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Zwölftes Kapitel

Der Feldzug des Frühjahrs 1745 ließ sich anfänglich wieder günstig für die Oesterreicher und ihre Verbündeten an. Ganz Oberschlesien wurde den Preußen abgenommen. Der Prinz von Lothringen vereinigte sich mit 22 000 Sachsen und rückte König Friedrich entgegen, es kam im Juni – bei Hohenfriedberg – zur Schlacht, welche indeß mit einer Niederlage der Oesterreicher und Sachsen endigte. Karl von Lothringen mußte sich nach Böhmen zurückziehen, wohin Friedrich ihm folgte.

Der Sommer ging mit Verhandlungen herum, man hoffte durch Vermittlung Englands auf Frieden, Maria Theresia wollte aber von einer Abtretung Schlesiens nichts wissen. Am 30. September wurde Friedrich bei Soor aufs neue angegriffen, so heiß der Kampf auch wütete, die Preußen erbeuteten Kanonen, Fahnen, Gefangene und behaupteten die Wahlstatt.

Da unterbreitete Brühl dem Wiener Kabinett folgenden Rettungsplan. Oesterreich sollte noch ein Armeekorps von 10 000 Mann, unter General Grüne, vom Rhein herbeirufen, dann wollte man mit ganzer Kraft direkt gegen Berlin vorrücken. Dieser Plan wurde angenommen, aber an Friedrich verraten, der sofort seine Gegenmaßregeln traf. Er ging nach Sachsen, schlug einen Teil der Armee Ende November bei Hennersdorf und rückte in Görlitz ein. Der Fürst von Dessau nahm Leipzig und marschierte nach Dresden.

Der kurfürstlich-sächsische Hof, auch Brühl, floh nach Prag; von hier aus ging August III. Unterhandlungen mit Friedrich von Preußen an, welcher eben, Mitte Dezember, in Meißen angekommen war. Bevor der König sich noch mit August ins Einvernehmen setzen konnte, schlug der alte Dessauer die Sachsen und das Grünesche Korps bei Kesselsdorf. Es war ein harter Kampf, Schnee und Eis auf allen Wegen, und das Ergebnis für die Sieger ebenso blutig wie für die Besiegten. Am folgenden Tage stieß Friedrich mit seinem Heer zu dem des Fürsten von Dessau.

Am 18. Dezember hielten die Preußen ihren Einzug in Dresden, die Friedensunterhandlungen wurden jetzt mit Eifer betrieben, ein Bevollmächtigter langte aus Wien an, und der Friede wurde unter den Bedingungen, daß Oesterreich Schlesien abtrete und Sachsen eine Million Taler bezahle, schon am 25. Dezember abgeschlossen.

Der König August III. kam mit Brühl nach Dresden zurück, man setzte die Armee auf den Friedensfuß, und der Herzog von Weißenfels konnte sich zu Anfang des Jahres 1746 samt Suite von seinem Kriegsherrn beurlauben und in die eigene Residenz zurückkehren.

Es war ein ergreifendes Wiedersehen für das herzogliche Paar; über ein Jahr lag zwischen dem Tode des kleinen Prinzen, dem damaligen mißgestimmten Scheiden und der jetzigen glücklichen Heimkehr des Herzogs. Mit welch banger Sorge hatte Friederike in dieser langen, einsamen Zeit die Wechselfälle des Krieges verfolgt, wie schwer bedrückte sie's, daß ihr letztes Lebewohl von dem geliebten Gatten nicht allein durch Schmerz, sondern auch durch Bitterkeit getrübt gewesen war! Hundertmal hatte sie sich während all' der Zeit vorgenommen, wenn Gott ihn gesund zurückführe, nichts anderes zu wünschen, nichts anderes erstreben zu wollen, als ihn glücklich zu machen und das Glück, welches seine Seele ihr bot, ohne Sorge und Selbstquälerei zu genießen.

Und nun hielten sie sich wieder umfangen, gesund war er ihr wiedergegeben, sollten sie sich nicht an dem freuen, was ihnen blieb?

Der Herzog, welcher, trotz aller Frische und Heiterkeit seiner Natur, ärgerlich und bedrückt durch die Mißerfolge des Feldzuges heimkam, empfand Friederikens Freude und Zärtlichkeit, die Anmut seines schön entwickelten Knaben, den Reiz einer üppigen Häuslichkeit jetzt dankbarer als je zuvor.

In der ersten Zeit schien es, als hätten die beiden Ehegatten ihr eigenstes Wesen ausgetauscht; Friederike war heiter, entgegenkommend und erbötig, ihren Gemahl zu zerstreuen. Johann Adolf dagegen bedurfte der Ruhe, erwog immer wieder den Verlauf des Krieges, wie dies und das gekommen, dies und das zu ändern gewesen; er wollte niemanden sehen als die Seinen, ging auf die Vorschläge seiner Gemahlin, Einladungen in die Umgegend zu schicken, nicht ein und war kaum als der unverwüstliche Sanguiniker von früher wieder zu erkennen. Das dauerte aber nicht lange; nach und nach kehrten die beiden Grundverschiedenen und doch innig Verbundenen wieder zu ihrer eigensten Natur zurück. Die hochgehenden Wogen der Dankbarkeit und Freude im Herzen der stillen Friederike sänftigen sich. Der Verdruß und die Ermüdung des Herzogs ließen nach, und nun wurden sie beide mit erneuter Liebe für einander wieder sie selbst.

Die Freude der Herzogin, ihren Gemahl unversehrt wiederzusehen, war angesichts mehrerer Gefallener und Verwundeter aus dem nächsten Kreise eine doppelt berechtigte Empfindung.

Graf Luja hatte bei Kesselsdorf einen Stich in den linken Oberarm bekommen, Kälte und Mangel an Schonung verschlimmerten die Wunde, er lag jetzt unter seiner Mutter Pflege und mußte sich voraussichtlich noch längere Zeit ruhig halten.

Schon im September war Daniel von Storke bei Soor durch den Säbel eines preußischen Dragoners vom Pferde gehauen worden. Seine eiserne Natur hatte sich bald wieder aufgerafft, aber seine Stirn blieb gezeichnet. Von der linken Schläfe lief eine rote Narbe schräg in die dunkle Augenbraue; mancher behauptete, diese Schmarre passe besonders gut zu den martialischen Züge des Trägers, jedenfalls empfand er selbst keine Unbequemlichkeit davon, sein scharf geschnittenes Gesicht hatte nie kecker und zuversichtlicher in die Welt gesehen als jetzt. Und doch brachte er eine Erinnerung aus dem Feldzuge mit, die, mochte er sich dagegen wehren, wie er wollte, ihn stärker brannte als die Narbe.

Als die hereinbrechende Dunkelheit der Schlacht bei Kesselsdorf ein Ende gemacht hatte, und die Preußen das Schlachtfeld behaupteten, zogen sich die Sachsen in mehr oder weniger guter Ordnung auf Dresden zurück. Schnee und Eis erschwerten das Vorwärtskommen, man war erschöpft, herabgedrückt und erreichte endlich einen verlassenen Gutshof, in dem der Herzog mit seiner Suite zu übernachten beschloß. Wunde und Marode lagen schon hier und da, man rückte, die Not schaffte Platz. Im Hofe wurde das Gedränge immer größer; Storke ließ die herzoglichen Pferde zusammengekoppelt an eine geschützte Stelle bringen, etwas Fourage hatte sich gefunden, die Stallungen lagen auch voll Menschen.

Er selbst sah sich jetzt nach einem leidlichen Unterkommen für die Nacht um, er brauchte nichts als eine ruhige Ecke und ein Bund Stroh. Ein kleiner Stallraum, vielleicht für ein paar Rinder oder Fohlen bestimmt, nach der Rückseite gelegen, der vermutlich unbeachtet geblieben war, schien ihm leer. Erschöpft warf er sich hier nieder und schlief sofort ein.

Nach einiger Zeit wachte er von einem scharfen Luftzuge auf, zugleich aber auch von einem furchtbaren Stöhnen. Die Tür war aufgesprungen und helles Mondlicht drang mit der Dezemberkälte herein. Storke erhob sich, um die Tür zu schließen, da sagte eine schwache aber zornige Stimme in seiner Nähe: »Gnaden Sie sind's? Oh Sie haben's schuld!«

Die Stimme klang ihm bekannt, er erschrak, wandte sich zur Seite und erblickte Peter Mork in sächsischer Grenadieruniform, der augenscheinlich wußte, wen er vor sich hatte.

Der Oberstallmeister trat mit einem: »Pfui, Kanaille! Mork, Er redet im Fieberwahnsinn«, von dem Naheliegenden zurück.

»O gnädiger Herr, wie ist es mir ergangen – was habe ich getan! – Lotte schimpfte den ganzen Tag – nichts war ihr gut genug – unser Kind war tot. Sie hielt mir vor, was ich verbrochen. Eine Hölle war's daheim! Ich ward ganz sinnlos – rannte zu den Soldaten. Mein Elend aber haben Sie über mich gebracht!«

Der Mann fuhr mit halbem Leibe und geballter Faust empor. »Sie Hetzer, Sie Bösewicht! Wer hat zuerst gesagt: wenn's Prinzchen tot wäre, hätt' ich mein Weib wieder? Wer hat mich auf'n Kutscher wild gemacht? Sie, Sie! Fluch Ihnen – verdammt, daß ich Sie gesehen all mein Jammer komme über Sie – nun ist's – aus mit mir« – er sank zurück.

Storke empfand einen Schauder; ein Gefühl von Furcht, wie sie ihn im ganzen Feldzuge, beim Donner der Kanonen nicht einmal beschlichen. Das blasse Grauen jagte ihn von dannen; er stürzte aus dem Stalle, schlug die Tür zu und ließ den schwer Verwundeten allein. Jetzt wußte er gewiß, was er bisher doch nur geahnt – Mork hatte den Prinzen ermordet! – Der Eindruck dieser Begegnung war es, der ihm immer wieder und wieder auftauchte, den er so schwer niederzwingen konnte. Und dann kam die schaudernde Frage: ist Mork auch wirklich tot? Er fühlte, wie die Bestätigung ihn beruhigen würde.

Jetzt in Weißenfels trat die Erinnerung an sein Verhältnis zu dem Elenden zuerst peinigend und mit neuer Kraft vor ihn hin, um dann aber in einer Menge frischer, schmeichelnder Eindrücke unterzugehen. Wie entzückte es ihn, Rosa von Bünau wiederzusehen! Wie sehr hatte sich die blühende Schönheit des Mädchens in diesem Jahre entwickelt und wie liebenswürdig empfing sie ihn! Die alte, heiße Leidenschaft für das holde Geschöpf wallte in ihm auf. Er mußte alles wagen, sie zu gewinnen.

Und kam er soweit mit seinem Denken, so wurden alle seine alten Pläne, sein früheres Wollen frisch in ihm, so mußte auch Morks blutiger Schatten weichen. Was hatte er denn getan zu alle dem Unheil, das der Mensch angerichtet? Gar nichts! Der rabiate Kerl hatte ganz für sich gehandelt; wenn er – Storke – jetzt seinen Nutzen davon zog, war das eine Politik, die sein Gewissen nicht beschwerte. Ja, wenn die Dinge so leichten Kaufs zum erwünschten Ziele zu leiten waren, wollte er gewiß nicht auf halbem Wege stehn bleiben!

Jetzt im Winter konnte er den Verkehr mit der feurigen Französin nicht fortsetzen, wie dies im Sommer möglich gewesen. Clemence Bernard ging nur unter Mittag in Begleitung der Wärterin mit dem kleinen Prinzen aus. Oft führte auch die Herzogin selbst ihr Söhnchen, und die Bonne folgte. Eine beredte Augensprache hatte Storke öfter im Vorübergehen versucht und lebhafte Erwiderungen gefunden. Die Person hatte doch ein paar prächtige Augen und wußte sie zu gebrauchen! Die Gestalt war auch etwas voller geworden, und die Farbe frischer; sie konnte sich neben Rosa nicht sehen lassen, einen gewissen pikanten Reiz, der ein kleines Spiel lockend mit ihr erscheinen ließ, besaß sie aber ohne Frage. Es galt nur auszusinnen, wie man an sie kam.

Kurt von Zscheplitz war wohlbehalten allen Gefahren entronnen und sogleich für einen kurzen Urlaub zu seinen Eltern weiter gereist. Hatte er Glück gehabt wie der Herzog, oder wußte er den Wert eines Majoratsherrn derer von Zscheplitz gebührend zu würdigen und demnach zu schonen? Großtaten gab es wenigstens von ihm nicht zu berichten.

Die Herzogin ging oft allein oder auch mit Rosa zur Gräfin Luja, die jetzt bei der Pflege ihres Sohnes denselben freundlichen Zuspruch gebrauchen konnte, welchen sie während des ganzen verflossenen Jahres der hohen Freundin treulich gespendet hatte.

In der ersten Zeit kam die besorgte Mutter aus dem Krankenzimmer in die vordere Stube, wo sie immer die Herzogin zu empfangen pflegte, und berichtete hier von Martins schlechten Nächten, seinem Fieber und großen Schmerzen im Arm, die er geduldig zu ertragen wisse. Später, als der Verwundete im Lehnstuhl sitzen durfte, trafen ihn die Damen im Wohnzimmer.

Friederike glaubte zu bemerken, daß ihre Teilnahme ihm wohltue, daß er gern ihrer Plauderei lausche, daß auch Rosas Gegenwart ihn nicht störe, und war froh, zur Unterhaltung des Kranken beitragen zu können.

Auch der Herzog und die Herren des Hofes kamen, nach dem Kameraden zu sehen und eifrige Kontroversen über den letzten Krieg zu führen. Es ging oft lebhafter um ihren Martin zu, als der Mutter lieb war, und sie glaubte, daß die Herzogin Besuch mit Rosa von Bünau, das ruhige Geplauder der beiden Damen, ihrem Sohn am besten bekomme und ihn am heitersten stimme. Manchmal begleitete aber auch eine der anderen Damen die Fürstin.

Martin saß an dem einen Fenster und blickte auf den Weg nach dem Schlosse hinaus. Die Mutter saß ihm gegenüber an dem andern. War sie auch mit ihrer Handarbeit oder mit Speners zum Herzen redenden Schriften beschäftigt, so wußte sie doch immer, wie es mit ihm stand. Er ließ sein Buch sinken, wenn sich Gestalten in der Ferne unter den verschneiten Bäumen zeigten. Kam die Herzogin, so überflog seine blassen Wangen eine frische Lebensfarbe, die – wie die verstohlene Beobachterin meinte – trüber Enttäuschung Platz machte, wenn er die lange blonde Jakobine oder ein anderes Kammerfräulein als Rosa erkannte.

Die Gräfin hütete sich wohl, diese Wahrnehmungen auszusprechen, sie empfing alle jungen Mädchen mit gleicher Freundlichkeit, widmete sich dann aber der Herzogin, wodurch, wenn die Unterhaltung nicht allgemein wurde, es Martin zufiel, mit dem Fräulein zu sprechen. Eine Aufgabe, der er sich mit sehr verschiedenem Eifer unterzog.

Rosa mußte dem Grafen erzählen, wie sie seit seiner Abwesenheit im Schlosse gelebt, womit sie sich beschäftigt, was sie gelesen habe. Er fragte auch teilnehmend nach allen anderen Personen ihrer gemeinschaftlichen Bekanntschaft, kam aber doch vorzugsweise auf sie selbst zurück. Sie empfand auch noch immer das alte Zutrauen, hätte ihm alle ihre Gedanken sagen, seinen Rat über ihre kleinen Angelegenheiten einholen mögen. Wie gütig war es von diesem vorzüglichen Manne, sich mit ihr zu beschäftigen! Sie sah es als eine Auszeichnung an, die sie zu verdienen trachtete, aber es fiel ihr nie ein, den Grafen mit andern jungen Männern des Hofes, mit Storke und Zscheplitz, in eine Reihe zu stellen. Die kleine Verletzung ihres Gefühls damals in der Schloßkirche hatte sie ihm längst vergeben und vergessen, sogar gegen die damalige Mißempfindung die Ueberzeugung ausgetauscht, daß er ihrer teuren Herrschaften Unglück anteilnehmend empfunden. Wie hübsch war es, daß sie jetzt mit der Herzogin manchmal zu ihm ging, wie viel ruhiger und offener plauderte sich's im Krankenstübchen, als während der rauschenden Hoffestlichkeiten von hundert Augen beobachtet!

Wenn eine andere Dame zur Begleitung der hohen Frau befohlen wurde, wie es doch selbstverständlich der Wechsel des Dienstes mit sich brachte, so glaubte Rosa sich in ihrem guten Rechte gekränkt und brauchte Mühe, der Herzogin diese Regung zu verbergen. Sie hätte für ihr Leben gern gesehen, ob er gegen Ulrike und Jakobine ebenso gütig war wie gegen sie. Wollte sie doch seine Teilnahme mit keiner andern zugleich und in derselben Weise genießen.


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