenie. Und solltest Du denn nicht wissen, was es für eine Frau von vornehmer Geburt, für eine Frau der großen Welt, heißt, eine Tochter auf den schmutzigen Brettern eines Theaters zu haben? – Eine Tochter, die sie liebte, die sie in den Gefühlen eines edlen Stolzes erzogen hatte, für deren Ausbildung nichts vernachlässigt wurde! Eugenie, das geht über meine Kräfte! Dieser Gedanke tötet mich. Eine von uns beiden muß das Opfer bringen, hörst Du, Eugenie? Ich bin nicht hergekommen, um ein Debüt durch eine Szene der Sentimentalität zu haben; ich überlasse diese Grimassen den Schauspielerinnen, die nach Effekt haschen. Sie, die Komödiantinnen, können durch die häufigen Nachahmungen der Natur, durch die Gewalt, die sie sich antun müssen, Gefühle zu äußern, die ihre Rolle vorschreiben, schon nicht mehr den wahren Schmerz oder die wahre Freude würdigen, welche uns die Seele ergreifen.«

»Meine Mutter! Meine Mutter!« rief Eugenie bebend vor Zorn und indem sie mit den Zähnen in ihr elegantes Batisttaschentuch biß.

»Was soll die Heftigkeit? Hast Du mir nicht gesagt, daß Du eine Schauspielerin bist? Weshalb sollte ich nicht so zu Dir sprechen? Ich rede so zu Dir, wie zu jeder andern Deines Métiers,« erwiderte Frau von Danglars. Dann sich gegen Luise d'Armilly wendend, richtete sie das Wort unmittelbar an sie:

»Fräulein Luise d'Armilly, erlauben Sie mir, Ihnen für den unvergleichlichen Eifer zu danken, den Sie angewendet haben, um meine Tochter in der Musik zu unterrichten. Die Schülerin macht in der Tat ihrer Lehrerin Ehre, und es wäre wirklich schwer, jetzt zu unterscheiden, welche die Lehrerin und welche die Schülerin ist.«

Luise richtete einen flehenden Blick auf ihre Freundin, welche sogleich einen Schritt vortrat, um sich zwischen Luise und die Baronin zu stellen.

»Wir sind jetzt,« sagte Eugenie, »zwei vertraute Freundinnen, zwei unzertrennliche Gefährtinnen der Arbeit, des Studiums, des Ruhmes und des Glückes. Sie, meine Mutter, die Sie, dank Ihrer Geburt, nie die Gelegenheit oder das Bedürfnis hatten, zu arbeiten oder zu studieren, um einen Namen oder Existenzmittel zu gewinnen, Sie können und werden die heilige Freundschaft nicht begreifen, die uns verbindet: aber achten Sie diese wenigstens. In den Prunksälen Ihrer Gesellschaft gibt es keine solche Freundschaft; bei dem stolzen Adel trifft man nie diese erhabene Einfachheit. Nun wohl, es ist wegen dieser, daß ich den Namen der berühmten Familie verschmähe, von der ich abstamme: es ist wegen dieser, daß ich das glänzende Vermögen, das mir gehört, verachte.«

Die Baronin erbebte, indem sie diese letzten Worte hörte.

»Wegen meiner Freundin,« fuhr Eugenie fort, indem sie Luise eng in ihre Arme schloß, »wegen meiner Freundin, sage ich Ihnen: Meine Mutter, ich werde stets Ihre Tochter sein; aber indem ich Ihre Tochter bin, werde ich auch stets Künstlerin bleiben.«

Die Baronin erkannte, daß sie von diesem ersten Besuche nichts weiter erwarten durfte, murmelte einige unzusammenhängende Worte, welche der Zorn ihr eingab, und verließ dann heftig die Wohnung der beiden Freundinnen.

Für eine Frau, wie die Baronin Danglars, die sich nicht an den Gedanken gewöhnen konnte, sich aus der Gesellschaft zurückzuziehen, in der sie beständig gelebt hatte; für eine Frau, so durchdrungen von allen Vorurteilen ihres Standes, die in dem Instinkt eines unsinnigen Stolzes die Mittelklassen und die Proletarier verachtete, konnte es nichts Schlimmeres geben als den von Eugenien gewählten verhängnisvollen Beruf.

Der Baronin blieb weiter nichts zu tun, als Rom zu verlassen, wo ohne Zweifel sehr bald in dem nach Neuigkeiten begierigen Ameisenhaufen als willkommene Nahrung der Neugier des Publikums die Biographie der neuen Sängerinnen veröffentlicht wurde und eine der beiden d'Armillys wurde dann als Eugenie Danglars bekannt. Eine Zeitung aber ist ein Papier, welches überall hinkommt und von allen gelesen wird. In Frankreich wurde dann die Neuigkeit bald wiederholt und umhergetragen; in London wußte man sie ebenfalls in kurzer Zeit auswendig, und das unermüdliche Gerücht mußte dann, nicht auf so schönem Wege stehen bleibend, sehr bald mit seinem hundertfachen Munde durch alle Städte der zivilisierten Welt die Geschichte der berühmten Sängerin Eugenie Danglars ausposaunen, die in erhabenem Berufe Vater, Mutter, Verwandte, Familie, Ehren und Reichtümer aufgegeben hatte, um der schwierigen Laufbahn der Sontag und der Malibran zu folgen.

Die Baronin fühlte sich einen Augenblick entmutigt. Sie stand im Begriff, den Kopf unter dem Verhängnis zu beugen, welches sie seit einiger Zeit zu verfolgen schien. Einem finstern Trübsinn hingegeben, ließ sie alle die Unglücksfälle, von denen sie nacheinander betroffen worden war, die Revue passieren. Die Flucht ihres Mannes; die Erscheinung des Unglücklichen, dem sie das Leben gegeben hatte; den verhängnisvollen Brief, von der Hand ihres ehemaligen Geliebten in der Stunde seines Todes geschrieben; die Ueberspanntheit ihrer Tochter Eugenie – alles schien sich zu ihrem Verderben verschworen zu haben. Indes war die Baronin nicht eine Frau, die sich so leicht durch das Verhängnis besiegen ließ. Ihr Stolz und ihre Eigenliebe empörten sich gegen diesen Gedanken und bezeichneten ihr den einzuschlagenden Weg. Sie schwur, Eugenien auf der Bahn, die sie verfolgte aufzuhalten, oder vielmehr, sie von derselben herabzureißen und beschloß, sogleich die geheimnisvolle Aufgabe zu beginnen, zu der sie alle Hilfsquellen ihres Verstandes, die ganze Feinheit, die ganze Umsicht des Weibes, aufbieten wollte.

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