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II

Kaum war sie gegangen, so kam der kleine Diener. Giorgio trocknete sich die Augen, damit jener nicht sähe, daß er weinte, doch auch, weil er sich allemal freute, wenn der schöne, gesunde Knabe eintrat, in die Tracht der Gegend gekleidet, mit großen schwarzen glänzenden Augen, aus denen es wie unerschöpfliche Freude leuchtete, mit seinem krausen und staubigen Haar, das an das Vlies schwarzer Frühlingslämmer gemahnte.

Der kleine Diener erinnerte ihn an die eigene Kindheit, war ihm überdies sehr nötig und der einzige, zu dem er noch Vertrauen hatte und an dessen Zuneigung er glaubte.

»Petru,« sagte er, während der Knabe Wasser aus dem Tonkrug in eine Schüssel goß und einen Lappen einseifte, »bevor du mich wäschst, mußt du hier ein wenig reinmachen, weil jemand kommen wird.«

Überrascht blickte der Knabe auf, die schwankende Schüssel in den Händen. »Aber wenn ich doch allen gesagt habe, Ihr wolltet niemand sehen?«

»So wird doch jemand kommen.«

»Na, dann jagt ihn fort!« riet Petru und runzelte die kupferfarbene Stirn. »Sie reden doch alle Böses von Euch und sagen, Gott strafe Euch, weil Ihr ein Ungläubiger seid, und Eure Krankheit wäre ansteckend …«

»Ruhig! Das hast du mir ja schon gesagt.«

»Ja, auch zu meiner Mutter haben sie gesagt: ›Warum läßt du deinen Sohn da hingehen? Er wird ihn die Sachen gegen Gott lehren und ihn noch mit seiner Krankheit anstecken …‹ Meine Mutter glaubt das wohl nicht, aber sie sagt doch: ›Und warum läßt Jorgeddu nicht den Priester rufen, um zu beichten?‹«

»Gut, mache nur hübsch rein: der Priester wird kommen.«

»Der Priester wird kommen?« schrie der Knabe verwundert und erfreut. »Und wer hat Euch das gesagt?«

»Ich habe es geträumt.«

»Ach, auch ich habe geträumt, ich hätte ein Sonetto Querpfeife. und spielte, hier vor der Tür, und es war warm … Ecco, wenn der Priester kommt, wird er Euch etwas mitbringen, denn er schenkt allen was, und dann sagt Ihr ihm: ›Nein, schenkt mir lieber eine Pfeife für meinen kleinen Diener, dann spielt er darauf, und wir haben alle beide unsere Freude daran …‹«

Inzwischen hatte er ein mit Binsen zusammengebundenes Ginsterbüschel zur Hand genommen und kehrte mit aller Macht den Fußboden. Jeden Augenblick aber schüttelte er sich die Haare aus der Stirn und blickte in den Hof hinaus.

»Ob er wohl heute morgen kommt? Jetzt zünde ich das Feuer an und mache den Kaffee. Soll ich ihn gleich für ihn mit machen? Aber … eine Tasse? Es mußte doch eine schöne Tasse sein, und wir haben keine. Ich könnte eine leihen …« Aber guten Kaffee und schöne Tassen hat er zu Hause, überlegte er sich dann; er ist reich und braucht unseren Kaffee nicht. Wenn das Fenster offen ist, sieht man in seinem Zimmer den Fußboden aus roten Plättchen … »Aber wer weiß, ob er so bald kommt. Meine Mutter muß heute bei Zia Bellu das Brot einschießen, und darum muß ich mich eilen, denn ich muß mein kleines Brüderchen verwahren. Aber zuerst koche ich Euch ein Ei und stelle Euch alles aufs Tischchen.«

Nachdem er in einem tragbaren kleinen Kochherd ein wenig Holzkohle entzündet, öffnete er die Truhe und hielt den Deckel mit dem Kopf in die Höhe. »Petru,« fragte sein Herr in diesem Augenblick, »hast du jemand gesehen?«

»Ich habe die Alten auf dem Platze gesehen wie Eidechsen in der Sonne sitzen; und dann bin ich Zia Giuseppa Fiore begegnet, die von hier unten heraufkam. Wir haben noch drei Eier, Zucker, Brot …«

Der Kranke schwieg. Und während der Knabe den Kaffee bereitete, den er in einem irdenen Töpfchen kochte, das manchen Zwecken dienen mußte, und, um keine Zeit zu verlieren, das Ei in die heiße Asche unter dem Herde legte, berichtete er die weiteren Neuigkeiten aus dem Dorfe. Seine Mutter pflegte in vielen Häusern das Brot in den Ofen zu schieben, und dieses Gewerbe ermöglichte ihr alle Schwatzereien zu erfahren.

»Diese Nacht hat sie bei Zia Martina Appeddu das Brot in den Ofen getan, die die Arzneien macht und Zauberei treibt; und da haben sie von Euch gesprochen und gesagt, Ihr wäret krank, weil der neue Bräutigam Columbas, Eurer früheren Braut, wißt Ihr, einen Zauber über Euch geworfen hat. Er ist ein reicher Besitzer aus Tibi, mit einem langen Bart und Witwer, sagen sie, aber steinreich, eine Kugel soll ihm durch die Kapuze fahren; er hat drei Tancas nebeneinander, mit dem Fluß mitten drin, und zweihundert Schafe und fünfzig Kühe und einen Hund, der vierzig Skudi gekostet hat. Der wird schön beißen können, was? Ja, und sie sagen, wenn Columba heiratet, dann kommt der Bräutigam mit allen Verwandten, alle zu Pferd, und auch Zio Remundu, Columbas Großvater, wißt Ihr, eine Kugel soll ihm über den Schnurrbart fahren, auch der hat Soldi! Er läßt dann drei Kühe und zwanzig Ziegen schlachten für das Hochzeitsessen … Aber ich wollte sagen, da bei Zia Martina sagten die Frauen, die das Brot machten, dieser Bräutigam hätte Euch behext, damit Ihr krank wäret und Euch nicht rühren könntet, solange er nicht Columba heimgeführt hat, denn sonst, fürchtet er, sie könnte noch mit Euch liebeln … O, Gott sei Dank, der Kaffee ist fertig und das Ei gekocht. Jetzt bringe ich Euch alles, und dann wollen wir einmal sehen, ob der Priester kommt …«

Wie sehr er sich auch bemühte ruhig zu scheinen, der Kranke zitterte. Hundert Fragen stiegen ihm auf die Lippen, aber er beherrschte sich und schwieg, weil er wünschte, der Knabe sollte ihn für gleichgültig gegen das alles halten und ihn so denen schildern, die etwa nach ihm fragen würden.

Mühsam, und kaum den Kopf hebend, weil ihn, wenn er sich zum Sitzen aufrichtete, furchtbarer Schwindel überfiel, schlürfte Jorgi das Ei aus der Schale und den Kaffee aus der plumpen Tasse, in die Petru ihn gegossen hatte; dann wischte er sich mit einem feuchten Lappen über Gesicht und Hände und fing an sich die Nägel zu reinigen. Diese Operation brachte den kleinen Diener jedesmal zum Lachen: er selbst hatte sich noch nie die Nägel geschnitten, und doch wuchsen sie nicht: sie hatten nicht die Zeit dazu.

Mit merkwürdiger Kraft und Geschicklichkeit entfernte er einige große Steine, die eine Ecke der Kammer verunzierten, und brachte seine Reinigung zu Ende; dann lud er sich einen Krug so groß wie er selbst auf die Schulter, um am Brunnen Wasser zu holen; und den Weibern, die dort standen und sogleich anfingen ihn auszufragen, erzählte er, der Priester werde den Kranken besuchen. In einem Augenblick wußte es das ganze Dorf, und die Nachricht machte großen Eindruck.

Als er wieder eintrat, war der Priester noch nicht gekommen. Sein Herr aber schien ruhiger: er las in einem schwarzen Büchlein, das er immer unter dem Kopfkissen hatte.

»Ich habe in alle Straßen hingeschaut,« sagte der Knabe, das Wassergefäß abstellend, »aber der Priester ist nicht zu sehen. Um Mittag komme ich wieder, und wenn er kommt, so sagt ihm, wenn er keine Pfeife hat, dann soll er uns wenigstens ein Buch mit sardischen Liedern schenken, aber gereimte und lustige, nicht so ernste wie in Eurem Buch. Die lest Ihr mir dann vor, und ich lerne sie auswendig. Und das hier hab ich für Euch gekauft: zwei Schweinsnieren. Seht doch, sehen sie nicht aus wie ein Paar Feigen? Und so süß werden sie auch sein …«

Er wog die feuchten, bläulichen Dinger auf seinen schmutzigen Fingern, und der Kranke lächelte beinahe glücklich.

»Aber der Doktor will's nicht haben! Ich soll nur Milch und Eier zu mir nehmen.«

»Er weiß es doch nicht – also, was tut's?«

Nachdem der Knabe gegangen war, fing Giorgio wieder an, in seinem Büchlein mit den »ernsten Liedern« zu lesen. Draußen heulte der Wind in den Felshängen hinter dem Häuschen; aber der durch das Fensterchen eindringende Lichtstrahl ward immer heller, goldiger und erreichte nun schon das Gesicht des Kranken. Und er las in den Psalmen, und der im Schatten bleibende kleine Christus schien sein blutendes Haupt zu neigen, als wolle auch er die Heilige Schrift sehen.

»Herr, wie sind meiner Feinde so viel, und setzen sich so viele wider mich! Viele sagen von meiner Seele: Sie hat keine Hilfe bei Gott. Herr, höre meine Worte, merke auf meine Rede; vernimm mein Schreien, denn ich will zu dir beten.

Herr, frühe wollest du meine Stimme hören, denn du bist nicht ein Gott, dem gottloses Wesen gefällt. – Wer böse ist, bleibet nicht vor dir; du bist feind allen Übeltätern.

Du bringest die Lügner um; der Herr hat Greuel an den Blutgierigen und Falschen. Herr, leite mich in deiner Gerechtigkeit um meiner Feinde willen; richte deinen Weg vor mir her.«


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