Hans Dominik
John Workmann der Zeitungsboy
Hans Dominik

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11. Kapitel

Das war das große Geheimnis, der große Plan, den John Workmann sich ausgedacht und den er nun verwirklicht hatte.

Er wollte für alle die armen Zeitungsjungen in der Riesenstadt, welche eltern- und heimatlos sich durch das Leben schlugen, ein Heim gründen.

Er kannte ihre erbärmlichen Unterkunftsstätten, für die sie teures Geld bezahlen mußten. Wenn sie das nicht wollten, mußten sie unter Hochbahnbögen oder auf Hausfluren hausen.

Er wußte aus eigener Anschauung, welch ein erbärmliches Leben die kleinen Burschen in der Riesenstadt führen mußten. – Und es waren durchweg anständige Jungen!

Keiner von ihnen konnte faul oder schlecht genannt werden. Die meisten waren aus Not aus dem Elternhause geflüchtet.

Andere waren von den harten Eltern einfach auf die Straße gesetzt und wieder andere kannten weder Vater noch Mutter und waren irgendwo bei fremden Leuten im grausamsten Elend aufgewachsen.

In allen aber steckte die Sehnsucht nach besseren Zeiten und der eiserne Wille, möglichst viel und schnell Geld zu verdienen.

Für diese Jungen wollte John Workmann ein gutes Werk tun.

Als es Abend war, machte die Wohnung einen festlichen Eindruck. Das Licht war angezündet, zwei Tische weiß gedeckt, in der Küche brodelte Wasser für den Tee, und Brot und Butter standen auf dem Küchentisch.

Zaghaft kamen die ersten Jungen in die Wohnung. Mit ehrfürchtiger Scheu blickten sie auf John Workmann, der in seinem Sonntagsanzug mitten im Versammlungszimmer stand und endlich, als vierzig Jungens anwesend waren, folgendes sagte:

»Ich habe euch hierher eingeladen, damit ihr von eurem Eigentum Besitz ergreift. Keiner von euch braucht mehr auf der Straße zu liegen, sondern kann für wenig Geld hier in der Wohnung schlafen, essen und trinken. Wir wollen uns jetzt hinsetzen und alles genau besprechen und festlegen, wie wir unseren Zufluchtsort halten und womöglich fördern können. Nehmt jetzt Platz und hört weiter zu.«

Alle Jungen nahmen, soweit es ging, Platz, während die übrigen sich auf den Boden hockten.

»Seht einmal, Jungens, es ist ein erbärmliches Leben, das die meisten von uns auf der Straße führen müssen. Die ohne Eltern können für 10 Cent nur ein unsauberes Nachtquartier bei allerlei Gesindel bekommen, oder sind gezwungen, auf der Straße zu hausen. Und mehr vermag keiner von uns auszugeben. Mit dem Essen ist es gleichfalls schlecht bestellt. Viele von uns haben selten ein warmes Mittagmahl. Das alles kann sich ändern wenn wir zusammenstehen. Ich habe ein Geheimnis der Millionäre entdeckt. – Das lautet: Viel Wenige machen ein Viel. – Und so wollen wir handeln. Wir alle zusammen können das leisten, was der einzelne nicht kann. Ich glaube, daß euch das klar ist. – Die Miete für dieses Haus beträgt im Monat 35 Dollar, dazu kommen 10 Dollar für Abzahlung der Betten, welche bereits hier stehen, das sind 45 Dollar. Und Licht und Feuerung will ich gleichfalls auf 10 Dollar schätzen, so macht das 55 Dollar. Wir sind im ganzen 40–50 Broadwayjungen bei Mister Bennett.

Und ich mache euch folgenden Vorschlag:

Falls jeder von uns pro Tag 5 Cent an die Klubkasse zahlt, so macht das pro Tag von uns 40 Jungen 2 Dollar. Das sind im Monat 60 Dollar. 5 Cent kann aber jeder unter uns entbehren. Diejenigen, welche die 5 Cent zahlen, gelten als Mitglieder unseres Klubs. Sie dürfen sich dafür in unserem Klublokal aufhalten, können des Abends mit uns gute Bücher lesen oder irgendwelche Spiele mit anderen treiben. Jedes Mitglied aber erhält in unserem Klub ein Nachtlager für 5 Cent. Auch Tee und Abendbrot kann er für 5 Cent erhalten.

Ich weiß, daß der Platz im Anfang nicht für alle ausreichen wird, aber ich denke, es ist immer noch besser, mit einem Kameraden zusammen in einem warmen Zimmer, in einem sauberen Bett zu schlafen, als draußen in dem kalten Park oder irgendwo in einem Winkel.

Diese 5 Cent für ein Klublokal sind gut angelegtes Geld. Denn ihr könnt, falls ihr auf der Straße leben müßt, euch schwere Krankheiten zuziehen. Ich erinnere nur an das Schicksal des kleinen Charly Beckers. Ich glaube sicher, er würde heute noch leben, wenn er nicht in so entsetzlichem Elend hätte wohnen müssen. Den Überschuß, den wir in der Kasse haben, werden wir zu neuen Betten, Wäsche, Mobiliar und anderen praktischen Dingen verwenden. Auch Bücher und Spiele wollen wir anschaffen.

Jungens, ihr habt bei Charly Beckers und, als meine Kameraden und ich durch die Kugeln des Bill Smith verwundet waren, bewiesen, daß ihr im kameradschaftlichen Sinne zueinander steht. Jetzt könnt ihr euch ein Heim gründen, für das ich euch den Grund gelegt habe.« –

John Workmann hatte seine Rede beendigt und die Jungen saßen mehrere Sekunden schweigend vor Erstaunen da.

Atemlos waren sie seinen Worten gefolgt. Jetzt aber brach ein grenzenloser Jubel aus. Sie stürzten auf John Workmann zu, drückten ihm die Hände, ja, einige umarmten und küßten ihn.

Als endlich wieder Ruhe eingetreten war, schlug John Workmann die erste Sammlung vor. Und keiner der Jungens blieb zurück.

Jeder zog sofort aus der Hosentasche die für den ersten Monat nötigen Dollars und legte sie auf den Tisch. Und es war keiner, der sich ausschloß. Ja, einige von ihnen waren so begeistert von der Idee, daß sie sofort zur Anzahlung fehlender Sachen, wie Gardinen, Bilder und sonst dergleichen, 2 und 3 Dollar John Workmann übergaben.

Dann wurde eine Zählung veranstaltet, wer von ihnen keine feste Wohnung besaß. Es waren 18 Jungen, die eltern- und obdachlos waren. Je zu zweien wurden ihnen die Betten zugeteilt, und Stolz leuchtete aus den Augen der kleinen Enterbten, als wären sie bereits im Besitz der von ihnen allen erhofften zukünftigen Millionen.

Dann reichte Mutter Workmann den in der Küche fertiggestellten Tee nebst Brot und Butter, und keinem Fürsten hätte es besser gemundet als den Jungen. –

Doch nun kam für John Workmann etwas Wichtiges.

In erwartungsvoller Stille begann er:

»Jungens, ich weiß nicht, wer von euch noch eine Mutter besitzt. Und wer sie besitzt, der liebt sie auch von ganzem Herzen.

Nun habe ich für meine Mutter eine Bitte an euch. – Hier in unser Klubhaus gehört eine Frau, die uns das Heim in Ordnung hält und die Küche besorgt. Dazu haben wir keine Zeit. Wir wollen Geld verdienen. Nicht wahr?«

»Jawohl, John«, scholl es zurück – »recht viel.«

»Seht mal, deshalb bitte ich euch, daß wir meiner Mutter in unserem Klubhaus freie Wohnung, Essen, Heizung und ein gewisses Entgelt geben, wofür sie das Haus in Ordnung hält, das Essen kocht und überhaupt für uns sorgt. Seid ihr damit einverstanden?«

Wie ein Mann sprangen die Jungen von ihren Stühlen und stimmten John Workmann zu. –

»Ich danke euch, Jungens«, sagte John Workmann. »Ihr habt mir damit eine große Sorge abgenommen, da ich für meine Mutter einzustehen habe. – Und nun wollen wir zur Unterstützung meiner Mutter einen Klubpräsidenten und zwei Jungen zur Aufsicht wählen, welche mit meiner Mutter alle Ausgaben und Einnahmen ordnen.«

Fast einstimmig fiel die Wahl der Jungen auf John Workmann als den ersten Präsidenten ihres Klubs.

Dann wurden Robert Barney und Harry Konison zu Kassenverwaltern erwählt. Hierauf begann John Workmann mit den Jungens die Hausordnung aufzustellen, wie sie ähnlich in den Arbeitsräumen des Zeitungsriesen war.

Die lautete folgendermaßen:

1. Jede laute Unterhaltung, Singen und Pfeifen ist nach 10 Uhr zu unterlassen. Zuwiderhandlungen werden mit einer Geldstrafe von 10 Cent belegt. Im Wiederholungsfalle wird der Betreffende aus dem Klub ausgeschlossen.

2. Rauchen ist nur in dem zu dem Zweck bestimmten Zimmer gestattet. Kranken und schwächlichen Jungen hat es der Hauswart zu verbieten.

3. Jeder Junge hat nach Anordnung des Hauswarts allmorgendlich bei Reinigung der Schlafräume, des Versammlungsraumes und der Küche zu helfen.

4. Frühstück wird nur an sauber gewaschene und gekämmte Jungen verabreicht.

5. Derjenige, welcher ein Nachtquartier haben will, hat vorher 5 Cent an den Hauswart zu zahlen.

6. Punkt 10 Uhr wird das Licht in sämtlichen Räumen gelöscht.

7. Nichtmitglieder des Klubs, Jungen aus anderen Distrikten, können durch Zahlung von 10 Cent ein Nachtlager, soweit es vorhanden, erhalten.

8. Den Anordnungen des Hauswarts und der Hausmutter ist unbedingt Folge zu leisten. Nichtordentliches Betragen, unsauberes und schmutziges Aussehen schließt von der Mitgliedschaft aus.

Damit gingen sie zu dem geschäftlichen Teil über und beschlossen folgendes:

Der Betrag von zwei Dollar ist von jedem Klubmitglied so lange zu zahlen, bis die Abzahlungskosten getilgt sind. Der weitere spätere Mitgliedsbeitrag richtet sich im Verhältnis nach den Ausgaben.

Ein etwaiger Überschuß soll auf eine Bank gelegt werden und hiervon in Krankheit verfallenen oder sonstwie unterstützungsbedürftigen Kameraden nach allgemeiner Abstimmung ein Darlehen gewährt werden.

Die Kassenführer haben jedem Klubmitglied auf Verlangen die Einsicht in die Rechnungsbücher zu gestatten. –

Nachdem sie jetzt mit den technischen Beratungen ihres Betriebes fertig waren, unterhielten sie sich noch eine halbe Stunde und dann sagte John Workmann zum ersten Male als Präsident des Klubs:

»Jungens, es ist in 15 Minuten 10 Uhr! Geht jetzt in eure Schlafräume und zieht euch aus.

Die Stiefel werden in die Küche gestellt, und morgen früh um 5¼ Uhr, wo wir wegen der Zeitung aufstehen müssen, werden Henry Rocks, Richard Abel und Charley Brand die Stiefel bürsten und die Wohnung ausfegen.

Sein Bett hat jeder in Ordnung zu bringen, darauf sich zu waschen, die Kleider zu bürsten und um 6 Uhr gibt es Frühstück.

Nun ersuche ich die Kameraden, die nicht hier schlafen, nach Hause zu gehen. Wer arbeitet, muß sich durch Schlaf dafür stärken.«

Aber damit drang er heute nicht durch.

Alle wollten sehen, wie ihre Kameraden sich zum erstenmal in die Klubbetten legten, und standen mit strahlenden Augen in den Schlafzimmern und sahen zu, wie unter fröhlichem Scherzen die ersten Klubmitglieder die neuen Klubbetten einweihten. –

Mit köstlichem Wohlbehagen dehnten und reckten sich die kleinen Straßenzigeuner in den weichen, sauberen Betten.

»Hallo, Al«, rief John Workmann einem kleinen, braunhäutigen Italiener zu, »es liegt sich besser hier, als auf einer Parkbank mit Zeitungen zugedeckt.«

Mit glücklichem Lächeln nickte der Kleine und flüsterte, vor Müdigkeit halb schlafend:

»Grazie, grazie, signor.«

»Jungens«, rief einer, »besser schlafen die Millionäre auch nicht.«

»Es ist, als ob Weihnachten wäre«, sagte ein anderer.

Und damit hatte er ihrer aller Stimmung getroffen.

Es war wirklich so, als sei Weihnachten. Nur daß der alte weißbärtige Weihnachtsmann die Gestalt John Workmanns angenommen hatte.

Mit glückleuchtendem Antlitz stand er vor den Betten und schaute auf die müden Schläfer.

Ganz leise verließ er als letzter die Schlafräume, löschte das Licht und ging auch zur Ruhe.


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