Hans Dominik
John Workmann der Zeitungsboy
Hans Dominik

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3. Kapitel

Als John Workmann die breite Marmortreppe im Gebäude des Zeitungsriesen zu dem im ersten Stockwerk befindlichen Empfangsraum emporstieg, erschien es ihm gar nicht so außergewöhnlich, obwohl er noch nie in seinem Leben über mit roten Samtläufern belegte Marmorstufen geschritten war.

Auch der dunkel getäfelte Empfangssaal mit den mächtigen mit grünem Tuche bespannten Tischen, auf denen Zeitungen und Bücher aus aller Herren Länder zur Ansicht lagen, imponierte ihm nicht.

Als sei es etwas Selbstverständliches, nahm er in einem der bequemen, rotledernen Sessel Platz und wartete der Dinge, die nun kommen mußten.

Es dauerte nicht lange, so näherte sich ihm ein Diener, welcher die Besucher nach ihren Wünschen zu fragen hatte.

Von dem Empfangsraum gingen wohl ein Dutzend Türen nach den verschiedenen Richtungen des Zeitungspalastes und brachten die Besucher zu den verschiedenen Redaktionen.

Da war ein ewiges Kommen und Gehen.

Hunderte von Menschen kamen tagtäglich in den Saal, um mit ihren Anliegen die Redaktionen des Zeitungsriesen aufzusuchen.

Es gab kaum eine Nation in der Welt, die nicht täglich hier vertreten war: Inder mit Turban, Türken mit dem Fez, Perser mit Lammfellmützen, Chinesen mit blauseidenen Kaftanen und ebenholzschwarze Neger; Kaukasier, Franzosen, Italiener, Deutsche und Engländer. Ja, selbst die Eskimos der letzten Nordpolexpedition hatten den Raum schon betreten.

Alle Sprachen der Welt durchschwirrten den mächtigen Saal. Kein zweiter Platz der Welt konnte eine derartig interessante Gesellschaft aufweisen wie der Empfangsraum des Zeitungsriesen.

Aber nicht nur Ausländer waren hier zu treffen, sondern auch viele Mitbürger John Workmanns, um sich Rat und Auskunft oder auch Hilfe zu holen.

Und für alle wußte der gigantische Apparat des Zeitungsriesen Rat zu schaffen!

Da kamen arme Leute, welche keine Feuerung besaßen, und erhielten von ihm für den ganzen Winter das Brennmaterial. Da waren im heißen Sommer Leute, welche bei der tropischen Glut, die in New York herrschte, kein Eis hatten, und sie erhielten welches.

Da waren andere, welche um ein Freibett in einem Krankenhaus baten, um einen Rechtsanwalt in schwierigen Fällen, um ein bares Darlehen, um Schutz gegen Feinde, um einen Arbeitsplatz.

Und wie Harun al Raschid, der mächtige Herrscher aus dem Märchen von Tausendundeiner Nacht, erschien allen den Hilfesuchenden der ihnen selbst nicht zu Gesicht kommende Zeitungsriese, und die wenigsten wußten sich selbst ein Bild von ihm zu machen. Unsichtbar und mächtig war er für Tausende von Menschen.

Es gehörte auch zu den größten Seltenheiten, daß ihn irgendein Mensch zu Gesicht bekam. Selbst seine Untergebenen sahen ihn jahrelang nicht.

Nur sein Vertrauter, seine rechte Hand, sein Sekretär, George Tyler, war der Mittelsmann, dessen er sich bediente, um seine kurzen und bündigen Befehle zu erteilen.

Als der Saaldiener zu John Workmann trat, um ihn zu fragen, wen er zu sprechen wünsche, antwortete John Workmann:

»Mister Bennett.«

Der Saaldiener, welcher diese Antwort wohl hundertmal am Tage hörte, antwortete jedesmal dasselbe:

»Mister Bennett ist nicht zu sprechen. – Falls Sie mir sagen, was Sie wünschen, werde ich Sie zu seinem Vertreter senden.«

»Erlauben Sie mal«, erwiderte John Workmann und zog seinen Brief aus der Tasche, »ich glaube nicht, daß Mister Bennett zu den Leuten gehört, welche sich einen Spaß mit einem anderen erlauben. Überzeugen Sie sich, Mister Bennett hat mich um diese Zeit herbestellt.«

Der Saaldiener nahm den Brief und während er ihn las, veränderte sich sein freundlich herablassender Gesichtsausdruck zu einer respektvollen und strengen Miene:

»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er mit einer höflichen Verbeugung, welche sonst nicht zu seinen Gewohnheiten gehörte. »Das ändert allerdings die Sachlage.

»Sie werden verstehen können, daß ich Ihnen erst die Antwort erteilen mußte. Bei den vielen Besuchen, die hier einlaufen, würde Mr. Bennett keine Zeit zu irgendwelchem Geschäft mehr besitzen, wenn er sie alle selbst empfangen wollte. Bitte, haben Sie die Güte, mir zu folgen.«

Er schritt zu einer kleinen Ebenholztür und drückte auf einen Klingelknopf. Kaum eine Sekunde verging, so öffnete sich die Tür, ein Negerboy trat aus einem Fahrstuhl heraus, lüftete sein Käppi vor John Workmann und der Saaldiener bedeutete ihm, den Fahrstuhl zu betreten.

Er schloß hinter ihm die Tür, der Negerboy trat an das Handrad, setzte den Fahrstuhl in Bewegung und langsam und geräuschlos stieg er in die Höhe.

Fast endlos deuchte John Workmann die Zeit, welche der Fahrstuhl zum Emporsteigen brauchte. Endlich hielt er.

Der Negerboy öffnete die Tür des Fahrstuhls, zog wiederum sein Käppi respektvoll vor John Workmann und ließ ihn in ein dunkel getäfeltes Zimmer eintreten, in welchem an einer Schreibmaschine eine junge Dame saß.

Höflich fragte diese John Workmann nach seinem Begehr und ersuchte ihn dann, vorläufig Platz zu nehmen, da Mister Bennett sich noch in einer Konferenz befände.

John Workmann nahm in nächster Nähe des breiten, mächtigen Fensters Platz und blickte mit kindlichem Entzücken auf die ungeheuer weite Fernsicht über die mächtige Stadt.

Es war das höchste Geschoß, der 36. Stock des Zeitungspalastes, in welchem sich fern von allem Getöse der Großstadt der Privatraum des Zeitungsriesen befand. Nur ganz dumpf, wie ein weit entfernter Donner, tönte der Lärm aus der Tiefe empor.

Weit über die Häuser fort zum Hafen, wo die Freiheits-Statue golden aufblinkte, über die grüne Insel von States Island fort reichte der Blick zu dem blaugrün schimmernden Ozean.

Ganz deutlich konnte John Workmann soeben in der Hafeneinfahrt einen der Riesenpassagierdampfer von Deutschland erkennen, obwohl er nicht größer wirkte als eine Nußschale.

Auch die ungeheuren Brücken über den East River erschienen aus dieser Höhe fast wie das Werk von Spinnfäden.

Als kleine dunkle Punkte krochen über diese Brücken die Straßenbahnen, während die Menschen fast so lächerlich winzig wirkten, daß man sie mit bloßem Auge kaum wahrnehmen konnte.

Während John Workmann das irdische Wunder aus der Höhe mit innerer Freude genoß, wurde er plötzlich durch zwei laut und scharf klingende Männerstimmen aufgeschreckt.

Die mit dickem rotem Fries beschlagene Tür, welche zu dem Allerheiligsten des Zeitungsriesen führte, war wohl durch irgendeinen Zufall nicht fest verschlossen, so daß durch einen schmalen Spalt jedes Wort deutlich in das Vorzimmer drang.

Klar vernahm John Workmann die wie Metall klingende Stimme eines Mannes:

»Ich vermag Ihnen, General, nicht zu versprechen, daß ich nicht aggressiv werde, falls Japan sich noch einmal einen Übergriff durch die Kritisierung unserer Einwanderungsgesetze erlaubt.«

Darauf ließ sich nach einer Pause die abgehackte englische Redeweise, wie sie die Japaner gebrauchen, vernehmen und erwiderte:

»Bedenken Sie, Mister Bennett, daß Sie uns dann mit Amerika zum Kriege bringen.«

Und wieder klang es wie hartes, dröhnendes Metall:

»Herr General Joka Sumo: Amerika fürchtet keinen Krieg mit Japan. Sie werden es mir zugestehen müssen, daß ich genau beurteilen kann, was meinem Vaterlande nottut.«

Und wieder eine Pause, nach welcher der Japaner sagte:

»Wollen Sie uns nicht ein wenig entgegenkommen, damit meinen japanischen Landsleuten die Einwanderung etwas erleichtert wird?«

»Nein!« klang es kurz zurück. »Ich sehe für mein Vaterland, für Amerika, keinen Nutzen darin, daß uns Ihre Landsleute unser Wissen und unsere Kenntnisse und Erfahrungen aus dem Lande tragen.«

»Das ist Ihr letztes Wort?«

»Mein letztes Wort!«

Wenige Minuten später öffnete sich die Tür, und ein General der japanischen Armee trat aus dem Zimmer.

Das gelbliche Gesicht hoch gerötet, die sonst müde blickenden Augen blitzend vor verhaltenem Zorn.

Fast atemlos vor Spannung hatte John Workmann allem zugehört. Zum erstenmal stand er an der Schwelle zu einem Raum, in dem über die Geschichte von Völkern, von Krieg und Frieden entschieden wurde.

Und zu dem, der beides in der Hand hatte, der Tausende von Menschen in den Krieg jagen, der Hunderte von Kanonen zum Brüllen bringen, der Verzweiflung und Entsetzen aussäen konnte, zu diesem Gewaltigen der Welt schritt jetzt John Workmann mit klopfendem Herzen hinein.

Von dem Gesicht Mister Bennerts war noch nicht der Ausdruck verschwunden, welchen er bei dem Gespräch mit dem japanischen General angenommen.

Hart, wie aus Stein gemeißelt, sah das gelbliche, hagere, glattrasierte Gesicht aus, und in den Augen lag ein stählerner Glanz, welcher John Workmann befangen machte.

»Nehmen Sie Platz, Sir«, sagte Bennett und machte eine Handbewegung zu einem neben dem Schreibtisch stehenden Klubsessel.

Während sich John Workmann setzte, betrachtete Mister Bennett mit scharfen Blicken den Knaben, und der Eindruck, welchen John Workmann auf ihn machte, mußte ein sehr befriedigender sein, denn der harte Gesichtsausdruck milderte sich und in die grauen Augen des Zeitungsriesen trat ein warmes Leuchten.

»Sie leben bei Ihrer Mutter?« begann Mister Bennett und blätterte in einem kleinen Aktenstück, in dem, ohne daß es John Workmann wußte, alle seine Personalien, ja, man konnte fast sagen, der gesamte Lebenslauf bis zum heutigen Tage auf Erkundigungen von Mister Bennett eingetragen waren.

»Jawohl«, antwortete John Workmann.

»Ich habe erfahren«, sprach Mister Bennett weiter, »daß Sie Ihre Mutter, die kränklich ist und nicht erwerbsfähig, bereits seit Jahren ernähren.«

»Jawohl, das tue ich.«

»Ihr Vater starb vor vier Jahren. Er war ein Deutscher von Geburt. Und, wie ich gehört habe, ein nicht besonders praktischer Mensch. Er malte Porträts, nicht wahr?«

Wiederum bejahte John Workmann und wunderte sich im stillen, woher der Zeitungsriese das alles wußte.

Mister Bennett las noch eine Weile in dem Aktenstück, dann klappte er es zu, blickte John Workmann fest an und sagte:

»Ich glaube, Sie sind aus dem Holze geschnitzt, aus dem einmal ganze und tüchtige Männer werden. Ich liebe es, solche Männer in meinem Betriebe zu beschäftigen.

Haben Sie Lust, bei mir als Arbeiter einzutreten, so bin ich gern bereit, Ihnen den Platz, an dem Sie zu stehen wünschen, anzuweisen. Wofür interessieren Sie sich?«

»Für Maschinen.«

»Recht so«, erwiderte Mister Bennett, »die Maschinen sind die Beherrscher der gesamten Welt. In den Maschinen liegt das Höchste, was wir besitzen können; das heißt, in praktischer Beziehung.

Sie haben also demnach Lust, bei den Maschinen in meinem Betriebe als Arbeiter tätig zu sein. Haben Sie sich schon entschieden, welche von den Maschinen Ihr besonderes Interesse erregt?«

»Oh, ja«, entgegnete John Workmann, und seine Augen leuchteten, »ich bewundere immer die großen Maschinen, welche die schönen bunten Bilder hervorbringen.«

»Die Dreifarbendruckpressen, nicht wahr?«

»Ich glaube, ja«, nickte John Workmann, »ich kenne sie nicht bei Namen. Ich könnte sie Ihnen nur zeigen.«

»Schön«, sagte Bennett, während er gleichzeitig das Telefon, das ihn mit dem Maschinenraum verband, zur Hand nahm:

»Ich wünsche den Maschinenmeister der Farbenpresse«, sagte Mister Bennett und legte den Hörer auf seinen Platz zurück. –

»Sie waren wohl gut mit dem kleinen Charly Beckers befreundet, daß Sie so um ihn besorgt waren?«

»Wir waren Kameraden«, entgegnete John Workmann, »und da steht einer für den anderen ein. Falls ich krank geworden wäre, würden meine Kameraden wohl dasselbe für mich getan haben.«

»Das wundert mich eigentlich von euch Zeitungsjungen!«

»Inwiefern?« fragte John Workmann erstaunt, »wir sind einer auf den anderen angewiesen. Und außerdem müssen Sie sich doch dessen erinnern, wie es unter uns zugeht.«

»Wie meinen Sie das?«

»Nun, waren Sie nicht auch einmal Zeitungsjunge?«

»Nein«, lachte Mister Bennett. »Ich habe einen anderen Weg gemacht.«

In diesem Augenblick wurde die Tür leise geöffnet und die Sekretärin meldete den Maschinenmeister.

Scheu und mit fast zitternden Knien trat der Maschinenmeister, ein schwerer, breitschultriger Mann, in das Zimmer und blieb bescheiden an der Tür stehen.

»Treten Sie näher, Mister Johnson«, sagte Mister Bennett, »ich möchte Ihnen eine persönliche Anweisung geben. – Ich wünsche diesen Jungen bei Ihnen an der Farbenpresse beschäftigt.«

»Sehr wohl, Mister Bennett.«

»Das ist alles. Sie können wieder gehen.«

Als der Maschinenmeister den Raum verlassen, erhob sich Mister Bennett von seinem Sessel als Zeichen, daß er nun die Unterredung mit John Workmann beendet wünsche.

»Treten Sie also morgen früh bei dem Maschinenmeister an und halten Sie sich weiter so brav wie bisher. Ich werde Sie sehr im Auge behalten.«

John Workmann war gleichfalls aufgestanden, drehte seine Mütze verlegen in den Händen, und eine jähe Röte schoß plötzlich über sein Antlitz.

»Ich muß mir noch eine Frage erlauben, bevor ich gehe«, sagte er in bescheidenem, aber festem Ton. »Sie vergaßen mir zu sagen, welchen wöchentlichen Verdienst ich an der Maschine haben werde!«

Über das Gesicht von Mister Bennett huschte ein leichtes Lächeln.

»Selbstverständlich, da hast du ganz recht!« erwiderte er, plötzlich seine Anrede wechselnd. »Warte einige Sekunden dort.«

Er nahm wieder das Telefon zur Hand und sprach mit irgendeiner Betriebsstelle betreffs des Lohnes.

Als er den Hörer hinlegte, sagte er:

»Du erhältst vorläufig zwei Dollar die Woche und kannst, falls du fleißig bist und deinen Platz gut ausfüllst, in mehreren Monaten schon sechzehn Dollar verdienen.«

Da schüttelte John Workmann seinen Kopf.

»Nein, Herr«, erwiderte er, »ich muß Ihnen für Ihre Freundlichkeit, mich bei den Maschinen zu beschäftigen, danken.«

»Was mußt du?« fragte der Zeitungsriese erstaunt. »Du willst den Platz, den ich dir anbiete, nicht annehmen? Du sagtest doch noch eben, daß es dein Wunsch sei?«

»Es ist auch mein Wunsch«, entgegnete John Workmann. »Aber ich habe nicht das Recht, meinen Wünschen gemäß leben zu können. – Ich habe meine Mutter zu ernähren.«

Einige Sekunden war es ganz still in dem Raum. Man hörte nur das schwere, gleichmäßige Tick-Tack der Normaluhr, das leise Grollen der im Kellergeschoß des riesigen Gebäudes befindlichen Maschinen. –

Der Kopf des Zeitungsriesen neigte sich auf die Brust, seine Augen blickten in tiefem Sinnen auf den Teppich.

Es war, als ob etwas Heiliges plötzlich den Raum erfüllte, etwas anderes als kalte Zahlen, Maschinen und nüchterner Verstand. –

Endlich richtete sich der Zeitungsriese wieder hoch und blickte auf John Workmann, der ihn mit offenen, geraden Augen anschaute. Dann sagte er:

»Darf ich den Verdienst wissen, den du als Zeitungsjunge hast?«

»Zwölf bis fünfzehn Dollar die Woche.«

»Zwölf bis fünfzehn Dollar?« wiederholte Mister Bennett, »das ist ja ein Verdienst, wie ihn nur ein guter Arbeiter erzielt. Wie ist das möglich?«

Jetzt machte John Workmann ein verwundertes Gesicht. Er konnte sich nicht denken, daß der Zeitungsriese nicht wissen sollte, wie das zusammenhinge. – –

Da Mister Bennett aber auf eine Antwort zu warten schien, sagte er:

»Ich habe eine gute Ware zu verkaufen, wie sie die Leute wünschen. Hätte ich eine schlechte Zeitung, würde ich nicht soviel Geld verdienen. – Aber Ihre Zeitungen sind gut, Mister Bennett.«

Ein leichtes Lächeln umspielte den Mund Mister Bennetts, und indem er sich setzte, zündete er sich eine Zigarre an, wie um seine Gedanken zu sammeln.

Nachdem er einige Zeit geraucht, sagte er:

»Ich bin bereit, eine Ausnahme mit dir zu machen. Ich glaube, du kannst für mich in meinem Betriebe noch einmal eine äußerst tüchtige Stütze werden. Und deshalb bin ich bereit, dir denselben Verdienst jede Woche zu zahlen, wie du ihn bisher als Zeitungsjunge hattest.«

Und von neuem schüttelte John Workmann seinen blondlockigen Kopf.

»Es geht nicht, Herr.«

Jetzt zog Mister Bennett seine Augenbrauen unmutig zusammen. Er war es nicht gewohnt, Widerstand zu finden. Ja, es war vielleicht das erstemal, daß ein Mensch sich nicht seinem Willen fügen wollte.

Sein Gesicht wurde hart, es schien wie aus Bronze.

John Workmann aber, der jede Furcht vor dem mächtigen Mann verloren, sah ihm freimütig in die Augen und sagte:

»Es geht eben nicht, Mister Bennett. Denn ich habe bei Ihnen von morgens neun Uhr bis abends fünf Uhr zu arbeiten. Da würde ich keine Zeit übrigbehalten, um die Schule zu besuchen und hätte fernerhin keine freie Zeit, um mich zu erholen und mich um meine Mutter zu kümmern.«

»Du bist ein guter Rechner«, sagte jetzt Mister Bennett. »Ich glaube, wenn ich so wie du in meinen jungen Jahren bereits gerechnet hätte, ich würde noch mehr in der Welt zustande gebracht haben. – Was möchtest du denn einmal werden?«

»Dasselbe wie Sie, Mister Bennett.«

Jetzt verschwand der harte Gesichtsausdruck aus Mister Bennerts Gesicht, als er sagte:

»Das will ich dir nicht bestreiten. Du hast das Recht, in Kenntnis der Kräfte, die du besitzt, mir eine solche Antwort zu geben, die ich von anderen als unbescheiden und anmaßend ansehen würde. – Da ich mich nun einmal für dein Fortkommen interessiere, so will ich dir einen anderen Vorschlag machen:

Du kannst während der nächsten zwei Jahre, die du noch auf der Schule verbringen mußt, dich während deiner freien Zeit in meinen Maschinenräumen aufhalten und dich dort über alles informieren.«

»O ja, Herr«, entgegnete John Workmann. »Damit erfüllen Sie mir einen großen Wunsch. Ich möchte zu gern erforschen, wie die Maschinen gebaut sind und wie sie ihre Arbeit leisten. – Ich muß das kennenlernen, um einmal etwas zu werden.«

»Schön«, sagte Mister Bennett, »ich werde dir hier eine Karte geben, als Anweisung zu den Maschinenräumen, so daß du überall in meinem Betrieb Zutritt hast. Solltest du irgend etwas von mir wünschen, so teile es meiner Sekretärin mit. Ich werde dir dann irgendeine Zeit bestimmen, in der du mich sprechen kannst.

Nun, mein Junge, grüß deine Mutter von mir und sage ihr, daß du in deiner Liebe zu ihr das beste Gut besitzt, was wir Menschen hier auf Erden erreichen können. Es ist das höchste nach unserer Gottesfurcht.«

Er reichte John Workmann die Hand, nahm eine Visitenkarte und schrieb mit seinen geraden steilen Schriftzügen einige Zeilen auf die Karte. Dann trocknete er die Schrift und reichte die Karte John Workmann.

Jetzt klingelte er der Sekretärin und ließ durch sie John Workmann hinausgeleiten. –

Als John Workmann auf der Straße war, las er die Karte des Zeitungsriesen. Auf der einen Seite stand dessen Name, und auf der anderen Seite war zu lesen:

»Hierdurch weise ich jeden meiner Angestellten an, dem Inhaber dieser Karte, John Workmann, alle Auskunft, die er zu haben wünscht, in meinem Betriebe zu geben.

Auch kann John Workmann praktisch an den Maschinen arbeiten.«

Sinnend und nachdenkend trat John Workmann seinen Heimweg an.

Er dachte an den toten kleinen Charly Beckers, der eigentlich die Ursache war, daß er in den Besitz dieser Karte gekommen. –

Und dann dachte er an Charly Beckers' sehnlichsten Wunsch, einmal Millionär zu werden. –

Und es war ihm, als ob er – John Workmann – nun die Erbschaft des kleinen Toten anträte, um den Weg vorwärts zu gehen, den jener nicht mehr schreiten konnte, den Weg zu aller Macht dieser Welt.


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