Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

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Dreiunddreißigster Gesang

  1. "O Jungfrau Mutter, Tochter deines Sohns,
    Demüt’ger, höher, als was je gewesen,
    Ziel, ausersehn vom Herrn des ew’gen Throns,
  2. Geadelt hast du so des Menschen Wesen,
    Daß, der’s erschaffen hat, das höchste Gut,
    Um sein Geschöpf zu sein, dich auserIesen.
  3. In deinem Leib entglomm der Liebe Glut,
    An der die Blume hier äu ew’gen Wonnen
    Entsprossen ist, in ew’gem Frieden ruht.
  4. Die Lieb’ entflammst du, gleich der Mittagssonnen,
    In diesem Reich; dort, in der Sterblichkeit,
    Bist du der frommen Hoffnung Lebensbronnen.
  5. Du giltst so viel, ragst so in Herrlichkeit,
    Daß Gnade Suchen und zu dir nicht flehen,
    Wie Flug dem Unbeflügelten gedeiht.
  6. Du pflegst dem Armen huldreich beizustehen,
    Der zu dir fleht, ja öfters pflegt von dir
    Die Gabe frei dem FIeh’n vorauszugehen.
  7. In dir ist Huld, Erbarmen ist in dir,
    In dir der Gaben Fülle – ja, verbunden.
    Was Gutes das Geschöpf hat, ist in dir.
  8. Er, der vom tiefsten Schlund sich eingefunden
    Des Weltalls hat, der Geister Art und Sein,
    Von Reich zu Reich zu sehn und zu erkunden,
  9. Er fleht zu dir, ihm Kräfte zu verleih’n,
    Daß er die Augen höher heben könne,
    Und seinen Blick für’s höchste Heil zu weih’n.
  10. Und ich, der ich mehr für sein Schauen brenne,
    Als für mein eignes je, wie dir bewußt,
    Ich fleh’, und das, was ich gefleht, vergönne!
  11. Nimm ihm der Erde Nacht von Aug’ und Brust
    Und flehe du für ihn, daß sich entfalten
    Vor seinen Augen mag die höchste Lust.
  12. Noch bitt’ ich, Königin, dich, die du walten
    Kannst, wie du willst, in ihm und solchem Sehn,
    Gesund des Herzens Neigung zu erhalten.
  13. Laß ihn der ird’schen Regung widerstehn;
    Sieh Beatricen, sieh so viel Verklärte
    Mit mir zugleich, die Hände faltend, fleh’n!"
  14. Die Augen, die Gott liebt und wert halt, kehrte
    Sie fest dem Redner zu und zeigte drin,
    Ihr sei das fromme Fleh’n von hohem Werte.
  15. Dann blickten sie zum ew’gen Lichte hin;
    Und einen Blick so klar dorthin zu senden
    Wie sie, vermag nicht des Geschöpfes Sinn.
  16. Dem Ziel, zu dem sich alle Wünsche wenden,
    Mich nähernd, fühlt’ in meinem Innern ich
    So, wie ich mußte, jede Sehnsucht enden.
  17. Und lächelnd winkte Bernhard mir, daß sich
    Mein Auge nun empor zum Höchsten richte;
    Doch, wie er wollte, war ich schon durch mich.
  18. Denn stets ward’s klarer mir vorm Angesichte,
    Und mehr und mehr drang durch den Glanz hinan
    Mein Blick zum hohen, in sich wahren Lichte.
  19. Und tiefer, größer war mein Schau’n fortan,
    Daß solchen Blick die Sprache nicht bekunden,
    Nicht die Erinnerung ihn fassen kann.
  20. Wie der, dem nach dem Traum, was er empfunden,
    Tief eingeprägt, das Herz noch lang erfüllt,
    Wenn das, was er geträumt, ihm schon entschwunden;
  21. So bin ich, dem beinah sein Traumgebild
    Entschwunden ist, und dem die Lust, geboren
    Aus jenem Traum, noch stets im Herzen quillt.
  22. So schmilzt der Schnee, wenn aus des Ostens Toren
    Die Sonn’ erwärmend steigt; so war beim Wind
    In leichtem Staub Sibyllas Spruch verloren. –
  23. O höchstes Licht, das, was der Mensch ersinnt,
    So weit zurückläßt, leih itzt meiner Seele
    Ein wenig nur von dem, was ihr verrinnt.
  24. Mach’ itzt, daß Kraft die Zunge mir beseele,
    Damit ein Funke deiner Glorie nur
    Der Nachwelt bleib’ in dem, was ich erzähle.
  25. Wenn deine Huld von dem, was ich erfuhr,
    Nur schwachen Nachhall diesem Liede spendet,
    Dann sieht man klarer deiner Siege Spur.
  26. Mich hätte, glaub’ ich, ganz der Blitz geblendet,
    Den ich von dem lebend’gen Strahl empfand,
    Hätt’ ich von ihm die Augen abgewendet.
  27. Und ich erinnre mich: mein Mut erstand
    Durch ihn, die Blitze kühner zu ertragen,
    Bis sich mein Blick der ew’gen Kraft verband.
  28. O überreiche Gnad’! Ich dürft’ es wagen,
    Fest zu durchschau’n des ew’gen Lichtes Schein
    Und ins Unendliche den Blick zu tragen.
  29. Er drang bis zu den tiefsten Tiefen ein;
    Die Dinge, die im Weltall sich entfalten,
    Sah ich durch Lieb’ im innigsten Verein.
  30. Wesen und Zufall, ihre Weis’, ihr Walten,
    Dies alles war in eines Lichtes GIanz,
    In eines unvermischten Lichts, enthalten.
  31. Die Form, die allgemeine, dieses Bands,
    Ich sah sie, glaub’ ich; denn den Schatten gleichen
    Die Bilder nur, und Wonne füllt mich ganz.
  32. Mehr macht mein Bild ein Augenblick erbleichen,
    Als drittehalb Jahrtausende die Fahrt
    Der Argo nach Neptunus’ fernsten Reichen.
  33. Scharf, unbeweglich schaut’ in solcher Art
    Die Seele nach dem göttlichen Gesichte,
    Drob sie stets mehr im Schau’n entzündet ward.
  34. Und also wird man dort bei jenem Lichte,
    Daß es nicht sein kann, daß man, abgewandt
    Von ihm, je anderwärts die Augen richte,
  35. Weil es das Gut, des Wollens Gegenstand,
    Ganz in sich faßt und ärmlich und voll Schwächen
    All andres zeigt, was man vollkommen fand.
  36. Kurz werd’ ich nun von dem Geschauten sprechen,
    Und sprechend stell’ ich mich als Kindlein dar,
    Dem noch Erinnerung und Wort gebrechen.
  37. Nicht weil ein andrer jetzt, als einfach klar,
    Der Schimmer ward, zu dem mein Blick sich kehrte;
    Denn jener bleibt so, wie er immer war,
  38. Nur weil im Schau’n sich meine Sehkraft mehrte,
    Schien’s, daß verwandelt jener eine Schein,
    Sich mir, der selbst verwandelt war, verklärte.
  39. Zum tiefen, klaren Lichtstoff drang ich ein,
    Da schienen mir drei Kreise, dort zu sehen,
    Dreifarbig und an Umfang gleich zu sein.
  40. Wie Iris in der Iris glänzt, so zween
    Im Widerschein – der dritte, Glut und Licht,
    Schien gleich von hier aus und von dort zu wehen.
  41. Wie kurz, wie rauh mein Wort für solch Gesicht!
    Und dem, was zu erschau’n mir ward beschieden,
    Genügen wenig schwache Worte nicht.
  42. O ew’ges Licht, allein in dir in Frieden,
    Allein dich kennend und von dir erkannt,
    Dir selber lächelnd und mit dir zufrieden,
  43. Als ich zur Kreisform, die in dir entstand,
    Wie widerscheinend Licht, die Augen wandte,
    Und sie verfolgend mit den Blicken stand,
  44. Da schien’s, gemalt in seiner Mitt’ erkannte,
    Mit eigner Farb’, ich unser Ebenbild,
    Drob ich nach ihm die Blicke gierig spannte.
  45. Wie eifrig strebend, aber nie gestillt,
    Der Geometer forscht, den Kreis zu messen,
    Und nie den Grundsatz findet, welcher gilt;
  46. So ich beim neuen Schau’n – ich wollt’ ermessen,
    Wie sich das Bild zum Kreis verhielt’, und wie
    Die Züge mit dem Licht zufammenflössen.
  47. Doch dies erflog der eigne Fittich nie,
    Ward nicht mein Geist von einem Blitz durchdrungen,
    Der, was die Seel’ ersehnt hatt’, ihr verlieh.
  48. Hier war die Macht der Phantasie bezwungen,
    Doch Wunsch und Will’, in Kraft aus ew’ger Ferne,
    Ward, wie ein Rad, gleichmäßig umgeschwungen,
  49. Durch Liebe, die beweget Sonn’ und Sterne.

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