Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

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Dreißigster Gesang

  1. Uns fern, etwa sechstausend Meilen, steiget
    Der Mittag auf, indes schon diese Welt
    Den Schatten fast zum ebnen Bette neiget,
  2. Wenn nach und nach sich uns der Ost erhellt;
    Dann wird der Glanz erst manchem Stern benommen,
    Des Strahl nicht mehr bis zu uns niederfällt,
  3. Und wie Aurora mehr emporgeklommen,
    Verschließt der Himmel sich von Glanz zu Glanz,
    Bis auch des schönsten Sternes Licht verglommen.
  4. So der Triumph, der ewiglich im Tanz
    Den Punkt umkreist, der alles hält umschlungen,
    Was scheinbar ihn umschIingt als lichter Kranz.
  5. Er schwand allmählich, meinem Aug’ entschwungen,
    Drum kehrt’ ich zu der Herrin das Gesicht,
    Von Nichtschau’n und von Liebesdrang gezwungen.
  6. War’ alles, was bis jetzo mein Gedicht
    Von ihr gelobt, in ein Lob einzuschließen,
    Doch g’nügend wär’s für diesen Anblick nicht.
  7. Denn Reize, wie sie hier sich sehen ließen,
    Weit überschreiten sie der Menschen Art;
    Ihr Schöpfer nur kann ihrer ganz genießen.
  8. Ich bin besiegt von dem, was ich gewahrt,
    Mehr als ein Komiker von seinen Stoffen,
    Als ein Tragöd’ je überwunden ward.
  9. Gleichwie ein Blick, den Sonnenstrahlen offen,
    Vergeht vor ihren- Blitzen, so geschieht
    Dem Geist, von dieses Lächelns Reiz getroffen.
  10. Vom ersten sag, da mir der Herr beschied,
    Ihr Angesicht zu schau’n in diesem Leben,
    Folgt ihr bis hin zu diesem Blick mein Lied.
  11. Doch muß ich jetzt des Folgens mich begeben,
    Ein Künstler, der sein höchstes Ziel errang,
    Und hoher nicht vermag emporzustreben.
  12. Und so, wie ich sie lasse vollerm Klang,
    Als meiner Tuba, die ich also richte,
    Wie sie beenden kann den schweren Sang,
  13. Sprach sie, mit Ton, Gebärd’ und Angesichte
    Eifrigen Führers froh zu mir: "Du bist
    Gelangt zum Himmel nun von reinem Lichte,
  14. Von geist’gem Licht, das nur ein Lieben ist,
    Ein Lieben jenes Gut’s, des ewig wahren,
    Von Luft, mit der kein Erdenglück sich mißt.
  15. Du siehst hier beide Himmelskriegerscharen
    Und siehst die ein’ in dem Gewande heut,
    Wie du sie wirst beim Weltgericht gewahren."
  16. Wie jäher Blitz des Auges Kraft zerstreut,
    So daß er jeden Gegenstand umdunkelt,
    Den stärksten Selbst, der sich dem Blicke beut;
  17. So ward ich von lebend’gem Licht umfunkelt,
    Des Glanz mir tat, wie uns ein Schleier tut,
    Denn alles außer ihm war mir verdunkelt.
  18. "Die Lieb’, in welcher dieser Himmel ruht
    Pflegt so in sich zum Heile zu empfangen
    Und macht die Kerz’ empfänglich ihrer Glut."
  19. Wie mir die kurzen Wort’ ins Innre drangen,
    Da fühlt’ ich, daß sich Geist mir und Gemüt
    Weit über die gewohnten Kräfte schwangen.
  20. Und neue Sehkraft war in mir entglüht,
    So, daß mein Auge, stark und ohne Qualen,
    Dem Licht sich auftat, das am reinsten blüht.
  21. Ich sah das Licht als einen Fluß von Strahlen
    Glanzwogend zwischen zweien Ufern zieh’n,
    Und einen Wunderlenz sie beide malen
  22. Und aus dem Strom lebend’ge Funken sprüh’n;
    Und in die Blumen senkten sich die Funken,
    Gleichwie in goldne Fassung der Rubin.
  23. Dann tauchten sie, wie von den Düften trunken,
    Sich wieder in die Wunderfluten ein,
    Und der erhob sich neu, wenn der versunken.
  24. "Dein heißer Wunsch, in dem dich einzuweih’n,
    Was deine Blicke hier auf sich gezogen,
    Muß mir, je mehr er drängt, je lieber sein.
  25. Doch trinken mußt du erst aus diesen Wogen,
    Eh’ solch ein Durst in dir sich stillen kann."
    So sprach die Sonn’, aus der ich Licht gesogen.
  26. "Der Fluß und diese Funken", sprach sie dann,
    "Und dieser Pflanzen heitre Pracht, sie zeigen
    Die Wahrheit dir voraus, wie Schatten, an.
  27. An sich ist ihnen zwar nichts Schweres eigen,
    Sie zu erkennen, fehlt nur dir die Macht,
    Weil noch so stolz nicht deine Blicke steigen."
  28. Kein Kind, das durstig langer Schlaf gemacht,
    Kann sein Gesicht zur Brust so eilig kehren,
    Wenn’s über die Gewohnheit spät erwacht,
  29. Als, um der Augen Spiegel mehr zu klären,
    Ich mein Gesicht zu jenem Flusse bog,
    Dort strömend, um der Seele Kraft zu mehren.
  30. Und wie der Rand der Augenlider sog
    Von seiner Flut, da war zum Kreis gewunden,
    Was sich zuvor in langen Streifen zog.
  31. Dann, Leuten gleich, die sich verlarvt befunden,
    Verändert erst, wenn sie auszieh’n das Kleid,
    Worin sie unter fremdem Schein verschwunden;
  32. Verwandelten zu größrer Herrlichkeit
    Sich Blumen mir und Funken, und ich schaute
    Die HimmeIsscharen beide dort gereiht.
  33. O Gottes Glanz, o du, durch den ich schaute
    Des ewig wahren Reichs Triumphespracht,
    Gib jetzt mir Kraft, zu sagen, wie ich schaute.
  34. Licht ist dort, das den Schöpfer sichtbar macht,
    Damit er ganz sich dem Geschöpf verkläre,
    Dem nur in seinem Schau’n der Friede tacht.
  35. Es dehnt sich weithin aus in Form der Sphäre
    Und schließt so viel in seinem Umkreis ein,
    Daß es zu weit als Sonnengürtel wäre.
  36. Und einem Strahl entquillt sein ganzer Schein,
    Rückscheinend von des schnellsten Kreises Rande,
    Um Sein und Wirkung diesem zu verleih’n.
  37. Und wie ein Hügel, an der Wogen Strande,
    Sich spiegelt, wie um sich geschmückt zu sehn
    Im blütenreichen, grünenden Gewande;
  38. Also sich spiegelnd, sah ich in den Höh’n
    In tausend Stufen die das Licht umringen,
    Die von der Erd’ in jene Heimat gehn.
  39. Und kann der tiefste Grad solch Licht umschlingen,
    Zu welcher Weite muß der letzte Kranz
    Der Blätter dieser Himmelsrose dringen?
  40. Mein Aug’ ermaß die Weit’ und Höhe ganz
    Und unverwirrt, und konnte sich erheben
    Zum Was und Wie von diesem Wonneglanz.
  41. Nicht Fern noch Nah kann nehmen dort noch geben,
    Denn da, wo Gott regiert, unmittelbar,
    Tritt fürder kein Naturgesetz ins Leben.
  42. Ins Gelb der Rose, die sich immerdar
    Ausdehnt, abstuft und Duft des Preises sendet
    Zur Sonne, die stets heiter ist und klar,
  43. Zog, wie wer schweigt, doch sich zum Sprechen wendet,
    Beatrix mich und sprach: "Sieh hier verschönt
    In weißem Kleid, die dorten wohl geendet.
  44. Sieh, wie so weithin unsre Stadt sich dehnt,
    Sieh, so gefüllt die Bänk’ in unserm Saale,
    Daß man jetzt hier nach wenigen sich sehnt.
  45. Auf jenem großen Stuhl, wo du dem Strahle
    Der Krone, die dort glänzt, dein Auge leihst,
    Dort, eh’ du kommst zu diesem Hochzeitsmahle,
  46. Wird sitzen des erhabnen Heinrichs Geist,
    Des Cäsars, der Italien zu gestalten
    Kommt, eh’ es sich dazu geneigt beweist.
  47. Die blinde Gier ist’s, die mit Zauberwalten
    Euch gleich dem Kind macht, das die Brust verschmäht,
    Die Nahrung hat, sein Leben zu erhalten.
  48. Dem göttlichen Gerichtshof aber steht
    Solch Obrer vor dann, daß er im Geheimen
    Und offen nie mit ihm zusammengeht.
  49. Doch stürzt des Himmels Räch’ ihn ohne Säumen
    Vom Heil’gen Stuhl zur qualenvollen Welt,
    Wo Simon Magus stöhnt in dunkeln Räumen,
  50. Drob tiefer noch der von Alagna fällt."

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