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Siebzehntes Kapitel

Der Herzogin wurden endlich auch über eine Tatsache die Augen geöffnet, welche die ganze Gesellschaft längst klar erkannt hatte. Es war die, daß Kurt von Zscheplitz sich von Rosa von Bünau zurückziehe, und daß diese vom Oberstallmeister von Storke nach wie vor, oder vielmehr entschiedener als jemals ausgezeichnet werde.

Dies Verhältnis hatte sich ganz ruhig und natürlich in den letzten Wochen so entwickelt. Storkes vollkommen ehrerbietiges Betragen gegen das Fräulein, die wiederholte Versicherung, daß er nur um Rosas Freundschaft und Achtung werbe, machte diese sicher, so daß sie sich wieder mit der ihr eigenen heiteren Unbefangenheit dem täglichen Einfluß des interessanten Mannes überließ. Zscheplitz trat nicht mehr dazwischen, er zog sich verletzt zurück mit der Ueberzeugung, daß sein Spiel verloren sei.

Graf Luja hatte sich immer, soviel es anging, aus dem jugendlichen Kreise fern gehalten, und die anderen Herren verfolgten alle mehr oder weniger ihre eigenen kleinen Liebeleien. Rosa fand noch genügend Tänzer, aber ihr erklärter Ritter war und blieb Daniel von Storke.

Die Herzogin gewann diese Kenntnis der Sachlage bei einer musikalischen Matinee, die an einem Tage zu Anfang April in den oberen Gesellschaftssälen des Schlosses gegeben wurde. Man hatte nur eine kleine Anzahl Auserwählter versammelt, zu diesen aber auch einmal wieder die Eltern des Kammerjunkers von Zscheplitz befohlen. Die Baronin von Zscheplitz war es, welche sich beeilte, die Herzogin Friederike aufzuklären.

»Eure Hochfürstliche Durchlaucht«, sagte die Baronin von Zscheplitz im Laufe der Unterhaltung zur Herzogin, »hatten meinen armen Kurt höchstselbst animiert, einer kleinen faiblesse amoureuse für das Kammerfräulein von Bünau nachzugeben. Ich habe meinen Sohn schon früher vor der Koketterie und inconstance der Dame gewarnt. Jetzt erkennt er selbst mit Bedauern –«

»Aber, Baronin, ich verstehe Ihre Beschuldigungen nicht«, unterbrach die Herzogin.

»Die heimliche Verlobung mit dem Oberstallmeister –«

»Eine Verlobung?« fragte die Fürstin erstaunt. »Dem ist nicht so; ich weiß positiv, daß Rosa von Bünau nicht verlobt ist. Aber kommen Sie, Baronin, die Musik tönt hier allzulaut herüber, unser tête-à-tête ist fremden Ohren preisgegeben; setzen wir uns in das gelbe Konferenzzimmer, durch die offene Tür zur Terrasse zieht milde Frühlingsluft herein, wird sind dort ungeniert und können unser Thema, das mich lebhaft interessiert, eingehend besprechen.«

Die beiden Damen erhoben sich und zogen sich aus dem Kreise der im Saal Versammelten zurück. Es war der Baronin schmeichelhaft, einer intimen Unterredung gewürdigt zu werden, und sie folgte mit stolz erhobenem Haupte und ausgespreiztem Fächer der voranschreitenden Fürstin.

Im gelben Zimmer saßen einige ältere Herren, welche ehrerbietig aufstanden und sofort den Platz räumen wollten. Die Herzogin winkte ihnen aber dazubleiben und trat mit ihrer Begleiterin durch die offene Tür auf die Terrasse.

Es war dies ein angenehmer, frei und doch geschützt gelegener Aufenthaltsort. Als ein Verbindungsglied zwischen zwei Flügeln des mächtigen Gebäudes erstreckte sich diese Terrasse über das hochgewölbte Einfahrtstor und seine Nebenräume, und schloß so daß Viereck des Innenhofes ab. Eine Steinbalustrade, von einzelnen Säulchen gebildet, zog sich an den Längsseiten hin, während die Gebäude mit ihren hinausführenden Türen die kürzeren Seiten dieses freien, balkonartigen Raumes einnahmen.

Der Hofgärtner hatte es gewagt, schon jetzt einige grüne Gewächse in ihren Kübeln hinauszusetzen; war es auch für die Orangen noch zu früh, so konnten doch einige Zypressen und Lorbeerbäume die Aprilluft vertragen. Dazwischen standen zierliche von Rohr geflochtene Gartenbänke, auf deren einer sich die Damen zu einem von andern ungehörten und ungestörten Geplauder niederließen.

Die Baronin von Zscheplitz mußte nun noch einmal das der Herzogin unglaubliche Gerücht von Rosas heimlicher Verlobung mit dem Oberstallmeister von Storke wiederholen.

»Ich autorisiere Sie, Baronin«, entgegnete die Herzogin Friederike mit gereiztem Ton, »jenem Gerücht als einer fatalen méprise entgegenzutreten. Aus meines Kammerfräuleins eigener confidence weiß ich, daß sie dem Baron von Storke jede Aussicht auf ihre Hand refüsiert hat. Vielleicht gibt dieser Beschluß dem rapport der beiden eine größere Ungeniertheit. Jedenfalls wird ein Avis, von Ihnen und mir ausgesprochen, diese penible Affaire klären.«

»Also dürfte mein Kurt noch hoffen?« fragte die Mutter, welche genau wußte, wie gern ihr verzogener Liebling seine alten Wünsche wieder aufnehmen wollte.

» Sans doute!« rief die Herzogin. Und dann verloren sich die beiden Damen in übereinstimmende Pläne und die Ausmalung eines neu anzuknüpfenden Verhältnisses, das sie beide wünschten.

Die Herzogin beurteilte die Ursache des anscheinend neu entstandenen Verhältnisses zwischen Rosa und Storke richtig. Das Fräulein hatte an Ruhe und Unbefangenheit gewonnen, nachdem es dem Bewerber ausgesprochen, daß auf eine Verbindung zwischen ihnen niemals zu rechnen sei.

Als nun in einsamer Stunde die hohe Frau ihr Pflegekind auf den Stand der Dinge hinwies, erschrak Rosa ebensosehr, wie die Herzogin erschrocken war, und versicherte – wovon Friederike sich von vornherein überzeugt gehalten – daß ihr Verkehr mit Storke sich in den allerstrengsten Grenzen bewege und so harmlos wie möglich sei.

»Du mußt nun«, sagte die Herzogin ernst, »Dich so viel Du kannst, um jeden falschen Schein zu meiden, von Storke zurückziehen.«

»Ach, er wird es mir schwer machen,« seufzte die Gescholtene, sie wußte nur zu gut, mit welchem Erstaunen er einen derartigen Versuch aufnehmen, wie er ihn nicht beachten, wie beharrlich er dagegen ankämpfen werde. –

Graf Luja hatte sich immer wieder gefragt, ob er an jenem Abende, als er vor dem Schieferhäuschen stand, recht geraten? Hatte er doch die schwarze Locke, die jedes Puders spottete, deutlich zu erkennen geglaubt. War es nicht auch ihr Wuchs, ihr weißer Arm gewesen, den er gesehen? Und doch konnte er es immer wieder nicht für möglich halten.

Strahlte ihm denn nicht ihr Auge offen und herzlich entgegen, sobald er sich ihr nahte? Keine Spur fand er bei ihr von der Scheu, von der Unsicherheit, die er sich als eng verbunden mit einem schlechten Gewissen dachte. Und ein schlechtes Gewissen mußte diese kleine Kokette haben, wenn sie sich herbeigelassen, zu dunkler Stunde dem Manne ein zärtliches Stelldichein zu gewähren, den der Wille einer großmütigen Herrin und mütterlichen Freundin ihr versagte. Daß die Herzogin gegen Storke eingenommen, die Partie nicht wollte, war allseitig bei Hofe bekannt, wie durfte also Rosa heimlich ein Liebesverhältnis eingehen? Fast bereute Luja, sich nicht ganz sicher von der Tatsache überzeugt zu haben. Und doch, wie hätte er's vermocht? Nein, es war unmöglich gewesen.

Mademoiselle Clemence Bernard wurde immer schwermütiger, immer zerstreuter, immer wechselnder in ihrem Verhalten gegen den kleinen Prinzen. Manchmal überhäufte sie das Kind mit Liebkosungen, um dann wieder mit einem heimlichen Schauder sich von ihm abzuwenden. Der Kleine, welcher sonst voll Liebe an seiner Bonne gehangen, begann sich vor ihr zu fürchten, worüber sie sich sehr unglücklich fühlte. Da sie sich in Gegenwart der Herzogin sowohl, wie der der alten Babett zusammennahm, bemerkte vorläufig noch niemand ihre Veränderung, und es litt keiner darunter als das Kind und sie selbst.

Täglich, stündlich rang Clemence mit dem Entschluß, so oder so ein Ende zu machen, aber sie konnte ebensowenig den leidenschaftlich geliebten Mann aufgeben, wie seiner abscheulichen Forderung nachkommen, die sie, sobald sie ruhiger daran dachte, mit Entsetzen erfüllte.

Immer wieder kam aber Daniel von Storke auf seine Vorstellung zurück. Er drängte dem schwankenden Mädchen das »Entweder, Oder« unter Zärtlichkeitsbeweisen und Bitten auf und stellte die Vermählung mit ihr als den Inbegriff allen Glückes hin, nach dessen Verwirklichung sie beide vereint streben müßten.

Um Mittag war für das Prinzchen eine Bewegung in frischer Luft angeordnet; Clemence ging also gegen zwölf Uhr mit dem Kleinen und Babett in den Park. Die Sonne schien freundlich, als man aber hinauskam, fand es sich, daß ein kalter Wind wehte. Die alte Wärterin meinte, sie müsse doch wohl ein wärmeres Mäntelchen für das Kind herunter holen, und die Bonne gab mit ihrem Pflegling der Alten ein Stück Weges zum Schlosse das Geleit. Ehe Babett ging, stand sie noch eine Weile und plauderte mit der Französin, während der Kleine sich unbeachtet umhertummelte.

Die Wärterin verließ Clemence, eben gingen alle Arbeiter, Gärtnerburschen und Stallknechte zu ihrer Mittagsmahlzeit vorüber. In einem Winkel hinter dem Marstalle lag der in den Felsen gehauene tiefe Brunnen des Schloßbergs mit seinem Tretrade; das Rad stand kaum jemals still, jetzt war der Platz leer, und kein Mensch war weit und breit zu sehen; einer der Arbeiter aber hatte das aus dem Park zum Brunnen führende Pförtchen offen gelassen.

In demselben Augenblicke, in welchem Clemence dies wahrnahm, sah sie auch zu ihrem unaussprechlichen Erschrecken das ihr anvertraute Kind aus der Pforte und auf den Brunnen zu laufen; dieser war nur von einer niedrigen Mauer eingehegt, und bevor sie eilig folgend den Ausreißer einholen konnte, stand das kleine Geschöpf auf dem Mauerrande und schaute neugierig in die Tiefe.

Clemence hielt, wie von einem Dämon ergriffen, im Laufen an. Wenn das Kind hinunterstürzte, sie hatte nichts getan, sie konnte ihre Unschuld beschwören, und doch war alles erreicht, was sie so glühend begehrte. Ihr schien das Herz still zu stehen. Glut und Frost packten sie zugleich. Einen Moment wollte sie sich selbst glauben machen, daß ihre Glieder sie nicht trügen. Dann aber siegte das Gewissen, sie flog auf den Knaben zu, der, wenn auch unfähig, die Größe der Gefahr zu ermessen, jetzt selbst ängstlich ihr seine Aermchen entgegenstreckte.

Die Bonne riß das Kind an sich und bedeckte es mit Küssen – hatte sie doch das Gefühl, als sei ihr ein Kleinod geschenkt, als sei ihr selbst ein fürchterlicher Sturz in den Abgrund gnädig erspart geblieben.

Sie trug den Kleinen fest an ihre Brust gepreßt in den Park zurück, wo ihr alsbald Babett, vom Schlosse kommend, mit dem Mäntelchen begegnete.

»Herrje, wie sehen Sie aus, Mademoiselle Bernard?« rief die gutmütige Wärterin. »Kreideweiß bis in die Lippen hinein.«

»Ich hatte einen Schreck«, stammelte die Bonne, »son altesse liefen dem Brunnen zu, die Tür war offen geblieben –«

»Um des Himmels willen! Das dürfen wir Ihrer Durchlaucht der Frau Herzogin gar nicht sagen«, meinte Babett. »Wir wollen lieber in diesen Teil des Parks nicht wieder kommen, unser Prinzchen wird keck, es zeigt jetzt manchmal Lust zum Klettern.«

An den nächsten Abenden ging Clemence nicht aus; sie fühlte das Verlangen, den Geliebten zu sehen, weniger lebhaft als sonst; ja die Angst, welche sie am Brunnen ausgestanden, war so erschütternd gewesen, daß sie mit einem gewissen Grauen an den Versucher dachte.

Daniel von Storke, der immer sicherer auf das Gelingen seiner Anschläge durch die Bonne rechnete, erinnerte sich jetzt oft mit Unruhe an das zornige Weib des verstorbenen Invaliden. Wenn sein Blick auf das ferne Wiedebach fiel, nach dem er sonst so gern ausgesehen, drängte sich ihm das Bild der elenden Hütte und der drohenden Witwe am Lager des Toten auf. Sollte denn kein Mittel zu finden sein, Lotte zu besänftigen? Er meinte, seine Intrigue müsse einen raschen Fortgang finden, sein Schicksal sich bald entscheiden. Er wollte, wenn der Weg glatt vor ihm lag, nicht über Steinchen fallen, die ihm jenes erbärmliche Weib vor die Füße werfen konnte. Noch einmal mußte er mit der Erbosten verhandeln, sie womöglich zum Verlassen der Gegend bewegen.

Er hatte heimlich reichliche Geldsendungen aus Dresden empfangen, sie kamen von Brühl, wie er sich überzeugt hielt, obgleich nie etwas anderes Geschriebenes dabei war, als die Adresse. Da er mehr und mehr hoch zu spielen liebte, war ihm jeder Zuschuß willkommen. So verfügte er über größere Summen, und hoffte, Lottens Schweigen zu erkaufen, jedenfalls wollte er noch einmal den Versuch machen, und ritt zu diesem Zwecke nach Wiedebach hinüber.

Als er mit Widerwillen kämpfend an die Hütte klopfte, die er verschlossen fand, trat ein Knecht von der Domäne heran und sagte, es sei niemand da.

»Wo ist Morks Weib geblieben?« forschte der Besucher. »Arbeitet sie im Felde?«

»Nein, gnädiger Herr, sie ist nach Leipzig gegangen, um einen Dienst anzunehmen.«

»Nach Leipzig? Und ist sie schon lange fort?«

»Gleich nach ihres Mannes Tode zog sie ab.«

Schweigend wandte der Oberstallmeister sein Pferd. Er hoffte, die Sache sei jetzt für ihn erledigt und werde keine weiteren unangenehmen Folgen haben.

Eine neue Sorge erwuchs Storke daraus, daß die Französin ihn mehrere Tage vergebens im Schieferhäuschen warten ließ. Was machte die sonst so Zärtliche und Gefügige plötzlich so scheu? Hatten äußere Gründe sie verhindert? Er mußte sich darüber Gewißheit verschaffen.

Da er ihre Wege und Gewohnheiten genau kannte, begegnete er ihr wie von ungefähr mittags im Park, als sie mit Kind und Wärterin spazieren ging. Er fing an, sich mit dem kleinen Prinzen zu beschäftigen und nahm dabei einen unbeachteten Augenblick wahr, während Babett respektvoll zurückstand, der Französin zuzuraunen:

»Ich halte es nicht mehr aus, Clemence – was hindert dich? Diesen Abend mußt du kommen!«

Der Ausdruck, mit dem er ihr bei diesen Worten ins Auge sah, die zwingende Kraft seines Willens und seiner Leidenschaft, ließen sie bis ins Herz hinein erbeben.

»Ich komme«, hauchte sie, als er sie noch einmal fragend anblickte. Mit leichtem Gruß schritt er weiter, die Französin in einem Sturm wechselnder Empfindungen zurücklassend.

»Der Herr Oberstallmeister sind doch so ein recht schöner, adliger Kavalier«, sagte Babett, »die Fräuleins sollen alle in ihn verliebt sein, erzählt mein Sohn, der Silberwäscher. Und recht herablassend sind sie, gar nicht hochmütig; hier im offenen Park bei Unsereinem stehen zu bleiben!«

Nein, dachte Clemence, hochmütig mag er nicht sein, aber gewaltig, unterjochend für die, welche er in seine Kreise zieht. Sie wagte nicht, seiner Lockung zum Abend zu widerstehen, teils weil ihre Leidenschaft hell aufgelodert, teils weil ihre Widerstandskraft, ihr eigenes Wollen gebrochen war.


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