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IV

Den Berichten Petrus widersprechend wurde Columbas Hochzeit einfach, beinahe still begangen, wie es sich für die Heirat mit einem Witwer ziemte.

Statt am Sonntag fand sie schon am Sonnabend statt, und noch am selben Tage sollte das junge Paar abreisen. Der Gatte schien glücklich und ruhig und heiter in seinem Glück. Gekleidet wie ein kleiner Edelmann des Mittelalters, mit einem Sammetwams, gesticktem Rock, Gürtel mit Patrontasche, Gamaschen und Sporen und goldenen Knöpfen an dem schön gestickten Hemd, sah er recht gut aus, solange er im Sattel oder im Sessel saß – sobald er aber stand oder ging, schwand der Zauber.

Eine ältere Schwester, Maria Juanna, so hoch und gerade wie eine Pappel, und einige Neffen und Vettern, lauter hübsche und muntere junge Leute, hatten den Bräutigam begleitet: und diese lustige Gesellschaft wie auch die Scheu vor den prüfenden Blicken der Schwägerin hatten Columba in einen Zustand übermäßiger Erregung versetzt, die als Freude erscheinen konnte; vor der Abreise aber war sie plötzlich erblaßt und unter dem Vorwand, Banna noch etwas zu sagen, verschwunden.

Ein Gedanke quälte sie: Jorgi noch einmal sehen, ihn noch einmal um Verzeihung bitten! Aber wie sollte sie das anfangen? Unmöglich war es, zu ihm zu gehen, ohne gesehen zu werden.

Die mit Säcken aus schwarz und weiß gestreiftem Wollstoff bepackten Pferde standen schon zum Aufbruch bereit; alle Nachbarinnen und viele Neugierige nahmen die Straße ein, um den Wegzug des jungen Paares zu sehen. Stimmengewirr und Lachen erschallte ringsum, und im Atrium seines Hauses ließ Zio Remundu Wein und Konfekt herumreichen.

Die Leute auf der Straße traten jetzt beiseite, um Priester Defraja durchzulassen, der an dem Familienmahl teilgenommen und das junge Ehepaar zum letztenmal gesegnet hatte. Statt die Straße hinaufzusteigen, ging er in das Nachbarhöfchen, zu Jorgi Nieddu, und die Frauen sahen ihm nach, stießen einander mit den Ellbogen an: und selbst über jene neugierigen und verschmitzten Gesichter zog gleichsam der Schatten einer traurigen Erinnerung.

Jetzt kam Zio Remundu zum Haustor herausgeritten, und die jungen Verwandten des Bräutigams bestiegen ebenfalls ihre Pferde, rückten sich die Mützen zurecht, schulterten ihre Büchsen und verbeugten sich abschiednehmend vor den zurückbleibenden neuen Verwandten und Freunden.

Columba kam nicht. Neben dem Pferde des Großvaters stehend, nahm Banna von dem Alten einige Anweisungen entgegen; ihre grünlichen Augen funkelten in dem geröteten, harten Gesicht, und Freude und Stolz über ihren Triumph sprachen aus ihrer ganzen Haltung.

Columba kam nicht. Die Schwester des jungen Ehemannes, die rittlings auf einer weißen Stute saß, kam jetzt, sich bückend, aus dem Tor heraus, und gleich hinter ihr der Bruder mit seinem Braunen, auf dessen Kruppe aus einem Kissen und einem roten Reifen eine Art Sattel für die junge Frau hergerichtet war. Doch sie kam nicht.

»Sie ist nach oben gegangen, sie hatte etwas vergessen,« sagte Zuanpedru zur Schwester, die ihn fragend anblickte.

»Columbè, Columbè, kommst du?« rief Bannas Gatte vom Sattel aus zu den oberen Fenstern hinauf.

Da eilte Banna die Treppe hinauf und fand Columba weinend auf der Veranda. Da sie nicht mehr zu Jorgi konnte, hatte sie von weitem Abschied von ihm genommen und Abschied von der Vergangenheit und weinte über beide, die für sie gleicherweise tot waren.

»Columba! Mut, Schwester!« sagte Banna, umfaßte sie und brach nun ebenfalls in Tränen aus. »Sorge dich um nichts; alles soll in Ordnung bleiben. Hast du mir noch etwas zu sagen?«

Schon am Tage zuvor hatte Columba der Schwester das Haus übergeben, das Banna übrigens ebensogut kannte wie sie; sie hatten einander nichts mehr zu sagen, aber die junge Frau fuhr fort zu weinen, während die Schwester sie fast mit Gewalt zur Treppe führte, wie sie sie stets im Leben geführt. Sich die Augen trocknend, ermahnte sie jetzt Columba: »Munter, liebe Schwester! Laß dich nicht so vor den Leuten sehen: was würden sie sagen? Daß du zu einem Begräbnis gehst?«

Columba blieb stehen und machte sich aus dem Arm der Schwester los; auch sie trocknete sich das Gesicht und suchte sich zu fassen. »Banna,« sagte sie leise – denn schon erschienen neugierige Gesichter am Fuß der Treppe –, »ich möchte dich um eines bitten …«

»Sprich, meine Schwester, sprich!«

»Höre, ich gehe jetzt fort, und es ist ebenso, als wäre ich tot: ich werde nicht wieder herkommen. Aber du und Babbo Corbu, sag' es ihm, hörst du, ihr sollt den unglücklichen Jorgi nicht mehr quälen … Gebt ihm seinen guten Namen wieder, und wenn er stirbt, so sorgt dafür, daß der Priester und die Bruderschaft mitgeht, und laßt eine feierliche Messe für ihn lesen … ich werde alles bezahlen …«

»Columba!« fing Banna an und stemmte die Arme in die Seite. Doch weiter kam sie nicht, denn der junge Ehemann stand unten und rief ihr zu: »Addio, Banna! Laßt es euch gut gehen und besucht uns bald!«

Und Columba knüpfte ihr Kopftuch unter dem Kinn, und von den Bekannten begleitet, die sie küßten und lachten und weinten, ging sie auf die Straße, stieg flink und lächelnd auf einen Stuhl und schwang sich auf die Kruppe des Pferdes Zuanpedrus.

»Sitzest du gut, Columba?« fragte er, sich nach ihr umwendend.

»Ganz gut! Addio, laßt es euch gut gehen! Banna, Addio! Und vergiß nicht das Tor zu schließen …«

Die Frauen ordneten ihr die Röcke um die Beine, sie legte den Arm um den Gatten, und sie ritten durch die Leute hindurch.

Ein kleines braunes Gesicht, zwei große vor Neugier funkelnde Augen erschienen Columba fast zu ihren Füßen: Petru saß am Eingang des Nachbarhofes und winkte ihr mit der Hand einen Abschiedsgruß zu; sie erwiderte ihn mit einem Blick der Verzweiflung, und aufs neue füllten ihre Augen sich mit Tränen; und doch war es ihr tröstlich, daß der Knabe aufstand und zu seinem Herrn hineinging, als wollte er dem armen Jorgeddu ihren legten Abschied überbringen. Sie zog sich das Tuch über die Stirn, um sich vor der Sonne zu schützen, blickte noch einmal zurück – dann war alles zu Ende, als wäre es nur ein Traum gewesen; sie erinnerte sich, daß sie auf der Veranda ihren Fingerhut vergessen hatte, und eine unbestimmte Unruhe erfaßte sie … Ach, dort oben mußte sie einen neuen Fingerhut kaufen und eine neue Arbeit beginnen! Wie mochte der Hof dort oben sein? Ob sie auch dort sitzen und nähen konnte, ohne von den Nachbarn gesehen zu werden? Sie wollte sich ganz verborgen halten, mit ihrem heimlichen Denken allein sein …

Plötzlich erdröhnte die Luft von Flintenschüssen, die Pferde wurden unruhig, und Zuanpedru faßte sie bei der Hand, damit sie nicht von ihrem Sitz hinuntergleite. Wildes Schreien begleitete die Schüsse, die die jungen Verwandten ihnen zu Ehren abfeuerten, und an dem klaren Nachmittag widerhallte das ganze Tal vom ernsten Klang der Büchsen.

Columba blickte unter ihrem Kopftuch hervor, dessen Rand allemal einen Ausschnitt der Landschaft umrahmte: da oben, vor dem klaren und doch melancholischen Himmel, ist die Kirche; dort der Baum bei dem Hause des Lehrers; da die kleinen schwarzen Häuschen, da das Elternhaus und auch die Hofmauer Jorgis. Die Leute bewegen sich noch im Sonnenschein: vor der Mauer wird auf einen Augenblick eine schwarze und eine weiße Gestalt sichtbar, und Columba meint noch Petru und die Fremde zu erkennen und verbirgt ihr Gesicht an der Schulter Zuanpedrus, der fortwährend ihre Hand hält und fortwährend, zu dem Großvater gewendet, fragt: »Und wem gehört das Stück Land dort? An wen ist jener Acker verpachtet?«

Und der Großvater hält sich die Hand hinter das Ohr, um besser zu verstehen, und antwortet mit lauter Stimme, während seine Blicke nicht von Columba ablassen: Ach, ihre Augen unter dem geblümten Tuch sind rot! Das sind nicht die Augen einer glücklichen Braut! Und auch ihm ist's, als hätte er etwas vergessen im Dorf da oben, und es macht ihn unruhig …

Eine Strecke weit reitet die Gesellschaft talabwärts, dann beginnt der Aufstieg zur Hochebene. Die jungen Leute singen, Bannas Gatte voran, und die Schwester des Bräutigams, aufrecht und hoch auf ihrer weißen Stute, sieht aus wie eine Amazone, bereit, querfeldein über Höhen und Ebenen dahinzureiten, ruhig in der Stunde des Festgelages, ruhig in der Stunde der Gefahr.

Die Mastixbüsche und der blühende Ginster, die wilden Lilien und Päonien, die im Schatten der Felsen erwachsen wie in einem verwilderten Garten, erfüllen die Luft mit ihrem Duft.

Die Gesellschaft verfolgt dieselbe Straße, die einst die feindlichen Familien hinaufzogen, um in dem Kirchlein auf der Hochebene Frieden zu schwören, und es ist des Bräutigams Absicht, gerade dort anzuhalten und einen kleinen Imbiß zu nehmen.

Und der Großvater erzählt, die Hand ausstreckend: »Dort kam der verrückte Junassiu Arras heraus und stellte sich gerade vor dem Bischof auf. Ein guter Mann, jener Bischof, aber seinen Kopf hatte er auch; was er wollte, das wollte er, und so konnten sie sich nicht einigen. Der Präfekt hingegen war ein Schlaukopf, und ich durchschaute seine Absicht gleich: er wollte uns alle unter Dach bringen und uns lehren Wolle spinnen!«

Bei dem Kirchlein lagerten sie, und Zuanpedru sah seinen Traum erfüllt: Columba saß im Schatten einer Eiche, und Bannas Gatte holte aus einem der Säcke Brot, Wein und Zuckerwerk hervor. Doch niemand hatte Hunger; die jungen Leute sprachen dem Wein zu und führten dann ihre Pferde zum Flüßchen, dessen bereits spärliches Wasser hier und da stockte und die Binsen und blühenden Oleander widerspiegelte.

Da ertönte ein Pfiff aus dem Eichengestrüpp oberhalb des Planes, und ein schwarzes Zicklein mit großen, glänzenden Augen sprang zu dem Flüßchen hinunter, gefolgt von einigen bereits geschorenen Schafen; andere Zicklein streckten ihre Schnauze aus den Büschen heraus, und auf den Felsen erschienen die großen Ziegen und betrachteten neugierig die Männer und die Pferde unter den Oleandern.

Der Hirte pfiff, um sie zurückzurufen: es war ein Alter mit langem Bart, der Kapuze über dem Kopf und den Ranzen auf dem Rücken; und Bannas Gatte, noch lustiger als gewöhnlich, rief ihm scherzend zu: »Wie, Zio Junassiu, tragt Ihr Eure Reichtümer immer bei Euch?«

»Die Reichtümer sind für dich!« erwiderte der Alte scharf. »Und was tust du hier mit all diesen Füllen?«

»Seht Ihr das nicht? Ich habe sie zur Tränke geführt.«

Der Alte blickte forschend nach den jungen Leuten, die so vergnügt schienen, und einen Augenblick war er bestürzt. Er stand hier seit dem Morgen, gleichsam auf der Lauer, auf das Vorüberkommen des jungen Ehepaares und Remundu Corbus wartend, denen er ein Wörtchen zu sagen gedachte; nun aber zauderte er, als ob es ihm – mehr als um jene – leid täte, die Fröhlichkeit all der jungen »Füllen« zu stören.

Sein Gerechtigkeitsgefühl jedoch drängte ihn dazu: Jorgi, sein kleiner Verwandter, lag krank unter der Last der Verleumdung – und die, die ihn zugrunde gerichtet, trabten hier unter der schönen Sommersonne durch das blühende Gelände, glücklich wie die Könige? War das gerecht? Der ganze Starrsinn des Alten lehnte sich gegen diesen Gedanken auf, und vielleicht barg sich, ihm selbst unbewußt, hinter seinem Durst nach Gerechtigkeit noch der Durst nach Rache.

Jorgi hatte ihn gebeten zu warten, bis Columba verheiratet und fortgezogen sei, bevor er Remundu Corbu berichtete, wer der Dieb seines Gutes war: nun, jetzt war Columba verheiratet und fortgezogen, und nichts mehr konnte Junissiu Arras abhalten zu reden.

»Sind das die neuen Verwandten?« fragte er, mit dem Hirtenstab auf die jungen Leute deutend. »Und wo verbergen sich die Brautleute?«

»Sie sitzen dort oben im Schatten. Kommt Ihr mit, ein Glas trinken?«

»Gott steh' mir bei, ja!«

Und was in so vielen Jahren nicht zustande gekommen war: der Friede, das schien sich jetzt zu vollziehen: er folgte den Leuten aus Tibi und trank den guten Wein des Bräutigams.

»Nun,« sagte er dann und blickte zu Columba hinüber, die ihn schweigend betrachtete, »wollt Ihr nicht mit in meine Schäferei kommen? Es ist nur zwei Schritte von hier, und es ist auch ein Nachbar von euch da.«

»Wer? Wer?«

»Wie, wißt Ihr das nicht? Dionisi Oro.«

Columba erschrak, aber der Großvater sagte geringschätzig: »Ein schöner Nachbar! Und was tut er da?«

»Das weißt du besser als ich. Er ist krank und hat gebeichtet: wie könnte ich ihn fortjagen? Kommt mit, denn was kann euch allen an seinem Verschulden liegen?«

Der Großvater packte ihn beim Arm und sah ihm mit dem alten, heißen Blick in die Augen. Und auf einen Blick verstanden sich die beiden. Zio Remundu ließ den alten Feind los, kreuzte die Arme über der Brust und sagte höhnisch: »Gut, also ich weiß es besser als du! Aber was?«

Columba war aufgesprungen, aber sie zitterte so, daß sie sich am Stamm der Eiche halten mußte: beim ersten Wort des alten Banditen hatte sie verstanden, was er meinte.

»Nun, wenn du es wirklich nicht weißt, so komm doch auf dem Rückweg wieder hier vorüber und in meine kleine Schäferei …«

»Was geht mich ein blödsinniger Bettler an! Trinke lieber, Junassiu, trinke noch ein Glas! Wir haben Eile, fortzukommen. Nun ja, auf dem Rückweg will ich in deiner Schäferei vorsprechen; sorge, daß ich ein gebratenes Zicklein finde!«

»Gut, du sollst ein gebratenes Zicklein finden … Addio, Columba! Viel Glück und viele Söhne! Und vergiß die Heimat nicht!«

Sie hörte eine Anspielung aus seinen Worten heraus, und die plötzliche Eile des Großvaters, fortzukommen, vermehrte ihre Unruhe. Das Herz klopfte ihr vor Bangen und vor Freude. Ach, der Herr hatte also Mitleid mit ihr und sandte ihr wenigstens den Trost, Jorgeddu von allem Schimpf reingewaschen zu wissen: Ja, die Wahrheit mußte endlich an den Tag kommen wie die Sonne nach der Finsternis …

Aber sie wollte die ganze Wahrheit wissen: allzusehr hatte sie gelitten unter der Ungewißheit, dem Zweifel, die sie all diese Monate hindurch gequält. Jetzt trat sie vor, und während Bannas Gatte, der den Mund nicht aufgetan, aber ebenfalls alles verstanden hatte, die jungen Leute aufforderte, die Pferde wieder zu satteln, ging Columba auf den alten Arras zu und fragte: »Also Dionisi Oro hat gebeichtet? Und hat der Beichtiger ihm die Absolution erteilt?«

»Das weiß ich nicht, Columba! Ich war's nicht – Priester Defraja war der Beichtvater!«

»So sagt Dionisi Oro, er solle öffentlich beichten und sein Unrecht gutmachen!«

Der Alte verstand sehr wohl, daß sie damit den dem unglücklichen Jorgi angetanen Schimpf meinte, und benutzte die Gelegenheit, um nun alles offenbar zu machen. »Höre!« sagte er, mit dem Mund an Columbas Ohr, doch so laut, daß auch die andern es hören mußten: »Geht zum Kirchlein des heiligen Franziskus; der Bettler hat euer Geld bei der Mauer neben dem Brunnen vergraben …«

Sie erblaßte, riß die Augen auf und heftete sie auf die des Großvaters: »Habt Ihr gehört?«

Und der Großvater packte wiederum seinen alten Feind bei den Armen und sagte zähneknirschend: »Und du kommst hierher, um mir diese Geschichte zu erzählen, hier, mitten auf der Straße und in einem Augenblick wie dieser?«

»Jeder Augenblick ist gut, die Wahrheit zu sagen!«

»Aber ist das die Wahrheit?«

»Bei Gott, Remundu Corbu, auf diese Frage antworte ich nicht! Aber sieh nur deine Enkelin an, und du wirst die Wahrheit erkennen!«

Columba zitterten die Knie, und sie hielt sich mit Gewalt aufrecht, um nicht ohnmächtig hinzufallen. Zuanpedru betrachtete sie besorgt und näherte sich ihr, um sie zu stützen; doch was lag ihr an ihm oder an dem, was er denken mochte? Die Dinge, von denen die beiden Alten redeten, gingen ihn nichts an; die gingen sie allein an, und sie mußte sie richtigstellen.

»Habt Ihr gehört, Babbo Corbu?« sagte sie noch einmal, »Geht und sucht nach und macht Euer Unrecht wieder gut …«

Und während der Großvater antwortete, beugte sie sich vor, griff in die Luft und stürzte vornüber auf die Erde, zu den Füßen ihres Mannes.

»Columba! Columba!«

»Columbè, liebe Seele!«

Tief erschrocken umstanden sie die Ohnmächtige, die wie tot in den Armen der Schwägerin und des Bräutigams lag. Maria Juanna aber bedeutete allen zurückzutreten; sie setzte sich hin, nahm den Kopf Columbas auf ihre Knie und hieß Zuanpedru die Füße seiner jungen Frau auf den Boden legen.

»Gebt mir ein wenig Wein!«

Man reichte ihr das Glas, aus dem Junassiu Arras getrunken.

Zio Remundu blickte stumm, wie entsetzt auf Columba: wenn sie nun tot war? Dann hatte er auch sie getötet! Und er hatte ein schreckliches Gesicht: er sah Columba auf dem Brautwagen liegen, der ihre Habe von Oronou nach Tibi gebracht, Columba, wie sie von dieser verhängnisvollen Brautfahrt in das Heimatdorf zurückkehrte, müde und stumm schon, bevor sie ihr neues Haus erreicht; und er sah den Bräutigam, wie er wieder sein Witwerkleid aus dem Sack hervorholte, es anlegte und dem in einen Leichenwagen umgewandelten Brautwagen folgte …

Aber das erschien dem Großvater so ungerecht und naturwidrig, daß er sich dagegen auflehnte; das Verlangen nach Abwehr, ja nach Rache drängte ihn dem alten Feind entgegen. Irgendeiner sollte für das grausame Schicksal büßen! Er erhob die Faust und schrie: »Junassiu Arras, jetzt wirst du zufrieden sein! Sieh, was du angerichtet hast!«

»Nicht ich …« entgegnete der Alte …

»Still, sie kommt zu sich!« gebot Zuanpedru, über Columba gebeugt. »Erschreckt sie nicht weiter … es ist, bei Gott, genug!«

Sie öffnete die Augen, setzte sich auf und senkte den Kopf, wie um sich zu besinnen, was geschehen sei, und bald erhob sie sich wieder und schämte sich ihrer Schwäche.

»Ach, die Kräfte verließen mich; was wirst du sagen, Zuanpedru Cannas?«

Die jungen Leute waren wieder herangekommen und umringten sie lachend: »O, was bist du für eine Frau? Bist du aus frischem Käse gemacht? Jetzt aber munter, sonst binden wir dich zwischen drei Stangen wie ein Pflaumenbäumchen …«

»Columba, verzeihe mir!« sagte nun Junassiu Arras und streckte ihr reumütig die Hand hin. »Ich glaubte, du wüßtest es schon!«

Wieder trat Zuanpedru dazwischen, ruhig, doch bestimmt; er legte dem alten Arras die Hand auf die Schulter, sah ihn mit seinen klaren Augen an und sagte: »Hört, Zio Junà, laßt uns jetzt ziehen, wir sind eilig, nach Hause zu kommen. Ist noch etwas aufzuklären zwischen Euch und Babbo Corbu, so mag er zurückbleiben und uns nachkommen. Er ist ja noch flink und munter.«

»Wohl,« sagte der Großvater, der nachdenklich geworden war und ganz verwandelt schien, »ich werde euch schon einholen!«

Und die beiden alten Feinde blieben allein zurück im Schatten der Eiche, vor dem Kirchlein, das einst ihr Friedensgelübde nicht empfangen hatte.

* * *

Nachdem der Großvater die Brautleute eingeholt und bis zu ihrem Hause begleitet hatte, ritt er auf dem Rückweg zur Kirche des heiligen Franziskus.

Wie viele Erinnerungen begleiteten ihn auf diesem Wege durch die Heidestrecken in den Bergen von Lula, durch die Buschwälder, die ihn als Kind auf der Kruppe des Pferdes seines Großvaters gesehen, als wilden Jüngling, als jungen Ehemann an der Seite seiner Frau mit der wie Stahl so blanken und unbiegsamen Seele; und dann als Großvater, von den heftigsten Leidenschaften bedrängt, von Haß und Rachedurst, und umherirrend, Jäger und Wild zugleich; mit dem Herzen des Adlers, der dem Feind zu entgehen weiß, und den Augen des Geiers, der ihn sucht … Und nun als Greis, der seine nutzlosen und gefährlichen Leidenschaften begraben hat wie jener Bettler, der Dieb, den geraubten Schatz …

Ja, der Großvater fühlte, daß etwas in ihm zerbrochen und von ihm abgefallen war wie der Stein, der sich von dem vom Blitz getroffenen Felsen löst und abstürzt.

Und wenn Columba nun gestorben wäre? Der Gedanke verfolgte ihn unablässig. Nicht der Tod der Gattin, nicht die Gefahr, in der sie sich befunden damals im Walde, als er gebrüllt wie ein Löwe, hatten ihn so empfindlich getroffen wie die Ohnmacht Columbas. Er versuchte sich von diesem ständigen Gedanken loszumachen, indem er wie sonst den Strom seiner Erinnerungen rückwärts verfolgte – doch jeden Augenblick kehrte sein Denken wieder dorthin zurück: in den Schatten der Eiche. Und das weiße Gesicht Columbas, ihre geschlossenen Augen, ihren leblosen Körper sah er immerfort vor sich.

Du bist kindisch geworden, Remundu Corbu, sagt er zu sich selbst und schlägt mit der Faust auf den Sattelknopf. Dein Rückgrat ist wie mürbes Rohr!

Und wirklich hatte er sich in den zwei Tagen ein wenig gebückt; jeden Augenblick reckte er sich in die Höhe, um alsbald wieder zusammenzusinken. Die einzige Erklärung, die er sich für diese plötzliche Schwäche des Körpers und des Geistes zu geben wußte, war die: Remundu Corbu, du bist gealtert, du bist kindisch geworden.

Wie sollte er sonst seine überraschende Gelassenheit seinem alten Feinde gegenüber erklären? Er hatte ja kaum auf dessen boshafte Insinuationen geantwortet, nur von dem einen Gedanken beherrscht: Und wenn Columba nochmals ohnmächtig würde? Wenn sie unterwegs stürbe?

Ja, kindisch geworden! wiederholte er für sich; aber während sein altes Pferd behutsam den abschüssigen Weg hinabstieg, um nicht auf den wie blankes Silber glänzenden Schieferplatten auszugleiten, sah er wieder das weiße Gesicht Columbas, nicht mehr im Schatten der Eiche jetzt, sondern im Hause ihres Mannes: Sie ging wie verwirrt umher in den dunklen Küchen, in den kleinen, ein wenig feuchten, nach frischem Käse und Wolle riechenden Stuben. Ja, das Haus ihres Mannes war groß, aber nicht sehr heiter: es sah aus wie ein altes Kloster.

Columba ist nicht bange, wenn es viel zu tun und viel Gut zu hüten gibt, denn daran ist sie gewöhnt, denkt der Großvater, die Zügel anziehend; es war doch immerhin eine gute Partie: Zuanpedru ist ein Mann wie Gold, und sie wird da oben leben wie in einem Heiligenschrein …

Freilich sind die Heiligen in ihrem Schrein auch nicht sehr vergnügt, und Columba ist es nie gewesen! Aber es ist ja auch nicht das Bild der trübseligen jungen Frau, das den Großvater beunruhigt, sondern der Gedanke: wenn sie nun gestorben wäre!

Und so reitet er dahin, der halsstarrige alte Mann, und erkennt nicht, daß der aus der Höhe abgestürzte Stein auf dem Grunde seines Gewissens lastet; klar gestehen will er es sich nicht, aber er fühlt es, daß er die Jugend Columbas, ihre Liebe, ihr Herz gemordet hat, und daß ihr wahres Bild nunmehr das ist, das ihn verfolgt: eine leblose, blasse, blinde Columba, die wie tot im Schatten des großen Baumes des Lebens daliegt.

* * *

Bei der Kirche von San Francesco angelangt, stieg er ab, nahm seine Mütze ab und durchschritt die beiden Vorhöfe, sein Pferd am Zügel führend. Längs der Umfassungsmauer und auf den Dächern der die Kirche umgebenden Häuschen wuchs Gras, und nur die Schwalben belebten mit ihrem Flug und ihrem wie das Schwirren von Gitarresaiten vibrierenden Gezwitscher den einsamen Ort.

Zio Remundu band sein Pferd an einen Pflock im inneren Hofe, trat in die Kirche, kniete auf dem Estrich und heftete seine Augen auf den strengen, bärtigen Heiligen, der aus seinem Schrein heraus neugierig, ja mißtrauisch auf ihn niederzublicken schien, als wollte er sagen: Auch du hier? Was ist dir denn widerfahren? Wir kennen uns ja schon eine gute Weile!

Wie viele von Leidenschaften Bewegte, von mehr oder weniger erlaubten Begierden Bedrängte, wie viele Verfolgte und wie viele Verfolger hatten hier schon gekniet, zu den Füßen des Heiligen, ihres vermeintlichen Freundes und Gerichtsherrn! Doch der Großvater weiß, daß es nicht leicht ist, diesen Eremiten in den einsamen Bergen zu täuschen, daß er sich nie dem Ungerechten willfährig erweist und nicht einmal als sehr wohlwollend gegen den Sünder, der reuig zu ihm fleht und gewillt ist ein neues Leben zu beginnen.

San Francesco, du Fürsprecher der Guten, betete er, ich bin hier, nicht um Ungerechtes zu erflehen! Ich bin ein Sünder und bereue, aber zu Euch komme ich, um Euren Rat zu erbitten. Ich bin alt und habe geirrt – doch welcher Mensch irrt nicht? Eure Erfahrung ist größer als die meine, sagt mir also, was ich in dieser Heimsuchung tun soll! Ich werde jetzt bei der Mauer nachgraben, und wenn ich das Geld finde, so will ich es Euch darbringen; aber ratet mir, was ich tun soll, denn wenn ich gefehlt habe, so ist es geschehen, weil ich an meine Weisheit und Einsicht glaubte und nach meinem Sinn tat.

Er stand auf, nahm aus seinem Quersack eine kleine Schaufel, mit der er sich im Hause Zuanpedrus versehen hatte, und ging und begann an der ihm von Junassiu Arras bezeichneten Stelle zu graben. Der Schatten der Mauer legte ein breites dunkles Band über das Gras und die Blumen, unter denen der Großvater grub, und in der tiefen Nachmittagstille unterbrach nur das Zwitschern der Schwalben und irgendein ferner Laut das Schweigen des Ortes.

Und da stieß die Spitze der Schaufel schon auf etwas Hartes: dem Alten schlug das Herz, als sollte er einen seit alten Zeiten verborgenen Schatz heben, und als der Kasten zum Vorschein kam, den er so gut kannte, da warf er sich zitternd ins Gras, verwirrter als Dionisi, da er das gestohlene Gut vergrub. Und weshalb zitterte er? Vor Aufregung, vor Ärger, vor Scham? Er wußte es nicht! Man hatte ihm noch ganz anders mitgespielt im Leben, ganz andere Überraschungen hatte er erfahren – keine aber hatte ihn wie diese gedemütigt und erschüttert …

Er öffnete den Kasten und zählte das Geld; es war noch alles da: die Goldstücke, die Silbermünzen, die zusammengefalteten, bereits schwarz gewordenen Bankscheine. »So soll deine Seele in der tiefsten Hölle modern!« schrie er erbittert; seine Stimme widerhallte wie auf einem Kirchhof, und ein Schwälblein, das neugierig über die Mauer geschaut, flog erschrocken davon.

Zio Remundu stützte die Hand auf den Boden, erhob sich, den Schatz in der Hand, und ging wieder in die Kirche. Was tun? fragte er sich. Jetzt gab es keinen Ausweg mehr: entweder Jorgi Nieddu Gerechtigkeit erweisen – oder sich für den ganzen Rest seines Lebens den Vorwürfen des eigenen Gewissens und der Selbsterniedrigung preisgeben!

Und übrigens hatte Junassiu Arras deutlich genug gesprochen: Entweder du gibst jenem Unglücklichen seinen guten Namen wieder, oder ich werde dich auf öffentlichem Platze beschämen.

Aber das war es nicht, nein! Er hatte den jungen Junassiu nicht gefürchtet – um so weniger ließ er sich von dem alten einschüchtern: das war es nicht! Die ihn jetzt bedrängte, war eine weit mächtigere Stimme als die des ehemaligen Banditen; das war die Stimme, die zuerst laut geworden an jenem Abend, da Columba geschrien hatte: Babbo Corbu, wir haben uns getäuscht!

Aber wer gab ihm die Gewißheit, daß nicht dennoch alles eine Komödie war? Dionisi, der Bettler, war ein Idiot: um ein Geringes mochte er sagen, was Schlauere als er ihm vorgesagt. Ach, nein, der Großvater fühlte, daß er sich mit diesem Gedanken selbst belog.

Also war tun, San Francesco, unser Fürsprecher?

Unbewegt blickte der bärtige Heilige aus seinem Schrein hernieder. Er sah den Alten an den Opferstock gehen und die Münzen hineinwerfen, eine nach der andern, die Scheine hineinstecken, dann sich bekreuzen und wiederum niederknien, mit gesenktem Kopf, wie müde oder überwunden. War es die reiche Spende – war es die Gemütserregung des alten Mannes, was den Heiligen endlich rührte? Mit einemmal erleuchtete der erflehte Rat den Sinn Remundu Corbus.

Er verharrte lange regungslos, als lausche er einer fernen Stimme; endlich erhob er sich, sah ein letztesmal zu dem Heiligen auf und nickte ihm ein Ja zu. Ja, ja: wie ein guter Klient, der zahlt und sich von den klugen Ratschlägen seines Anwalts leiten läßt, so war auch er entschlossen der Stimme zu folgen, die ihm sagte: geh' zu Jorgi Nieddu und erweise ihm Gerechtigkeit.


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