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Bruckners Erden- und Himmelfahrt

Bruckner entstammte einer reindeutschen Gegend, seine Heimat blieb fast frei von slawischer Frühbesiedelung, sein Blut, seine Haltung zeigen etwas ganz Unslawisches, seiner gelassenen Gebärde ist die Ostmenschenwildheit Wolfs ganz fremd. Man sprach von seinem Claudiuskopf, der lebenden Bronzebüste. Es mag sein, daß sich in ihm etwas Römerblut vererbte. Julius von der Traun will die feingebogenen, im Alter schneidig hervortretenden Nasen der Oberösterreicherinnen auf die römischen Kolonisten in den norischen Waffenfabriken zurückführen. Sollte sich die Kolonistennase nur bei den Frauen zeigen? Was wir uns unter dem Römisch-Großen vorstellen, die imperatorische Geste, war Bruckner jedenfalls eigen; aber sein Cäsarentum, dem sich noch ein tüchtiges Stück Deutscher Michel zugesellt, ist gebeugt durch das Christentum: Kühnsein und Verzagen, Prälat und Kirchendiener, Heidenmensch und Beter, Kraft und Demut, Kind und König – alles dieses setzte seine Seele zusammen.

Manchmal erinnert er an die Bildnisse mittelalterlicher Äbte, die mit dem Finger auf die Grundrisse der Kirchenbauten zeigen, die sie befahlen. Und manchmal wieder an den alten Rembrandt, der alles verloren hatte, nichts mehr besaß, sich ein Tuch um die Stirn schlang und zu malen begann: immer wieder, immer wieder.

Jedenfalls war er Österreicher durch und durch, aus den Bergen herabgekommen wie das Eisen und das Holz der Alpen. Und hinter seinem Kampf mit den Ästheten steckt der Kampf der Provinz mit der Weltstadt, der Natur mit dem Papier. Ist die menschliche Nächstenliebe genial im Aufspüren der schwachen Seiten des Gegners, so wird sie übergenial, wenn es nebenbei ums Brot geht, die sanftesten Egoismen werden kläffend und bissig, die schläfrigsten Instinkte wach, da gilt nicht Landsmannschaft und Blut, da gilt nur: Hebe dich hinweg! Jedes Zentimetertalent fühlt sich vom Ellenmaß gefährdet, und Kleidung, Nase, Abstammung, Gewohnheit müssen herhalten. So sagte man: »Der Jesuit … der Meßner … der Bauer!« Und so erfuhr Anton Bruckner den echten österreichischen Unglauben.

Eine Kunst von alter Rasse und neuer Technik, stand sein Werk im vollen Gegensatz zum Intellektualismus, war die ins Religiöse fortgeführte Schubertsche »Ideenlosigkeit«, und so erfüllte er »als wahrer Künstler und echter Österreicher seine Sendung. So bewies er, daß die neuen Ausdrucksmittel und die wunderbare Technik, die Liszt und Wagner aus der Befruchtung ihrer Musik durch die Poesie gewonnen hatten, auch der Musik im allgemeinen, der ›gedankenlosen‹ Musik ungeahntes Leben zuführen. Seine Symphonien sind klassisch und modern zugleich. Seine Unbefangenheit – Genie ist Unbefangenheit, möchte man einmal sagen – ließ ihn genau das Richtige treffen …« (Max von Millenkovich, Die österreichische Tonkunst, S. 80.)

Diese alten Österreicher hingen an ihrem Vaterland ohne Worte und große Geste und stellten es selbst von seiner besten Seite dar. Dem geliebten Land keine Unehre machen – das kehrt in den Briefen Stifters wieder, das klingt aus der Haltung Anton Bruckners, denn sie hatten das Gefühl der Repräsentationspflicht, als sei sie mit dem Wesen des deutschen Österreichers irgendwie verknüpft, als gebe das Land gerade auf sie acht, wie sie's treiben, und hänge von ihnen ab. Und sie handelten in stummer Treue, gaben sich hin, und fühlten sich erhöht, wenn der eine Hofrat wurde, der andere ein gnädiges Kaiserlächeln empfing, aufs neue entflammt für das Land, das sich mit der Vergeltung übrigens gar nicht beeilte und erst nach dem Ableben das Nicht-Unehre-Gemacht-Haben feststellte.

Bruckner verließ Österreich nicht, kein Wagemut riß ihn nach andern Erden, er hob nicht, sich entwachsend, die Schwingen nach neuen Weiten.

Bruckner dachte auch nicht weit genug, um über seinen Fall hinaus die Tragik des Österreichers zu fühlen, wie der vergrämte, epigrammeschreibende Grillparzer. Die Art seiner Kunst brachte es mit sich, daß er nicht ein Sorgloser des Lebens wurde, wie sein Zeitgenosse Johann Strauß, den er sehr schätzte, und der gleichsam seine ergänzende Erscheinung ist, wenn man an die beiden österreichischen Seelen, die fromme und die walzernde, denkt, deren dauernde Zeichen Tedeum und Schöne blaue Donau, Adagio und Fledermaus bleiben.

Diese Seelen, seltsam verbunden mit der Wiener Landschaft, als seien sie von einander geschaffen worden, geben dieser schönen Erde ihren Ton, Tullnerbecken, Rebenhügel, Waldrücken, Schenken und Kapellen am Weg, die Donau und das stromgespiegelte Stift Klosterneuburg – Luft und Boden sind erfüllt vom Haydn-, Schubert-, Strauß- und Brucknerklang. Er bildet den Besitz der Stadt, den Reichtum der verarmten Königin am Tor Europas, den Wiener Schatz, den Bürokratenenge und dünkelhafter Aberglauben – Austria erit in orbe ultima – am wenigsten dafür gehalten haben.

Bruckners Denkmal steht im Stadtpark, nahe dem Viertel, wo er tätig war. Eine Frauenfigur schwingt sich zu dem Bronzekopf auf – vielleicht die »Muse«? – Man weiß nicht, warum konventionelle Denkmalslyrik für das Unkonventionelle gewählt wurde, und teilt die Empfindung der Charlotte aus den Wahlverwandtschaften, daß Bildnisse immer einen stillen Vorwurf machen, auf Entferntes und Abgeschiedenes deuten und uns erinnern, wie schwer es sei, eines Mannes Gegenwart zu ehren … Ein Prinz steht als goldner Block auf der Wiener Burggartenrampe und sein Denkmal dürfte das Einzige sein, was an Wert von seinem Heldenleben blieb. Größere Eroberer sind die, deren Bildnisse das Vergänglichste von ihnen zeigen.

Beethoven war »die mächtige Stimme der Freiheit« in einer Zeit der Unfreiheit, und wenn die Polizei Metternichs und Sedlnitzkys Ohren gehabt hätte, zu hören, würde sie die Revolutionsfanfaren der Egmontouvertüre, das Siegesfinale der Fünften Sinfonie verboten haben. Bruckner war die einsame Stimme des Glaubens in einer Zeit, wo Gott verschollen war, in einer Gesellschaft, die Böcklins Pietà verhöhnte, der Makart in der Abundantia die Früchte aller Zonen als Magenweide vormalte, und deren liberaler Wahn sich an Anzengrubers Flugschriftendeutsch gegen die »Finsterberge« berauschte, mochte er nebenher auch Dichter sein.

Nun taumelt diese Welt in Hysterien ihrem Ende zu. Wiener Heiterkeit blickt in Abgründe, nichts blieb vom goldenen Einst, nicht die Tische, woran sie schmausten, nicht die Kelche, daraus sie tranken. Eine andere Gesellschaft bildet sich: aus dem Rohen und Fernen heraus, erst noch unsicher und hochfahrend, in der Selbstsucht jäh und bedürftig, tritt sie hervor. Neue Haltlosigkeiten suchen nach neuem Halt. Erwartung sehnt sich, Seelen dürsten … Und so wenig man sentimentalen Hoffnungen dienen darf – vielleicht bricht die Zeit für Brucknersches Ethos an. Vielleicht vernehmen kommende Geschlechter die Stimme eines Künstlers, der mit Taulerischer Kraft sein Credo sang, sich und uns ermutigend auf dem Weg vom Diesseitsdunkel nach dem Morgenrot.

Als der alte treue Meister Antonius im Himmel ankam – Otto Boehler hat die Schlußverklärung der Brucknerschen Lebenssinfonie in einem seiner lieben Schattenbilder aufbewahrt – und als er eben den Fuß über die letzte Wolkenstufe setzte, da wartete schon Richard Wagner und streckte beide Hände nach ihm, und Liszt kam herbei und Bach lehnte sich über die Orgel, zog ein paar neue Register und trat festlich auf den Pedalen herum, Franz Schubert nickte sein Liechtenthaler Servus, selbst der Herr von Beethóven, die Hände unwirsch auf dem Rücken, versuchte ein freundliches Zwinkern, und der ganze Himmelssaal zeigte sich in Sonntagsstimmung, denn alle wußten, daß der Mann in seinem Organistenrock mit reinen Händen und reinem Herzen ankam, und daß er recht behalten hatte mit seinem Tedeumstrost: non confundar in aeternum! Ich werde nicht verklingen in Ewigkeit!

Wer mußte nicht lächeln, als er ihn sah? Und wer ihn nicht beneiden?

Denn wahrhaft beneidenswert der Mann, der nicht zur Rechten, nicht zur Linken wankend, seinen Kinderglauben lebendig bewahrte und darin immer fruchtbarer und erlebnisreicher wurde, beneidenswert der Einfältige, der nur eine einzige geistige Wirklichkeit besaß, aber des Geistes so voll war, daß seine bloße Gegenwart den anderen erlösen konnte, beneidenswert die Moralität des Instinkts, von der Hölderlin sagt, daß die ihm gleichgestimmte Phantasie himmlisch ist.

So war er mitberufen, so baute er mit an den Toren in die Zukunft.

Und der Stein, der von euch Bauleuten verworfen ward, ist zum Eckstein geworden.


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