Hans Dominik
John Workmann der Zeitungsboy
Hans Dominik

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19. Kapitel

Im großen Saale der First-National-Saving-Bank von Chikago drängten und stießen sich die Leute an den Schaltern. Das strömte, ging und kam von allen Seiten, und es dauerte geraume Zeit, bis John Workmann in diesem Strome zum Auszahlungsschalter gelangte, um seinen Scheck zu präsentieren. Aber so lange das Herankommen gedauert hatte, so kurze Zeit nahm das Auszahlen in Anspruch. Nur einen Blick warf der Kassierer auf den Scheck, ohne John Workmann überhaupt anzusehen. Dann griff er in eine neben ihm stehende Kasse mit verschiedenen Fächern und sofort lagen zwei Tausenddollarnoten, sechs Hundertdollarnoten und der Rest kleinere Noten auf dem Drehbrett und wanderten unter dem Drahtfenster hindurch zu John Workmann. Schon wurde er von dem Strom der Nachdrängenden weitergeschoben. Kaum konnte er das Geld flüchtig in der Brusttasche bergen. Dann trieb ihn die Menschenflut weiter dem Ausgange entgegen. Nur für einen kurzen Moment fand er Gelegenheit, sich vor einem der kleinen Schreibtische niederzulassen. Kaum zwei Minuten dauerte die Rast. Dann trat er den Weiterweg an und schritt durch spiegelnde Türen mit blanken Messinggriffen die breite Treppe hinab.

Als John Workmann die Bank verließ, das Jackett fest zugeknöpft, stieß ihn ein junger Mensch anscheinend unabsichtlich von der Seite an. Der zog höflich den Hut und sagte in einer geschmeidigen Art, die wohl geeignet war, Bekanntschaft zu machen:

»Entschuldigen Sie, Sir, daß ich Sie belästigt habe. Es geschah unabsichtlich durch eine Handbewegung nach meiner Brieftasche. Ich habe soeben von der Bank Geld erhoben und wollte mich überzeugen, ob es sicher verwahrt sei.

Übrigens – mein Name ist Johnston – William Johnston aus Frisko – Sie erinnern sich, daß ich nach Ihnen an den Kassenschalter trat. Ich sah auch, daß Sie Geld empfingen. Seien Sie äußerst vorsichtig an diesem vermaledeiten Platz. In Chikago ist kein Dollar in der Tasche sicher.«

Diese Worte verscheuchten jegliches Mißtrauen bei John Workmann. Da stand ein junger Mann vor ihm, elegant gekleidet, mit einem anscheinend offenen Gesicht, der ihm zur Vorsicht mit seinem Gelde riet, und zwar, weil er dieselbe Besorgnis hegte, wie John Workmann.

Wie sollte er da Mißtrauen haben.

»Sie haben ganz recht«, erwiderte John Workmann, »dieselbe Furcht, die Sie für Ihr Geld hegen, spüre ich auch. Aber ich denke, wenn man genügend aufpaßt, kann einem so leicht nichts geschehen.«

Sie waren die Straße von der Bank ein Stück hinunter gegangen und der junge Mensch, der sich John Workmann wohlweislich unter einem falschen Namen bekannt gemacht hatte, sagte jetzt:

»Ich nehme an, daß Sie in Chikago fremd sind.«

»Allerdings«, sagte John Workmann. »Ich bin zum erstenmal hier. Ich war stets neugierig, Chikago kennenzulernen. Das, was ich bis jetzt sehe, unterscheidet sich aber nicht von New York.«

»Sie haben recht, Sir. Die Städte ähneln sich. Höchstens daß unsere Schlachthöfe, unsere Packing-houses eine besondere Sehenswürdigkeit von Chikago bilden. Aber wirklich keine beachtenswerte. Ausgenommen, man hat Interesse für möglichst viel Schmutz und Blut. Falls es Ihnen recht ist, gehen wir zusammen essen und plaudern noch etwas. Ich treffe meinen Vater, der Bankier in Chikago ist, erst nach seiner Geschäftszeit. Wenn ich fragen darf, wo kommen Sie her?«

Er schnitt damit John Workmann jede weitere Erwiderung ab, und der war auch zu arglos, um irgend etwas hinter den anscheinend völlig harmlosen Worten des Fremden zu suchen.

»Ich komme eben aus dem Westen, wo ich auf einer Farm gearbeitet habe. Ansässig bin ich in New York.«

»Wollen Sie mir nicht Ihren Namen nennen, Sir?«

»Entschuldigen Sie«, erwiderte John Workmann, »ich war in Gedanken. Sie wissen, die Sorge um das Geld, welches man bei sich trägt. Mein Name ist John Workmann.«

»Workmann – Workmann?« – der junge Mensch blickte nachdenklich vor sich hin. Irgendwo mußte ihm der Name aufgefallen sein. Er war ein eifriger Zeitungsleser. Dabei mußte er den Namen John Workmann gelesen haben. Und jetzt erinnerte er sich.

»Sind Sie derselbe John Workmann, durch den vor einigen Monaten bei einem Präriebrand ein gewisser Harry Smith, ein Bandit aus dem Westen, ein junger Boy noch, gefaßt wurde, und zwar mit dem Gelde, das er geraubt hatte?«

»Ich fand Harry Smith.«

»Alle Wetter! das ist interessant, Mister Workmann. Ich habe den Artikel gelesen. Er stand im ›New York Herald‹. Da haben Sie Glück gehabt, und soviel ich mich erinnere, waren zweitausend Dollar Prämie auf die Ergreifung von Harry Smith ausgesetzt.«

»Ganz recht«, sagte John Workmann, »und das Geld, welches ich soeben erhoben habe, enthält zu einem Teil die mir ausgezahlte Prämie.«

»Eine Menge Geld, Sir – damit können Sie Millionär werden, wenn Sie es richtig anfassen. Kenne genügend Leute, die nach Chikago mit der Hälfte von dem Gelde kamen und es durch geschickte Anlage dazu brachten, in kurzer Zeit reich zu werden. – Wollen wir nicht hier in dieses Restaurant gehen? Ich kenne es – ich esse hier oftmals zu Mittag.«

John Workmann folgte William Johnston. Bald saßen beide in dem kleinen, italienischen Restaurant vor einem Tisch und aßen.

Obwohl John Workmann keinen Alkohol trank, hatte ihm der Fremde ein Glas Wein aufgenötigt und stieß auf die neue Freundschaft an.

John Workmann achtete gar nicht darauf, daß das Restaurant ziemlich leer von Gästen und anscheinend wenig besucht war. Niemand kümmerte sich um sie, und John Workmann hörte mit Interesse auf die Erzählungen, welche sein neuer Bekannter über Chikago zum besten gab.

Einmal, mitten im Gespräch, zeigte Johnston zum Fenster und sagte:

»Sehen Sie einmal dort hinaus. Der Mann, welcher da geht, so unscheinbar er auch gekleidet ist, ist Astor – einer der reichsten Leute Amerikas. Hat einmal mit nichts in der Tasche angefangen und macht heute mit Schweineschmalz und Schinken das größte Geschäft der Welt.«

John Workmann wandte den Kopf zum Fenster und blickte hinaus. Er sah nur noch den Rücken des von Johnston bezeichneten Mannes. Aber die Sekunden, welche er voll Interesse durch das Fenster blickte, genügten für den Abenteurer, um in das Glas Wein John Workmanns einen der berüchtigten Knock out drops zu werfen. Das ist ein in die Form einer Pille gebrautes Opiat, das von den Banditen der Großstädte gern angewandt wird, um ihr Opfer zu betäuben.

Als John Workmann wieder auf Johnston blickte, ergriff der sein Weinglas, erhob es und sagte:

»Stoßen wir beide darauf an, daß es uns genau so glückt, wie dem reichen Astor!«

Damit war John Workmann einverstanden. Mit dem vielen Gelde in der Tasche glaubte er tatsächlich die erste Leitersprosse zum Millionär erklommen zu haben.

Er nahm das Glas, stieß mit William Johnston an und der sagte noch:

»Keinen Tropfen dürfen wir drin lassen, sonst haben wir Pech. Prost!«

Unter der zwingenden Wirkung dieser Worte trank John Workmann den Wein aus.

Er schmeckte ihm allerdings etwas bitter. Doch da er nichts von Wein verstand, so glaubte er, das müsse so sein, lehnte aber ein weiteres Glas, das ihm Johnston einschenken wollte, ab.

Während er ruhig von allen möglichen Dingen weiterplauderte, übte das Opiat bei John Workmann mehr und mehr seine verderbliche Wirkung aus. Vergebens kämpfte er gegen die ihn befallende bleierne Müdigkeit und dann – ohne noch etwas sagen zu können, sank er mit dem Kopf auf die Tischplatte und war in bewußtlosen Schlaf verfallen.

Ein spöttisches Lächeln huschte über das fahle Gesicht des jungen Abenteurers, als er sich jetzt zu John Workmann beugte und ihm mit einem schnellen Griff die Brieftasche aus der Jacke zog.

»Pah«, lachte er leise vor sich hin, »ein Greenhorn, ein Gimpel, dem ich, wie schon vielen anderen, eine gute Lehre gegeben habe. Er wird sich in Zukunft hüten, mit einem Fremden ohne weiteres ein Glas Wein zu trinken. He, Waiter!« – Der Kellner kam von der Bar, Johnston holte eine Handvoll loser Geldstücke aus der Tasche, bezahlte die Rechnung für sich und auch für sein Opfer und sagte:

»Mein Freund ist von dem Wein schläfrig geworden. Hier haben Sie ein Fünfzigcentstück extra. Lassen Sie ihn ruhig eine Stunde schlafen. Ich werde, wenn irgend möglich, da ich mit meinem Vater konferieren muß, in einer Stunde wieder zurück sein.«

Der Kellner verbeugte sich, bedankte sich für das hohe Trinkgeld, gab dem eleganten Banditen Überzieher, Hut und Stock, und ohne sich noch einmal nach John Workmann umzusehen, verschwand der gefährliche Desperado der Großstadt aus dem Restaurant.

Einige wenige Gäste kamen noch in der Zwischenzeit, blickten flüchtig zu John Workmann, tranken irgend etwas und verließen wieder das Lokal.

Es begann bereits zu dunkeln, als John Workmann aus der tiefen Betäubung erwachte.

Völlig verwirrt, einen eigentümlichen Druck im Kopf spürend, blickte er um sich und wußte zuerst nicht, wo er sich überhaupt befand.

Dann dämmerte langsam das Bewußtsein bei ihm empor und er erinnerte sich, mit einem Fremden, den er sich nur noch unklar vorstellen konnte, aber dessen Namen er behalten hatte, hier in das Restaurant zum Mittagessen gegangen zu sein.

Er starrte auf den leeren Platz des Fremden und rief dann den Kellner, um ihn nach dem Verbleib seines neuen Bekannten zu fragen.

Der Kellner schüttelte die Achseln und sagte:

»Der Gentleman hat das Diner bezahlt und sagte, er wolle in einer Stunde wiederkommen. Ich solle Sie nicht stören.«

»Habe ich so fest geschlafen, daß ich nichts gehört habe?«

»Muß wohl sein, Sir, der Gentleman sagte mir, daß Sie fest schliefen und ich solle Sie nicht stören. Hoffentlich haben Sie jetzt ausgeschlafen!«

Der Kellner entfernte sich und John Workmann überlegte, was er nun anfangen solle.

Noch hatte er nichts von dem Verlust seiner Brieftasche gemerkt.

In einer Stunde, sagte der Kellner, wolle sein neuer Freund wiederkommen. Ob er tatsächlich auf ihn wartete? – Soviel er sich erinnerte, mußte es der Sohn eines reichen Vaters sein. Er sprach ja wohl davon, daß sein Vater einer der größten Bankiers von Chikago war.

Beim Wort Bankier dachte er an sein Geld.

Unwillkürlich faßte er nach der Rocktasche – und tastend, zitternd, prüfend, suchend fuhren seine Finger unter das Jackett – sämtliche Knöpfe riß er auf, zog das Futter der Innentaschen heraus, wurde aschfahl im Gesicht. – Die Brieftasche war fort.

Wie ein Irrsinniger begann er sein ganzes Jackett nochmals nach der Brieftasche zu durchsuchen. Dann bückte er sich, blickte unter den Tisch, unter den Stuhl, auf dem er saß, eine Stecknadel hätte er auf dem Fußboden entdeckt, aber von seiner Brieftasche war nichts zu sehen.

Mit einem tiefen Atemzug unterdrückte er einen Schrei, und dann rief er nach dem Kellner.

»Sie wünschen, Sir?«

»Entschuldigen Sie – haben Sie vielleicht bemerkt, daß mein Freund meine Brieftasche mitgenommen hat?«

Der Kellner schüttelte den Kopf.

»No, Sir. Ihr Freund hat mir nichts davon gesagt. Vermissen Sie Ihre Brieftasche?«

»Yes, Sir.«

»Wieviel Geld war in der Brieftasche?«

John Workmann begann zu überlegen. Nach dem Opiat war ihm immer noch ganz wirr im Kopf. 2653 Dollar hatte er auf seinen Scheck ausbezahlt bekommen. Die hatte er erstmal in die Brieftasche gesteckt. Aber . . . aber, er versuchte gewaltsam, seine wirren Gedanken zu ordnen. Die vielen Scheine waren ihm doch in der Brieftasche nicht genügend sicher gewesen. Er hatte sie noch in der Bank irgendwo anders untergebracht. Jetzt kam ihm die Erinnerung wieder. Er hatte sie in die Lederkatze geschoben, die er auf Fred Harrysons Rat einmal auf der Manituba Farm von einem Hausierer gekauft hatte. Er trug den Riemen mit der kleinen Tasche unter der Weste um den Leib, und mit zitternden Fingern griff er jetzt danach. Die Tasche raschelte, als er ihre Druckknöpfe öffnete. Zwei Tausenddollarscheine und fünf Hundertdollarscheine waren darin. Jetzt fiel ihm wieder alles deutlich ein. 2500 Dollar hatte er schnell in dieser Gürteltasche direkt an seinem Leibe versteckt. 130 Dollar hatte er in die Brieftasche gelegt und 5 Dollar locker in die Weste gesteckt. Er griff nach der Westentasche. Das kleine lockere Geld war noch da. Der Dieb hatte nur die Brieftasche erwischt. Der Schaden war zwar schmerzlich, aber er konnte zur Not ertragen werden.

»War viel Geld in der Tasche?« wiederholte der Kellner seine Frage.

»Hundertunddreißig Dollar.«

»By Jove! – das ist eine ganz nette Summe. Well« – der Kellner blickte forschend zu John Workmann – »Kennen Sie Ihren Freund genau?«

»Meinen Freund? – Ich habe ihn eine Stunde, bevor ich in Ihr Restaurant kam, in der National-Saving-Bank kennengelernt.«

Der Kellner lachte kurz auf.

»Dann hat man Sie also gefleddert!«

»Gefleddert? – Was bedeutet das?«

»Sie sind ein Greenhorn, Sir. Wie können Sie denn mit einem Menschen, den Sie eben erst kennengelernt haben, in ein Restaurant gehen und dort eine Flasche Wein trinken! Darum gab mir dieser geschniegelte Halunke ein hohes Trinkgeld.«

»Entschuldigen Sie«, warf John Workmann ein, »von welchem Halunken sprechen Sie?«

»Von welchem – nun, von Ihrem Bekannten, der hier mit Ihnen zusammen Mittag aß.«

»Das ist kein Halunke«, versuchte John Workmann den Abenteurer zu verteidigen, »ich kenne seinen Namen, er heißt William Johnston, und sein Vater ist einer der größten Bankiers in Chikago.«

»Well –«, erwiderte der Kellner lang gedehnt. »Man kann in Chikago, in diesem großen Raubnest, einen Vater als Bankier besitzen und doch ein Halunke sein, ebenso schlimm wie ein Desperado auf der Landstraße im Westen.«

John Workmann verließ das Restaurant. Er war in einer grimmigen Stimmung. Wie leicht hatte er es dem Verbrecher gemacht, ihn, einen Jungen, der auf dem New Yorker Straßenpflaster groß geworden war, zu bestehlen. Da hatte er immer geglaubt, daß er viel zu gewitzigt sei, um noch in irgendeine Falle zu geraten, und war doch in eine ganz plumpe hineingetappt. Aber es war jetzt nicht Zeit, solchen Erwägungen nachzugehen. Der Tag ging zur Neige, und er mußte für ein Nachtquartier Sorge tragen. Fred Harryson hatte ihm die Adresse eines guten, billigen Boardinghauses aufgeschrieben. Aber die steckte in der Brieftasche und war natürlich auch mit zum Teufel. Aufs Geratewohl mußte er sich irgend etwas suchen und schlenderte weiter durch die Straßen der Riesenstadt. Ohne daß er wußte wie, führte ihn sein Weg in die Nähe der großen Packhäuser, der Riesenschlächtereien, die einem Teile Chikagos das Gepräge geben. Da hörte er sich plötzlich von hinten angerufen. Als er sich umdrehte, erblickte er den alten Iren, der als Cattleman mit ihm in Springshill nach Chikago gekommen war. Der befand sich in der Gesellschaft eines blonden, breitschultrigen, hochgewachsenen Mannes in den besten Jahren.

Vergnügt schlug ihm der Ire auf die Schulter.

»Das ist unser jüngster Cattleman.« Mit diesen Worten machte er ihn mit seinem Begleiter bekannt. »Ein fixer Kerl. Schade, daß er nicht bleiben will. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, Packer zu werden. Das ist also etwas für Sie, Stuhrman, Sie sollten den Jungen mitnehmen und morgen vor die richtige Schmiede bringen. Es ist nicht gut, wenn er hier allein in Chikago umherläuft. Chikago ist kein gutes Pflaster.«

Der als Mr. Stuhrman Bezeichnete musterte John Workmann mit kritischen Blicken. Dann gab er sein Urteil. »Der Bursche gefällt mir. Er könnte wohl ein tüchtiger Packer werden, wenn er sich an seine Arbeit hält. Ich wäre bereit, es mit ihm zu versuchen.«

John Workmann musterte den Sprecher noch einmal von oben bis unten. »Und ich mit Ihnen«, sagte er dann kurz.

»Alle Wetter, der Junge besitzt Selbstvertrauen. Er will es mit mir versuchen, mit Henry Stuhrman, einem der ersten Packer der Firma. Wenn seine Hände halten, was sein Mund verspricht, kann der Junge bedeutend werden.« John Workmann merkte die Ironie nicht, die in diesen Worten lag, oder er wollte sie nicht merken.

»Ich verspreche gar nichts Besonderes, Sir«, erwiderte er schlicht. »Ich kenne Sie seit zwei Minuten, und Sie kennen mich ungefähr ebenso lange. Sie bieten mir einen Platz in Ihrem Betriebe an, und ich bin gerne bereit, ihn anzunehmen. Das ist alles.«

Aber während John Workmann scheinbar ruhig diese Worte sprach, fluteten ihm die Gedanken durch den Kopf. Das Abenteuer mit Johnston wirkte nach. Er rief sich alle Fälle von Bauernfängerei ins Gedächtnis zurück, die er von New York her kannte. Würde Mr. Stuhrman jetzt eine Kaution von ihm verlangen, so würde er ihm sofort den Rücken drehen. Aber nichts dergleichen geschah. Nach einer kurzen Pause sagte der Packer:

»Melden Sie sich morgen früh um sieben Uhr beim Portier am Portal 11 von Armour and Company und fragen Sie nach mir. Das Weitere wird sich dann finden. Was können Sie bis jetzt?«

»Ich habe das letzte Jahr auf der Farm Maschinen geführt.«

»Engine Driver, all right, da findet sich sicher was für Sie.«

John Workmann wußte, daß er nach amerikanischer Sitte jetzt verpflichtet war, seine beiden Bekannten zu einem kurzen drink einzuladen. Das tat er denn auch, und die Einladung wurde ohne Zögern angenommen. Mr. Stuhrman stellte das auf einen Zug geleerte Glas Lagerbier auf den Schenktisch zurück und strich sich den Bart.

»Ein deutsches Erbteil, dieser Durst«, meinte er schmunzelnd. »Mein Großvater brachte den Durst vor sechzig Jahren auf einem Segelschiff von Hamburg mit herüber und hinterließ ihn meinem Vater. Von dem habe ich ihn geerbt. Wo wohnen Sie denn, Mr. Workmann?«

Bei diesen Worten fiel es John Workmann schwer aufs Herz. Er hatte ja immer noch kein Unterkommen, und die Dämmerung war allmählich in volle Dunkelheit übergegangen. Mit einigem Zögern erzählte er, daß er sich eben erst ein Nachtquartier suchen wollte.

»Hätt's mir beinah denken können«, meinte der Packer mit einem Blick auf das Ränzel, welches John Workmann noch immer umgehängt bei sich trug. »Well, ich mache Ihnen den Vorschlag, ziehen Sie vorläufig zu mir. Ich habe eine Fremdenkammer frei. Das Geschäftliche müssen Sie mit meiner Frau besprechen. Dann habe ich Sie morgen früh gleich bei der Hand, wenn wir in den Workshop gehen.«

John Workmann nahm das Anerbieten dankend an, und eine neue Lage des berühmten, aus der Stadt Milwaukee stammenden Lagerbieres aus der großen deutschen Brauerei von Pabst wurde darauf geleert.

»Mr. Pabst ist Millionär durch unseren Durst geworden«, meinte Stuhrman lachend. »Armour, der Fleischkönig in Chikago, ist groß, aber Pabst, der Bierpabst in Milwaukee, ist noch größer. Ein Papst soll ja wohl mehr sein als ein König.«

Eine Stunde später saß John Workmann in der kleinen, aber sauberen Wohnung von Stuhrman am Abendtisch. Mit Mrs. Stuhrman war er sehr schnell handelseins geworden. Für ein geringes Entgelt hatte sie mit ihm fullboarding vereinbart, Logis und volle Verpflegung.

Als John Workmann sich auf dem neu gewonnenen Lager ausstreckte, gingen ihm die Eindrücke dieses Tages wild durch den Kopf. Er überdachte das Abenteuer mit dem vermeintlichen Johnston, bei dem er noch mit einem blauen Auge davongekommen war. In New York hatte er sich zu allen Tages- und Nachtzeiten in den verrufensten Vierteln umhergetrieben, und niemals war ihm etwas passiert. Niemals hatte er auch nur das Gefühl einer Unsicherheit gehabt. Jetzt, mit der großen Summe Geldes, die er sich der Sicherheit halber auf den blanken Leib geschnallt hatte, wurde er das Gefühl der Unsicherheit nicht los. Er suchte den Grund dieser Erscheinung und fand ihn nach einigem Nachdenken. Als er selbst noch zu den Ärmsten der Armen gehörte, war natürlich kein Mensch auf die Idee gekommen, bei ihm etwas zu suchen. In dem Augenblick dagegen, wo er in Banken ging, wo er Schecks einkassierte und Tausenddollarnoten in der Hand hielt, mußte er logischerweise die Aufmerksamkeit derjenigen auf sich ziehen, die vom Verbrechen an ihrem Nächsten lebten. Er beschloß jedenfalls, in Zukunft keinem Menschen etwas von der Summe zu verraten, die er auf dem Leibe trug, und nach außen hin nach wie vor arm und mittellos zu erscheinen. Dann flogen seine Gedanken weiter und verwirrten sich allmählich unter dem Einflusse des herankommenden Schlafes. Fleischkönige und Bierpäpste sah er im Traume. Zuckerkönige, Baumwollkönige, Stahlkönige, Petroleumkönige und Eisenbahnkönige. Schließlich führten sie alle einen wilden Tanz auf, und größer und mächtiger als sie alle stand in ihrer Mitte der Zeitungsriese. Und dann fiel John Workmann in einen gesunden, traumlosen Schlaf.


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