Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

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Zweiunddreißigster Gesang

  1. O hätt’ ich Reime von so heiserm Schalle,
    So rauh, wie sie erheischt dies Loch voll Graus,
    Auf welchem ruh’n die andern FeIsen alle,
  2. Dann drückt’ ich, was ich will, vollkommner aus,
    Doch, sie nicht habend, geh’ ich nur mit Bangen
    Jetzt an die Rede, wie zum harten Strauß.
  3. Denn nicht ein Spiel ist ja mein Unterfangen,
    Den Grund des Alls dem Liede zu vertrau’n,
    Und nicht mit Kinderlallen auszulangen.
  4. Doch fördern meine Reim’ itzt jene Frau’n,
    Amphions Hilf an Thebens Mau’r und Toren,
    Dann wohl entspricht mein Lied der Tat an Grau’n.
  5. O schlechtster Pöbel, an dem Ort verloren,
    Der hart zu schildern ist, oh wärst du doch
    In unsrer Welt als Zieg’ und Schaf geboren.
  6. Wir waren nun im dunkeln Brunnenloch
    Tief unterm Riesen, näher schon der Mitte,
    Und nach der hohen Mauer sah ich noch.
  7. Da hört’ ich sagen: "Schau’ auf deine Schritte,
    Daß du den Armen nicht im Weiterzieh’n
    Die Häupter stampfen magst mit deinem Tritte."
  8. Drum wandt’ ich mich, und vor mir hin erschien
    Und unter meinen Füßen auch ein Weiher,
    Der durch den Frost Glas, und nicht Wasser, schien.
  9. Die Donau bleibt im Frost vom Eise freier,
    Und nah dem Pol, selbst in der längsten Nacht,
    Deckt nicht den Sanais ein so dichter Schleier.
  10. Und wäre Tabernik herabgekracht
    Und Pietrapan, nicht hätte nur am Saume
    Bei ihrem Sturz das Eis krick krick gemacht.
  11. Wie abends, wenn die Bäuerin im Traume
    Noch Ähren liest – die Schnauze vorgestreckt,
    Der Frösche Volk quäkt aus dem nassen Raume;
  12. So bis dahin, wo sich die Scham entdeckt,
    Fahl, mit dem Ton des Storchs die Zähne schlagend,
    War elend Geistervolk im Eis versteckt,
  13. Zur Tiefe hingewandt das Antlitz tragend,
    Vom Froste mit dem Mund und von den Weh’n
    Des Herzens mit den Augen Zeugnis sagend.
  14. Als ich ein Weilchen erst mich umgesehn,
    Schaut’ ich zum Boden hin und sah von oben
    Zwei, eng umfaßt, vermischt das Haupthaar, stehn.
  15. "Ihr, die ihr drängend Brust an Brust geschoben,
    Wer seid ihr?" sprach ich – dann, als sie auf mich,
    Die Hälse rückend, ihre Blick’ erhoben,
  16. Sah ich die Augen, feucht erst innerlich,
    Von Tränen träufeln, die, noch kaum ergossen,
    Zu Eis erstarrten; und sie schlossen sich,
  17. Fest, wie nie Klammern Holz an Holz geschlossen,
    Drum stießen sich im Grimme wilden Streits,
    Gleich zweien Böcken, diese Qualgenossen.
  18. Und einer, der sein Ohrenpaar bereits
    Durch Frost verlor, brach, stets gebückt, das Schweigen:
    Was hängst du so am Schauspiel unsres Leids?
  19. Soll ich, wer diese beiden sind, dir zeigen?
    Das Tal, das des Bisenzio Flut benetzt,
    War ihnen einst und ihrem Vater eigen.
  20. Ein Leib gebar sie, und durchsuche jetzt
    Kaina ganz, du findest sicher keinen
    Mit besserm Grund in dieses Eis versetzt;
  21. Nicht ihn, des Brust und Schatten einst durch einen
    Stoß seines Speers durchbohrt des Artus Hand;
    Focaccia nicht, noch ihn, des Kopf den meinen
  22. So deckt, daß mir die Aussicht gänzlich schwand.
    Den, hörst du SassoI Mascheroni nennen,
    Du, ein Toskaner, sicher leicht erkannt.
  23. Jetzt hör’, um mir nur schleunig Ruh’ zu gönnen,
    Ich, Camicion, erwarte den Carlin
    Und werde neben ihm mich brüsten können:"
  24. Noch sah ich viele Hundesfratzen zieh’n
    Vor großem Frost in diesem tiefen Kreise,
    Und schaudre noch vor dem, was mir erschien.
  25. Und weiter ging zum Mittelpunkt die Reise,
    Auf welchem ruht des ganzen Alls Gewicht,
    Und selber zittert’ ich beim ew’gen Eise.
  26. War’s Vorsatz, war’s Geschick – ich weiß es nicht,
    Genug, es stieß mein Fuß beim Weitergehen
    Durch viele Häupter, eins ins Angesicht.
  27. "Was trittst du mich?" – so hört’ ich’s heulend schmähen,
    "Rächst du noch schärfer Montapert an mir?
    Wenn aber nicht, weswegen ist’s geschehen? –"
  28. "Mein Meister," sprach ich, "harr’ ein wenig hier,
    Denn gern belehrt’ ich mich von diesem näher,
    Dann folg’ ich, wie dir’s gut dünkt, eilig dir."
  29. Still stand, wie ich gewünscht, der hohe Seher,
    Und jener fluchte noch so wild wie erst,
    Da sprach ich: "Wer bist du, du arger Schmäher?"
  30. "Und du, der du durch Antenora fährst,"
    Sprach er, "wer du, der so stößt andrer Wangen,
    Daß es zu arg war’, wenn du lebend wärst?" –
  31. "Ich lebe", sagt’ ich. "Hättest du Verlangen
    Nach Ruf, so wird er dir durch mich zuteil,
    Drum wirst du wohl mit Freuden mich empfangen."
  32. Drauf er: "Ich wünsche nur das Gegenteil,
    Drum packe dich – in diesen Eisesmassen
    Verspricht solch Schmeichelwort ein schlechtes Heil."
  33. Da griff ich nieder, ihn beim Schopf zu fassen,
    Und sagt’ ihm: "Nötig wird’s, daß du dich nennst,
    Soll ich ein Haar auf deinem Kopfe lassen."
  34. Und er: "Ob du mich zausen magst, du kennst
    Mich dennoch nicht – nichts sollst du hier erkunden,
    Wenn du mir tausendmal ins Antlitz rennst."
  35. Ich hielt sein Haar um meine Hand gewunden,
    Und ob schon ausgerauft manch Büschel war,
    Schaut’ er hinab und bellte gleich den Hunden.
  36. Da rief ein andrer: "Bocca, nun fürwahr,
    Du ließest schon genug die Kiefern klingen,
    Jetzt bellst du noch? Plagt dich der Teufel gar?"
  37. "Dich", rief ich, "mag ich nicht zum Reden zwingen,
    Verräter du, allein zu deiner Schmach
    Will ich zur Erde wahre Nachricht bringen."
  38. "Erzähle, was du willst, doch hintennach",
    Rief Bocca, "magst du diesen nur nicht schönen,
    Der eben jetzo so geläufig sprach.
  39. Sieh ihn für’s Gold der Franken hier belohnen
    Und sage, daß Duera da nicht fehlt,
    Wo ziemlich kühl und frisch die Sünder wohnen.
  40. Und fragt man noch, wen sonst dies Eis verhehlt,
    Dort siehst du Becherias Augen triefen,
    Den jüngst die Florentiner abgekehlt.
  41. Auch wohnt Soldanier jetzt in diesen Tiefen,
    Gan, Sribaldello, der Faenzas Tor
    Den Feinden aufschloß, da noch alle schliefen."
  42. Wir gingen fort, und, etwas weiter vor,
    War, Haupt auf Haupt gedrückt, ein Paar zu finden,
    Das fest in einem Loch zusammenfror.
  43. Wie man aus Hunger nagt an harten Rinden,
    So fraß der Obre hier den Untern an
    Da, wo sich Nacken und Gehirn verbinden.
  44. Wie in die Schläfe Menalipps den Zahn
    Einst Sydeus voll von wilder Wut geschlagen,
    So ward von ihm dem Schädel hier getan.
  45. "O du, der du mit viehischem Behagen
    Den Haß an diesem stillst, an dem du nagst,
    Weshalb", begann ich, "magst du dich beklagen?
  46. Und hör’ ich, daß du dich mit Recht beklagst,
    Und wer er sei, und was dein Nagen räche,
    So sollst du dort erstehn, wo du erlagst,
  47. Wenn diese nicht verdorrt, mit der ich spreche."

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