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Fünfzehntes Kapitel

Rosa flog ihrer Gebieterin entgegen, als diese, nur begleitet von ihrer Kammerfrau, im Salon erschien. – Die Herzogin sah ihre Hofdame erstaunt an. Die Etikette schrieb vor, daß sie zu sich befahl, wen sie sprechen wollte, und sie hatte auch bisher mit Rosa noch keine Ausnahme gemacht. Da diese es jetzt gewagt, ungerufen einzutreten, mußte sich etwas besonders begeben haben. Ein besorgter Blick der hohen Frau erkannte auch sofort, daß dem so sei, denn das Mädchen sah ganz verstört aus.

Die Fürstin schickte die Kammerfrau hinaus und sagte: »Komm, ma fille chérie, und erzähle mir, was geschehen ist, ich merke es dir an, daß du dich nach einer kleinen confession sehnst.«

»Verzeihung, Durchlaucht, daß ich es wagte, hier einzudringen« – stammelte Rosa mit ängstlicher Bitte. »Ich weiß selbst kaum, wie ich hierher komme. Ich war erregt und erschreckt –«

»Das sehe ich, Kind, und nun kein Wort mehr über deinen faux pas.«

Die Herzogin nahm Platz auf ihrer Ottomane und Rosa setzte sich, wie schon oft, auf das Bänkchen zu den Füßen der hohen Frau. »Was ist geschehen, mignonne? fragte diese jetzt gütig. »Aber wie kann ich noch zweifeln; der Oberstallmeister wird dir, wie ich längst befürchtet, eine proposition de mariage gemacht haben, und du – Unglückliche?«

»Nein, nein, Durchlaucht irren –«

»Das ist es nicht?«

»Ja, er hat mir eine leidenschaftliche Erklärung gemacht, aber ich – ich habe ihn abgewiesen, so bestimmt refüsiert, wie ich's vermocht.«

»Nun, Gott sei Dank, dann ist ja alles gut! Und was choquiert dich denn noch, pauvre petite

Rosa erzählte, wie sie sich auf der Hinfahrt glücklich und sicher unter Storkes Obhut gefühlt, ja sie gestand, wie der Herzogin erneute Warnung sie verdrossen habe. Mit dieser Empfindung kämpfend, sei dann die Roheit des Oberstallmeisters gegen den Invaliden ihr wie eine plötzliche Aufklärung über sein eigentliches Wesen erschienen und habe sie, als sie wieder in den Schlitten gestiegen, mit schaudernder Abneigung gegen ihn erfüllt.

»Ein hohes Glück«, unterbrach die Herzogin, indem sie Rosa auf die Stirn küßte, »daß jener Augenschein dich von deiner keimenden Passion für den gefährlichen Mann kurierte. Das war eine Krise für dein Herz, ich hoffe, daß du jetzt vor jedem Rückfall in die alte blinde Faszination geschützt sein wirst.«

»Ich hoffe es auch«, sagte Rosa mit einem tiefen Seufzer.

»Und auf der Rückfahrt riskierte er es, um dich zu werben?« forschte Friederike weiter.

»Ja, und zuletzt mit einer Wildheit, so dezidiert, als ob ich ihm trotz meines Refüs nicht entrinnen könne. Und in der tödlichen Angst vor seinem Drängen eilte ich schutzsuchend hierher.«

»Aber, mon enfant, die Avancen eines unvermählten Kavaliers aus der grand monde, seine Heiratspropositionen sind doch keine Insulten!«

»Sobald der Kavalier sich mit der Dame Refüs begnügt und in guter Manier zurückzieht, gewiß nicht«, entgegnete Rosa bestimmter als zuvor. »Wenn er aber droht und schwört und seinen Willen durchzusetzen versichert, sind Schreck und Angst natürlich.«

»Also, das hat er getan. Da muß mein Gemahl doch intervenieren«, sagte die Herzogin nachdenklich. Rosa schilderte noch einmal das Benehmen des Oberstallmeisters gegen sie und erholte sich erst allmählich unter dem Zuspruch ihrer Gebieterin von ihrer Aufregung.

Noch am selben Abend nahm die Herzogin, sobald sie mit ihrem Gemahl allein war, Gelegenheit, sich über Storkes leidenschaftliches Betragen gegen ihr Kammerfräulein zu beklagen. »Da gibt es ja Wasser auf Ihre Mühle, Madame«, rief der Herzog verdrießlich. »Aber Sie haben recht, ich werde diesen von Storke auf seine Position zurückdirigieren. Er baut zu sehr auf meine Generosität, die ihn von der Misère seiner Fähnrichschaft befreite, er überhebt sich. Rosa von Bünau ist zu gut für ihn. Sei ruhig, Friederike, diesmal soll er den Herrn in mir kennen lernen.«

Und so geschah es auch. Andern Morgens bekam der Oberstallmeister den Befehl, im Kabinett des Herzogs zu erscheinen. Dieser Ruf von seiten des Gebieters beunruhigte Storke in keiner Weise. Nicht entfernt glaubte er an eine Parteinahme des Herzogs gegen ihn und seine Herzenswünsche. Er meinte, es handle sich einfach um das Inswerksetzen eines neuen Festes, und trat mit der stattlichen Zuversichtlichkeit, die sein Wesen kennzeichnete, zur befohlenen Zeit in des Herzogs Gemach. Hier stand er in militärischer Haltung einer Anrede gewärtig.

»Habe da von meiner Gemahlin kuriose Dinge über Ihn gehört«, hub der Herzog, im Zimmer auf und abgehend, die Hände auf dem Rücken, an. »Was bildet Er sich ein, von Storke, was verlangt Er? Gerade das Beste, scheint mir, ist nach seinem Gustus? Weiß Er nicht, daß wir die fille d'honneur, die kleine Bünau, halbwegs als Verwandte unseres Hauses regardieren? Wie kann Er Seine Prätension auf die fixieren?«

»Hochfürstliche Durchlaucht halten zu Gnaden, wenn ich in meiner Position als dero Oberstallmeister glaubte –« brachte Storke mühsam seinen Verdruß bekämpfend hervor.

»Vergeß Er nicht, daß ich Ihn sozusagen aus dem Nichts kreirt, im Felde aufgelesen«, fuhr der hohe Herr noch etwas härter fort.

»Habe ich Ihm ein sort gemacht, fühlt Er sich wohl in seiner Assiette, ist mir's recht. Meinetwegen freie er auch; nehme Er eines von den weniger charmanten Frauenzimmern der Herzogin; such' Er die Wolfhart zu kriegen, die hat ein Gütchen, oder Ulrike von Ebeleben, nur laß Er Seinen Fürwitz von der, welcher wir eine annehmbare Situation schaffen wollen.«

»Ich danke Durchlaucht für dero Propositionen, ich wähle selbst« – stieß der Gescholtene heraus. »Ich liebe das Fräulein Bünau, und mein eifrigstes Bestreben wird darauf gerichtet bleiben, mir ihr Herz und ihre Hand zu erringen.«

»Oho! Bleiben, seh Er mal, bleiben, trotz unserem Mißfallen?« rief der Herzog und stand, den kecken Mann fest ansehend, dicht vor ihm still. »Soll ich's Ihm denn noch deutlicher sagen, daß Er ein aventurier ist, daß meine Gnade Ihn allein hält oder – fallen läßt. Daß man von Seiner Kreatur Subordination prätendieren kann! Ich hätt' Ihm Seine Effronterie, sich in die Bünau zu verlieben, hingehen lassen, wenn ich nicht hätte hören müssen, daß Er sich permittiert hat, das Fräulein zu tourmentieren. Das ist insolent, mein Herr Oberstallmeister, das sind keine Hof-, das sind Stallmanieren! Soll ich Ihn ferner in meiner Suite dulden, so muß er sich zusammennehmen; das merk' Er sich und nun geh' Er!«

Es blieb dem vor Wut Bebenden nichts übrig, als militärisch zu grüßen und seinen lodernden Zorn von dannen zu tragen. Erfüllt von stürmischen Empfindungen, von tollen Racheplänen, stürzte er hinaus. Er mußte sich im Vorzimmer an einer Säule halten, denn sein Blut jagte so wild durch die Adern, daß ihn Schwindel ergriff. Je mehr ihn der Herzog bisher vorgezogen, mit dem Wohlgefallen betrachtet hatte, mit welchem der alte Soldat den jung aufstrebenden Tapferen ansieht, je sicherer also Storke sich in der Gunst und Gnade seines Herrn gefühlt hatte, umsomehr war er jetzt empört. Solche Sprache hatte er noch nie von Johann Adolf zu hören bekommen. Er sollte nicht gut genug sein für Rosa von Bünau? Einen aventurier hatte der Herzog ihn geheißen? »Ha, mein Fürst, Kampf, Kampf aufs Messer, wir wollen sehen, wer der Stärkere ist von uns beiden!« knirschte er für sich. »Aber klug sein, Klugheit ist alles, sagte der große Brühl!«

Es gelang Daniel von Storke, sich bald wieder so weit zu fassen, daß er auf den Korridor hinaustreten und in guter Haltung an Kammerdiener und Lakaien vorübergehen konnte. Als er aus dieser Leute Bereich war, blieb er wieder stehen.

Ein tollkühner Gedanke fuhr ihm durch den Kopf.

»Alles wagen, um jeden Preis vorwärts kommen!« schrie es in ihm.

Er hatte die Herzogin auf seinem Wege durch den Park in Gesellschaft ihrer Damen im Schieferhäuschen gesehen, welches für den Winter mit einem Teil der Orangerie ausgestattet, als zeitweiliger, angenehmer Aufenthaltsort diente. So wußte er, daß Friederike nicht im Schlosse sei.

Vielleicht glückte es jetzt, die hübsche Bonne allein zu treffen, schlimmsten Falles hatte er sich aus Zerstreutheit in der Türe geirrt; und sollte die Angelegenheit zu des Herzogs Kenntnis gelangen, würde Johann Adolf eine Gedankenlosigkeit seinerseits in dieser Stunde begreifen und verzeihen. »Also«, murmelte er für sich: » vive le hazard

Nach wenigen Schritten befand er sich an dem Vorzimmer zur Kinderstube. Er öffnete; das Gemach war leer. Im anstoßenden Raum, dessen Tür offen stand, hörte er das Lachen des Kleinen und Clemence's weiche Stimme sagen: » Soyez gentil, mon prince

Er stand in der Tür; Prinz August kugelte sich mit einem Hündchen auf dem Teppich, Mademoiselle Bernard lehnte am Fenster und beobachtete ihren Pflegling. Sie hörte Storkes Schritte, blickte sich um und flog ihm, mit Purpur übergossen, entgegen. Er war ins Vorzimmer zurückgetreten, und hier nahm er sie stürmisch in seine Arme.

»Um aller Heiligen willen, was wagen Sie, Baron?« flüsterte das Mädchen mit einem schwachen Versuch, sich aus seiner Umarmung zu lösen.

»Alles für Dich – Geliebte – ich ertrug's nicht länger, in Deiner Nähe zu sein, ohne Dich wiederzusehen –« er erschrak selbst vor dem Ton der Leidenschaft in seiner Stimme, in der noch die gewaltige Erregung der eben erlebten Szene nachzitterte.

»O ist es denn möglich? –« Die selige Empfindung, so geliebt zu werden, raubte der Französin den Atem.

»Laß uns ein Rendezvous verabreden«, drängte er. »Ich muß Dich öfter sehen, Clemence! Wir können uns abends im Schieferhäuschen treffen, den Schlüssel werde ich zu acquirieren wissen. Morgen beim Dunkelwerden bin ich dort!«

Noch ein heißer Kuß, dann drängte sie ihn hinaus. »Ich komme, ja ich komme – wenn's möglich ist!« flüsterte sie und eilte das Kind zu beruhigen, welches sich eben unter großem Geschrei mit seinem Spielgefährten veruneinigte.

Welch ein Glücksgefühl durchzitterte das Herz des einsamen Mädchens! Wie oft hatte sie an den herrlichen Mann gedacht, wie tief hatte die Nachricht von seiner Verwundung ihre Sorge erregt, und nun als er zurückkam, als sie ihn mit seiner ehrenvollen Narbe wiedersah, wie laut hatte da ihr Herz ihm entgegengeschlagen! Und jetzt bot er allen Unannehmlichkeiten Trotz, die sein plötzliches Eindringen bei ihr über ihn selbst heraufbeschwören konnte. Von unwiderstehlicher Sehnsucht getrieben, wagte er's, sie aufzusuchen. Welch ein Beweis seiner treuen Liebe, seines kecken Mutes! Und welch ein seltener Glücksfall, daß die Wärterin nicht zur Hand gewesen! Zwar verhielt sich die alte Babet freundlich zu ihr, aber das ungewöhnliche Ereignis von Baron Storkes Eintreten hätte jene doch nimmer ungemeldet lassen dürfen.

Der Oberstallmeister schritt mit sehr gemischten Empfindungen seiner Wohnung zu. Hier hatte er gesiegt, und die Möglichkeit eines unbeschränkten Einflusses auf Herz und Willen des hingebenden Geschöpfes errungen, das war ein Schritt weiter zu seinem Ziele, aber er hatte sich schon früher seiner Sache so gewiß bei Clemence Bernard gefühlt, daß die Sicherung seiner Eroberung ihm keinen sonderlichen Triumph bereitete. Weit vorherrschender brannte in ihm die grausame, vorhin durch den Herzog empfangene Kränkung.

Er sollte nicht gut genug sein für die Bünau – das war's, was er sich immer wieder vorhielt. Nicht gut genug, er! Abgewiesen von Rosa und den Herrschaften, wollte er doch alle Hindernisse überwinden. Er brauchte nur den schon betretenen Weg zu verfolgen, so mußte der Sieg ihm zufallen! Immer mehr redete er sich ein, daß Rosas Benehmen im Schlitten ein erzwungenes, ihrem eigentlichen Empfinden fremdes gewesen. Wie oft hatte er in ihren sprechenden Augen das wärmste Interesse für sich gelesen. Man mußte sie vorher beredet haben, ihn abzuweisen. Er wollte ihr gegenüber in der Gesellschaft sein Betragen in etwas respektvolleren Grenzen halten, um den Herzog nicht gegen sich aufzubringen, Rosa selbst sollte aber sein zärtliches Werben immer noch durchfühlen. Und dann wollte er dafür sorgen, daß die etwa hervortretende Veränderung ihres Verkehrs eine ihm angenehme Deutung finde. Man sollte flüstern: Storke und die Bünau sind einig, aber die Herrschaften legen ihnen Schwierigkeiten in den Weg, deshalb halten sie sich jetzt mehr zurück. Gelang es ihm, diese Ansicht zu verbreiten, so hielt er damit lästige Rivalen fern und zwang Rosa zu sich, sie mochte wollen oder nicht. Daß der Herzog ihn so schwer beleidigt hatte, empfand er nach und nach als eine Erleichterung seines Gewissens. Was sollten ihm ferner Güte und Wohltaten von dem? Er stand Johann Adolf ja schon längst innerlich feindselig gegenüber, jetzt fühlte er diese Stellung als eine berechtigte, und konnte somit immer sicherer und unbeirrter auf das Gewollte hinarbeiten.


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